In der öffentlichen Meinung herrschen über die Ansichten wichtiger Figuren oft stereotype Floskeln. Nicht immer entsprechen diese den tatsächlichen Haltungen der betreffenden Personen. Das gilt auch für zwei berühmte Ökonomen, von denen mir zwei Aussagen besonders bemerkenswert erscheinen. Hier ein erstes Zitat:
“Nor should the argument seem strange that taxation may be so high as to defeat its object, and that, given sufficient time to gather the fruits, a reduction of taxation will run a better chance than an increase of balancing the budget.”
Hätten Sie gedacht, dass diese Aussage von John Maynard Keynes stammt? Der Lieblings-Ökonom der politischen Linken klingt hier wie ein Vorläufer des „umstrittenen“ Ökonomen Arthur Laffer. Dieser vertrat in den 1980er-Jahren als Berater von US-Präsident Ronald Reagan eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und löste mit seiner Laffer-Kurve eine grosse Kontroverse um den Effekt von Steuersenkungen aus. Doch Keynes war nicht einfach Vorläufer, sondern ein wichtiger Inspirator für Laffer und seine These, wie man auf Wikipedia nachlesen kann.
Ein zweites Zitat scheint mir ebenso bemerkenswert:
„If there is a secret to Asian growth, it is simply deferred gratification, the willingness to sacrifice current satisfaction for future gain. That’s a hard answer to accept, especially for those American political intellectuals who recoil from the dreary task of reducing deficits and raising the national savings rate.“
So begründete der 2008 nobelpreisgekrönte US-amerikanische Ökonom Paul Krugman, der als «liberal» gilt (das heisst in den USA links stehend), im Jahr 1994 den wirtschaftlichen Aufstieg der asiatischen Tigerstaaten mit ihren hohen Wachstumsraten. Der Seitenhieb auf amerikanische politische Intellektuelle erstaunt angesichts von Krugmans heutigen Positionen am meisten. «Deferred gratification» und «reducing deficits» – das klingt doch wohl eher konservativ, und so könnte auch ein sogenannt neoliberaler Ökonom Krugmans Aussagen Wort für Wort unterschreiben.
Nachbemerkung: In den westlichen Wohlfahrtsstaaten – die Schweiz eingeschlossen – ist es schon seit langem völlig undenkbar, in Wahlen Mehrheiten für ein Programm von „deferred gratification“ und „reducing deficits“ zu gewinnen.