Die Schweiz auf schiefer Bahn (Folge 2)

Wir müssen auch über die Institutionen reden

In der ersten Folge der Serie über die direkten Volksrechte mit dem Hinweis auf das gestörte Gleichgewicht der Institutionen hiess es einleitend: „Wenn die anderen entwickelten Demokratien, mit denen man sich vergleicht, im Abwärtstrend sind, und man steht immer noch besser da als diese, schliesst dies nicht aus, dass man sich selbst auf schiefer Bahn befindet. Es gibt schon seit einiger Zeit genügend Anzeichen, dass dies auf die Schweiz zutrifft.“

Der aktuelle Gebrauch und die Wirkung der direkten Volksrechte spielen dabei eine weitherum unterschätzte Rolle, was wegen der Sakralisierung der direkten Demokratie in Politik und Gesellschaft verdrängt wird. Wenn die politischen Institutionen bei grossen Projekten über längere Zeit mit teuren Nullrunden, Blockaden und faulen Kompromissen nur noch fragwürdige Lösungen produzieren, muss es eine Rückkoppelung von den Ergebnissen zu den Institutionen geben. Dies lässt sich in einem einfachen Schema darstellen, das ich für ein Referat entworfen habe:

Ich werde in dieser Folge von Beiträgen meine Argumente präsentieren. Den Beginn mache ich mit dem Vorschlag, die Entscheidungsregel bei Referenden zu verändern. Damit soll einfach mal demonstriert werden, dass es für Reformen der direkten Volksrechte verschiedene Ansatzpunkte gibt. Dieser erste Vorschlag dient dazu, die Diskussion in Gang zu bringen.

Vorschlag für ein Quorum bei Referenden
Um das Gleichgewicht zwischen den Institutionen wieder zu korrigieren, schlage ich für fakultative Referenden eine neue Formel vor. Um eine Vorlage zu kippen, braucht es neu nicht nur ein einfaches Volksmehr, sondern ein flexibles Quorum. Eine krude Regel wäre das Erfordernis, dass ein Referendum gegen eine Gesetzesvorlage von Bundesrat und Parlament nur dann erfolgreich ist, wenn die Ablehnung nach Stimmenprozenten mindestens so hoch ist wie die prozentuale Zustimmung in den beiden Kammern des Parlaments kombiniert. Dem Vorteil der relativen Einfachheit der Formel steht die harte Selektion zulasten der direkten Volksrechte gegenüber. Deshalb ziehe ich eine mildere Zwischenlösung vor.

Dieses abgeschwächte Quorum berechnet sich aus dem Mittel der beiden Ja-Anteile von Parlament und Stimmvolk. Eine Vorlage gilt als angenommen, wenn das Mittel der kombinierten bzw. addierten Ja-Anteile grösser ist als der Nein-Anteil in der Volksabstimmung. Anhand der Tabelle unten, betreffend die vier Vorlagen vom 24. November lässt sich dies nachvollziehen:

Spalte 7 ist das Mittel der Spalten 5 und und 6. Alle drei abgelehnten Vorlagen wären nach der neuen flexiblen Quorumsregel angenommen worden, weil die Referendumssiege knapp ausgefallen waren. Die Vorlage „Nationalstrassen“ wurde vom Stimmvolk mit 52,7 Prozent Neinstimmen abgelehnt (Kolonne 6: 100% minus 47,3%). Das Mittel der kombinierten Ja-Anteile von 53,7 Prozent ist höher, also wäre die Vorlage angenommen. Die analoge Rechnung für die beiden Mietrechts-Vorlagen ergibt dasselbe Resultat. Die kombinierten Ja-Anteile fallen höher aus als die prozentuale Ablehnung durch das Stimmvolk. Beide Vorlagen wären nach neuer Regel angenommen.

Ein Quorum dieser Art ist nur eine von vielen anderen Stellschrauben für eine „Verwesentlichung“ der direkten Volksrechte mit dem Ziel, die Balance zwischen den Institutionen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. In der nächsten Folge wird diese Quorumsregel noch auf fünf wichtige erfolgreiche Referenden angewendet, bei denen der Graben zwischen Parlament und Stimmvolk noch grösser war als bei den vier Abstimmungen vom 24. November 2024.

Eine solche Quorumsregel hätte offensichtlich Folgen. Abgesehen vom direkten Einfluss auf Ergebnisse stellt sich die zusätzliche Frage nach indirekten Rückwirkungen auf den Gebrauch des Referendums. Dazu folgt mehr in späteren Ausführungen zum Thema.

2 thoughts on “Die Schweiz auf schiefer Bahn (Folge 2)”
  1. Si ce n’est pas simple ça se complique.
    Plus l’adoption par le parlement serait forte plus il serait difficile de s’y opposer par référendum. Si le parlement se trompe ou est manipulé par des collations inattendues, la correction référendaire deviendrait impossible. Ce n’est pas conforme à l’esprit d’une démocratie semi-directe.
    D’autre part, la formule proposée est anti-fédérale, avec le résultat du CN comptant pour 200 et celui du CE pour 46. Il faudrait faire la moyenne simple entre les résultats en % des deux chambres.

    1. Vielen Dank, Michel, für deinen nützlichen Kommentar. Ich werde in der Folge 3 zum Thema sicher den Einwand berücksichtigen, dass die beiden Räte gleich gewichtet werden sollten. Allerdings erwarte ich eine noch grössere Erschwerung von Referenden, weil der Ständerat oft noch klarer für eine Vorlage stimmt als der Nationalrat. Aber wir werden sehen, wenn ich die Rechnung mit den fünf älteren Referenden gemacht habe. Es handelt sich durchwegs um erfolgreiche, federführend von der politischen Linken initierte Referenden. Oft setzten sich noch gewisse Sonderinteressen (Ärzteverbände, Kantone, lokale Stromverteiler etc.) ins Boot mit den linken Parteien und Verbänden. Ich bin übrigens nicht so sicher, dass das Parlament mehr von Sonderinteressen manipuliert wird als das Stimmvolk oder die Bevölkerung generell, dies auch aufgrund von genauen Analysen der VOX-Studien.

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