Abstimmungssieg der ETH

Eine staatliche Hochschule im Kampagnenmodus

Der folgende Text erschien am 26. Juni 2023 in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter (Zugang nur mit Zahlschranke).

Vermutlich knallten am Abstimmungssonntag vom 18. Juni nicht nur bei den Siegerparteien die Korken, sondern auch am Energy Science Center der ETH Zürich. Das sogenannte Klimaschutzgesetz war vom Stimmvolk mit einer Ja-Mehrheit von rund 59 Prozent angenommen worden. Damit wurde der unerwartete Lapsus des erfolgreichen Referendums gegen das CO2-Gesetz vom Juni 2021 mehr als korrigiert. Unter dem Druck der „Gletscherinitiative“ haben wir nun als CO2-Reduktionsziel „netto null 2050“ gesetzlich festgeschrieben. In Bezug auf die absehbaren praktischen Auswirkungen bedeutet dies eine Radikalisierung der Klima- und Energiepolitik. Obwohl Politik und Medien dem Stimmvolk mit Verweis auf diverse Studien suggerierten, „netto null 2050“ sei technisch und wirtschaftlich machbar, weiss heute niemand, wie das gehen könnte. Deshalb soll jetzt die ETH in einem teils privat finanzierten 100-Millionen-Projekt nützliche Erkenntnisse liefern.

Verdient hat die ETH diese Forschungsmittel voll und ganz. Unsere Renommierhochschule hatte sich kampagnenmässig im Abstimmungskampf für das Klimaschutzgesetz engagiert. Auf erste Anzeichen eines politischen Engagements stiess ich, als ich mich nach der Lancierung der Gletscherinitiative im Jahr 2018 für einen Zeitungsartikel über die Initianten informierte. Dort stiess ich im wissenschaftlichen Beirat auf den ETH-Professor und Klimamodellforscher Reto Knutti, mittlerweile dank seinem gut sichtbaren Engagement wohl der bekannteste Kopf der hiesigen Klimaforschung.

Im April dieses Jahres mobilisierte Professor Knutti über 200 Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten für einen öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des Klimaschutzgesetzes. Genau zum Zeitpunkt, als das Abstimmungsbüchlein zur Abstimmung in den Briefkästen der Stimmberechtigten landete, las man in den Medien von einem eben erschienenen «White Paper» des Energy Science Center. In diesem erklären die beteiligten ETH-Autoren „netto null 2050“ aus wissenschaftlicher Sicht für technisch machbar und wirtschaftlich tragbar.

Wenige Tage später interviewte die NZZ die beiden ETH-Präsidenten Joël Mesot und Martin Vetterli unter dem Titel «So schaffen wir die Klimawende». Ihre Antworten klangen teilweise wie die offizielle Propaganda im Abstimmungsbüchlein. Für einen informierten Zeitgenossen schwer zu ertragen waren die Aussagen zur Kernenergie. Die ETH mit ihrem Energy Science Center fühlt sich offenbar immer noch einer kernenergiefreien Schweiz verpflichtet. Man kann sich gut vorstellen, dass das Verfolgen eines möglichst schwierig bis utopisch zu erreichenden Ziels – «netto null 2050» plus energetische Versorgungssicherheit nur mit Erneuerbaren – besonders hohe Forschungsbudgets erfordert. Sollte das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufgehoben werden, könnten die Forschungsmittel schrumpfen.

Zur Knutti-Initiative meinte ETHZ-Präsident Mesot, sie widerspreche den ETH-Governance-Regeln nicht. Ihre Forschenden hätten ebenso ein Recht auf freie Meinungsäusserung wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Und weiter: «Zudem kann ich nachvollziehen, dass bei ihnen die Dringlichkeit zum Handeln grösser ist als in anderen Kreisen. Sie forschen zum Teil seit Jahrzehnten zum Thema Klimawandel und zu erneuerbaren Energien. Aber politisch geht es ihnen viel zu langsam vorwärts.»

So wurde die Govenance-Problematik nochchalant zur Seite gewischt. Es fehlte jegliche Sensibilität für den grundlegenden Unterschied zwischen einer individuellen Meinungsäusserung eines Forschers als Bürger und der organisierten Kollektivaktion von Reto Knutti im Namen der ETH. Es scheint, als habe die Sakralisierung der direkten Volksrechte das Sensorium für Grundsätze demokratiepolitischen Verhaltens nachhaltig beschädigt. Die entlarvenden Pointen des Interviews kamen auf die Schlussfrage «Was empfehlen Sie zum Klimaschutzgesetz?»: Mesots Antwort lautete: «Ich kann nur den Bundesrat unterstützen.» Und Vetterli: «Das sind schliesslich unsere Chefs, und wir opponieren als gute Angestellte natürlich nicht (lacht).»

Zum Lachen gibt es für mein Empfinden wenig. Es scheint mir äusserst fragwürdig, wenn sich staatliche Hochschulen als Steigbügelhalter der offiziellen Politik gebärden. Gerade von einer ETH kann die steuerzahlende Bevölkerung erwarten, dass sie ihre Forschung unabhängig von politischen Vorgaben betreibt. Eine Abstimmungskampagne gehört bestimmt nicht in den Aufgabenbereich einer staatlichen Hochschule. Wenn unsere Hochschulen nicht selbst in der Lage sind, sich Governance-Regeln zur Einhaltung politischer Neutralität und Unabhängigkeit zu geben, ist die Politik gefordert. Auch die Hochschulforschung muss sich ihre Unabhängigkeit durch die Einhaltung strikter Governance-Prinzipien verdienen.

Mehr Richterstaat, weniger Demokratie

Das Klimaschutz-Gesetz fördert die Spaltung der Gesellschaft

Dieser Text erschien am 5. Juni 2023 in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter“ (mit Zahlschranke).

Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats steht unter „Ausganslage“ zum Klimaschutz-Gesetz: „Die Schweiz hat sich 2017 im Übereinkommen von Paris gemeinsam mit 192 weiteren Staaten und der EU verpflichtet, den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren.“ Die Genehmigung und Ratifizierung des Pariser Übereinkommens erfolgte im Juni 2017 per Bundesbeschluss. Das Referendum wurde nicht ergriffen, was verständlich wird, wenn man den offenen Absatz 3 in Artikel 1 des Bundesbeschlusses liest: „Das übermittelte nationale Reduktionsziel unterliegt keinen Einschränkungen bei der Umsetzung; der Inland- und der Auslandanteil am Reduktionsziel werden im Rahmen des nationalen Rechts festgelegt.“

Bis dahin also keine Rede von „netto null 2050“. Die Idee von Bundesrat und Parlament, „netto null 2050“ als Ziel in ein Gesetz zu schreiben, entstand unter dem Druck der „Gletscher-Initiative“. In Kombination mit dem Atomausstieg und einem möglichst hohen Inlandanteil bei der CO2-Reduktion haben wir nun eine Konstellation, die weitestgehend mit links-grünen Parteiprogrammen übereinstimmt. Das Motto lautet: Alles, was wir wollen, ist auch machbar.

Anreize für Klagen steigen

Die Abstimmung vom 18. Juni bietet den Leuten die Möglichkeit, mit einem Ja zum Gesetz klimapolitische Korrektheit zu signalisieren und sich dabei gut zu fühlen. Was die möglichen Folgen betrifft, wirkt das Sedativ der behördlichen Propaganda. Doch wenn die Schweiz mit der Annahme des Klimaschutz-Gesetzes das Ziel „netto null bis 2050“ ins Gesetz geschrieben haben wird, sind zwei Folgen zu beachten, die in der öffentlichen Debatte bisher kaum Gewicht hatten.

Während man früher noch versuchte, die Kosten der CO2-Reduktion pro Tonne für die verschiedenen Massnahmen bei Gebäuden oder im Verkehr und in der Industrie zu schätzen, spielt das mit der Verpflichtung „netto null“ keine Rolle mehr. Man muss auf null kommen, koste es, was es wolle, auch wenn die Reduktion pro Tonne zehn mal teurer ist als der CO2-Preis im Emissionshandel, der angibt, wie viel die Reduktion einer Tonne im Raum des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) kostet. Zudem gilt „netto null“ auch unabhängig davon, ob die Schweiz in 27 Jahren 20, 30, 40 oder 50 Prozent mehr Einwohner hat als heute.

Der zweite Effekt besteht darin, dass die Formulierung von konkreten Ziel- und Richtwerten im Gesetz die Möglichkeiten und Anreize für Klagen an Gerichten steigert, wenn Zwischenziele der CO2-Reduktion verfehlt werden. Der Klageweg ist im Klimaaktivismus nicht neu, aber steigerungsfähig. Im Gesetz sind auch für die einzelnen Sektoren (Gebäude, Verkehr, Industrie) Richtwerte als Mindest-Reduktionswerte vorgegeben, was die Klageopportunitäten wesentlich erhöht. Wie wohlwollend gewisse Richter gegenüber militanten Klimaaktivisten und -aktivistinnen urteilen, haben wir an einigen Fällen bereits sehen können. Und für juristische Gratisverteidigung steht heutzutage das ideologisch richtig gepolte Anwaltspersonal willig bereit. Im Notfall kann man auch auf höchster Ebene jenseits der Landesgrenzen klagen. Das Urteil des EGMR in Strassburg, an das sich unsere KlimaSeniorinnen über alle beträchtlich partizipativ ausgestalteten eidgenössischen Institutionen hinweg gewendet haben, steht noch aus. Für unentgeltliche professionelle Beratung im Hinblick auf maximales Medienecho steht etwa der globalisierte Umwelt-Multi Greenpeace stets zu Diensten.

Unrealistische Richtwerte sorgen für einklagbare Ziellücken

„Netto null 2050“ erfordert zwingend die kaum realistischen Richtwerte im Gesetz als Zwischenziele. Die absehbaren Ziellücken werden einschneidende Massnahmen verlangen. Diese Warnung steht ja schon im Gesetz. Doch Widerstände gegen hohe Kosten, massive Eingriffe in den Lebensalltag und gegen die Verschandelung der Umwelt durch Anlagen der sogenannt Erneuerbaren werden sich auch in regelmässigen Referenden gegen neue gesetzliche Verschärfungen ausdrücken. Gleichzeitig werden die aktivistischen Klimaretter vermehrt an Gerichte gelangen, um die Politik zur Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen zu zwingen.

Es bleibt die ungute Aussicht, dass die ideologisch aufgeladene Klima- und Energiepolitik die Spaltung der Gesellschaft in mehrfacher Weise fördert. Nicht zuletzt wächst auch die Kluft zwischen den gut gebetteten akademisch gebildeten Eliten in den meinungsmächtigen Institutionen, die die offizielle Politik prägen, und den gewöhnlichen Menschen. Diese haben ihren Alltag zu bewältigen, ohne auf dem moralischen Hochsitz stets auch noch die „Rettung des Planeten“ im Auge zu haben.