„Geld bleibt hier“

Das schwächste Argument in der Energie- und Klimadebatte

Energieministerin Sommaruga erzählt dem Volk in ritueller Wiederholung, dass Jahr für Jahr viele Milliarden Franken für Importe fossiler Energieträger ins Ausland abfliessen würden. Ohne sich in mühsamen Details zu verlieren, impliziert diese bundesrätliche Botschaft, mit der sogenannten Energiewende und dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien würden diese Mittel im Land verbleiben.

„Geld bleibt hier“ war erstaunlicherweise im Vorfeld des Referendums vom Mai 2017 über das Energiegesetz auch der auffallendste Slogan auf der Abstimmungs-Werbung der FDP zugunsten der Ja-Parole. Dabei steht ja hinter dem Kürzel FDP noch ein – wie man meinen könnte – programmatisch verpflichtendes „Die Liberalen“. Einziger Trost: Die Parteibasis, im Jargon der VOTO-Nachabstimmungsanalysen FDP-Parteisympathisanten, folgten der Partei-Elite nicht und stimmten mit einem Nein-Anteil von 53 Prozent gegen das Energiegesetz.

Der Slogan „Geld bleibt hier“ verdient den Superlativ „das schwächste Argument“. Schwach ist das Argument ganz generell. Würden alle Staaten dieser Welt nach dem Muster „Geld bleibt hier“ handeln und versuchen, Importe durch eigene Produktion zu substituieren, würden wir in einer armen Welt leben. Was der englische Ökonom David Ricardo (1772-1823) mit seiner Theorie der komparativen Kosten für die Vorteile der Spezialisierung und des internationalen Handels gezeigt hat, ist durch die enormen Wohlstandsgewinne einer globalisierten Welt längst auch empirisch bewiesen.

Noch schwächer wird das Argument, wenn man es konkret auf die Schweiz anwendet. Nicht nur profitieren die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft geradezu weltrekordverdächtig von der Offenheit für den internationalen Handelsaustausch. Die Schweiz verzeichnet auch seit Jahren massive Aussenhandelsüberschüsse, was allerdings oft falsch verstanden wird. Ein Exportüberschuss ist nicht per se etwas Positives, sondern ökonomisch einfach ein Sparüberschuss einer Volkswirtschaft. Anders gesagt: Wir leben seit Jahren unter unseren Konsummöglichkeiten. Die für den Import fossiler Energieträger abfliessenden Milliarden, die Bundesrätin Sommaruga und die FDP.Die Liberalen im Land behalten und investieren möchten, konnten wir uns immer locker leisten.

Zum schwächsten Argument wird „Geld bleibt hier“ aber in der konkreten Anwendung auf die Energiewende. Die im Argument unausgesprochene Folgerung, das Geld würde hier bleiben, wenn wir nur mit der Energiewende und den erneuerbaren Energien vorwärts machen, ist bei genauerer Betrachtung unhaltbar. Woher kommen denn die meisten Rohstoffe, Technologien und Produkte? Fast nichts aus der Schweiz. PV aufs Dach montieren, ist keine innovative Leistung. Bei uns wird einfach zu hohen Kosten installiert, was uns die Chinesen und andere liefern. Zudem haben die Anlagen für Solar- und Windenergie eine eher begrenzte Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren und müssen dann ersetzt werden. Die Abhängigkeit von Importen wird kaum kleiner, nur verschieben sich die geopolitischen Gewichte der Lieferländer. Diese erscheinen aus Sicht demokratischer Gesellschaften kaum weniger problematisch als viele der grossen Produzentenländer für Öl und Gas.

Abstimmungspropaganda zeigt immer auch, wie die Absender die Kompetenz der Adressaten, also des Stimmvolks, einschätzen. Vielleicht wissen auch Energieministerin Sommaruga und die FDP-Elite, dass mit dem Argument „Geld bleibt hier“ etwas nicht stimmt. Aber sie könnten ja richtigerweise auch davon ausgehen, dass die meisten Leute hierzulande die obligatorische Schulzeit als ökonomische Analphabeten verlassen – ein Bildungsversagen im schweizerischen Schulsystem. „Geld bleibt hier“ wäre so gesehen als Argument wenigstens politisch rational.

Dieser Text wurde in der „Weltwoche“ Nr. 25 vom 23. Juni 2022 unter dem Titel „Sommarugas Energiewende macht China reich“ publiziert.