Altersvorsorge: Plebiszitäre Blockade

Aus dem NZZ-Bericht über eine jüngst erstellte Umfrage der Beratungsfirma Deloitte geht hervor, dass ausgerechnet die älteren Generationen weiterhin in einer Haltung der Reformverweigerung verharren – und dies trotz längst bekannten ungelösten Finanzierungsproblemen in der Altersvorsorge. Eine Erhöhung des Rentenalters (für Frauen oder für beide Geschlechter) lehnen klare Mehrheiten der 50- bis 70-Jährigen ab. Die Ablehnung ist in der Romandie viel stärker als in der Deutschschweiz. Und bei den Frauen ist der Widerstand durchwegs stärker als bei den Männern.

Dass die Reformblockade auf Kosten der Jüngeren geschieht, stört die Reformgegner offenbar überhaupt nicht. Man ist möglicherweise moralisch dadurch entlastet, als man immer behaupten kann, man habe Anrecht auf mindestens die gleichen Leistungen, wie sie bisher schon galten. Zudem haben wir es in der Schweiz aus politischem Opportunismus fertig gebracht, Rentenansprüche weitestgehend in gesetzliche Anrechte zu giessen. Dies geschah ohne Rücksicht darauf, dass nicht nur die Finanzierbarkeit der BVG-Leistungen von unbeeiflussbaren Variablen abhängt, sondern auch diejenige in der umlagefinanzierten AHV.

Die notorischen Reformblockaden in Sachen AHV und BVG sind in der schweizerischen Referendumsdemokratie nur institutionell zu verstehen. Das Problem beginnt jeweils schon im Stadium der Einführung von Reformvorlagen. Da das allgemeine Verständnis für die technische Funktionsweise von Rentensystemen dürftig ist, muss man Vorlagen „referendumssicher“ machen, indem man die Leute davon überzeugt, dass alles sicher und unter Kontrolle ist. Also gaukelt man dem Stimmvolk vor, es könnten sichere Renten quasi per Dekret garantiert werden. Zudem ist jeder Reformversuch wieder Referendumsrisiken ausgesetzt. Das Ergebnis lässt sich an der ernüchternden Reformbilanz seit mehr als 20 Jahren ablesen. In internationalen Rankings der Nachhaltigkeit von Rentensystemen ist die Schweiz denn auch nicht ohne Grund von früheren Spitzenplätzen bereits ins Mittelfeld zurückgefallen, da die meisten anderen Länder bereits Reformen eingeleitet oder zumindest angekündigt haben. Was die besten Rentensysteme auszeichnet, ist die starke Anlehnung an versicherungstechnische Regeln. Mit einer Regelbindung werden Renten der tages- bzw. wahlpolitischen Einflussnahme und politischem Opportunismus entzogen.

Die Spätfolgen des politischen Opportunismus in der Altersvorsorge lassen sich am ungebrochenen Widerstand gegen die Anpassung des Frauenrentenalters an dasjenige der Männer demonstrieren. Zu Beginn galt für beide Geschlechter das Rentenalter 65. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der Hochkonjunktur wurde das Rentenalter der Frauen 1957 auf 63 gesenkt, 1964 auf 62. Die spätere Erhöhung in zwei Schritten auf 64 Jahre musste jeweils angesichts der Referendumsrisiken durch Konzessionen mit Kostenfolgen erkauft werden. Das langwierige Gezerre um das Frauenrentenalter 65 wird absehbar damit enden, dass gegen drohende Referenden wiederum Kompensationen durchgesetzt werden, die den Reformeffekt in Bezug auf die langfristige finanzielle Nachhaltigkeit der Rentensysteme weitgehend zunichte machen.

Unsere Jugendlichen kümmern sich wenig darum, dass die Älteren mit den diskutierten „politisch machbaren“ Pseudoreformen auch künftig auf Kosten der eigenen Nachkommen ein angenehm gepolstertes Alter geniessen. Lieber gehen sie auf die Strasse, um den Planeten zu retten.