Im März ein neuer Merz

Grenzüberschreitender Reputationsschaden für die Demokratie

Alles, was in Deutschland als extravagantes demokratiepolitisches Schauspiel zur Deblockierung der Schuldenbremse in jüngster Zeit ablief, konnte man in den Medien bereits ausführlich erfahren. Weshalb sollte man also nochmals über dieses Thema lesen – und erst noch von einem Blogger, der gegenüber einem Berliner Korrespondenten einer wichtigen Zeitung oder TV-Station einige Informationsdefizite hat?

Mein Blick aus der Ferne
Nun, vielleicht habe ich aus der Ferne eine etwas andere Perspektive. Dies beginnt damit, dass ich der deutschen Politik seit dem Ende der Ampel-Koalition, unabhängig von Inhalten, einen hohen Unterhaltungswert attestiere. Die emotionalen Ausschläge sind überdurchschnittlich, und die amerikanischen Beiträge wichtiger Figuren aus Washington machten die Zeit bis zu den Wahlen auch nicht langweiliger, ganz im Gegenteil. Schweizer Politik kann da nicht mithalten, ausser es geht gerade wieder einmal eine ikonische Schweizer Firma den Bach runter. Dann telefoniert unsere Finanzministerin auch mit Washington! Und London!!

Des weiteren ist ja die Thematik in Deutschland dieselbe, mit der ich mich seit längerem in Bezug auf die Schweiz befasse und dazu auch publiziert habe, zum Beispiel hier. Es geht um die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit unter der Fuchtel einer Schuldenbremse. Wir können somit vergleichen, wie die beiden Nachbarländer damit umgehen. Eines ist NATO-Mitglied, das andere nicht, sondern bloss das Loch im NATO-Donut.

Also dann hier nochmals zur Erinnerung. Die vorgesehene Änderung des deutschen Grundgesetzes zur Kreditaufnahme ausserhalb der Schuldenbremse ermöglicht Verteidigungsausgaben in praktisch unbegrenzter Höhe und eine 500 Milliarden Euro umfassende Kreditlinie für Investitionen in die Infrastruktur. Davon sind 100 Milliarden Euro für die Bundesländer, und 300 Milliarden hat der Bund zur Verfügung. Die verbleibenden 100 Milliarden Euro sind für den Klimaschutz nach grünen Vorstellungen vorgesehen. Ein Grossteil der Hunderte Milliarden finanziert die Folgen der Versäumnisse und Extravaganzen der deutschen Boomer-Generation. In der Schweiz machen wir gerade ähnliche Erfahrungen, wenn auch auf bescheidenerem Niveau.

Genereller Imageschaden
Dieses weltweit scharf beobachtete Schauspiel einer maximal opportunistischen Strapazierung demokratischer Grundtugenden beschädigt das Ansehen der Demokratie als politische Staatsform ganz generell. Die westlich-europäisch geprägte Demokratie hat in der grossen nicht-demokratischen Welt ohnehin schon einiges von ihrem Glanz verloren. Dort verfolgt man den schleichenden Abstieg der westlichen Demokratien mit besonderem Interesse. Für die jeweiligen Machthaber und ihre zudienenden Cliquen liefert der Westen mit demokratiepolitischen Fehlleistungen willkommene Argumente, um der eigenen Bevölkerung die Überlegenheit des eigenen Systems unter die Nase zu reiben.

Wenn die Schädigung der Demokratie auf Deutschland beschränkt bliebe, könnte man sagen, das sei deren Problem und zur Tagesordnung übergehen. Aber es gibt grenzüberschreitend Spillovers, wenn die noch an den Hebeln der Macht agiernde politische Kaste Deutschlands das System Demokratie in Verruf bringt. Auffallend war, wie zustimmend es nach den Beschlüssen des Bundestags in Brüssel oder EU-Hauptstädten klang, obwohl dort gerne immer wieder Regierungen in EU-Ländern gemassregelt werden, die nach Brüssels Auffassung undemokratisch sind. Dabei haben all diese Regierungen ein Wählermandat, was für die nur noch wenige Tage währende Ad-hoc-Koalition der Merz-CDU/CSU mit der Rest-Ampel aus SPD und Grünen zweifelhaft erscheint.

Lehren für die Schweiz
Der zweite Punkt, den ich erwähnenswert finde, hat mit einem meiner Hauptthemen der jüngsten Zeit zu tun: Wie finanziert man die Aufrüstung der Armee – in Beachtung der Schuldenbremse und damit abhängig vom konjunkturellen Auf-und-ab oder ausserhalb der Schuldenbremse durch Kreditaufnahme des Staates? Deutschland hat jetzt gerade vorexerziert, was in der Schweiz auch geschehen würde, wenn man die Schuldenbremse zugunsten der Nachrüstung der Armee aufweichen würde. Bestimmt kämen massive Kompensationsforderungen der armeekritischen linken Parteien und der Gewerkschaften, die ohnehin die starre Schuldenbremse durchlöchern wollen, um ihre eigenen Steckenpferde zu finanzieren, die da zum Beispiel sind: sozialpolitisch begründete höhere Ausgaben in der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen, eine hoch subventionierte „ökosoziale Energiewende“, ein beschleunigter Ausbau des bei weitem nicht kostendeckenden öffentlichen Verkehrs oder ein staatlich ausgebautes und/oder finanziertes Kinderkrippenwesen.

Die Risiken des Vorgehens nach deutschem Muster sieht man an den grossen Konzessionen, welche die CDU/CSU den Wahlverlierer-Parteien zugestehen musste. Aber in der Schweiz wäre es nicht viel anders. Wie ich in früheren Blogartikeln bereits geschrieben hatte, ist aus ökonomischer Sicht die Unterstellung des langfristig-strategischen Projekts der Armeeaufrüstung unter das konjunkturabhängige „Einjahres-Instrument“ der Schuldenbremse mit ihren nicht prognostizierbaren Wirkungen unsinnig. Weil aber die politische Mechanik der ausgleichenden Konzessionen bei uns sehr ähnlich spielt wie in Deutschland, werden wir damit leben müssen, dass die Nachrüstung der Armee unter den Zwängen der Schuldenbremse viel länger dauern wird, als dies von nicht-linker Seite gefordert wird.

Kollateralschäden der „Brandmauer“
Ein dritter Punkt ist auch noch erwähnenswert. Die Konzession an die Zustimmung der Grünen im Bundestag ist in die Formel „zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ gegossen. Nun prägt also eine 11,6-Prozent-Partei weiterhin die Energie- und Klimapolitik. Was Klimaschutz nach grünen Vorstellungen in Deutschland bereits an Schäden angerichtet hat, lässt sich seit längerer Zeit am lebenden Objekt beobachten. Mehr vom Gleichen ist eigentlich genau das, was Neuwahlen verhindern sollten. Eine Rückkehr zu einer rationaleren Energie- und Klimapolitik war angesagt, auch von Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Nun wird mit hoher Wahrscheinlichkeit alles gleich weitergehen wie bisher, auch mit den grenzüberschreitenden Folgen für die Nachbarländer. Die schwedische stellvertretende Ministerpräsidentin Ebba Busch hat sich dazu schon freundlich, aber umso deutlicher geäussert (hier).

Die Dummheit, als einzelnes Land mit marginalem Anteil an den Treibhausgas-Emissionen etwas derart Illusorisches wie Klimaneutralität bis 2045 im neuen Artikel 143h 1in das Grundgesetz zu schreiben, kann man aus Schweizer Sicht kritisieren, obwohl wir mit der Zustimmung des Stimmvolks zum Klimaschutzgesetz im Juni 2023 mit „netto null 2050“ eine fast vergleichbar träumerische Wunschvorstellung gesetzlich verankert haben. Artikel 3 Abs. 1 lautet: „Der Bund sorgt dafür, dass die Wirkung der in der Schweiz anfallenden von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 Null beträgt.“ Jedoch fehlt hierzulande die deutsche Absolutheit. Erstens steht das „netto null 2050“-Ziel nicht in der Bundesverfassung, und zweitens relativiert Artikel 3 Abs. 4 immerhin die Reduktionszwischenziele mit einer pragmatischen Formulierung: „Die Verminderungsziele müssen technisch möglich und wirtschaftlich tragbar sein.“ Das Endziel „netto null“ kann man auch als Verminderungsziel betrachten, also müsste Artikel 3 Abs. 4 eigentlich weitere Klagen der Klimaseniorinnen in Strassburg aussichtslos erscheinen lassen.

Tröstlich ist, dass eine derart unwürdige Demokratiefarce, wie sie eben im neuen Merz-Deutschland vor aller Welt aufgeführt wurde, in unserem System schlicht unmöglich ist.

  1. Der Microsoft Copilot bestätigt: Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 ist tatsächlich im Grundgesetz verankert worden. Es wurde im Rahmen der Änderungen zur Lockerung der Schuldenbremse und der Schaffung eines Sondervermögens explizit aufgenommen. Konkret wurde ein neuer Artikel 143h eingefügt, der besagt, dass der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 schaffen kann. Zuvor war dieses Ziel nur im Klimaschutzgesetz festgelegt, das die Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2045 auf Netto-Null vorschreibt. Mit der Aufnahme ins Grundgesetz hat das Ziel nun eine stärkere rechtliche Verankerung erhalten. ↩︎

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