Welcher Volkswille in Sachen „Brexit“?

Das Brexit-Referendum war wohl mit Abstand die grösste Fehlleistung des früheren Premiers David Cameron – auf jeden Fall eine dramatische Fehlkalkulation. Cameron rechnete fest mit einem Votum für den Verbleib Grossbritanniens in der EU. In erster Linie ging es ihm dabei um die Disziplinierung der ewigen Abweichler in seiner konservativen Partei, der ob der EU-Frage ständig die Spaltung drohte. Der Schuss ging bekanntlich nach hinten raus.

Das Hauptmotiv der Brexit-Anhänger war die Beendigung der Personenfreizügigkeit. Grossbritannien sollte wieder selbst über die Migration bestimmen können. Nun liest man in der seriösen Tagespresse, dieses Motiv habe sich inzwischen deutlich abgeschwächt. Kein Wunder, denn die Situation hat sich diesbezüglich spürbar entschärft. Nun haben meinungsmachende Verlierer der Brexit-Abstimmung schon kurz nach dem Referendum, und seither immer wieder, eine Wiederholung der Abstimmung gefordert. Man sollte dies nicht vorschnell als Zwängerei von Verlierern abtun. Denn offensichtlich haben sich durch die Erfahrung der unerwartet grossen Schwierigkeiten und der schwer verdaulichen Kompromisse die Präferenzen in der Bevölkerung verändert. Es ist doch sonnenklar, dass zum Zeitpunkt der Abstimmung niemand wusste, was man sich damit einhandeln würde. Eine Wiederholung eines so gearteten Referendums ist umso berechtigter, je knapper die Abstimmung ausging. Und das Brexit-Ja war sehr knapp

Noch knapper hatten wir Schweizer der Masseneinwanderungs-Initiative zugestimmt. Und auch hier gilt Ähnliches wie beim Brexit. Erstens zeigen die Zahlen, dass sich der Immigrationsdruck klar abgeschwächt hat. Zweitens wusste niemand, was für Probleme man sich mit der Umsetzung dieser Initiative einhandeln würde. Auch hier könnte eine Wiederholung der Abstimmung im Lichte der veränderten Lage und Präferenzen sehr wohl begründet werden.