Corona-Politik: Unbedingter Gesundheitsschutz?

Schädlicher Fallzahlen-Fetischismus des Bundesrats

In der ersten Corona-Welle vor einem Jahr schrieb ich in meinem Blog einen Kommentar, der heute noch gilt:

Kaum ein europäisches Land hat …… nach Risikogruppen abgestufte Einschränkungen verordnet. Es läuft eine Art internationaler Interventionswettlauf der Nationen. Und es gilt das in der Politik beliebte Gerechtigkeitsprinzip „gleicher Fit für alle“. Also legt man kurzerhand die ganze Gesellschaft lahm. Dabei werden grosse Einbussen an persönlicher Freiheit und enorme wirtschaftliche Verluste in Kauf genommen. Niemand weiss, wie lange ein solcher Shutdown überhaupt durchzuhalten ist. Was die wirtschaftlichen Verluste betrifft, ist der Prozess irgendwie paradox. Zuerst verursacht die pauschale Quarantänen-Politik des Staates einen potenziell massiven wirtschaftlichen Einbruch praktisch quer durch fast alle Branchen, und dann spricht derselbe Staat gigantische Stützungspakete für alle möglichen Opfer seiner Politik.“

Im neuen schlumpf&rentsch-Podcast diskutiere ich mit Martin Schlumpf die schweizerische Anti-Corona-Politik gegen die drohende dritte Welle, also die aktuelle Hüst-und-Hott-Politik mit dem jüngst verlängerten Lockdown „light“. Zuerst werden die vier Kriterien kritisch diskutiert, die vom Bundesrat definiert worden sind und die für eine Lockerung in Wirtschaft und Gesellschaft erfüllt sein müssen. Ausführlich werden danach Todesfallzahlen in den Corona-Wellen eins und zwei nach Altersgruppen genau unter die Lupe genommen. Dies führt zu den nicht zu vermeidenden Kosten-Nutzen-Fragen: Welche Kosten soll oder will die Gesellschaft generell angesichts beschränkter Ressourcen in Kauf nehmen, um Menschenleben zu retten? Und Corona-, d.h. Risiko-spezifisch: Welche Opfer darf man der aktiven Generation der unter 65-jährigen aufbürden, um eine statistisch berechenbare, eher beschränkte Zahl an Lebensjahren bei den über 65-Jährigen zu gewinnen.

Massen-PCR-Tests als Grossrisiko

Wahllose Ausweitung der Testerei ändert nichts an der enormen Fehlerquote

Der Bundesrat hat, als Reaktion auf den Anstieg der COVID19-Ansteckungen, vor einigen Tagen eine Erhöhung der Anzahl PCR-Tests auf 50’000 pro Tag gefordert. Der Basler Wirtschaftsprofessor Stefan Felder kritisierte diese Massentesterei unter dem Titel „Pastor Bayes kriegt die Krise“ im WWZ-Blog mit folgendem einleitendem Absatz:

„Wie die umliegenden Länder setzt die Schweiz bei der Bekämpfung der Sars-Cov-2- Epidemie auf Massentestung. Täglich werden derzeit knapp 10’000 sogenannte PCR-Tests durchgeführt. Kapazitäten sind für 25’000 Tests vorhanden. Bundesrat Berset will sie mit Blick auf die Grippesaison noch verdoppeln. Er peilt 50’000 Testungen pro Tag an. Würde das umgesetzt, käme es zu einer wahllosen Überdiagnostik – Personen mit Schnupfen überlaufen bereits heute die Arztpraxen. Selbst bei der derzeitigen Testanzahl wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet. Der Gesundheitsminister und seine Experten fallen durch den Bayes’ Test. Da sind sie leider nicht die Einzigen – eigentlich erstaunlich, wurde das Theorem des presbyterianischen Pastors Bayes doch bereits 1764 publiziert.“

Den ganzen Blog-Beitrag von Stefan Felder finden Sie hier: https://unibaswwzfaculty.blog/2020/10/02/pastor-bayes-kriegt-die-krise-massentestung-auf-corona/

Wer den WWZ-Blog-Beitrag zu statistisch-abstrakt findet, wird bestimmt aus dem folgenden Zahlenbeispiel schlau (in Anlehnung an Stefan Felder). Ich nehme die Berset’schen Massentests von täglich 50’000 Tests. Da dies eine grosse Stichprobe der ganzen Bevölkerung darstellt, ist die tägliche Infektionsrate in der Sichprobe gleich wie in der Gesamtbevölkerung. Felder rechnete mit einer sehr grossen Dunkelziffer, um mit seinen Aussagen auf der sicheren Seite zu stehen. Er ging von einem durchschnittlichen Infektionsrisiko von 0,04% aus. Das wären täglich 3’400 Neuinfizierte. Als Testeigenschaften gelten gemäss Felder, dass der gängige PCR-Test 83% der Virusträger und 97,6% der Nicht-Infizierten korrekt erkennt. Das ergibt folgende Berechnung:

Wichtig sind die fett und kursiv gesetzten Zahlen: Von 1’217 als positiv Getesteten sind nur 17 korrekt als infiziert erkannt – ein geradezu schreiendes Missverhältnis. Trotz kleiner Fehlerquote des PCR-Tests bei den Nicht-Infizierten führt die grosse Zahl zu 1’200 fehlerhaft positiv Getesteten mit all den unangenehmen Folgen für die direkt Betroffenen, aber potenziell auch für Personen, mit denen sie in Kontakt waren.

Man fragt sich, welche Logik im zuständigen Bundesamt für Gesundheit BAG gilt, das Bundesrat Berset berät.

„Distorted perceptions of risk“

Lieber Bundesrat: Die Leute werden nach Aufhebung des Shutdowns keine Gastbetriebe stürmen, um nachzuholen, was sie verpasst haben!

Wuhan, 14. April 2020: Vergebliches Warten auf Gäste (Bildquelle: Bloomberg Businessweek)

Im liberal-libertären Ökonomen-Blog EconLog schrieb der regelmässige Blogger Scott Sumner unter dem Titel „Distorted perceptions of risk“ über die verzerrte Risikowahrnehmung im Verlauf der COVID19-Epidemie. Er zitiert zunächst ohne Quellenangabe eine verhaltensökonomische Studie, die gezeigt haben soll, dass die meisten Menschen ungefähr gleich auf Risikofaktoren von 10%, 1% und 0,1% Eintretenswahrscheinlichkeit reagieren.

Dann meint Sumner, wir als Individuen hätten zunächst auf die Epidemie zu wenig reagiert (die Politik bekanntlich auch). In einer zweiten Phase dagegen sei es dann zu einer Überreaktion der Leute gekommen, in erster Linie aus Eigeninteresse (sicher beeinflusst durch Berichte aus Politik und Medien). Aus sozialer Perspektive sei diese Überreaktion positiv zu werten, weil unvorsichtiges Verhalten mit negativen Externalitäten verbunden sei.

Sumner wirft dann die Frage auf, wie viel staatliche Verbote und politische Einschränkung der individuellen Freiheiten wirklich notwendig seien, wenn sich doch die Menschen aus Eigeninteresse selbst schützen wollen und „social distancing“ betreiben, ohne dass ihnen der Staat dies unter Androhung von Strafe befiehlt. Weil uns ja Wuhan in Sachen Corona-Virus immer einen Schritt voraus ist, lohnt sich ein Blick auf die dortigen Umstände im Zuge der schrittweisen Rückkehr zu einer neuen Normalität. Dazu zitiert Sumner den fetten Titel eines Berichts auf Bloomberg Businessweek: Wuhan’s 11 Million People Are Free to Dine Out. But They Aren’t.

Falsche und echte Profiteure der Corona-Krise

Die Bauern
Schon kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie in der Schweiz las man in der SVP-nahen Zeitschrift „Die Weltwoche“, wenn die Grenzen geschlossen würden und jedes Land nur noch für sich selber schaue, sollten wir froh sein um unsere Bauern, die unsere Ernährung sicherstellen. Was intuitiv einleuchten mag, ist trotzdem falsch. Von Februar bis April wächst hier nicht viel auf den Feldern. Und die Lager aus den Ernten des Vorjahres dürften kaum länger ausreichen. Das ist aber gar nicht der wesentliche Punkt. In den Läden des Detailhandels kann jedermann leicht die Herkunft all der frischen Nahrungsmittel (Gemüse, Früchte) überprüfen. Vieles kommt wie seit eh und je aus dem südeuropäischen Ausland oder aus Übersee. Die Schiffs-, Bahn-, Lastwagen- und Lufttransporte funktionieren offenbar immer noch genügend. Das Hauptproblem ist in südeuropäischen Ländern nun zunehmend das Fehlen der Hunderttausende von ausländischen billigen Erntehelfern, die sich, etwa in Italien, zum Teil schwarz im Land aufhalten und arbeiten, jetzt aber „immobilisiert“ sind.

Solche ausländischen Probleme ändern aber rein gar nichts an der schweizerischen Grundsituation. Da die Schweiz, in Kalorien ausgedrückt, rund 45 Prozent der Nahrungsmittel einführen muss, weil die beschränkte landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz für eine wachsende Bevölkerung trotz intensivster Bewirtschaftung gar nicht mehr hergibt, ist jeder Gedanke an mehr agrarische Autonomie ein Hirngespinst. Entscheidend für die sichere Versorgung der schweizerischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln im Krisenfall sind eine nach Herkunft diversifizierte Beschaffung sowie eine hohe Zahlungsfähigkeit, die nur eine erfolgreiche Integration in die internationalen Waren- und Dienstleistungsmärkte garantieren kann. Aus dieser Risikoperspektive müssen auch Projekte von Freihandelsabkommen mit typischen Agrarexportländern (Mercosur, USA) beurteilt werden.

Die SRG
Der Bundesrat hatte vor dem Referendum vom Juni 2015 über das umstrittene Radio- und Fernsehgesetz RTVG aus Sorge vor einer Niederlage für die SRG einen Plafond von 1,2 Mrd. Franken pro Jahr aus der auf Firmen ausgedehnten Empfangsgebühr (Haushalts- bzw. Unternehmensabgabe) festgelegt. Unter dem Eindruck des Zittersieges mit dem Zufallsergebnis mit 50,08% JA-Stimmen beschloss der Bundesrat 2017, dass überschüssiges Geld zu einer Senkung der Empfangsgebühren führen müsse.

Doch schon Anfang dieses Jahres, vor Ausbruch der Corona-Pandemie, forderten Vertreter von Mitte-Links-Parteien wieder mehr Geld für die SRG, weil die Werbeeinnahmen rückläufig seien. Die SRG sei sehr wichtig für die Medienvielfalt und den Service Public. Weil mit der Haushalts- und Unternehmensabgabe mehr Geld als erwartet eingenommen werde, könne man den Plafond gut anheben. Nun hat der Bundesrat in einer Aktion der Neuverteilung von „überschüssigen“ Mitteln aus den Abgaben der Haushalte und der Unternehmen kurzerhand beschlossen, der SRG 50 Millionen zusätzlich zukommen zu lassen. Er benützt offenbar eine Corona-getriebene SRG-Sympathiewelle in der Bevölkerung, um frühere Versprechen einfach zu brechen.

Der Bundesrat und unsere SRG-freundlichen Volksvertreter müssten einmal die VOTO-Analyse zur No-Billag-Initiative lesen. Rund die Hälfte der Initiativ-Gegner (!) gab an, dass die SRG zu gross und zu teuer geworden sei und künftig ihr Angebot reduzieren solle. Doch ungeachtet dessen wird die Übermacht der SRG mit allen Mitteln verteidigt. Anderseits kann man sich dann mit staatlicher Förderung der privaten Medien in Szene setzen, die bekanntlich auch durch den Moloch SRG in Bedrängnis geraten ist.

Jetzt, da der Staat und die Politik unser Leben bestimmen, gebärden sich die SRF-Kanäle praktisch ausschliesslich als Sprachrohr der politischen Behörden. Die Bezeichnung „Staatsmedien“ war kaum je so berechtigt.

Die Forschung
In der wissenschaftlichen Forschung kann man dagegen auf einen positiven Effekt aus den Erfahrungen mit der Corona-Krise hoffen – auf die Entzauberung der „peer-review“-Forschung. Zwei Schwachstellen werden zu Recht immer wieder angeprangert. Wir haben erstens ein Insider-Outsider-Problem. „Peer-review“-Insider versuchen, kritische Forschung, die keinen Peer Review-Prozess durchlaufen hat, zu marginalisieren. Ausgeprägt ist dies in der Klimaforschung der Fall, wo die IPCC-nahen Forscher eine Art Kartell der „peer-review“-Community gegen kritische Kollegen bilden. Zweitens bietet der „peer review“-Prozess Gutachtern auch die Möglichkeit, Konkurrenten mit einem abwertenden Gutachten zu schaden.

Der hektische multidisziplinäre Forschungsaktivismus zur Bewältigung der Pandemie erlaubt unter dem grossen Druck, möglichst rasch Ergebnisse zu liefern, kein Vorgehen nach den etablierten Standards. Statt auf dem Umweg über „peer reviews“ wurden und werden Forschungsarbeiten in einem „open access“-Verfahren einfach ins Netz gestellt und so einer breit aufgestellten Kritik auch von (angeblichen) Nicht-Experten ausgesetzt. Und siehe da – es funktioniert! Man kann nur hoffen, dass diese positive Corona-Erfahrung in der wissenschaftlichen Forschung das „peer review“-Dogma generell aufweichen wird.

Mit den Waffen der Statistik?

Zu den Versuchen, eine optimale Anti-COVID19-Politik zu „berechnen“

Die Politik erwartet von den Experten, vor allem aus den Fachkreisen von Emidemiologie und Ökonomie, datengestützte Schätzungen über das optimale Vorgehen gegen die Pandemie. Es geht um das Abwägen zwischen den schädlichen Folgen der Corona-Seuche und den Opfern und Kosten des gesellschaftlichen Shutdowns.

Unsichere Annahmen – stark abweichende Ergebnisse
Wer sich in den letzten Wochen über Testergebnisse, Infektionsraten und Mortalität in verschiedenen Ländern zu informieren suchte, dürfte eher verwirrt als aufgeklärt sein. Einerseits liegt dies an der grossen Zahl von journalistisch aufbereiteten Berichten aus verschiedensten Quellen. Anderseits liest man von stark abweichenden Ergebnissen aus fundierten Studien mit modellierten Krankheitsverläufen. Der bekannte „Undercover Economist“ Tim Harford hat als regelmässiger Kolumnist in der Financial Times dazu interessantes Material geliefert, auf das ich mich nachstehend teilweise stütze.

Eine neue Studie der Universität Oxford gelangt zu fast unglaubhaft beruhigenden Ergebnissen, dies jedoch aufgrund sehr optimistischer Annahmen über den Verlauf von COVID19. Die Autoren nehmen an, dass die meisten Infektionen so mild verlaufen, dass sie behördlich nicht erfasst und vielleicht von den Erkrankten gar nicht bemerkt wurden. Die Annahme einer hohen Dunkelziffer bedeutet, dass ein Grossteil einer Bevölkerung nach einigen Woche bereits infiziert und inzwischen bereits wieder geheilt und wahrscheinlich gegen Corona-Viren immunisiert ist. Aufgrund dieser „Eisberg-Theorie“ kommt man statistisch auf eine sehr niedrige Mortalitätsrate, weil die Grundgesamtheit unter Einschluss einer hohen geschätzten Dunkelziffer sehr gross ist. Dies würde erlauben, rigorose Massnahmen gegen die Ausbreitung von COVID19 relativ rasch wieder aufzuheben.

Nun gibt es natürlich Studien, die bei weitem nicht so optimistische Annahmen treffen. Experten des Imperial College in London, die ebenfalls Krankheitsverläufe statistisch modellierten, warnten, dass es ohne aggressive politisch verordnete Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens in Grossbritannien eine halbe Million COVID19-Sterbefälle geben könnte.

Auf der Website „Marginal Revolution“ findet sich schliesslich ein Eintrag des US-amerikanischen Ökonomen Tyler Cowen, der die Schlussfolgerung einer Studie des American Enterprise Institute – AEI paper by Anna Scherbina – zitiert, ohne sich damit zu identifizieren. Geschätzt wird darin die optimale Länge einer strikten COVID19-Verhinderungspolitik aufgrund von drei unterschiedlichen Annahmen über die Infektionsrate. Die Ergebnisse für die USA sind eher ernüchternd, so dass man hoffen muss, die Realität werde die Studie widerlegen:

We investigate the optimal duration of the COVID-19 suppression policy. We find that absent extensive suppression measures, the economic cost of the virus will total over $9 trillion, which represents 43% of annual GDP. The optimal duration of the suppression policy crucially depends on the policy’s effectiveness in reducing the rate of the virus transmission. We use three different assumptions for the suppression policy effectiveness, measured by the R0 that it can achieve (R0 indicates the number of people an infected person infects on average at the start of the outbreak). Using the assumption that the suppression policy can achieve R0 = 1, we assess that it should be kept in place between 30 and 34 weeks. If suppression can achieve a lower R0 = 0.7, the policy should be in place between 11 and 12 weeks. Finally, for the most optimistic assumption that the suppression policy can achieve an even lower R0 of 0.5, we estimate that it should last between seven and eight weeks. We further show that stopping the suppression policy before six weeks does not produce any meaningful improvements in the pandemic outcome.

Neben den Annahmen über die Dunkelziffer haben somit auch die zugrunde gelegten Infektionsraten einen entscheidenden Einfluss auf die Wahl eines optimalen trade-offs politischen Handelns. Was meines Wissens auch noch mit Unsicherheit behaftet ist, sind die Daten über Sterbefälle durch Corona-Infektion. Unter den fast ausschliesslich alten tödlichen Opfern gab es bekanntlich auch viele, die nicht an, sondern mit einer COVID19-Infektion starben und in den COVID19-Sterbefällen mitgezählt wurden.

Testaktivismus: Föderalismus als Handicap
So steht also die Politik vor der undankbaren Aufgabe, aus all diesen unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Expertenmeinungen die richtigen Massnahmen zu beschliessen und glaubhaft zu vermitteln. Um die Datenlage zugunsten der Politik zu verbesssern, schlug deshalb der prominente Verhaltensökonom Ernst Fehr (Universität Zürich) in einem Video-Interview mit der NZZ wiederholte Tests in einer landesweiten Stichprobe von rund 5’000 Personen vor. Daraus liessen sich Unsicherheiten über die Zahl der bereits Infizierten bzw. Genesenen (inkl. Dunkelziffer), über Infektionsraten und Ausbreitungsgeschwindigkeit sowie über die Mortalität reduzieren, und der Politik stünde eine bessere Datengrundlage für ein optimales Vorgehen zur Verfügung. Dieser Ansatz führt automatisch zum Kampfruf „testen, testen, testen!“, eine Politik, die Südkorea offenbar erfolgreich umgesetzt hat.

Das föderalistisch fragmentierte schweizerische Gesundheitswesen scheint für diesen speziellen Fall für einmal nicht besonders gut gerüstet zu sein. So las man am 3. April auf NZZ online:

In der ganzen Schweiz werden viele neue Testzentren eingerichtet. Vorgegangen wird allerdings uneinheitlich. Im Kanton Bern können sich in einem Drive-in-Testzentrum auf dem BEA-Expo-Gelände alle testen lassen, die den Verdacht hegen, angesteckt worden zu sein. Dafür reicht eine Bestätigung nach dem Ausfüllen eines Online-Fragebogens. Im Kanton Waadt, der schweizweit am meisten Infizierte aufweist, wird nur getestet, wer vom Arzt überwiesen wird. Der Kanton Genf hat vier Testzentren eingerichtet und ein mobiles Team aufgebaut, das Tests im Notfall auch bei Patienten zu Hause durchführen kann. Jan Fehr, Infektionsspezialist der Universität Zürich, warnt jedoch davor, dass jeder Kanton nun für sich agiert: «Wir brauchen keinen Flickenteppich, wir müssen orchestriert vorgehen.»

Gleicher Fit für alle?

Die Politik im Corona-Fieber

Die Schweiz als Land mit der inzwischen zweithöchsten Infektionsrate weltweit nähert sich langsam auf Geheiss von Bundesrat und Behörden der italienischen Total-Quarantäne mit Versammlungs- und Ausgehverboten. Noch sind wir nicht ganz so weit. Aber die Wirtschaft, besonders die gewerbliche der KMU, ist grossenteils lahngelegt. Die Schulen sind geschlossen. Sind diese extremen Einschränkungen, die keinen Unterschied zwischen den Risikogruppen machen, gerechtfertigt?

Besonders aus Asien (China, Korea), aber auch aus Italien gibt es mittlerweile statistische Daten, welche in der NZZ – ausführlich kommentiert – publiziert werden. Eine rationale Politik müsste sich bei massiven Eingriffen in das Leben der Menschen, wie sie jetzt fast überall in Europa angeordnet worden sind, an solchen verfügbaren Daten orientieren. Das tut sie aber offensichtlich nicht, auch weil die Verlautbarungen der Behörden selbst zu grosser Besorgnis in der Bevölkerung beigetragen haben. Also richtet man sich nach den Sorgen und Ängsten in der breiten Bevölkerung. Von den statistischen Daten, welche die NZZ grafisch dargestellt publiziert hat, sind diese besonders erwähnenswert:

  • Die Untersuchung von über 44’000 COVID-19-Fällen in China zeigte, dass bei gut 80 Prozent der Infizierten nur milde Symptome auftraten. Nur bei rund 5 Prozent zeigten sich kritische Symptome. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass (nicht getestete) Corona-Infizierte ohne Symptome gar nicht in der Grundgesamtheit zur Prozentberechnung, also im Nenner, enthalten sind (Stichwort hohe Dunkelziffer).
  • In den Altersgruppen 0 bis 29 betrug die Mortalität in China unter 1 Promille (der erfassten Infizierten, ohne Dunkelziffer). Dann steigt sie auf 1,3 Prozent für die Altersgruppe 50 bis 59. Dann folgt ein steiler Anstieg bis zu einer Letalität von 14,8 Prozent bei den über 80-Jährigen.
  • In Korea war die Mortalität in allen Alterskategorien deutlich tiefer als in China. Das könnte eine statistische Ursache haben, weil Korea früh umfassende Tests einführte und deshalb die Grundgesamtheit der erfassten Infizierten, also der Wert im Nenner der Berechnung, im Verhältnis zu allen Infizierten inkl. Dunkelziffer grösser war als in China.
  • Von 105 untersuchten Todesfällen in Italien betrug das Durchschnittsalter 81 Jahre, alle waren über 70. Praktisch alle hatten mindestens eine bereits bestehende Krankheit, gut 80 Prozent der Verstorbenen hatten drei oder mehr Vorerkrankungen. Die Corona-Erkrankung musste in diesen Fällen nicht einmal der Grund des Ablebens sein. Dieser Befund wird auch in anderen Untersuchungen bestätigt.

Kaum ein europäisches Land hat seine Anti-Corona-Politik aufgrund dieser Erkenntisse gestaltet und nach Risikogruppen abgestufte Einschränkungen verordnet. Es läuft eine Art internationaler Interventionswettlauf der Nationen. Und es gilt das in der Politik beliebte Gerechtigkeitsprinzip „gleicher Fit für alle“. Also legt man kurzerhand die ganze Gesellschaft lahm. Dabei werden grosse Einbussen an persönlicher Freiheit und enorme wirtschaftliche Verluste in Kauf genommen. Niemand weiss, wie lange ein solcher „shut down“ überhaupt durchzuhalten ist. Was die wirtschaftlichen Verluste betrifft, ist der Prozess irgendwie paradox. Zuerst verursacht die pauschale Quarantänen-Politik des Staates einen potenziell massiven wirtschaftlichen Einbruch praktisch quer durch fast alle Branchen, und dann spricht derselbe Staat gigantische Stützungspakete für alle möglichen Opfer seiner Politik. Und wer bezahlt dafür am Ende? Natürlich wir oder unsere Nachkommen als Steuerzahler, denn auch für den Staat gilt: Jeder Franken kann nur einmal ausgegeben werden.