Im Kampf um höhere Armeebudgets sind die institutionellen Fesseln stärker
(Bild mit Microsoft Bing erstellt)
Bundesratswahlen sind in der Schweiz Ereignisse, die sich vom alltäglichen politischen Trott durch einen meist überdurchschnittlich hohen Unterhaltungswert abheben. Auch nimmt der Erregungszustand der Medien vorübergehend zu. Die Ersatzwahl für die Mitte-Bundesrätin Viola Amherd brachte überraschenderweise in der Vorwahlperiode eine Kandidatenschau mit ungewöhnlich vielen Absagen. Dies ganz im Gegensatz zur Behauptung, fast alle im Parlament hätten zumindest im Stillen die Ambition, einmal Bundesrat zu werden. Aber das Militärdepartement VBS, verantwortlich für eine weitgehend abgewrackte Armee, schreckte offenbar viele von einer Bundesratskandidatur ab.
Kleines Intermezzo: Blocher macht den Trump
Nun brachte also die Mitte-Partei mit viel Mühe bloss ein Zweierticket mit Markus Ritter, dem forschen Präsidenten des Bauernverbands, und dem wenig bekannten Zuger Regierungsrat Martin Pfister zustande. Dann sorgte aber alt Bundesrat Christoph Blocher (84) mit der ernst gemeinten Ankündigung, er wäre bereit, das Amt noch einmal für zwei Jahre zu übernehmen, um im Militärdepartement VBS aufzuräumen, für zusätzlichen Unterhaltungswert. Blocher machte den Trump, war man angesichts dieses ausgefallenen Vorschlags mit null Realisierungschancen versucht zu sagen.
Über die Zustände im VBS und dessen Zuständigkeitsbereiche hat man in jüngerer Zeit nicht viel Erhebendes gehört oder gelesen: Grosse IT-Projekte, die aus dem Ruder laufen, krisenhafte Zustände in der Luftraumüberwachung, milliardenschwere Beschaffungsrückstände, unterdotierte Einheiten etc. Es gibt also für einen neuen Bundesrat im VBS viel zu tun, um die notwendigen Massnahmen für den Aufbau einer glaubwürdig verteidigungsfähigen Armee politisch auf den Weg zu bringen. Dass man sich für die Wiederherstellung der bewaffneten Neutralität nicht Jahrzehnte Zeit lassen sollte, müsste eigentlich akzeptiert sein. Andernorts, zum Beispiel in Dänemark, hat man die Lage begriffen. „Wir müssen massiv aufrüsten, um Dänemark zu schützen. Und wir müssen massiv aufrüsten, um einen Krieg zu vermeiden“, wird die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in der NZZ zitiert. Mit einem Sonderfonds soll die rasche Aufrüstung untertützt werden.
Sakrosankte Schuldenbremse?
Das Hauptproblem einer raschen Aufrüstung ist für den künftigen Bundesrat Ritter (oder Pfister) institutioneller Natur. Gleich in zweifacher Hinsicht findet er sich in den Fesseln der direkten Volksrechte gefangen. Die starre Schuldenbremse, die eine Kreditfinanzierung der Armeeaufrüstung ausserhalb des normalen Haushalts verbietet, ist durch die Volksabstimmung vom Dezember 2001 demokratisch höchstlegitimiert. Die Zustimmung zur Vorlage betrug sagenhafte 85 Prozent, ein Ergebnis, das allerdings mit dem heutigen Stimmvolk nicht mehr erreicht würde. In einer kürzlichen Umfrage von Sotomo (Barometer Finanzpolitik) gaben nur noch 61 Prozent der Befragten an, dass sie eine Lockerung der Schuldenbremse eher (29 Prozent) bzw. ganz (32 Prozent) ablehnen.
Die Schuldenbremse ist eine recht einfach zu verstehende Ausgabenregel nach einer simplen Formel:
Genau den Gedanken des letzten Abschnitts im Kasten oben hatte ich in einem früheren Beitrag bereits kommentiert. Ich hatte Armeeausgaben als Investitionsausgaben bezeichnet, deren Rendite in der Erhöhung der militärischen Sicherheit besteht, von der künftige Generationen profitieren. Ebenso hatte ich auf den konjunkturellen Charakter der Schuldenbremse verwiesen. Es handelt sich bei der Schuldenbremse um eine Ausgabenregel, die jährlich beim Budget des Bundes für das kommende Jahr anzuwenden ist. Die Abhängigkeit von den geschätzten Einnahmen und vom Konjunkturfaktor unterstreicht die Konjunkturabhängigkeit der Schuldenbremse. Das langfristige Grossprojekt Wiederaufbau der Armee einem solchen kurzfristigen Planungsinstrument zu unterstellen, widerspricht jeder ökonomischen Logik – ausser man betrachtet das Thema durch die polit-ökonomische Brille.
Die Angst vor „Kompensationen“
Die direkten Volksrechte behindern eine Kreditfinanzierung des Armeeaufbaus noch in anderer Weise. Bekanntlich liebäugelt man im linken politischen Spektrum schon lange mit der Aufweichung der Schuldenbremse. Allerdings geht es dort gerade nicht um das Projekt Armeeaufbau, sondern um die Pflege der bekannten linken Steckenpferde: höhere Staatsausgaben für konsumptive Zwecke, Subventionen für eine links-grün gefärbte Energie- und Klimapolitik, Umverteilungen zugunsten der eigenen politischen Kundschaft etc. Es ist klar, dass der Versuch einer Armeefinanzierung ausserhalb der Schuldenbremse die Büchse der Pandora zugunsten von Forderungen nach kompensierenden Ausgaben für linke Interessen öffnen würde.
Dies ist offenbar für nicht-linke Kreise ein genügender Grund, um die Schuldenbremse auch für den Armeeaufbau nicht anzutasten. Ihre Sorge ist verständlich, denn seit der Jahrtausendwende haben linke Parteien und Verbände genügend oft in wichtigen Abstimmungen bewiesen, dass sie Referenden und Volksinitiativen gegen Bundesrat und Parlament zu gewinnen vermögen. Ein klassisches Muster von erfolgreich via Referendum durchgesetzten Kompensationen lieferte das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF). Die Unternehmenssteuerreform wurde nach einem von der Linken gewonnenen Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III völlig sachfremd mit einem sozialpolitischen Ausgleich zugunsten der AHV im Umfang von zwei Milliarden Franken verknüpft. Und seit Monaten erleben wir das erpresserische Gefeilsche der Gewerkschaften, die unter dem Schlagwort „Lohnschutz“ ihre Zustimmung zum institutionellen Abkommen mit der EU mit Regulierungen am Arbeitsmarkt nach ihrem Gusto verbinden. Die Risiken von kompensierenden Volksinitiativen und blockierenden Referenden sind somit sehr real.
Angesichts dieser institutionellen Fesseln lässt sich ohne Risiko folgern, dass der Aufbau der Armee genauso wenig „express“ vonstatten gehen wird, wie alle anderen Grossprojekte, die als Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte nun kumuliert einer Bewältigung harren. Eidgenössisches Schneckentempo im Bereich der Armeeausgaben entspricht zudem durchaus den mehrheitlichen Präferenzen in der Bevölkerung. Die Armee war in der erwähnten Sotomo-Umfrage der am dritthäufigsten genannte Bereich für Einsparungen. Und wenn der Krieg in der Ukraine mit einem Trump-Deal oder sonstwie einmal beendet ist, wird sich die flatterhafte Stimmung in der Bevölkerung ohnehin noch deutlicher gegen höhere Armeeausgaben wenden.