GVO-Moratorium auf ewige Zeiten?

Der Nationalrat will das GVO-Moratorium für den Anbau und die Inverkehrbringung von gentechnisch veränderten Pflanzen um vier Jahre bis 2021 verlängern. Er folgte dem Antrag des Bundesrates mit 98 zu 89 Stimmen. Doch sind unter den 98 Stimmen wirklich alles nur GVO-Gegner?

Die Frage ist berechtigt. Denn eine gewisse Anzahl GVO-Befürworter im Parlament entscheidet wohl auch aufgrund politischer Rationalität immer wieder zugunsten einer Moratoriumsverlängerung : Aus Angst vor einem Totalverbot durch eine chancenreiche Volksinitiative. Die Rechnung der Moratoriumsbefürworter geht voll auf. Sie können sich mit der blossen Androhung einer Initiative den ganzen Aufwand sparen, der für die Organisation einer Volksinitiative anfallen würde.

GVO auf dem Teller – pfui!

Von der Migros erhielt ich kürzlich eine Einladung zur 8. Konsumententagung „Neue Impulse für einen nachhaltigen Konsum“ mit Bundesrätin Doris Leuthard. Die Referentenliste ist nachhaltig einseitig. So darf beispielsweise der Präsident von Bio Suisse die selbst gestellte Frage „Kann Bio eine wachsende Weltbevölkerung ernähren?“ selbst beantworten.

Dass GVO-Produkte selbstverständlich „nicht nachhaltig“ sind, versteht sich im GVO-Moratoriumsland Schweiz von selbst. Der grünen Propaganda ist es längst gelungen, die Grüne Gentechnik als „nicht nachhaltig“ zu verunglimpfen. Nachhaltigkeit nach deren Argumentation ist mit GVO unvereinbar. Die Mehrheit der Bevölkerung hat diese wissenschaftlich unhaltbare Sicht längst verinnerlicht. Über Nachhaltigkeit, Bio und Grüne Gentechnik zirkulieren in der Öffentlichkeit geradezu abergläubische Ansichten. Der religiöse Charakter der typischen Einstellungen äussert sich besonders in der Weigerung, sich mit wissenschaftlichen Argumenten auseinanderzusetzen. Wer politische oder wirtschaftliche Mehrheiten gewinnen will, kann dieses Faktum nicht missachten. Die Migros-Veranstaltung widerspiegelt den kommerziellen Opportunismus der Grossverteiler. COOP ist in der Anti-GVO-Haltung noch militanter als die Migros.

Die Rolle der Medien im Kommunikationszirkel zwischen den Hauptakteuren (politische Interessengruppen, NGO, Wirtschaft/Grossverteiler, Medien, Publikum) ist zwiespältig. Kritische Beiträge finden sich höchstens in Qualitätsmedien mit geringer Leserschaft. Die meisten Medien schwimmen mit dem Mainstream, besonders die zur politischen Ausgewogenheit verpflichteten SRG- Kanäle. Die Wissenschaft hat kaum Chancen, in diesen Zirkel der sich selbst verstärkenden Vorurteile einzubrechen. Das NFP59 zur Grünen Gentechnik verpuffte politisch wirkungslos. Man verschleuderte CHF 13 Mio., bloss um Zeit zu gewinnen. Die wirklich kritischen Stimmen werden in den Schweizer Medien meistens nur am Rande publiziert. Der kürzliche massive Protest von 110 Nobelpreisträgern gegen die weltweiten militanten Aktionen von Greenpeace gegen die Grüne Gentechnik, speziell gegen den „Golden Rice“ zur Bekämpfung von Vitamin A-Mangel in armen Ländern, erhielt in den hiesigen Medien kaum die verdiente Aufmerksamkeit.

Ein generelles Problem ist in diesem Zusammenhang auch die latent drohende Politisierung der Forschung. Diese Feststellung betrifft nicht nur die Grüne Gentechnik, sondern ganz penetrant auch die Energie- und der Klimaforschung. Das läuft so: Die Politik gibt, auch aufgrund von faktenwidrigen Lageeinschätzungen, Ziele, Programme und Rahmenbedingungen vor, und dann gibt es zur Rechtfertigung Forschungsbedarf und staatlich finanzierte Forschungsaufträge. An den Hochschulen bis hinauf zu den ETH wird dann „geforscht“, wie man mit Bio die schweizerische Umwelt schonen oder die Welt ernähren kann, oder wie die „Energiestrategie 2050“ erfolgreich umgesetzt werden kann oder wie die 2000-Watt-Gesellschaft zu schaffen ist. Dabei wäre es Aufgabe einer möglichst politikfreien Forschung, solche politischen Programme kritisch zu beurteilen. Bei uns machen das eher die wenigen unabhängigen Think Tanks wie die etablierte Stiftung Avenir Suisse oder das erst kürzlich gegründete Carnot-Cournot-Netzwerk.

Eine politisierte Wissenschaft, die thematisch die Nähe zu Schwerpunktprojekten der politischen Agenda sucht, trägt dazu bei, Vorurteile in der Bevölkerung zu verstärken. Meine Perspektive auf die Problematik einer politisierten Forschung im Zusammenspiel mit der Formierung der öffentlichen Meinungen ist in Professor Hans Roslings Ausspruch in Kürzestform zusammengefasst: „The problem ist not ignorance, but preconceived ideas.“ Wie man dagegen ankommt, ist mir noch nicht klar, vor allem in einem Land, wo man sich mit Vorliebe auf den „Volkswillen“ (oder die Wünsche der Kunden) beruft, um etwas zu rechtfertigen,was nüchtern sachlich eigentlich nicht zu vertreten ist.

Zuchtziegenböcke in die Bundesverfassung?

Schon mal von der „Hornkuh-Initiative“ gehört? Kein Witz, sowas gibt es tatsächlich! Ein agrarisches Initiativkomitee unter der Führung der IG Hornkuh möchte in die Bundesverfassung schreiben, dass der Bund dafür sorgt, „dass Halterinnen und Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt werden, solange die ausgewachsenen Tiere Hörner tragen.“ Das Initiativkomitee setzt sich ein „für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere“. 151’788 Personen unterzeichneten die Initiative, und 120’859 Unterschriften sind inzwischen von den Gemeinden als gültig bescheinigt worden. Die initiativ- und referendumspolitische Schlagkraft der organisierten Agrarinteressen ist damit erneut eindrücklich bewiesen.

Man mag mit den Motiven der IG Hornkuh sympathisieren, doch könnte die Initiative auch wieder Stoff für die agrarpolitische Satire liefern. Hier sollen aber an diesem Beispiel bloss die institutionellen Mechanismen erhellt werden, die zu einer latenten Übernutzung der direkten Volksrechte und einer Überlastung der politischen Agenda mit sekundären und tertiären Anliegen führen. Gehören horntragende Zuchtziegenböcke wirklich in ein Grundgesetz? Natürlich nicht, da es jedoch kein Gesetzesreferendum gibt und da der direkte Weg über das Parlament (Änderung des Landwirtschaftsgesetzes) keinen Erfolg verspricht, bleibt nur der Umweg über eine Verfassungsinitiative. Die Erfolgsaussichten in einer Volksabstimmung sind unsicher, aber gerade daraus entsteht der von den Initianten beabsichtigte Druck auf Regierung und Parlament, ihrem Anliegen auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe entgegenzukommen.

Man kann nur hoffen, dass die allenfalls auf diesem Weg erkämpften  „wirtschaftlich lohnenden Anreize“ zugunsten von horntragenden Nutztieren gemäss Art. 104BV das Agrarbudget nicht zusätzlich belasten, sondern aus dem inneragrarischen Gezerre um die Mittelverteilung gewonnen werden.

Frohe Weihnachten!

Vielleicht haben noch nicht alle die jüngste Mediennachricht von der Bühne des eidgenössischen agrarischen Subventionstheaters mitbekommen. Deshalb hier in Kürze: Die IG Suisse Christbaum (so etwas gibt es tatsächlich) verlangt die Wiedereinführuing der Direktzahlungen für Christbaumkulturen. Die Beiträge wurden im Agrarprogramm 2014-17 gestrichen, selbstverständlich zur Schonung der Betroffenen erst nach einer Übergangsfrist mit ermässigten Beiträgen. Der Bund betrachte die Beiträge als nicht nötig für die nationale Versorgungssicherheit, stand in der NZZ zu lesen. Stimmt, Christbäume kann man ja nicht essen.

Selbstverständlich sind Schweizer Christbäume, wie alle Agrarproukte, massiv teurer als importierte aus europäischen Ländern. Mit besserer Qualität hat das natürlich nichts zu tun, Christbäume sind eine Art Commodity. Trotzdem soll nach der Forderung der IG Suisse Christbaum die staatliche Stützung der einheimischen Kulturen weitergeführt werden. Christbaum-Kulturen liessen sich rasch wieder für die Produktion von Nahrungsmitteln verwenden, sollte die Versorgungslage einmal kritisch werden. Um Argumente, die in einer konsum-chauvinistischen, agrarpolitisch schlecht informierten Bevölkerung gut ankommen, ist man in Bauernkreisen nie verlegen. Der frühere Bauernpräsident, Nationalrat und Fast-Bundesrat Hansjörg Walter sonderte einmal in einem Interview folgenden ökonomischen Schwachsinn ab: „Alles was wir an Nahrungsmitteln importieren, fehlt an einem anderen Ort.“

850’000 Franken für ausstiegswillige Bauern

Unter dem Druck der Agrarlobby erhöhte das Parlament die Position „Umschulungsbeitrage für ausstiegswillige Bauern“ von CHF 150’000 (gemäss Vorschlag des Bundesrats) auf CHF 850’000. Sparministerin Widmer-Schlumpf war gemäss NZZ mit ihrem Hinweis auf die Wirkung dieser Ausstiegshilfe machtlos: In den letzten 10 Jahren hätten bloss etwa zwei Dutzend Bauern diese Beiträge in Anspruch genommen. Die Logik der Agrarlobby und des Parlaments erscheint zwingend: Wenn ein Anreiz nicht wirkt, muss man ihn nicht abschwächen, sondern verstärken. Mit Logik kommt man allerdings in der Agrarpolitik nicht weit, denn im unsäglichen Gewirr von Regulierungen und Anreizen sind Widersprüche und Absurditäten ganz normal.

Überall erklingt das Klagelied vom „Bauernsterben“. Damit lässt sich gut Politik machen; auch die Agrarpropaganda nützt dies aus, um im Publikum Sympathie zu gewinnen. Weshalb aber will man dann einen staatlichen finanziellen Anreiz setzen, um Bauern zum Ausstieg zu bewegen? Offenbar verläuft das „Bauernsterben“ halt doch zu langsam, also muss man es beschleunigen. So ist es in der Tat, aber in Politik und Verwaltung wagt niemand, die Tatsachen klar auszusprechen: Das üppige Subventionswesen bremst den Strukturwandel und die Entwicklung hin zu grösseren und wettbewerbsfähigeren Betrieben.

Wenn die Umschulungsbeiträge Bauern bisher kaum zum Ausstieg bewegen konnten, kann man zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens ist das bäuerliche Dasein in der Schweiz, trotz rituellen Klagen der Verbandsfunktionäre über die unbefriedigende Einkommenssituation, auch finanziell ganz angenehm, mal abgesehen von den sonstigen Vorzügen einer bäuerlichen Existenz. Zweitens sind Umschulungsbeiträge auch in der Höhe von insgesamt CHF 850’000 pro Jahr natürlich für eine spürbare Beschleunigung des Strukturwandels praktisch wirkungslos. Viel eher sind Mitnahmeeffekte zu vermuten: Die paar Bauern, die ohnehin aussteigen wollen, nehmen das staatliche Angebot gerne an. Wollte man Wirkung erzielen, müsste ein Teil der milliardenschweren Direktzahlungen zu grosszügigen, aber einmaligen Ausstiegsbeiträgen umgestaltet werden.

Leider geht der Trend auf Kosten der gesamten Volkswirtschaft in die andere Richtung. Die vereinigte Agrarlobby, zu der aufgrund der jüngsten Abstimmungen in National- und Ständerat gegen zwei Drittel des Parlaments zu zählen sind, lässt nichts unversucht, um den überfälligen Strukturwandel abzubremsen. Damit wird eine Landwirtschaft geschützt, die nicht nur für Steuerzahler und Konsumentinnen enorm kostspielig, sondern mit ihrer Intensivbewirtschaftung, entgegen der Agrarpropgaganda, auch sehr umweltbelastend ist.

SBV: Pervertierung der direkten Demokratie

In einer Medienmitteilung vom 4. August verlangt der Schweizerische Bauernverband SBV „Ernährungssicherung: Verwaltung muss den Volkswillen beachten!“ Anlass dazu gab ein internes Papier des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW. Der SBV regt sich darüber auf, dass das BLW „Massnahmen in diesem Bereich komplett in Abrede stellt und damit ein breit getragenes Begehren desavouiert.“ Dieses „breit getragene Begehren“ leiten die SBV-Propagandisten aus der grossen Zahl von Unterschriften ab, die in kurzer Zeit für seine Volksinitiative für Ernährungssicherheit gesammelt worden sind.

So weit sind wir also schon in der ausufernden Beliebigkeit, mit der Sinn und Zweck der direkten Volksrechte von militanten Lobbies wie dem SBV uminterpretiert und propagandistisch missbraucht werden. Noch bevor die Initiative dem Volk zur Abstimmung unterbreitet worden ist, leiten die SBV-Oberen aus der Unterschriftensammlung das Recht ab, dem BLW mit der roten Karte zu drohen. Man erwarte, „dass die Verwaltung dieses Volksbegehren respektiert und sich konstruktive Gedanken zur Umsetzung macht.“

Man kann angesichts dieser rückwärtsgewandten SBV-Initiative, deren Annahme zu mehr Agrarschutz und höheren Agrarausgaben führen würde, nur hoffen, dass die Volksabstimmung dannzumal so ausgehen wird, dass sich das BLW ganz andere konstruktive  Gedanken machen kann: nämlich wie man die Schweizer Landwirtschaft endlich aus dem Korsett des schädlichen staatlichen Agrarschutzes befreien kann, damit schliesslich auch in dieser Branche mit der Zeit ein unternehmerisches Klima einkehrt.

Unsere „naturnahe umweltfreundliche Landwirtschaft“

Agrarischer Angriff auf die Natur
Agrarischer Angriff auf die Natur

Die schweizerische Landwirtschaft ist tatsächlich naturnah  –  aber nicht im Sinne der politischen Agrarpropaganda. Die Bauern sind der Natur so nahe auf den Leib gerückt, dass von der Natur fast nichts mehr übrig blieb, oder nur noch das, was kaum mehr zu kultivieren war. Zum Beispiel das sumpfige Neeracher Ried nördlich des Flughafens Zürich-Kloten. In der Bildmitte entdeckt der Betrachter diesen geschrumpften Rest von Natur. Der etwas dunklere grüne Flecken ist alles, was vor dem Angriff der hoch subventionierten Intensiv-Landwirtschaft gerettet werden konnte. Man kann sich auch gut vorstellen, wie unwirtschaftlich die Produktion auf einer derart zerstückelten Struktur der Landnutzung sein muss. Und kleinbetrieblich heisst noch lange nicht ökologisch, eher im Gegenteil. Ökonomisch schlecht und ökologisch fragwürdig  –  das ist die absurde Konsequenz der schweizerischen Agrarschutzpolitik.

Unsere grünen Agrarmoralisten

Unsere Bundesverfassung ist vor keiner Partei oder Interessengruppe mehr sicher, die sich mithilfe einer Volksinitiative zu profilieren hofft. Bereits auf die nächsten Wahlen schielend, kündigte Regula Rytz, die Co-Präsidentin der Grünen (GPS), die Lancierung einer Volksinitiative „gegen ausländische Billig-Lebensmittel“ an. Die Initiative will Nahrungsmittelimporte verbieten, die nicht „nach hiesigen Vorschriften und Gebräuchen produziert wurden“. Ziel sei es, „lokale und saisonal produzierte Lebensmittel zu fördern, die auch preislich konkurrenzfähig sind“. Diese uneinlösbare Sowohl-als-auch-Forderung gehört zum Politmarketing. Hauptsache ist gemäss Rytz: Kein Hormonfleisch mehr aus den USA, keine Eier mehr aus Batteriehaltung und keine Bananen mehr, die unter miserablen Lohn- und Arbeitsbedingungen gepflückt wurden.

Solche moralisch aufgeladenen Botschaften kommen in der agrarpolitisch schlecht informierten Bevölkerung gut an und versprechen Aufwind für die Wahlen. Damit fischt man auch Stimmen in bäuerlichen Kreisen, deren mächtige Lobby bereits an verschiedenen Fronten damit beschäftigt ist, gegen die drohende Liberalisierung des Agrarhandels gesetzliche Pflöcke einzuschlagen. Mit den Grünen reitet auf der anderen Seite des politischen Spektrums auch die SVP auf der Anti-WTO-Welle. Sie plant eine Volksinitiative, die einen Mindest-Selbstversorgungsgrad von 60% und einen Abbruch der Agrar-Liberalisierung in die Verfassung schreiben will.

Dass die Grünen – politisch weiter links als die SP – die Gesellschaft mit Verboten nach ihren Wünschen umgestalten wollen, ist bekannt. Jetzt sollen also die schweizerische Agrar-Regulierung bzw. die hiesigen „Gebräuche“ zum Massstab für Nahrungsmitteleinfuhren erhoben werden! Man muss sich nur mal konkret vorstellen, mit welchem Aufwand ein solches Importregime praktisch verbunden wäre. Ganz abgesehen davon, dass sich die Grossverteiler selbst schon grösste Mühe geben, mit diversen Produktlinien das Marktsegment des „ethischen Konsums“ mit regionalen, Bio- und Fair-Trade-Produkten abzudecken und so auch massiv Imagepflege betreiben.

Problematischer ist die der Initiative zugrundeliegende Idealisierung der schweizerischen agrarischen Produktions- und Produktequalität. Es ist schlicht überheblich zu suggerieren, hiesige Produktionsweisen und Qualitäten seien besser oder ökologischer als ausländische. Wer an Wochenenden gelegentlich zu Fuss oder mit dem Velo unbefangen durch unsere Landschaften schweift, erhält durch Augen, Ohren und Nase einen realistischen Eindruck von der „naturnahen schweizerischen Landwirtschaft“. Mehrmals pro Jahr hat man den Gestank grossräumig begüllter Territorien zu erdulden. Man fragt sich: Weshalb setzt sich eine Partei mit dem ökologischen Anspruch der Grünen nicht für eine massive Reduktion der für die beschränkte Agrarfläche viel zu hohen Tierbestände ein? Damit liesse sich diese Güllerei mit all ihren Risiken für Wasser und Biodiversität auf ein erträgliches Mass senken. Gleichzeitig könnte man Futermittelimporte zurückfahren, die den Grünen ja auch ein Dorn im Auge sind.

Bei Ausflügen aufs Land ist auch die statistisch belegte Übermechanisierung der Bauernbetriebe nicht zu übersehen und zu überhören. Der Lärm ist das eine, die Energie- und CO2-Bilanz das andere, das gerade die Grünen interessieren müsste. Diesen Park von Traktoren, Mäh- und Erntemaschinen kann sich natürlich nur leisten, wer dank üppigen staatlichen Subventionen nicht so genau rechnen muss. Mit unseren Sinnesorganen sind allerdings nicht alle Umweltbelastungen der schweizerischen Intensivlandwirtschaft zu erfassen. Versteckt wirksam werden etwa Lasten aus der chemischen Bekämpfung von Schädlingen mit Pestiziden und Fungiziden. Wie viele Leute wissen schon, dass zum Beispiel Kartoffeln in unserem feuchten Klima bis zur Erntezeit rund zehn Mal gespritzt werden müssen!

Die schweizerische Bevölkerung reist viel in die weite Welt und verpflegt sich in fremden Ländern zwingend mit den dortigen Nahrungsmitteln. In Nordamerika essen Schweizer Touristen „Hormonfleisch“, ja sogar GVO-Nahrungsmittel, ohne dass sie sich gross darum kümmern. Krank geworden ist davon noch niemand. Auf Afrikareisen lässt sich schwer nachprüfen, ob die Arbeitsbedingungen im Nahrungsmittelsektor den Vorstellungen der Grünen Partei der Schweiz entsprechen. Sicher aber ist, dass dort viele Arbeitsstellen für die lokale Bevölkerung anfallen. Und auf Europareisen freut man sich als Schweizer immer wieder über die ausserordentliche Vielfalt und Qualität der angebotenen Produkte auf Wochenmärkten oder in Supermärkten, etwa in Frankreich oder Italien. Gut wäre es, wenn die Reisenden jeweils auch an die abwertende Propaganda denken würden, mit denen die Bauernlobby mit Hilfe grüner Agrarmoralisten die Importe ausländischer Lebensmittel stigmatisieren will.

(Dieser Text erschien, leicht redigiert, in der NZZ am Sonntag vom 10. November 2013 unter dem Titel „Der Irrtum grüner Agrarmoralisten und konservativer Bauern“)

Zu viel Moral, zu wenig Analyse

Ein paar Gedanken zum Podium „Grosskonzerne oder Familienbetriebe: Wie sehen Landwirtschaft und Agrarpolitik der Zukunft aus“?

An einer Veranstaltung der Gesellschaft Schweiz-UNO vom 20. Juni 2013 an der Universität Bern erwähnte Dr. Peter Niggli, Geschäftsleiter der Alliance Sud, das sogenannte „land grabbing“ als neues Problem der Weltagrarmärkte. Vor allem Käufer aus China und den reichen Golfstaaten kaufen in afrikanischen Ländern grosse Agrarflächen, um auch in Zukunft ihre Bevölkerungen ernähren zu können und gegen Ernährungskrisen besser gewappnet zu sein.

Der Begriff des „land grabbing“ ist emotional und moralisch aufgeladen. Das damit benannte Phänomen weckt allein dadurch spontan negative Reaktionen und Ablehnung, besonders wenn noch behauptet wird, viele Kleinbauern würden dabei von ihrem Land vertrieben. Betrachtet man das „land grabbing“ nüchtern, stellen sich mehrere Fragen:
1. Um was für Grössenordnungen geht es dabei in den jeweils betroffenen Ländern?
2. Welche Vertragsparteien sind dabei involviert?
3. Welche Rolle spielen die staatlich-politischen Rahmenbedingungen?
4. Profitieren vielleicht nicht auch die Verkäuferstaaten von ausländischem Kapital und Know-how?
5. Ist die Verdrängung von ansässigen Kleinbauern tatsächlich ein dominierender Aspekt?
6. Was wurde auf den betreffenden Agrarflächen vorher angebaut bzw. wie produktiv wurden diese Flächen vorher genutzt?
7. Welches sind die ökonomischen Auswirkungen auf den Weltagrarmärkten und für betroffene Länder, wenn China und andere Länder mit beschränkten natürlichen Agrarressourcen in anderen Ländern Agrarflächen kaufen und nach modernen Methoden bewirtschaften und damit ihren Importbedarf auf diese Weise, statt durch konventionelle Einfuhren decken?

An differenzierter Analyse nach einem solchen Muster ist allerdings nicht interessiert, wer sein (Spenden-)Geschäft auf Betroffenheit und Entrüstung im Publikum baut. Auf viele Entwicklungs- und Umwelt-NGOs trifft genau dies zu. Das Spendenvolumen ist direkt abhängig von solchen emotionalen Regungen, und entsprechend werden „Weltprobleme“ wie Armut oder Klimawandel bewirtschaftet. Man denke nur an gewisse Aktionen von Greenpeace. Ein konkretes Beispiel bot aber auch das Podium in Bern. Michael Brander, Projektleiter bei Biovision, einem Entwicklungs-NGO, bei dem gemäss Website ca. ein Drittel der Mitarbeiter eine „Fund-raising“-Funktion bekleiden, beklagte die Verschwendung von Nahrungsmitteln in reichen Ländern. Ca. ein Drittel der Lebensmittel würden weggeworfen. Das würde reichen, um die Hungernden dieser Welt zu versorgen. Was hier verknüpft wird, hat aber nichts miteinander zu tun. Unsere „Wegwerfgesellschaft“ ist nicht so, weil die Leute Freude daran haben, Geld zum Fenster hinauszuschmeissen. Vieles, was weggeworfen wird, muss gesetzlich entsorgt werden, zum Beispiel in der Gastronomie als Folge der strengen Hygienevorschriften. Zudem enthalten die Ablaufdaten auf Lebensmitteln beträchtliche Sicherheitsmargen, verleiten aber dazu, Nahrungsmittel vorzeitig zu entsorgen. Nur: War es denn früher besser? Wieviele Agrarprodukte verdarben mangels geeigneter Lagertechnik oder mangels Schutz gegen Pilzbefall und gegen Schädlinge? Sind mit dem technologischen Fortschritt in der industriellen Nahrungsmittelherstellung nicht auch gewaltige Vorteile verbunden, gerade was die Vermeidung von Verlusten durch alle Arten von Verderbnis oder auch die Häufigkeit von Erkrankungen durch verdorbene Lebensmittel betrifft?

Dr. Peter Bieler, Leiter des Globalprogramms Ernährungssicherheit im DEZA (EDA), verteidigte kleinbäuerliche Strukturen in armen Entwicklungsländern gegen „industrielle Grosskonzerne“ unter anderem mit dem Argument, die kleinen Familienbetriebe böten mehr Menschen Beschäftigung als Grossbetriebe. Was als moralisch getränktes Argument fürs breite Publikum wirken mag, ist aus ökonomischer Sicht nichts als eine Binsenwahrheit. Grossbetriebe sind einfach produktiver als kleine, auch weil sie meist nach moderneren Methoden geführt werden. Und der Entwicklungsweg erfolgreicher Länder führt strukturell über einen Abbau der Beschäftigung im Agrarsektor und einen Transfer in industriell-gewerbliche Branchen und Dienstleistungen. Dazu braucht es aber rechtsstaatliche Institutionen (geschützte Eigentumsrechte und Rechtstitel, Vertragsfreiheit, „good governance“…) und funktionierende Märkte. Vor allem hier müsste Entwicklungshilfe auch ansetzen.

Ein skurriles Muster von zu viel Moral und zu wenig Analyse bot schliesslich der Präsident des Schweizerischen Bauernverbands, Nationalrat Markus Ritter. Wir sollten unsere Nahrungsmittel möglichst selber produzieren, denn wenn wir mehr importierten, würden wir den Armen die Nahrung wegessen. Bereits sein Vorgänger im Amt, Fast-Bundesrat Hansjörg Walter, formulierte dieses haarsträubende Argument in einem Interview so: Alles, was wir importieren, fehlt an einem anderen Ort. Dass politische Schwergewichte solchen ökonomischen Schwachsinn verbreiten (und trotzdem noch fast Bundesrat werden), ist an sich schon schlimm genug. Noch schlimmer ist allerdings, dass sie damit beim Publikum durchkommen. Denn dieses ist Opfer eines staatlichen Bildungsversagens auf dem Gebiet des ökonomischen Denkens und Wissens.

Narrenfreiheit für Volksinitianten?

Eine Gruppe von 15 Westschweizer Weinbauern hat vor einiger Zeit eine eidgenössische Volksinitiative «Für eine Wirtschaft zum Nutzen aller» angestossen. Das Grundmotiv ist die Wiedereinführung eines (Agrar-)Protektionismus, der erstens völlig anachronistisch und zweitens volkswirtschaftlich extrem schädlich wäre. Eine unpassendere Etikettierung einer Volksinitiative ist schwer vorstellbar, aber daran hat man sich ja nachgerade gewöhnt, seit Volksinitiativen immer mehr für die populistische Mobilisierung schlecht informierter Bürger missbraucht werden. Da die Sammelfrist für Unterschriften am 1. Mai abläuft, werden jetzt Mails herumgeschickt, und das tönt so:

Sehr geehrter Mail Nutzer
Wir unterstützen eine Volksinitiative, die uns sehr am Herzen liegt. Es geht um den Schutz der Schweizer Wirtschaft gegenüber ausländischen, zum Teil unethischen Produktion. Weitere Infos:
http://www.economie-utile-a-tous.ch/index.php?langue=de

Wir bitten euch dieses Mail weiterzugeben, um eine breite Information zu erreichen. Wir danken für euer Verständnis.
Familie Müller
Trutigen
6203 Sempach Station

Meine Antwort:

Sehr geehrte Familie Müller
Leider kann ich Ihre unzeitgemässe Initiative nicht unterstützen, da eine Agrarpolitik in einer „Wirtschaft für alle“ (wobei sich „alle“ auf die ganze Welt beziehen muss) für mich ganz anders aussieht als für Sie und Ihre Gesinnungsfreunde. Was ich damit meine, können Sie in den Büchern „Der befreite Bauer“ und „Agrarpolitische Mythen“ nachlesen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Initiative keinen Erfolg haben wird. Die Leute in der Schweiz sind nicht so bescheuert, dass sie mit solchen volkswirtschaftlichen Eigentoren ihren Wohlstand riskieren. Denn würde so etwas angenommen, müssten wir wohl aus der WTO austreten, was Sie und Ihre Gesinnungsfreunde sicher begrüssen würden. Nur verträgt sich eine „Wirtschaft für alle“ gar nicht mit dem Verzicht auf die Mitgliedschaft in einer Organisation, die unter dem Gebot der Nicht-Diskriminierung dafür sorgt, dass der internationale Handel allen Teilnehmenden möglichst gleiche Chancen bietet. Dass Handel über die nationalen Grenzen die Welt reicher macht, ist längst erwiesen. Mehr Wohlstand bedeutet immer auch, dass soziale Rechte und Umweltfragen ein grösseres Gewicht erhalten. 

Freundliche Grüsse
Hans Rentsch