HEKS gegen Holcim

Zur Klimaklage von indonesischen Inselbewohnern am Kantonsgericht Zug

Wie verschiedene Schweizer Medien jüngst berichteten, haben vier Bewohner der indonesischen Zwerg-Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim Zivilklage beim Kantonsgericht Zug eingereicht.  Die Zementindustrie ist eine sehr CO2-intensive Branche. Die Kläger fordern eine Entschädigung für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch das Ansteigen des Meeresspiegels und häufigere Sturmfluten. Sie verlangen vom weltgrössten Zementkonzern zudem eine starke Reduktion seines  CO2-Ausstosses. Das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS ist in Hilfestellung für die Kläger zuvorderst mit dabei.

Die Forderungen des HEKS im Namen der Kläger

Die Webseite des HEKS gibt Aufschluss über dessen Forderungen:

„Wie der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht ausführt, muss auf weltweiter Ebene dringend eine Verringerung der CO2-Emissionen erfolgen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Angesichts der Schwere und Unumkehrbarkeit der negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung sowie der historischen Verantwortung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Holcim, fordert HEKS das Unternehmen auf, mindestens die folgenden Emissionsreduktionsziele festzulegen, um seinen Teil zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 °C beizutragen: bis 2030 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 43 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019 und bis 2040 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 69 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019.“

Der britische Historiker Edward Gibbon (1737-1794), berühmt für sein Hauptwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“, glänzte schon vor mehr als 200 Jahren mit einem luziden Bonmot: „Man traue keinem erhabenen Motiv für eine Handlung, wenn sich auch ein niedriges finden lässt.“ Geleitet von Gibbons Erkenntnis, eröffnen sich zwei Möglichkeiten, die Absichten des HEKS an der Klimaklage zu erörtern.

Erhabene Motive – dürftige Sachargumente

Das HEKS unterstreicht den moralischen Anspruch der Klage mit der Forderung nach „Klimagerechtigkeit“. Dieser Kampfbegriff des Klimaaktivismus verweist auf eine angebliche historische Schuld der reichen industrialisierten Länder. Als Hauptverursacher des Klimawandels seien diese zu besonderen Anstrengungen verpflichtet. Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist in einer ganzheitlichen Sicht nicht einmal die halbe Wahrheit. Diese reichen Länder des „Westens“ sind mit ihren wissenschaftlich-technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen auch für die enormen weltweiten Fortschritte an Wohlstand und Lebensqualität verantwortlich. Zudem wäre die Bewältigung der negativen Folgen des Klimawandels ohne die Leistungsfähigkeit westlich geprägter Kulturen undenkbar.

Wichtiger ist aber, dass die ganze Argumentation des HEKS, untermalt mit ausführlichen Studien mit  wissenschaftlichem Anspruch, auf einem Grundirrtum beruht. Dieser Irrtum trägt den Namen „1,5 Grad“. Das 1,5 Grad-Ziel hat nicht nur keine wissenschaftliche Basis, sondern es war ursprünglich auch nie als verpflichtendes Ziel gemeint, sondern als gemeinsames Bemühen („aspiration“) der Weltgemeinschaft. Die 1,5 Grad sind das Ergebnis eines langen politischen Gerangels nach der gescheiterten Kopenhagener Klimakonferenz von 2008. Da man an der Klimakonferenz von Paris im Jahr 2015 unbedingt ein weiteres Scheitern vermeiden wollte, wurden insbesondere die kleinen Inselstaaten der „Alliance of Small Island States“ (AOSIS) mit der Zustimmung zum 1,5 Grad-Ziel für ein globales Klimaabkommen ins Boot geholt. Diese Ländergruppe ist sich ihrer grossen Verhandlungsmacht in einem Gremium, das nach Einstimmigkeit strebt, natürlich bewusst.

Nicht nur die Ableitung von einem illusionären 1,5 Grad-Ziel macht das Vorhaben unsinnig, von einem einzelnen Konzern prozentgenaue CO2-Reduktionsverpflichtungen einzuklagen. Auch die grosse Unsicherheit über die Klimasensitivität – d.h. den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperatur – verbietet eine solche Rechnung. Wegen dieser Unsicherheit ist ein Temperatur-Ziel für die politische Aktion prinzipiell ungeeignet. Und die ganze Rechnerei um „tonnengenaue“ CO2-Restbudgets hat aus demselben Grund keine wissenschaftliche Grundlage.

Die meisten Klimawissenschafter wussten schon zur Zeit von „Paris 2015“, dass das 1,5 Grad-Ziel bereits überholt war. Doch der Weltklimarat IPCC spielte das Spiel mit und erklärte „1,5 Grad“ zu einem sinnvollen politischen Ziel. Nun beschwören also unsere Politiker weiterhin das 1,5 Grad-Ziel, und die Klimaforschung passt sich opportunistisch an. Die Klimamodelle lassen sich ja „kalibrieren“. Man kann zum Beispiel mehr negative Emissionen einbauen, um doch noch erreichbar scheinende CO2-Absenkungspfade zu erhalten.

Niedrige Motive – strategisches Kalkül

Die am Kantonsgericht Zug eingeklagte Schadenssumme beträgt bloss rund CHF 14’000. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass es in der Klage um etwas Grösseres geht. Damit gelangen wir zu den niedrigen Motiven. Das strategische Kalkül solcher Klagen ist offensichtlich. Das HEKS will mithelfen, mit der Klage gegen Holcim weltweit medial Aufmerksamkeit zu erregen und Gerichtsurteile zu provozieren, die als Präzedenzfälle Schule machen. Das HEKS verfolge mit der Klage eine öffentlichkeitswirksame Strategie, indem es sich für die kleinsten Opfer des Klimawandels einsetze und auf eine breite Medienunterstützung hoffe, schrieb die NZZ. Da der Fall wie ein Kampf von David gegen Goliath erscheine, werde die Debatte emotionalisiert und weltweite Sympathie gewonnen.

Das Engagement des HEKS in dieser Sache, typisch für heutige kirchliche Politik, kommt auf dem moralischen Hochsitz daher, ist aber bei genauer Betrachtung das Gegenteil. Dazu gehört der Versuch, demokratische Entscheidungsprozesse durch den Weg über Gerichte zu umgehen. Das Bonmot von Edward Gibbon kann uns nicht nur in diesem Fall davor bewahren, in der politischen Debatte auf moralisch aufgeplusterte Argumente hereinzufallen.

Dieser Text erschien am 13. Februar 2023 in der Online-Publikation „Nebelspalter“.