Appenzeller Landsgemeinde-Degen
Zum Thema Vertrauen in die politischen Institutionen äusserten sich in schweizerischen Medien jüngst prominente Stimmen. Oliver Zimmer und Co-Autor Heinrich Fischer nannten in einem NZZ-Artikel vom 5. April Zahlen: „In der Schweiz vertrauen laut aktuellen Zahlen über 60 Prozent der Bürger ihrem Staat, was doppelt so viele sind wie in der EU. Wie ich bereits früher geschrieben hatte, ist dies wenig überraschend. Die direkten Volksrechte vermitteln der stimmberechtigten Bevölkerung das Gefühl, selbst diesen Staat zu verkörpern – auf allen drei föderalen Ebenen.
Aus solchen Vergleichen Schweiz – EU lässt sich auch eine Begründung ableiten, weshalb die Schweiz kein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU abschliessen sollte. Gerhard Schwarz und seine Co-Autoren Heinz Buhofer und Michael Schoenenberger kleideten das Fazit ihres Beitrags in der NZZ vom 18. März in diese Suggestivfrage: „Lohnt es sich, ein Staatssystem mit hohem Vertrauenszuspruch zugunsten eines Systems mit weniger und bröckelndem Vertrauen zu gefährden?“
Das global ausgerichtete „Edelmann Trust Barometer“ stützt die negative Einschätzung der EU als politisches Konstrukt mit schwacher Vertrauensbasis.
Eine globale Perspektive
Das „Edelmann Trust Barometer“ beruht auf repräsentativen Befragungen in 28 Ländern. Jährlich wird das Ausmass an Vertrauen in Unternehmen (Business), Regierung (Government), Medien (Media) und NGO erhoben, ausgedrückt in Prozentanteilen Vertrauen/neutral/Misstrauen. Leider ist die Schweiz an diesem seit 25 Jahren bestehenden Projekt nicht beteiligt. Die EU ist mit Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande, Schweden und Spanien vertreten.
Anteile von 60 Prozent und höher werden als „Vertrauen“ definiert. In der Abbildung unten sind die zehn Länder aufgeführt, in denen mindestens 60 Prozent der Befragten Vertrauen in Unternehmen, Regierung, Medien und NGO ausdrückten. In keinem der sieben beteiligten EU-Länder erreicht der Anteil der Befragten, die diesen Institutionen vertrauen, 60 Prozent. Der globale Durchschnitt von 56 (Zahl ganz oben) liegt im neutralen Bereich unterhalb der Schwelle zu „Vertrauen“. Die Zusammensetzung dieser Gruppe von zehn Ländern ist so überraschend, dass sogar Fragen zur Methodik aufkommen könnten:
(Quelle: Edelmann Trust Barometer 2025)
Die Abbildung unten zeigt, dass in 17 der 28 untersuchten Länder bloss eine Minderheit der Regierung vertraut (rote Säulen). Fünf der sieben EU-Länder befinden sich im roten Misstrauens-Bereich. Dramatisch hoch ist das Vertrauensdefizit in Deutschland mit bloss 35 Prozent, die der Regierung (Ampel) vertrauen:

(Quelle: Edelmann Trust Barometer 2025)
Auch das Vertrauen gegenüber der EU ist gemäss „Edelmann Trust Barometer 2025“ in den EU-Ländern bloss gedämpft:

Nur Irland schaffte es mit 60 Prozent der Befragten, die der EU vertrauen, gerade noch in die Gruppe „Vertrauen“. Die Niederlande, Schweden, Italien und Spanien liegen zwischen 54 und 58 Prozent („neutral“). Ausgerechnet in den grossen EU-Kernländern Frankreich und Deutschland ist das Vertrauen gegenüber der EU mit 48 bzw. 45 Prozent am geringsten. Ein Erfolgsmodell sieht anders aus.
Nullsummen-Denkweise im Vormarsch
Die Befragungen ergaben auch, dass zwischen 68 und 70 Prozent der Befragten befürchten, dass die führenden Leute in der Regierung, in der Wirtschaft und in den Medien sie anlügen. Sie glauben, dass Führungskräfte sie absichtlich in die Irre führen, indem sie Dinge sagen, von denen sie wissen, dass sie falsch oder stark übertrieben sind.
Zwei Drittel der Befragten sind überzeugt, dass die Reichen mehr nehmen, als ihnen zusteht. Sie glauben, dass die Reichen nicht ihren gerechten Anteil an Steuern bezahlen und dass der Egoismus der Reichen viele unserer Probleme verursacht. Immer mehr setzt sich eine Nullsummen-Denkweise durch: Dein Gewinn ist mein Verlust. Wenn es den Reichen besser geht, geht das auf meine/unsere Kosten. Seitenblick auf die Schweiz: Wer denkt da nicht spontan an die 13. AHV-Monatsrente! Oder an die Juso-Erbschaftssteuerinitiative!
Zukunftspessimismus – eine europäische Krankheit
Eng verknüpft mit fehlendem Vertrauen in die Institutionen ist ein verbreiteter Zukunftspessimismus. Besonders für Europa enthält das „Edelmann Trust Barometer 2025“ diesbezüglich ernüchternde Botschaften. Der Aussage „im Vergleich zu heute wird es der nächsten Generation besser gehen“ stimmen selbst über alle 28 Länder hinweg nur 36 Prozent zu (Abbildung unten). Geradezu alarmierend ist jedoch der Zukunftspessimismus in den reichen Staaten (schwarze Säulen). In den EU-Ländern Frankreich, Deutschland, Niederlande, Italien, Schweden, Irland und Spanien gehen nur zwischen 9 und 22 Prozent mit der oben genannten Aussage einig. Über 60 Prozent Zustimmung erhält die Aussage dagegen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indonesien, Indien, China und Saudi Arabien:

(Quelle: Edelmann Trust Barometer 2025)
Auf diese Diskrepanz zu Europa kann man auf zwei Arten reagieren. Entweder stellt man sich auf den Standpunkt, dass Erhebungen wie das „Edelmann Trust Barometer“ grundsätzlich nichts taugen. Oder man sucht unbefangen nach Gründen für die Resultate.
So kommt man vielleicht zum Schluss, dass die Bevölkerungen in vielen EU-Ländern durch eine progressive akademisch gebildete Elite an den Schalthebeln der Meinungsmacht in Politik, Medien und NGO über Jahrzehnte in die Irre geführt wurden, was die fragwürdigen selbstschädigenden politischen Prioritäten erklären könnte. „Deutschland: Leben im Romantiktal“ – so formulierte es Günther Oettinger, der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar. Es ist nur logisch, dass Angehörige unterer Schichten, welche die Lasten schlechter Politik hauptsächlich zu tragen haben, deutlich weniger Vertrauen in die wichtigen Institutionen haben als die Eliten.
Auch wenn die Schweiz im „Edelmann Trust Barometer“ fehlt, gelten einige der dort gewonnenen Einsichten auch für unser Land.
Es wäre interessant zu sehen, wie die Coronaphase beim „Edelmann Trust Barometer“ zu Buche geschlagen hat. Vorher-nachher. Es scheint mir oftmals, dass Corona einen starken weltweiten Einfluss auf das Vertrauen in Politik,Wissenschaft und in die Medienwelt hatte. Seit dem hat sich doch einiges in der Wahrnehmung verändert.
Das lässt sich machen, da es das jährlich erscheinende „Edelmann Trust Barometer“ seit 25 Jahren gibt. Der Zugang ist kostenlos: https://www.edelman.com/trust/archive
Interessante Einsichten! Danke für die Aufbereitung!