C3605: Ein Muster von LNT-Regulierung

Radioaktives“ Oldtimer-Militärflugzeug im Flieger-Flab-Museum Dübendorf

En politique, ce qui est cru, devient plus important que ce qui est vrai.“
Charles-Maurice de Talleyrand, französischer Staatsmann und Diplomat (1754 -1838)

Der bing Copilot von Microsoft kommentiert dieses Zitat von de Talleyrand, dem Grossmeister geistreicher Bonmots: „Dieses besondere Zitat bringt Talleyrands bekannten Zynismus und sein scharfes Verständnis politischer Dynamiken auf den Punkt und betont die Rolle von Wahrnehmung und Glauben gegenüber der objektiven Wahrheit im Bereich der Politik.“

Wie im letzten Blogartikel „Was sind Fakten?“ geht es auch im heutigen Beitrag um irrationale Ängste in der Bevölkerung. Vor einiger Zeit erschien im Nebelspalter ein Artikel von Dr. Walter Rüegg, ETH-Atomphysiker und ehemaliger Chefphysiker der Schweizer Armee, mit dem Titel „Radioaktivität bei einem Flugzeug: Grassierende Strahlenphobie“. Für ein Referat hatte ich später Dr. Rüeggs Artikel benützt, aber die Thematik auf die Frage der Regulierungskriterien ausgeweitet, um zu verstehen, wie bei der Regulierung gesellschaftlich wahrgenommener Risiken ohne sachliche Grundlage absurd tiefe Grenzwerte zustande kommen.

Das “radioaktive” Flugzeug C3605
In einer Medienmitteilung hatte der Bundesrat vor einiger Zeit gemeldet, in den Triebwerken des historischen Militärflugzeugs vom Typ C-3605 sei leicht radioaktives Material entdeckt worden. Teile der Triebwerksabdeckung würden rund zwei Prozent Thorium enthalten. Das Gesetz schreibe die Entsorgung des Triebwerks zu Kosten von mehreren hunderttausend Franken vor. Alternativ bot das VBS privaten Eigentümern, die auf eine Entsorgung verzichten wollten, ein Bewilligungsverfahren an.

Walter Rüegg meinte dazu, eine Entsorgung sei absurd, da keine gesundheitlichen Risiken absehbar seien. Die von Rüegg gemessene radioaktive Strahlung unter dem Flugzeug betrug 0,25 Mikrosievert pro Stunde (µS/h). Dies entspricht der Strahlenbelastung im Zentrum Badens, der Hälfte der Belastung in Asti/Piemont, einem Bruchteil der möglichen Belastung in den Schweizer Alpen sowie einem Hundertstel der Belastung im Kurort Ramsar/Iran.

Trotzdem verstiess der C3605-Oldtimer gegen Vorschriften zum Schutz vor radioaktiver Strahlung. Die Strahlenschutzverordnung stipuliert einen absurd niedrigen Grenzwert von 1 Millisievert/Jahr (mS/a). Die durchschnittliche natürliche Strahlenbelastung in der Schweiz beträgt laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) 4,2 mS/a, kann aber insbesondere in den Alpenregionen, leicht das Doppelte erreichen. Walter Rüegg fragte: „Sollten wir die Alpen evakuieren?“

LNT- versus Paracelsus-Hypothese
Die politische Festlegung von Grenzwerten erfolgt aufgrund des Vorsorgeprinzips. Dieses kann aber risikotolerant oder risikoavers, mit allen Abstufungen dazwischen, ausgelegt werden. Ökofundamentalismus neigt zu einer extrem risikoaversen Interpretation. Cass Sunstein („Gesetze der Angst“) verweist auf das Paradox, dass eine zu strenge Auslegung des Vorsorgeprinzips wiederum selbst das Vorsorgeprinzip verletzen könne. Das ist dann der Fall, wenn in einem Verbotsklima Entwicklungen verhindert werden, die andere Risiken mindern könnten. In der Anwendung des Vorsorgeprinzips müssen also immer Risiken gegeneinander abgewogen werden. Das tut die „Linear No Threshold-Hypothese“ (LNT) mit ihrer Neigung zur Nulltoleranz nicht.

Nach der linearen, schwellenwertlosen „Linear No Threshold-Hypothese“ nehmen die negativen Auswirkungen von Strahlung (oder potenziell schädlichen Substanzen) linear mit der Dosis zu oder ab. Es gibt keine harmlose Dosis; selbst die geringste Dosis birgt ein Risiko. Es gibt keinen Schwellenwert, also keine Untergrenze. Eine Null-Risikotoleranz ist in die Auslegung des Vorsorgeprinzips integriert. Die Beweislast liegt beim Verursacher. Es ist jedoch unmöglich, die Unschädlichkeit einer Substanz zu beweisen. Wer fundamentalistisch gegen eine bestimmte Technologie ist, benützt diese extreme Form des Vorsorgeprinzips

Es gibt aber auch die Paracelsus-Hypothese. Diese geht davon aus, dass zuerst geringe Dosen von Strahlung oder auch chemischen Substanzen eine positive Wirkung haben. Das ist nicht Spekulation, sondern dazu gibt es Erfahrungen. Ein eindrückliches Beispiel ist der oben erwähnte iranische Kurort Ramsar mit seiner sehr hohen natürlichen radioaktiven Strahlung. Erst wenn ein gewisser Schwellenwert überschritten wird, beginnt Schädlichkeit, also nach dem Paracelsus-Prinzip „auf die Dosis kommt es an“. Die erläuternde Skizze unten hatte ich für das erwähnte Referat noch kurz vor meinem Auftritt spontan auf einem Notizzettel des Hotels gemacht, um die beiden Hypothesen bildlich darzustellen.

Nicht nur die Strahlenbelastung durch Radioaktivität steht im Einflussbereich einer LNT-inspirierten Regulierung. Auch gegenüber synthetischen chemischen Substanzen, Mobilfunkstrahlung (Elektrosmog) oder „Frankenstein“-Lebensmitteln (GVO/CRISPR) hat Nulltoleranz viele Anhänger. Absurd tiefe Grenzwerte sind auch ein Symptom unserer hypersensiblen Rentnergesellschaften. Im schweizerischen politischen System reagiert die Politik unter dem permanenten Druck von stets drohenden Referenden und Volksinitiativen, was Grenzwerte betrifft, gerne überschiessend.

Eine Ausnahme bilden die hohen Umweltbelastungen in der Landwirtschaft, wo es zwar auch eine milde Form von Grenzwerten (Umweltziele) gibt, die aber nur teilweise eingehalten werden. Ein Beispiel ist die massive Überschreitung des Umweltziels für Ammoniakemissionen durch die zu hohen Tierbestände. Doch lassen sich diese Zustände in der Landwirtschaft polit-ökonomisch erklären. Die Bauernlobby ist die am besten organisierte Interessengruppe des Landes. Kein Wunder wurde die LNT-inspirierte „Pestizid-Initiative“ (Verbot von synthetischen Pestiziden) im Juni 2021 vom Stimmvolk deutlich abgelehnt.

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