Vor dem Jubeln sollte man Innovations-Ranglisten genau anschauen
Ausschnitt aus einer Grafik des WIPO-Berichts „Global Innovation Index 2024“
„Die Schweiz ist weiterhin das innovativste Land der Welt“
Dieses Fazit zog die neueste Studie „Global Innovation Index 2024“ der World Intellectual Property Organization (WIPO), einer Agentur der Uno in Genf. Die WIPO-Studie umfasst 133 Länder. Die Grafik oben zeigt das Ranking von 2022 und 2023 auf den 15 ersten Plätzen, die Schweiz zuoberst. Die Rangliste wirft für mich die Frage auf, welche Kriterien die High-Tech-Länder Südkorea, Japan oder auch Israel auf hintere Plätze unter den 15 ersten verbannt. Zumindest die beiden ostasiatischen Länder gelten in spontaner Wahrnehmung sicher als weltweit ausstrahlende Technologieschwergewichte.
In der WIPO-Analyse wurden allerdings nicht nur technologische Hochleistungen beurteilt, sondern auch pionierartige Geschäftsmodelle und soziale Innovationen. Das ist schon mal ein Hinweis, dass die Ergebnisse solcher Ranglisten von den gewählten Kriterien abhängig sind. Die WIPO-Berichtsautoren benützten sieben Hauptkriterien, nämlich Institutionen, Humankapital und Forschung, Infrastruktur, Marktreife und -komplexität, Geschäftsreife, Wissens- und Technologie-Output und kreativer Output. Wie bei anderen solchen Ranglisten wird nach irgendwelchen Formeln, die im WIPO-Bericht mit entsprechend hohem Zeitaufwand nachgelesen werden können, aus einer grossen Zahl von harten und weichen Kriterien eine Punktzahl ermittelt.
Der WIPO-Bericht bezeichnet auch die wichtigsten Forschungsgegenden der Welt. Es sind mehrheitlich ostasiatische wirtschaftlich-technologische Mega-Urbanregionen in China, Japan und Südkorea. Dazu kommen Cambridge und Oxford (Grossbritannien), San Jose–San Francisco (USA), Eindhoven (Niederlande) sowie Boston–Cambridge (USA). Zürich rangiert auf Platz 50, Basel auf Rang 96.
Die ‚Weltwoche‘ jubelte unter dem Titel „Die Schweiz ist weiterhin das innovativste Land der Welt“ über das WIPO-Ranking, allerdings mit einem milden Caveat: „Wenn man den gesamten Bericht betrachtet, dann stellt man zwar fest, dass die Schweiz immer noch an der Spitze liegt, aber in vielen anderen Ländern wächst die Innovation rasant schnell und es wird wohl nur noch eine Frage von wenigen Jahren sein, bis die Schweiz von anderen Ländern, vor allem aus EM, an der Spitze bedrängt wird.“
Höchstens gut genug für Toilettenpapier?
So weit wie ein Leserkommentar in der ‚Weltwoche‘ zum WIPO-Bericht muss man ja nicht gehen: „Ist ja schön. Trotzdem ist es eine Erhebung, die man besser auf Toilettenpapier herausgeben sollte, damit sie schnell und sachgerecht entsorgt werden kann.“ Ein sanfterer Kommentar lautete: „Ein Bericht, wonach die Forschung weitgehend in Ostasien stattfindet, während Zürich und Basel auf den Plätzen 50 und 96 lägen, steht im harten Gegensatz zum Jubel-Titel des Artikels.“
Ähnliche Empfindungen stellen sich bei mir jedes Mal ein, wenn ich in den Medien wieder einem Innovations-Ranking begegne, wo die Schweiz mindestens auf dem Podium, wenn nicht an der Spitze steht. Der unten gezeigte Ausschnitt aus der Tabelle einer IMD-Studie über Digitale Kompetenzen zeigt die Schweiz auch auf dem Podium. Doch wer erklärt, weshalb sich das High-Tech-Land Israel auf gleicher Höhe bewegt wie Saudi-Arabien? Oder weshalb die USA, Taiwan und China nicht weiter oben platziert sind? Die Indexwerte mit zwei Stellen hinter dem Komma suggerieren eine Genauigkeit, die angesichts der subjektiven Wahl und Gewichtung der Kriterien illusorisch ist.
Das Land auf dem ersten Platz im WIPO-Index und auf dem zweiten Platz des IMD-Index schafft kein landesweit brauchbares Elektronisches Patientendossier, hat keine Kompetenz in modernen Systemen der heutigen Kriegsführung, produziert in der öffentlichen Verwaltung regelmässig millionenteure IT-Debakel, war bei der Digitalisierung gemäss einer WEF-Analyse im ‚Global Competitiveness Report 2020‘ im Widerspruch zur IMD-Analyse nicht unter den führenden Nationen und rangiert in keiner der vom Australian Strategic Policy Institute ASPI untersuchten Forschungsbereichen in Hochtechnologien unter den fünf führenden Ländern.
Der Untersuchungsansatz des ASPI
Der Bericht des ‚Australian Strategic Policy Institute‘ mit dem Titel „ASPI’s two-decade Critical Technology Tracker: The rewards of long-term research investment“ bietet Einblicke in die globale Forschungsleistung und in strategische Absichten in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Biotechnologie und Quantentechnologien. Derzeit werden 64 kritische Technologien und wichtige Bereiche abgedeckt. Die wichtigsten Ergebnisse sind:
In den fünf Jahren von 2003 bis 2007 waren die USA in 60 von 64 Technologien führend, in den letzten fünf Jahren (2019–2023) nur noch in sieben.
China war in den Jahren 2003–2007 nur in drei von 64 Technologien führend, ist aber in den Jahren 2019–2023 in 57 von 64 Technologien das führende Land. China hat potenzielle Monopolstellungen in wissenschaftlicher Expertise und Spitzeninstitutionen aufgebaut.
Indien gehört bei 45 von 64 Technologien zu den Top 5. Dies stellt einen enormen Zuwachs gegenüber 2003 bis 2007 dar, als Indien nur bei vier Technologien unter den Top 5 landete.
Abgesehen von Indien und Grossbritannien ist die Leistung der meisten sekundären wissenschaftlich-technischen Forschungsnationen (die Länder hinter China und den USA) in den Top 5 weitgehend unverändert: Deutschland (27), Südkorea (24), Italien (15), Iran (8), Japan (8) und Australien (7).
Japan und Iran gleichauf? Dazu die Erklärung des ASPI: „Iran zeichnet sich durch herausragende Leistungen im Bereich verteidigungsrelevanter Technologien aus: Basierend auf seiner Leistung in den letzten fünf Jahren gehört der Iran in acht von 64 Technologien zu den Top 5 und ist stark in den Bereichen fortschrittliche Werkstoffe, Fertigung und Biotechnologie. In den Bereichen intelligente Werkstoffe und luftunabhängiger Antrieb liegt der Iran auf Platz 3.“
In den sechs untersuchten Kategorien zeigt der Bericht die jeweils fünf führenden Länder in einer Grafik im 20-Jahres-Vergleich. In keiner Kategorie schaffte es die Schweiz unter die ersten fünf. Die Schweiz kommt im ganzen über 60-seitigen ASPI-Bericht nur an zwei Stellen auf Seite 31 vor – als Absteigerin im Zeitvergleich. Unten ist die betreffende Unterkategorie ‚Drones, swarming and collaborative robots‘ aus der übergeordneten Kategorie ‚Defense, space, robotics and transportation‘ abgebildet. Nur weil die Schweiz in der Periode 2003-2007 auf Platz zwei kam, erscheint sie überhaupt noch im Bericht. Sie ist aber in der jüngsten Periode 2019-2023 auf Platz 20 abgerutscht.
Es könnte natürlich sein, dass ein australisches Forschungsinstitut eine andere geografisch-geopolitische Perspektive hat als die hierzulande tätigen schweizerisch-europäischen Institute. Eines ist sicher: Um Ranking-Studien einigermassen korrekt zu interpretieren, muss man diese schon sehr genau anschauen. Alles hängt von der generellen Perspektive und der Wahl der Kriterien ab. Diese Einsicht bewahrt uns vor zu lautem Jubel, wenn das eigene Land wieder ganz oben auf der Innovationsrangliste steht.
… traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast …. 🙂