FHA Schweiz-China: Viel Papier für ein wenig Freihandel

Die Schweiz hat mit China ein Freihandelsabkommen (FHA) abgeschlossen. So jedenfalls melden es die Medien. Denn heute hat Wirtschaftsminister Schneider-Ammann in Peking das Abkommen unterzeichnet. Das Dokument, das zur Unterschrift vorlag, umfasst nahezu 1’200 Seiten. Da stellt sich spontan die Frage, warum es wohl so viel Papier braucht für die Abschaffung von Zöllen und die gegenseitige Öffnung der Märkte. Ist der Übergang zu Freihandel so kompliziert?

Nun, ein kleinerer Teil des Dokuments regelt anderes als den Abbau von Marktzutrittsschranken, zum Beispiel den Schutz des geistigen Eigentums. Dies erklärt aber nicht die weit über 1’000 Seiten des Abkommens. Vielmehr braucht es so viel Papier, weil der Bilateralismus, den gerade die Schweiz besonders gerne pflegt, auf einem Aushandeln von Marktöffnungen nach punktuellen branchen- oder verbandsspezifischen Interessen beruht – ganz im Gegensatz zur multilateralen Liberalisierung im Rahmen der WTO oder früher des GATT. Multilaterale Marktöffnung unter dem obersten Grundsatz der Nicht-Diskriminierung ist viel pauschaler und kann – zum Wohle des Ganzen – viel weniger Rücksicht auf sektorspezifische Sonderinteressen nehmen. Für den Bilateralismus typisch, konnte Bundesrat Schneider-Ammann die Bauern beruhigen: „In der Landwirtschaft mussten wir keine Konzessionen machen.“ Mit anderen Worten: Der geschützte Agrarsektor ist vom FHA mit China ausgenommen. Klar, die Interessen des Schweizerischen Bauernverbands waren politisch schon immer wichtiger als die Interessen der Konsumenten. Dass dieser agrarpolitische „Triumph“ mit Gegenkonzessionen an die Chinesen in anderen Bereichen erkauft werden musste, ist aus der gängigen handelsdiplomatischen Logik leicht abzuleiten.

Da auch China im gegenseitigen Verhandlungs-Seilziehen seine spezifischen Schutzinteressen vorbrachte, resultierte ein „Freihandels“-Abkommen, das mit wirklichem Freihandel nur beschränkt zu tun hat. Vielmehr gibt es ein nach jeweiligen Schutz- bzw. Marktöffnungsinteressen der Partnerländer differenziertes, extrem kompliziertes Vertragswerk mit unterschiedlichen Abbauschritten und -geschwindigkeiten bei Zöllen. Das Abkommen musste in aufwendigen Detailverhandlungen Produktgruppe um Produktgruppe ausgehandelt und auf fast 1’200 Seiten Papier festgehalten werden. Man kann sich den bürokratischen Aufwand gut vorstellen, den ein derart kompliziertes bilaterales Abkommen verursacht. Und mit jedem Land sieht das jeweilige FHA-Vertragswerk anders aus. Gleichzeitig schwächt jedes neue bilaterale Abkommen die multilaterale Schiene via WTO. „Spieltheoretisch“ ist leider nichts anderes zu erwarten. Das Wettrennen um Wettbewerbsvorteile mittels bilateraler FHA ist längst lanciert und in vollem Gange. Dabei könnte nur ein multilaterales Vertragswerk zum Abbau von Handelsbarrieren verhindern, dass der Bilateralismus mit seinen Marktöffnungen à la carte den Begriff Freihandel weiter zum Schaden aller korrumpiert.

Zu diesem Klima bilateraler FHA à la carte passt auch gut, dass Wirtschaftsminister Schneider-Ammann in allen Auftritten in den Medien als Vorteile des „Freihandels“-Abkommens fast schon rituell immer nur den erleichterten schweizerischen Marktzugang zum grossen chinesischen Markt erwähnt. Die Handelsströme in der Gegenrichtung – erleichterte Einfuhren in die Schweiz – kommen bei Schneider-Ammann nie vor. Dieser Bundesrat gilt als Mann der Wirtschaft. Aber ökonomisch leidet er unter einem spektakulären merkantilistischen Bias, gegen den seine Berater offenbar machtlos sind.

 

2 Gedanken zu „FHA Schweiz-China: Viel Papier für ein wenig Freihandel

  1. Ja, solange bis die EU auch ein FHA mit China abschliesst. Dann könnte es so kommen wie im Fall Südkorea: Die Schweiz war dort der EU auch „voraus“. Dann zog die EU nach, und die Zölle für Agrarprodukte wurden mehr gesenkt als im FHA mit der Schweiz. In der Folge verlor ein Schweizer Mozzarella-Exporteur seinen koreanischen Absatzmarkt an EU-Lieferanten. Dies nur, weil die Schweizer Handelsdiplomaten im Agrarbereich das hohe schweizerische Schutzniveau verteidigen müssen, was auf der Gegenseite dem Abbau des Grenzschutzes nicht gerade förderlich ist.

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