In einem früheren Blog-Artikel (hier) hatte ich nachgewiesen, dass unter den meist gut versorgten Hochschulgebildeten De-Growth (Rückwärtswachstum) als (illusionäre) Lösung für die Probleme des Klimawandels besonders populär ist. Eine De-Akademsierung der Klima- und Energiepolitik wäre deshalb segensreich – aber nicht nur der Klimapolitik.
Frank A. Meyer, der bekannte Schweizer Journalist mit Zweitwohnsitz in Berlin, empfahl jüngst eine De-Akademisierung des deutschen Bundestags, aber besonders der SPD. Die ganze Akademisierung habe diese Partei kaputtgemacht, wie man auf Gabor Steingarts „The Morning Brief“ lesen konnte. „Wir brauchen eine De-Akademisierung nicht nur der Sozialdemokratie – aber der vor allem.“ Passend dazu Steingarts Hinweis: Im Bundestag beträgt der Anteil der Mitglieder mit einem Hintergrund im Handwerk und in der Arbeiterschaft nur drei Prozent.
Die Folgen der Über-Akademisierung erleben wir in vielen Facetten auch in der Schweiz. In unseren staatlichen Bürokratien, in Parteigremien, im Bildungsbereich, im Kulturkuchen, bei den allermeisten NGOs und bei unseren SRF-Medien haben akademisch gebildete Eliten über die Jahre ein klares Übergewicht gewonnen. Übervertreten sind vielerorts vor allem die weichen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften, deren Absolventen sich besonders weit links von der gesellschaftlichen Mitte positionieren.
Dass sich in der Schweiz (oder in Deutschland) daran etwas ändern wird, da habe ich meine grossen Zweifel. Die gesellschaftlichen Teilsysteme erscheinen mir sozusagen dynamisch selbstreplizierend. Für zu viele Stellen scheint es einfach ausgemacht, dass Kandidaten einen Hochschulabschluss brauchen. Akademiker fordern für die Besetzung von Kaderpositionen immer wieder Akademiker. Frank A. Meyers Forderung nach einer De-Akademisierung bleibt deshalb wohl weitestgehend Wunschdenken.
Testfrage für Sympathisanten der Demokratischen Partei
Es gibt Parallelen zu den USA. Aus verschiedenen Quellen leite ich ab, dass die Wahlniederlage der Demokraten im vergangenen November in den bestimmt überakademisierten Parteigremien noch nicht wirklich zu einer nüchternen Sicht der Gründe für das Debakel geführt hat. Es gibt eine leuchtende Ausnahme. Die informative Online-Newsplattform „The Liberal Patriot“ (TLP), die der Demokratischen Partei nahesteht, kämpfte schon vor den Präsidentschaftswahlen über Monate erfolglos gegen den woke-progressiven Kurs der Parteielite. Diese hatte die Partei immer mehr in eine Partei der urbanen akademisch gebildeten Oberschicht verwandelt und die Interessen der normalen Leute ignoriert.
Seit der Wahlniederlage vom letzten November bietet TLP reihenweise Analysen über die Gründe des Absturzes, aber auch Anregungen, wie die Demokraten für Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte wieder attraktiv werden könnten. TLP empfahl jüngst eine Art Test, der den Weg der Demokraten in eine bessere Zukunft erhellen könnte. Die Testfrage und die dazugehörenden Empfehlungen lauten:
What would the working class say? (WWWCS)?
Der WWWCS-Test ist nicht so schwer durchzuführen, aber er erfordert, aus der liberalen Blase der Hochschulabsolventen herauszukommen, in der so viele Demokraten leben, insbesondere in sozialen Medien, in Aktivistenkreisen und in Interessenvertretungen, gemeinnützigen Organisationen, Medien und akademischen Einrichtungen. Sehen Sie sich tatsächliche Daten zur öffentlichen Meinung an – nicht wie sie von jemandem, den Sie kennen, zusammengefasst oder gelesen wurden. Sehen Sie sich Berichte von Fokusgruppen an. Sprechen Sie mit echten Arbeitern – davon gibt es viele! Hören Sie auf Ihre Intuition, wie Arbeiter wahrscheinlich auf die Politik und Rhetorik reagieren würden, die derzeit mit den Demokraten in Verbindung gebracht werden – und nicht darauf, wie Sie denken, dass sie reagieren sollten. Denken Sie an Familienmitglieder oder Menschen, mit denen Sie aufgewachsen sind und die zur Arbeiterklasse gehören. Versuchen Sie, sich in ihre Köpfe hineinzuversetzen. Sie sind weniger ideologisch orientiert, stärker auf materielle Belange fokussiert, haben eher mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, interessieren sich weniger für hochaktuelle soziale Themen, sind patriotischer und im Allgemeinen kulturell konservativer. All das macht einen Unterschied.
Es ist in diesem Text von Arbeitern und Arbeiterklasse die Rede. Das tönt für uns ein wenig klassenkämpferisch. Aber eine vergleichbare Schicht gibt es bei uns auch. Das ist keineswegs eine irgendwie definierte Unterschicht, sondern es ist die grosse Mehrheit der normalen Menschen ohne akademische Bildung, deren hauptsächlicher Lebensinhalt darin besteht, ihren Alltag zu bewältigen und mit all ihren persönlichen Verpflichtungen anständig über die Runden zu kommen. In den Worten von TLP: Sie sind weniger ideologisch orientiert, stärker auf materielle Belange fokussiert, haben eher mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, interessieren sich weniger für hochaktuelle soziale Themen, sind patriotischer und im Allgemeinen kulturell konservativer.
Man wünschte sich, dass bei unseren progressiven Eliten, welche weiterhin die meinungsmächtigen Institutionen beherrschen, eine ähnliche Läuterung stattfindet wie sie TLP der Elite der Demokraten in den USA empfiehlt.
„…die weichen Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften, deren Absolventen sich besonders weit links von der gesellschaftlichen Mitte positionieren“
Das ist doch das wahre Problem. Die adverse Selektion in der akademischen Welt. Aber es gibt auch Akademiker auf der anderen Seite. Zu wenige. Die sich nicht durchsetzen… oder nicht mehr durchsetzen.
Gute Hinweise findet man in R. Baaders Buch „totgedacht“. Findet man überall im Internet.
Ich habe viel Sinn für die Forderung nach De-Akademisierung. Schritte in dieser Richtung würde die Politik realistischer für die Mehrheit, wenigier ideologiebezogen und sicher auch weniger woke-progressiv machen. Bedenklich ist das Verhalten und die Wahl von Ex-Studenten, die ohne oder mit Studienabschluss sich politisch betätigen, sozusagen vom Hörsaal direkt in den Ratssaal. Eigentlich ist das ein Verrat am Gedanken des Milizsystems. Wo sind die Erfahrungen und neuen Ideen aus dem Berufsleben, die ein Parlamentarier in die Politik einbringen sollte, wenn es gar keine Berufserfahrungen gibt.