Der Sozialismus hat noch nirgends funktioniert, auch in Venezuela nicht

Die Erwartung von Karl Marx, dem geistigen Vater des Sozialismus, hat sich nicht erfüllt: In keinem entwickelten kapitalistischen Land gab es einen gleichsam gesetzmässig in einem zwingenden geschichtlichen Prozess verlaufenden Übergang in eine sozialistische Gesellschaft mit leuchtender Zukunft und Überwindung aller Klassengegensätze. Alle bisherigen sozialistischen Realexperimente geschahen in mehr oder weniger rückständigen Volkswirtschaften, oft durch Putsch oder Revolution. Eine Ausnahme bildet Venezuela, das vor drei Jahrzehnten noch zu der Gruppe der wohlhabenden Länder gehörte.

Ein beispielloser Abstieg

Auf der Plattform CORECON findet man eine eindrückliche Darstellung des Abstiegs von Venezuela in der Periode von 1995 bis 2020 (letztverfügbare Daten). Der leicht redigierte Kommentar dazu lautet (Übersetzung von Google): Die folgenden beiden Abbildungen zeigen die weltweite Einkommensverteilung in den Jahren 1995 und 2020, wobei die Länder vom ärmsten (rot) links bis zum reichsten (grün) rechts sortiert sind. Die Höhe jedes Balkens zeigt das Durchschnittseinkommen in jedem Dezil innerhalb eines Landes, sortiert von den ärmsten 10 % (vorne) bis zu den reichsten 10 % (hinten). Die Abbildung verwendet Daten aus der World Inequality Database (WID).

1995 befand sich Venezuela noch unter den reichen, grün eingefärbten Nationen:

In bloss 25 Jahren unter dem Diktat des „bolivarischen Sozialismus“ fiel Venezuela in die Gruppe der armen Länder zurück. Der sozialistische Idealzustand ist erreicht: Alle sind ungefähr gleich arm (natürlich mit Ausnahme der Nomenklatura):

In den reichen Ländern ist die Ungleichheit zwar höher, aber das Durchschnitts- und das Medianeinkommen sind viel höher als in den armen Ländern. Man kann auch einen Zusammenhang sehen: Eine Gesellschaft, die reiche Menschen hervorbringt, beruht auf einer Wohlstand schaffenden Wirtschaft mit den Säulen Marktwirtschaft und Rechtsstaat, und davon profitieren alle.

Wie der „Bolivarische Sozialismus“ eine Volkswirtschaft zerstört

Chavez wollte mit seiner Bolivarischen Revolution einen neuen lateinamerikanischen Sozialismus verwirklichen. Das Grundmuster war allerdings nicht neu. Mit Verstaatlichungen und massiver Umverteilung zugunsten der Massen hatte zu Beginn der 1970er-Jahre schon Salvador Allende in Chile die Volkswirtschaft in kurzer Zeit an den Rand des Abgrunds gefahren und damit zu den Bedingungen für den Pinochet-Militärputsch beigetragen. In Venezuela dauerte der politisch verursachte Niedergang länger, weil Venezuela mit seinem enormen Erdölreichtum über den längeren Atem verfügte. Doch die Kosten für den Kauf der Massen, um Wahlen zu gewinnen, wuchsen schon unter Chavez stark an. Unter dem Druck des wirtschaftlichen Niedergangs degenerierte das politische System unter Nicolás Maduro, ab 2013 Nachfolger von Chavez nach dessen Tod, immer mehr in Richtung einer brutalen Diktatur der Machterhaltung. Genau wie in allen anderen sozialistischen Realexperimenten steht am Ende ein Prozess der wirtschaftlichen und politischen Degeneration. Man könnte in Anlehnung an Marx geradezu von einer geschichtlichen Gesetzmässigkeit sprechen.

Wo gibt es den „richtigen“ Sozialismus?

Nun kommt von politisch linker Seite natürlich sofort das übliche Argument, Venezuela sei gar kein sozialistisches Land, Kuba natürlich auch nicht, und die frühere Sowjetunion oder die DDR schon gar nicht. Eigentlich habe man den „richtigen“ Sozialismus noch nirgends real testen können, also könne man auch die geschichtlichen Erfahrungen mit gescheiterten Staaten, die sich als sozialistisch ausgaben, gar nicht als Argument gegen den Sozialismus verwenden. Diese Argumentation beruht auf der Illusion, man könne den kapitalistisch-marktwirtschaftlich erzeugten Wohlstand in eine sozialistische Gesellschaft mit Verstaatlichungen, massiver Umverteilung von oben nach unten, Arbeitsplatzgarantie, Recht auf „zahlbare“ Wohnung und all den sonstigen Segnungen des Sozialstaats hinüberretten. Gerade in der Schweiz, in den Worten des Berner Politologen Adrian Vatter das Land mit der linksten Linken Europas, ist diese Illusion unter verstärktem Juso-Einfluss programmatisch in der SP durchaus salonfähig. Dabei gehen ohne wirtschaftliche Freiheit alle Anreize zur wirtschaftlichen Risikobereitschaft, zu Innovation und Wachstum verloren.

Das hat man übrigens nach Mao auch in China begriffen. Dort herrscht zwar politisch die Partei nahezu absolut, aber wirtschaftlich gibt es in vieler Hinsicht mehr faktische Freiheit als in der überregulierten Volkswirtschaft Schweiz. Deshalb ist China auch kein Beispiel einer erfolgreichen sozialistischen Volkswirtschaft. Diese Volkswirtschaft ist erst erfolgreich geworden, als sie sich ohne ideologische Scheuklappen an kapitalistischen Prinzipien und westlichem Know-how zu orientieren begann und sich, im Leistungswettbewerb mit den entwickelten Ländern, für den internationalen Handelsaustausch öffnete.

Noch kein Ende der venezolanischen Tragödie

Die manipulierten jüngsten Wahlen zeigen: Die venezolanische Tragödie ist noch nicht zu Ende. Was jeder ökonomisch einigermassen gebildete Mensch schon zur Blütezeit des „bolivarischen Revolutionärs“ Hugo Chavez voraussagen konnte, ist nun global für alle, die es sehen wollen, drastisch sichtbar: Mit Chavez‘ Nachfolger Maduro ist ein absoluter Tiefpunkt erreicht. Dass dieser Kriminelle an der Spitze des ölreichsten Landes der Welt von mächtigen Autokraten und diktatorischen Regimes weiterhin gestützt wird, hängt damit zusammen, dass diese machtzynisch ihr eigenes politisches Süppchen kochen, im Prinzip immer gegen den demokratischen Westen. Das sagt viel aus über die heutigen deplorablen Zustände in der Weltgemeinschaft. Die UNO als institutionalisiertes Weltgewissen muss ohnmächtig zuschauen wie ein Diktator über Jahre hinweg sein Volk ruiniert.