Der ehemalige Kassensturz-Moderator und künftige SP-Nationalrat polemisiert faktenfrei gegen die Kernenergie
In Deutschland ging Wirtschaftsminister Robert Habeck vor einigen Wochen mit Strafanzeige gegen einen Bürger vor, der Habeck in einer Fotomontage, die er auf X aufschaltete, als „Schwachkopf“ dargestellt hatte. Erfolglos, denn in Deutschland gelten liberale Grundsätze in Bezug auf die Redefreiheit, insbesondere in der Politik. So hat ein Gericht entschieden, dass die Meinungsfreiheit geschützt werden müsse, selbst wenn es sich um beleidigende Äusserungen handle.
Unser „Schwachkopf“ Ueli Schmezer teilt mit Habeck die extreme links-grüne Haltung, die Schmezers Smartvote-Profil oben eindrücklich illustriert. Linker geht kaum mehr. Ganz auf Habeck-Linie ist Schmezer auch in Sachen Kernenergie. In seiner Videokolumne bei nau.ch warnte Schmezer vor einem Kernkraftunfall in der Schweiz. Dabei griff er in die Kiste der längst verstaubten Argumente fundamentalistischer Anti-AKW-Alarmisten.
Auf nebelspalter.ch (mit Bezahlschranke) widerlegte Alex Reichmuth Punkt für Punkt die unsäglich falschen Behauptungen von Schmezer gegen die Kernenergie. Mit Erlaubnis des „Nebelspalter“ publiziere ich nachstehend im Wortlaut und in kursiver Schrift Reichmuths Replik, die unter dem Titel „Ueli Schmezer und sein Kampf gegen die Atomkraft“ am 19. Dezember erschienen ist. Der Text entstand mit Mitarbeit des Physikers und Strahlenexperten Walter Rüegg. (Entfernt wurden die vielen Links zu den Quellen von Reichmuths Gegenargumenten und Richtigstellungen).
Die Ausgangslage: Der frühere Kassensturz-Moderator und künftige SP-Nationalrat Ueli Schmezer warnt in seiner Videokolumne «Auf den Punkt» bei nau.ch vor einem Kernkraftunfall in der Schweiz. Ein solcher würde ein Loch in das Land reissen, weil die Bevölkerung grossflächig evakuiert werden müsste. «Atomkraft ist einfach gefährlich», mahnt Schmezer.
Warum das wichtig ist: In der Schweiz wird wieder über den Neubau von Kernkraftwerken diskutiert. Linke Politiker und Atomkraftgegner unternehmen alles, um diese Debatte zu stoppen. Doch was ist von Ueli Schmezers Argumenten zu halten?
Das Zitat: «Für die kleine, dicht besiedelte Schweiz ist die Atomenergie schlicht zu riskant.» (Ueli Schmezer im Videoblog «Ein Loch in der Schweiz – willst du das riskieren?»)
Die Argumente von Ueli Schmezer und ihre Einordnung:
1. Wenn ein schweres Verkehrsflugzeug auf das AKW Beznau oder Gösgen stürze oder dort sonst «ein schreckliches Ereignis» passiere, «dann können wir das Mittelland evakuieren». (Es erscheint eine Schweizerkarte mit einem Kreis von 30 Kilometer Radius um das Kernkraftwerk Gösgen)
Richtig ist: Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi ist 2018 in einem Bericht zum Schluss gekommen, dass die Schweizer Kernkraftwerke ausreichend gegen einen vorsätzlichen Flugzeugabsturz geschützt sind. Die Werke sind zwar bei einem terroristischen Absturz nicht völlig unzerstörbar, doch selbst wenn ein Reaktorgebäude beschädigt würde, hiesse das noch lange nicht, dass Menschen evakuiert werden müssten.
2. «Nach der Atomkatastrophe von Fukushima haben sie wegen der tödlichen Strahlung im Umkreis von 30 Kilometern evakuiert.»
Richtig ist: Es wurden tatsächlich etwa 120’000 Menschen evakuiert. Das war aber den absurd strengen Kriterien geschuldet. Hätte man die Menschen an ihrem Ort belassen, hätten die meisten über ihre gesamte Lebensdauer eine zusätzliche Strahlung erfahren, die etwa der natürlich auftretenden Strahlung in weiten Teilen der Schweiz entspricht. Von «tödlicher» Strahlung kann keine Rede sein. Tödlich war hingegen die Evakuation selbst: ihretwegen sind nachweislich mehrere hundert bis sogar tausend Menschen an Stress, Erschöpfung und Entwurzelung gestorben.
3. «Ein Atomunfall im Mittelland würde ein Loch in die Schweiz reissen.» (Es erscheint eine Schweizerkarte, wo das Gebiet im Umkreis von 30 Kilometern um Gösgen weiss eingefärbt ist.) Das müsse doch genügen, dass bei uns nie mehr jemand je ein AKW möchte.
Richtig ist: Würde man dieselben Evaluationskriterien wie in Fukushima ansetzen, müsste man weite Teile der Alpen wegen der natürlich vorkommenden Strahlung aus dem Boden sofort evakuieren, innerhalb von 24 Stunden. Die Schweiz hätte also schon vor einem allfälligen Atomunfall viele weisse Löcher.
4. «Wenn etwas passiert, können ein paar Hunderttausend auswandern.»
Richtig ist: In der westlichen Welt ist noch nie ein Mensch wegen eines Atomunfalls gestorben. Auch beim Unfall in Fukushima gab es kein einziges Todesopfer wegen der Strahlung. Die Evakuationen in Japan waren wie erwähnt fragwürdig. Mittlerweile ist eine Mehrheit der Evakuierten in die ehemalige Sperrzone zurückgekehrt. Dass viele auf eine Rückkehr verzichten, liegt auch daran, dass sie inzwischen an anderen Orten heimisch geworden sind.
5. Befürworter würden sagen, in der Schweiz könne nichts passieren. «Was glaubst du, was die Betreiber von Fukushima gesagt haben, in Japan, einem Land mit höchsten Sicherheitsstandards?»
Richtig ist: Im Atomkraftwerk Fukushima fehlten elementare Sicherheitsvorkehrungen. Die Betreiber wurden schon vor dem Unfall darauf aufmerksam gemacht, reagierten aber nicht. In der Schweiz werden alle Sicherheitsstandards eingehalten, wie auch internationale Fachleute regelmässig bestätigen. Die vier Kernkraftwerke wurden laufend nachgerüstet und entsprechen dem neuesten Stand der Technik. Ursache des AKW-Unglücks in Japan war ein riesiger Tsunami. Das gibt es in der Schweiz nicht.
6. In Japan habe man wegen der Atomkatastrophe in Fukushima fast Tokio evakuieren müssen, «und das in einem hochentwickelten Land».
Richtig ist: Das ist ein haltloses Horrormärchen. Tokio ist über 200 Kilometer Luftlinie vom AKW Fukushima entfernt. Für die Bevölkerung in der japanischen Hauptstadt bestand nie eine Gefahr.
7. «Fukushima ist 13 Jahre her, aber es ist noch lange nicht vorbei.» Niemand wisse, was mit dem kontaminierten Kühlwasser in einer Million Tanks passieren soll. «Jetzt wollen sie es ins Meer lassen.»
Richtig ist: Das Kühlwasser in Fukushima, das in Tanks zurückgehalten wurde, ist so schwach radioaktiv, dass man es gefahrlos trinken könnte. Seit letztem Jahr wird es nach und nach ins pazifische Meer geleitet. Durch die enorme Verdünnung im Ozean sind gesundheitliche Folgen ausgeschlossen.
8. Es gebe in Fukushima auch Millionen von Säcken mit «verseuchter Erde». «Zwanzig Millionen Kubikmeter, die sie abtragen mussten. Und sie finden immer wieder neue Stellen mit zu hoher Radioaktivität.»
Richtig ist: Die Erde in den meisten dieser Säcke ist nur schwach radioaktiv. Man kann sie problemlos in einer Deponie entsorgen. Bei einem kleinen Anteil könnte eine Spezialbehandlung nötig sein. Die Abtragung der obersten Schicht war unverhältnismässig im Vergleich zum Risiko, das von ihr ausgeht. Von «verseuchter Erde» kann keine Rede sein.
9. «Atomkraft kann schiefgehen. Und das kann man nicht wegreden.»
Richtig ist: Atomkraft gehört zu den Energieformen mit der tiefsten Zahl an Todesopfern pro Strommenge, vergleichbar mit Wasser-, Solar- oder Windstrom. Wegen der Kernenergie sterben um Grössenordnungen weniger Menschen als bei Öl, Gas und Kohle.
10. Die Schweiz könne sich einen Atomunfall, etwa wegen Terrorismus oder eines kriegerischen Angriffs, nicht leisten. «Das liegt nicht drin.»
Richtig ist: Wenn Ueli Schmezer so argumentiert, müsste er auch dafür sein, dass sofort alles Wasser aus den Schweizer Stauseen abgelassen wird. Denn Staudammunglücke haben schon weit mehr Todesopfer als die Atomkraft gefordert. Es gab auch in Europa schlimme Stauseeunglücke, wie 1963 in Norditalien mit rund 2000 Todesopfern. Möchte jemand in der Schweiz mutwillig grossen Schaden anrichten, wäre ein Angriff auf einen Stausee wirkungsvoller als einer auf ein AKW. Wie verheerend eine Flut wirkt, zeigte sich 2011 in Japan: Wegen der damaligen Überschwemmung infolge des Tsunamis starben etwa 19’000 Menschen. Wegen des Atomunglücks, das der gleiche Tsunami ausgelöst hatte, kam hingegen kein einziger Mensch ums Leben.
Meine Einschätzung: Wenn man Ueli Schmezer zuhört, fühlt man sich an die 1970er-Jahre erinnert. Schon damals versuchten Atomgegner auf ähnliche Weise, der Bevölkerung Angst einzujagen. Entweder ist der ehemalige Journalist schlecht informiert über einige grundlegende Fakten zu Radioaktivität, Kernenergie und Fukushima. Oder – was wahrscheinlicher ist – er setzt bewusst auf Schreckgeschichten, um politische Ziele durchzusetzen.
Es ist erstaunlich, dass fundamentalistische Ideologen wie Schmezer in einem Land mit einer angeblich gut ausgebildeten und informierten Bevölkerung immer noch damit rechnen können, mit einer massiven Verzerrung der Fakten bei einem guten Teil der Leute auf Zustimmung zu stossen. Mein Highlight ist folgender Satz von Schmezer: «Atomkraft kann schiefgehen. Und das kann man nicht wegreden.». Alex Reichmuth hat sich redlich bemüht, aber gegen diese unwiderlegebare Beweisführung ist auch er machtlos.
In der Schweiz haben wir eine sehr hohe Sicherheitskultur. Das ENSI überwacht die Sicherheit der Kernkraftwerke gewissenhaft und zuverlässig. Ich selbst habe an vielen Projekten zur Nachrüstung und Erneuerung und damit zur Erhaltung der geforderten Sicherheit der Kraftwerke mitgearbeitet. Meine Bedenken beim Bau neuer Kernkraftwerke sind eher die hohen Kosten und die Abfallentsorgung.
Andreas Wälti
Herr Schmetzer weiss vermutlich nicht, dass das Reaktorgebäude von Leibstadt auf einen Flugzeugabsturz (Jumbo und Starfighter-Triiebwerk) dimensioniert wurde. Vielleicht müsste man ihm auch klar machen, dass ein Kühlturm keine Radioaktivität ausstrahlt.
Schade, Gegner assoziieren Kernkraftwerke immer wieder mit Atombomben. Radioaktives Material kommt in der Natur mehrfach vor und gibt natürliche Strahlung ab. Für eine Atombombe braucht es eine viel höhere Anreicherung als für die Brennstäbe bei der Stromproduktion. Der Stromschlag einer Haushaltbatterie ist auch nicht der gleiche wie bei einer Hochspannungsleitung.
Max Rindlisbacher