Das Referendum vom 14. Juni 2015 gegen das revidierte Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) scheiterte hauchdünn: 49,92 Prozent stimmten dagegen. Solche Fast-50-zu-50-Resultate belasten den Zusammenhalt des Landes bestimmt mehr, als ein abgespeckter Medien-Service-Public von Staates Gnaden. In diesem Fall erleben wir eine Art umgekehrten Röstigraben. Die welschen Kantone entschieden das Referendum mit ihren recht deutlichen Ja-Mehrheiten. Sie wurden für einmal nicht von den Deutschschweizer Kantonen majorisiert, sondern das Gegenteil war der Fall – mit dem Unterschied, dass die Mehrheit der Kantone von einer Minderheit quasi minorisiert worden ist.
Meinungsforscher Claude Longchamp sagte am Schweizer Fernsehen klipp und klar: „Das ist eine gespaltene Schweiz“. Und recht hat er. Das zuvor letzte Beispiel, das die Schweiz offensichtlich massiv spaltet, war die knappe Zustimmung von 50,3 Prozent zur Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014. Ein weiteres Beispiel der jüngeren Zeit: Im Jahr 2008 hatte die Unternehmenssteuerreform II eine Zustimmung von bloss 50,5 Prozent erzielt und hatte danach wegen unterschätzten Steuerausfällen ein heftiges parlamentarisches Nachspiel, welches das politische Klima trotz formellem Abschluss des Konflikts weiterhin belastet.
Das schwerwiegendste Beispiel für die spaltenden Folgen einer Volksabstimmung ist aber das von einem dilettantisch agierenden Bundesrat verkorkste EWR-Referendum vom Dezember 1992. 50,4 Prozent der Stimmenden lehnten damals den Beitritt zum EWR ab. Selbst wenn diese Abstimmung an einem Ständemehr gescheitert wäre, hätte ein Volksmehr für den EWR danach mit grosser Wahrscheinlichkeit den historischen Aufstieg der Blocher-SVP nicht dermassen gefördert wie der totale Triumph des doppelten Neins. Dieser Aufstieg hat massgeblich zur Polarisierung der schweizerischen Politik beigetragen. Das EWR-Referendum markierte eine nachhaltige Wende im Gebrauch der direkten Volksrechte. Heute ist es völlig normal, dass Bundesratsparteien Initiativen lancieren und Referenden ergreifen oder unterstützen, die sich gegen die offizielle Politik von Bundesrat und Parlament wenden. Die Unregierbarkeit der Schweiz nimmt zu, weil den repräsentativen Organen ihre Agenda immer mehr plebiszitär aufgezwungen wird.
Fragt sich nur, ob sich solche hauchdünnen Zustimmungen oder Ablehnungen von Vorlagen künftig häufen werden. Jedenfalls demonstrieren sie mit ihren spaltenden Auswirkungen einen problematischen Aspekt der direkten Volksrechte. Doch wenn man über mehr oder weniger direkte Demokratie debattiert, sollte man den grossen Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Oft lautet die grundsätzliche Frage nicht, ob etwas mehr oder weniger direkte Volksrechte, sondern: Wieviel Staat bzw. Politik und wieviel Markt, Wettbewerb und persönliche Wahlfreiheit. Womit wir wieder zurück zur RTVG-Abstimmung gelangen. Die angekündigte Debatte um den „Service Public“ im Medienbereich wird hoffentlich die Gewichte unter dem Eindruck der durch das Referendum gespaltenen Schweiz wieder etwas mehr in Richtung Markt und Wettbewerb verschieben. Denn Umverteilung zugunsten der Sprachminderheiten über die Medienpolitik zu betreiben, ist äusserst ineffizient und gibt der Politik viel zu grossen Einfluss.
Die starke Politisierung der Medienlandschaft durch die Vorzugsstellung einer staatlich eingerichteten und gehätschelten SRG ist auch der Hauptgrund, weshalb die Schweiz auf internationalem Parkett im Medienbereich keine Rolle spielt. Ein privates schweizerisches Pendant zu Luxemburgs RTL oder anderen grossen dynamischen Medienunternehmen des Auslands konnte sich im föderalistisch politisierten schweizerischen Medien-Biotop nie entwickeln. So muss sich die SRG heute mit der Überstrapazierung der Service-Public-Ideologie mithilfe der Politik in defensiver Rolle gegen die mächtige Konkurrenz ausländischer Medien zu behaupten versuchen.