Das einfachste Rezept, die Stimmbeteiligung zu erhöhen

In einem kürzlich publizierten Blog-Beitrag „Ein Land Im Partizipationsfieber“ kommentierte ich aus kritischer Warte das Projekt „Bevölkerungsräte“ des Zentrums für Demokratie Aarau ZDA. Als eines der Hauptziele von „Bevölkerungsräten“ nannten die Initianten eine höhere politische Partizipation. „Bevölkerungsräte“ wurden mit der Erwartung verbunden, sie könnten dazu beitragen, die niedrige Stimmbeteiligung zu erhöhen, die jedoch bei eidgenössischen Volksabstimmungen in den vergangenen rund 50 Jahren wieder leicht angestiegen ist. Das Bundesamt für Statistik zeigt folgende Werte:
- Durchschnitt 1971 – 1990: 40,9 Prozent
- Durchschnitt 1991 – 2010: 44,1 Prozent
- Durchschnitt 2011 – 2024: 47,1 Prozent
Wie dem auch sei, wozu noch mehr halboffizielle Institutionen ohne Wirkungsnachweis, wenn wir doch in der Schweiz ein leuchtendes Beispiel dafür haben, welch einfache Massnahme die Stimmbeteiligung nachhaltig in die Höhe treiben könnte?
Sechs Franken Busse
In der Spalte „Fakten statt Meinungen“ präsentierte das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik IWP in der Weltwoche jüngst Folgendes: „Wer im Kanton Schaffhausen nicht abstimmt, bezahlt eine Busse von 6 Franken. Die Wahlbeteiligung lag 2023 bei 61,6 Prozent und damit über dem Schweizer Durchschnitt von 46,7 Prozent.“ Auch ohne aufwendige Tests zur Neutralisierung anderer Einflüsse auf die Stimmbeteiligung kann man annehmen, dass eine so grosse Diskrepanz von 15 Prozentpunkten statistisch signifikant ist. Wir haben es mit einer ökonomischen Grunderkenntnis zu tun: Menschen reagieren auf Anreize, vor allem auch auf finanzielle.
Wer glaubt, sechs Franken seien doch zu wenig, um eine solche Wirkung zu entfalten, dem rufe ich die Erfahrung mit den kleinen Plastisäckchen im Detailhandel in Erinnerung. In der Schweiz gab es ab November 2016 eine Gebühr von fünf Rappen für Einweg-Plastiksäckchen. SRF meldete ein Jahr nach der Einführung der Gebühr einen Rückgang des Verbrauchs an solchen Säckchen um sage und schreibe 80 Prozent. Grund dafür sei weniger die Höhe des Preises, als die Tatsache, dass die Säcke überhaupt einen Preis erhielten, meinte SRF-Wirtschaftsredaktorin Denise Joder-Schmutz und schob nach, es sei nicht allein der bescheidene Preis, der wirke, sondern die Leute änderten ihr Verhalten, wenn etwas plötzlich nicht mehr gratis sei.
Bei Abstimmungen und Wahlen im Kanton Schaffhausen sehen wir ein vergleichbares Phänomen. Nicht abstimmen ist nicht mehr gratis, sondern kostet etwas. Der Anreiz, an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen, scheint auch mit einer so niedrigen Busse deutlich zu steigen. Im Kanton Schaffhausen hat das Stimmvolk diese milde Form von Stimmpflicht mehrmals bestätigt. Das Beispiel Schaffhausens hat trotzdem nicht Schule gemacht. Kein anderer Kanton hat eine solche Regelung eingeführt, obwohl die Anreizwirkung überzeugend erscheint.
Widerwille gegen (finanzielle) Anreize
Gegen finanzielle Anreize herrscht auf verschiedenen Gebieten ein allgemeiner Widerwille. Ganz ausgeprägt ist dies beim Kampf gegen den notorischen Organmangel bei Transplantationen der Fall. Selbst die Reziprozitätslösung von Ökonomen unter dem Motto „gibst du mir, so geb ich dir“ stösst in Politik und Öffentlichkeit auf breite Ablehnung, obwohl sie keine finanziellen Motive anspricht und grosse Wirkung verspricht. Dabei hätten für Transplantationen diejenigen Leute Vorrang, die sich selbst zuvor als Organspender registrieren liessen. Der Anreiz, sich als Spender zu registrieren, würde damit möglicherweise so weit erhöht, dass der Organmangel verschwindet.
Viele Leute halten es offenbar auch für problematisch, ja unethisch, die politische Beteiligung der Leute durch Bussen erhöhen zu wollen bzw. die Nichtbeteiligung finanziell zu ahnden. Doch wenn es einem mit der Erhöhung der Bürgerpartizipation in Wahlen und Abstimmungen wirklich ernst ist, ist es unlogisch, einen über lange Zeit bewährten Ansatz einfach aus „moralischen“ Gründen auszuschliessen.
Falls es Einwände gegen die Schaffhauser Lösung gibt, bitte unbedingt Widerspruch anmelden und dazu das Kommentarfeld benützen. Vielleicht lässt sich daraus ein Ranking erstellen. Ich hätte eine Kritik, behalte sie aber vorderhand für mich.