Unsere teuren Gratis-Grosseltern

Die „Ökonomisierung der Gesellschaft“ – mal anders herum

Der Vorwurf der „Ökonomisierung“ von immer mehr Lebensbereichen kommt gewöhnlich von links. Gemeint ist er im Grunde als Generalkritik an einer angeblich neoliberalen Vereinnahmung von Politik und Gesellschaft. Auch der bekannteste Edel-Linke der Schweiz, der frühere SRG-Generaldirektor Roger de Weck, haut gelegentlich in diese Kerbe und benützt das diffuse Schlagwort „Ökonomisierung der Gesellschaft“ in Referaten. Die geneigte Zuhörerschaft kann dann selber assoziativ und weitgehend faktenfrei den Bezug zu den behaupteten neoliberalen Tendenzen machen.

Wie die „Ökonomisierung der Gesellschaft“ von links aussieht, können wir aktuell in den Medien erfahren. Einem Bericht im Zürcher Tages-Anzeiger vom 9. März entnehme ich Folgendes: In einer neuen Studie wurde errechnet, dass die Grosseltern in der Schweiz jährlich während 160 Millionen Stunden Enkel hüten – gratis natürlich. Offenbar verwendeten die Autoren oder Autorinnen der Untersuchung einen Stundenansatz von 50 Franken für den „Opportunitätsnutzen“, denn der volkswirtschaftliche Wert der grosselterlichen Hüterei wird mit 8 Milliarden Franken beziffert. So viel Wertschöpfung entstünde also dadurch, dass beide Eltern dank der Entlastung durch die Grosseltern arbeiten können.

Ob diese Schätzung Hand und Fuss hat, soll hier nicht untersucht werden. Interessanter ist die Frage, was für Motive die Auftraggeber zu der Studie bewegt hatten und was für politische Folgerungen daraus abgeleitet werden. Die Autorin der Studie, die emeritierte Psychologie-Professorin Pasqualino Perrig-Chiello folgert (immer gemäss Tages-Anzeiger), dass es in der Schweiz zu wenig staatliche Sozialleistungen für Familie und Kinder gebe. Die Schweiz sei auch hier im Rückstand. Und die unvermeidliche ehemalige CVP-Nationalrätin und Familienpolitikerin Lucrezia Meier-Schatz ortet noch eine ganz spezielle Ungerechtigkeit, mit der auch irgendeine neue Form der staatlichen Kompensation begründet werden könnte: Nicht alle Eltern mit Kindern haben Grosseltern zum Hüten. Dann halt vielleicht besoldete Staats-Grosseltern?

Meist werden für solche Studien, deren Resultat und politischer Zweck zum vorneherein festehen, die passenden Autoren oder Autorinnen gesucht. Mit einer Psychologie-Professorin ist man jedenfalls auf der sicheren Seite, denn unter Psychologinnen muss man mit dem Mikroskop nach einer Sympathisantin nicht-linker Parteien suchen. So ist es auch kein Wunder, dass die alte abgestandene linke Klage ertönt, die Schweiz sei sozialpolitisch im Rückstand, und es brauche auch hier mehr staatliche Sozialleistungen.

Unser Wohlfahrtsstaat ist jedoch gerade deshalb besser aufgestellt und leistungsfähiger als derjenige anderer Länder, weil das Subsidiaritätsprinzip noch einigermassen gilt: Was die Menschen aus eigenem Interesse im Privaten organisieren und schultern können und wollen, soll ihnen überlassen bleiben. Da hat der Staat nichts zu suchen. Doch befinden wir uns schon seit längerem auf abschüssigem Terrain, wie auch diese Studie zeigt. Auch bei uns findet der linke sozialpolitische Aktivismus immer neue Felder, wo Ungerechtigkeiten durch staatliche Massnahmen bekämpft werden sollen.

Und was ist, wenn es den Grosseltern sogar gefällt, die Kleinen zu hüten, weil sie sonst nichts Vergnüglicheres zu tun haben? Mit der Suche nach Antworten auf solche Fragen käme man vielleicht zum Schluss, dass das Hüten nicht nur für die Eltern, sondern auch für viele Grosseltern und vielleicht sogar für die Enkelkinder ein Gewinn ist. So könnte man dieses freiwillige private Drei-Generationen-Arrangement als eine echte win-win-win-Situation sehen.

Die linke „Ökonomisierung“ der Familienbeziehungen mit der Rechnerei um den Wert der grosselterlichen Hüterei beinhaltet immer schon latent den unvermeidlichen Ruf nach dem Staat. Ich plädiere für eine andere Art von „Ökonomisierung“, nämlich für den vermehrten Gebrauch ökonomischer Denkweisen und Vernunft in der politischen Debatte. So könnte man zum Beispiel berechnen, wie viel Steuern der unersättliche Steuerstaat aus den geschätzten acht Milliarden Franken zusätzlicher Wertschöpfung bei den betreffenden Unternehmen und Haushalten abkassiert. Bei verheirateten Doppelverdienern sind auf zusätzlichem Einkommen Grenzsteuersätze von weit über 50 Prozent keine Seltenheit.