Fakten-Check beim UVEK

Greenpeace-affine Versatzstücke zur Kernenergie auf der Webseite des UVEK

Ein neuer Energie- und Klimarealismus wie in den USA ist bei uns noch nicht eingekehrt. Immerhin hat der Bundesrat auf Initiative von Energieminister Albert Rösti am 20. Dezember 2024 seinen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative „Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)“ in die Vernehmlassung geschickt. Beide Vorstösse zielen auf die Beseitigung des Neubauverbots für Kernkraftwerke im Energiegesetz, eines der dümmsten Verbote dieses Jahrhunderts. Churchills Aussage, Sicherheit liege in der Vielzahl der Variablen, die einem als Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, gehört zum Grundbestand politischer Weisheit. Politisch weise wäre es auch gewesen, man hätte nach dem Unfall von Fukushima zuerst die Ergebnisse der dortigen Untersuchungen abgewartet, bevor man auf der anderen Seite der Erdkugel in einem Land mit ganz anderen Bedingungen die „Energiewende mit Atomausstieg“ beschliesst.

Allerdings scheinen die Ausführungen zur Kernenergie auf der Webseite des UVEK/BFE unverändert von der Sommaruga-Zeit übernommen und noch nicht aufdatiert worden zu sein. Deshalb ist auch fast alles fragwürdig, was dort behauptet wird. Die Argumente, die angeblich gegen Kernenergie sprechen, könnten von AKW-Gegnern gut dazu verwendet werden, sowohl gegen die „Blackout-Initiative“ wie auch gegen den Gegenvorschlag des Bundesrats Stimmung zu machen. Nachfolgend zitiere ich einige Textstellen und kommentiere diese.

UVEK: Wegen der hohen Investitionskosten sind neue Kernkraftwerke derzeit weder rentabel noch wettbewerbsfähig.

Auch wegen seinem Mangel an Logik (warum ein Verbot, wenn sich ein AKW-Neubau sowieso nicht lohnt?) ist dies ein typisches Anti-AKW-Argument. Es erscheint zwar vielen Menschen plausibel, ist aber trotzdem fahrlässig. Die Investitionskosten sehen zwar eindrücklich aus, spielen aber in einer Rentabilitätsrechnung gar nicht die überwiegend grosse Rolle. Energiewenden mit der Priorisierung von subventioniertem volatilem Solar- und Windstrom haben aber die Märkte zulasten der Kernenergie stark verändert. Für Projekte mit hohen Anfangsinvestitionen – typisch nicht nur für die Kernenergie, sondern auch für von der Leistung her vergleichbare Wind- und Solarinfrastrukturen mit Backup-Kapazitäten und Netzausbau – sind die Risiken für Investoren, die rein privatwirtschaftlich rechnen (müssen), nicht mehr tragbar. Im Übrigen operierte die mehrheitlich staatliche Stromwirtschaft in der Schweiz nie unter wirklich marktwirtschaftlichen Verhältnissen.

Wenn der Markt die Versorgungssicherheit unter den unsicheren Bedingungen mit hohem Anteil an sogenannt Erneuerbaren nicht gewährleisten kann, erhält die Versorgungssicherheit noch stärker als früher den Charakter eines öffentlichen Gutes und wird zur (teilweisen) Staatsaufgabe. Staatliches Engagement kann zum Beispiel darin bestehen, dass ein garantierter Abnahmepreis vereinbart wird, siehe das Beispiel Hinkley Point C im nächsten Abschnitt. Ähnliche Arrangements sind auch bei hiesigen Solaranlagen möglich. Die Axpo hat die bislang vom Bund subventionierte grösste schweizerische Anlage AlpinSolar erst gebaut, nachdem der Discounter Denner eine Garantie für die Stromabnahme während zwanzig Jahren versprochen hat.

UVEK: Das britische Kernkraftwerk Hinkley Point C kann nur dank staatlicher Bürgschaften für Darlehen und hoher Subventionen erstellt werden. Dem Werk wurde für 35 Jahre ein garantierter Abnahmepreis zugestanden, der weit über dem Grosshandelspreis liegt. Die Baukosten werden auf umgerechnet rund 31 Milliarden Franken geschätzt. Die Baukosten der neuen Druckwasserreaktoren in Finnland und Frankreich sind ebenfalls sehr hoch und haben sich stetig verteuert. Inzwischen belaufen sie sich auf umgerechnet rund 11 Mrd. Franken pro Werk.

Es fehlt eine Begründung und die grössere Einordnung. Es sind in westlichen Demokratien seit Jahrzehnten kaum mehr neue AKW geplant und gebaut worden – mit dem Resultat, dass heute in Europa und sogar in den USA praktisch alle materiellen und immateriellen Ressourcen fehlen, die es brauchen würde, um kostenoptimal und innert nützlicher Frist neue AKW zu bauen. Sowohl Hinkley Point C, wie auch Okiluoto 3 in Finnland waren Unikate in einem Prozess des Neubeginns. Und schliesslich: Woher weiss das UVEK, ob in 10, 20 oder 30 Jahren der garantierte Abnahmepreis bei Hinkley Point C immer noch weit über dem Grosshandelspreis liegt?

Die Gegenbespiele mit vorhandenem Know-how und „serieller“ Erstellung von neuen Kenrnenergieanlagen liefern China und Südkorea: Bauzeiten von sechs bis acht Jahren und Investitionskosten die zwei bis drei Mal tiefer liegen als die Kosten für die europäischen Beispiele. Eine weitere Begründung für die hohen Kosten in Europa liefert die UVEK-Webseite gleich selbst:

UVEK: Aufgrund der stark gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit und der komplexen Verfahren zum Bau solcher Anlagen, können neue Kernkraftwerke in Europa unter marktwirtschaftlichen Bedingungen kaum mehr gebaut werden.

„Raising enemies‘ costs“ ist eine bekannte und gerne eingesetzte politische Strategie. In Bezug auf die stark gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit und die komplexen Verfahren haben die militanten AKW-Gegner mit gütiger Unterstützung gleichgesinnter Medien mit ihrer Angstmacherei und den daraus resultierenden Regulierungen und Widerstandsmöglichkeiten erfolgreiche Arbeit geleistet. Bei keiner anderen Energiequelle sind derart weitgehende und investitionshemmende Sicherheitsauflagen in Kraft, auch in Bezug auf die Entsorgung von toxischen Materialien.

UVEK: Die Stromproduktion wird entsprechend teuer.

Diese Folgerung aus den UVEK-Textteilen oben ist wiederum fahrlässig: Im Vergleich zu was „entsprechend teuer“? Im Vergleich zu welchen Alternativen? Ein neues AKW hat eine Laufzeit von bis zu 80 Jahren. Hohe Investitionskosten selbst mit beträchtlichen Kostenüberschreitungen können so über einen enorm langen Zeitraum amortisiert werden, ganz im Gegensatz zu Wind- oder Solaranlagen mit einer Lebensdauer und Amortisationszeit von 20 bis maximal 30 Jahren. Das zeigt sich klar in den wirklich realistischen Kostenvergleichen, deren Egebnisse im UVEK zum Grundwissensbestand gehören müssten. Mein früherer Podcast-Partner Martin Schlumpf hat dazu die Daten analysiert und kommentiert (siehe hier und hier und hier).

UVEK: Ausserdem ist die sichere Entsorgung der radioaktiven Abfälle noch nicht gelöst.

Noch nicht gelöst? Wie ist das zu verstehen? Auf der NAGRA-Webseite erfährt man den aktuellen Stand: Nach Jahrzehnten der Forschung sind die Grundlagen für das Jahrhundertprojekt Tiefenlager geschaffen. Die Nagra erarbeitet nun bis voraussichtlich 2024 die Rahmenbewilligungsgesuche, die beim Bund eingereicht werden. Anschliessend prüfen Behörden und Expertengremien die Gesuche, bevor der Bundesrat und das Parlament darüber entscheiden. Kommt ein Referendum zustande, hat das Schweizer Stimmvolk das letzte Wort. Bis die ersten Abfälle eingelagert werden, dauert es noch rund dreissig Jahre.

Jahrzehnte der Forschung und danach noch dreissig Jahre! Und dazwischen sagt das Stimmvolk vielleicht nein? Doch was wäre bei einem Nein des Stimmvolks Plan B? Alles wieder von vorn? Wieso soll das gesamte Schweizer Stimmvolk über ein geografisch auf wenige Gemeinden konzentriertes Tiefenlager abstimmen? Welches Interesse soll ein Genfer oder ein Churer an der Frage „Tiefenlager am Standort Lägern Nord“ haben? Wie begründet man seine materielle Berechtigung, zu dieser Frage abstimmen zu können? Man kann sich eine Konstellation vorstellen, in der die Standortgemeinden gegen das Tiefenlager sind, aber die restlichen Stimmbürger froh sind, dass das Tiefenlager gerade dort erstellt wird und nicht bei ihnen. Das wäre eine maximale Majorisierung einer Minderheit. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich schweizweit die bunte Anti-AKW-Lobby mit den Standortgemeinden solidarisch erklärt, aber an der Urne etwas ganz anderes im Sinn hat – nämlich weiterhin mit der „ungelösten Entsorgungsproblematik“ im Kampf gegen die Kernenergie in der Bevölkerung Stimmung machen zu können.

Man kann sich natürlich fragen, ob Tiefenlager in 30 Jahren überhaupt noch die technisch und wirtschaftlich optimale Lösung sind. Während man in Greenpeace-freien Ländern mit hohem Einsatz an der Weiterentwicklung der Kernenergie in Richtung AKW-Generation IV arbeitet, um „Atommüll“ fast vollständig wiederverwertbar zu machen, verbreitet das UVEK auf seiner Webseite die alten Versatzstücke der Anti-AKW-Aktivisten. Denn was die angeblich ungelöste sichere Entsorgung betrifft, handelt es sich um eine rein politische Aussage, die einfach opportunistisch den gegenwärtigen Stand der Begründungen für den vom Stimmvolk abgesegneten „Atomausstieg“ widergibt. Auch zur Besänftigung der „Atommüll“-Ängste hat Martin Schlumpf einen aufschlussreichen Kommentar geschrieben (hier).

Mein Fazit
Mit wissenschaftlich fundierter Sachinformation haben diese Texte auf der Webseite des UVEK nichts zu tun. Sie könnten, aggressiver formuliert, auch von Greenpeace stammen. Höchste Zeit also, die UVEK-Webseite zu aktualisieren.

One thought on “Fakten-Check beim UVEK”
  1. Danke Hans. Schön zusammengestellt und kommentiert. Es ist nicht nur höchste Zeit, die UVEK-Website zu aktualisieren, eine personelle Erneuerung des BfE ist auch überfällig. Solange die Leute aus der Sommaruga-Zeit (und füher) immer noch da sind wird es nicht besser.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..