Vorurteile als Ursache für den wachsenden Sozialstaat

Outlet „Mondovicino“ bei Mondovì (Piemont)
Foto nicht an einem Sonntag geschossen, sonst hätte es mehr Leute.
Bei uns in der Schweiz gibt es gerade wieder etwas Lärm um liberalere Regelungen für Sonntagsverkäufe in grösseren Städten mit vielen Touristen. In Italien sind viele Geschäfte, Shopping Centers und Outlets an Sonntagen selbstverständlich geöffnet. Als regelmässiger Besucher des oben abgebildeten Outlets „Mondovicino“ scheint mir der Sonntag angesichts der Menschenmassen und der vollen Parkplätze der beliebteste Einkaufstag der Woche zu sein. Italien ist ein katholisches Land mit ziemlich mächtigen Gewerkschaften.
Dagegen mauern unsere Gewerkschaften beim Thema liberalerer Ladenöffnungszeiten jeweils massiv mit Tränendrüsenargumenten über gestresste und ausgenützte Verkäuferinnen und Kassierinnen, erwartungsgemäss auch jetzt gegen den Vorstoss für eine Liberalisierung des Sonntagsverkaufs. Unterstützung erhalten sie aus anderen Motiven von kirchlichen Kreisen.
Aber auch viele Leute sind für die gewerkschaftlichen Schauergeschichten gegen liberalere Ladenöffnungszeiten empfänglich. In verschiedenen Volksabstimmungen auf Gemeinde- oder Kantonsebene wurden Vorstösse für den Sonntagsverkauf vom Stimmvolk gestoppt. Am Radio hörte ich, wie eine Hörerin fast wörtlich die Gewerkschaftspropaganda wiederholte, als sie in einer Befragung auf der Strasse meinte, mit längeren Ladenöffnungszeiten müssten die Angestellten ja noch mehr arbeiten. Da diese regelmässig wiederkehrende Debatte längst schon viel zu abgelutscht ist, verzichte ich auf die Widerlegung derartiger volldaneben-Argumente.
Erkenntnisse aus zwei Barometern
Interessanter ist die Verallgemeinerung dieser Erfahrung unter dem Titel „überschiessender Altruismus“. Auf diesen trifft man nämlich bei vielen politischen Themen mit einem gewissen Sprengpotenzial durch Moralisierung. Im jährlich erhobenen „Sorgenbarometer“ der plötzlich verstorbenen Grossbank Credit Suisse wurde jeweils nach der eigenen Lage und nach der generellen Lage im ganzen Land gefragt, zum Beispiel zur Sicherheit des Arbeitsplatzes. Dazu kann ich einen Abschnitt aus meinem Buch „Wie viel Markt verträgt die Schweiz?“ zitieren:
Mit anderen Worten: Die Leute haben von den Anderen ein Phantombild von schlechter Gestellten, das mit der Realität gar nicht übereinstimmt. Bei Umfragen zur Wohnsituation zeigt sich regelmässig dasselbe Muster. Die Befragten schätzen ihre eigene Situation klar besser ein als die allgemeine Wohnsituation. Diese Vorurteile lassen sich natürlich gut politisch bewirtschaften. Die Leute neigen zu überschiessenden sozialpolitischen Massnahmen, die nicht auf der Kenntnis der realen Zustände beruht, sondern auf Vorurteilen. Diese Neigung wird verstärkt durch den emotionalen Nutzen, den (vermeintlich) altruistisches Verhalten immer mit sich bringt.
Aktuelle Daten zum hier diskutierten Phänomen liefert auch das „Familienbarometer 2025“. Dort findet man diese Darstellung:
(Quelle: Familienbarometer 2025)
Schauen wir nur auf das Kuchenbild für die ganze Schweiz oben links. 72 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass sich die Situation im Allgemeinen für Familien in den kommenden drei Jahren eher (60 Prozent) oder stark (12 Prozent) verschlechtern wird. Nur 28 Prozent der Befragten sehen eine Verbesserung der allgemeinen Lage der Familien.
Eine weitere Frage betraf das eigene Familienleben:
Dort sagten im Jahr 2025 78 Prozent der Befragten, sie seien mit ihrem Familienleben eher zufrieden (50 Prozent) oder sehr zufrieden (28 Prozent). Auch hier ist die Diskrepanz zwischen der positiven Einschätzung der eigenen Lage und der pessimistischen Sicht der allgemeinen Situation aller anderen sehr ausgeprägt. Und auch hier lassen sich die ins Pessimistische verzerrten Vorurteile in der Bevölkerung vom bunten Familienförderlager politisch bewirtschaften.