Zu viel Moral, zu wenig Analyse

Ein paar Gedanken zum Podium „Grosskonzerne oder Familienbetriebe: Wie sehen Landwirtschaft und Agrarpolitik der Zukunft aus“?

An einer Veranstaltung der Gesellschaft Schweiz-UNO vom 20. Juni 2013 an der Universität Bern erwähnte Dr. Peter Niggli, Geschäftsleiter der Alliance Sud, das sogenannte „land grabbing“ als neues Problem der Weltagrarmärkte. Vor allem Käufer aus China und den reichen Golfstaaten kaufen in afrikanischen Ländern grosse Agrarflächen, um auch in Zukunft ihre Bevölkerungen ernähren zu können und gegen Ernährungskrisen besser gewappnet zu sein.

Der Begriff des „land grabbing“ ist emotional und moralisch aufgeladen. Das damit benannte Phänomen weckt allein dadurch spontan negative Reaktionen und Ablehnung, besonders wenn noch behauptet wird, viele Kleinbauern würden dabei von ihrem Land vertrieben. Betrachtet man das „land grabbing“ nüchtern, stellen sich mehrere Fragen:
1. Um was für Grössenordnungen geht es dabei in den jeweils betroffenen Ländern?
2. Welche Vertragsparteien sind dabei involviert?
3. Welche Rolle spielen die staatlich-politischen Rahmenbedingungen?
4. Profitieren vielleicht nicht auch die Verkäuferstaaten von ausländischem Kapital und Know-how?
5. Ist die Verdrängung von ansässigen Kleinbauern tatsächlich ein dominierender Aspekt?
6. Was wurde auf den betreffenden Agrarflächen vorher angebaut bzw. wie produktiv wurden diese Flächen vorher genutzt?
7. Welches sind die ökonomischen Auswirkungen auf den Weltagrarmärkten und für betroffene Länder, wenn China und andere Länder mit beschränkten natürlichen Agrarressourcen in anderen Ländern Agrarflächen kaufen und nach modernen Methoden bewirtschaften und damit ihren Importbedarf auf diese Weise, statt durch konventionelle Einfuhren decken?

An differenzierter Analyse nach einem solchen Muster ist allerdings nicht interessiert, wer sein (Spenden-)Geschäft auf Betroffenheit und Entrüstung im Publikum baut. Auf viele Entwicklungs- und Umwelt-NGOs trifft genau dies zu. Das Spendenvolumen ist direkt abhängig von solchen emotionalen Regungen, und entsprechend werden „Weltprobleme“ wie Armut oder Klimawandel bewirtschaftet. Man denke nur an gewisse Aktionen von Greenpeace. Ein konkretes Beispiel bot aber auch das Podium in Bern. Michael Brander, Projektleiter bei Biovision, einem Entwicklungs-NGO, bei dem gemäss Website ca. ein Drittel der Mitarbeiter eine „Fund-raising“-Funktion bekleiden, beklagte die Verschwendung von Nahrungsmitteln in reichen Ländern. Ca. ein Drittel der Lebensmittel würden weggeworfen. Das würde reichen, um die Hungernden dieser Welt zu versorgen. Was hier verknüpft wird, hat aber nichts miteinander zu tun. Unsere „Wegwerfgesellschaft“ ist nicht so, weil die Leute Freude daran haben, Geld zum Fenster hinauszuschmeissen. Vieles, was weggeworfen wird, muss gesetzlich entsorgt werden, zum Beispiel in der Gastronomie als Folge der strengen Hygienevorschriften. Zudem enthalten die Ablaufdaten auf Lebensmitteln beträchtliche Sicherheitsmargen, verleiten aber dazu, Nahrungsmittel vorzeitig zu entsorgen. Nur: War es denn früher besser? Wieviele Agrarprodukte verdarben mangels geeigneter Lagertechnik oder mangels Schutz gegen Pilzbefall und gegen Schädlinge? Sind mit dem technologischen Fortschritt in der industriellen Nahrungsmittelherstellung nicht auch gewaltige Vorteile verbunden, gerade was die Vermeidung von Verlusten durch alle Arten von Verderbnis oder auch die Häufigkeit von Erkrankungen durch verdorbene Lebensmittel betrifft?

Dr. Peter Bieler, Leiter des Globalprogramms Ernährungssicherheit im DEZA (EDA), verteidigte kleinbäuerliche Strukturen in armen Entwicklungsländern gegen „industrielle Grosskonzerne“ unter anderem mit dem Argument, die kleinen Familienbetriebe böten mehr Menschen Beschäftigung als Grossbetriebe. Was als moralisch getränktes Argument fürs breite Publikum wirken mag, ist aus ökonomischer Sicht nichts als eine Binsenwahrheit. Grossbetriebe sind einfach produktiver als kleine, auch weil sie meist nach moderneren Methoden geführt werden. Und der Entwicklungsweg erfolgreicher Länder führt strukturell über einen Abbau der Beschäftigung im Agrarsektor und einen Transfer in industriell-gewerbliche Branchen und Dienstleistungen. Dazu braucht es aber rechtsstaatliche Institutionen (geschützte Eigentumsrechte und Rechtstitel, Vertragsfreiheit, „good governance“…) und funktionierende Märkte. Vor allem hier müsste Entwicklungshilfe auch ansetzen.

Ein skurriles Muster von zu viel Moral und zu wenig Analyse bot schliesslich der Präsident des Schweizerischen Bauernverbands, Nationalrat Markus Ritter. Wir sollten unsere Nahrungsmittel möglichst selber produzieren, denn wenn wir mehr importierten, würden wir den Armen die Nahrung wegessen. Bereits sein Vorgänger im Amt, Fast-Bundesrat Hansjörg Walter, formulierte dieses haarsträubende Argument in einem Interview so: Alles, was wir importieren, fehlt an einem anderen Ort. Dass politische Schwergewichte solchen ökonomischen Schwachsinn verbreiten (und trotzdem noch fast Bundesrat werden), ist an sich schon schlimm genug. Noch schlimmer ist allerdings, dass sie damit beim Publikum durchkommen. Denn dieses ist Opfer eines staatlichen Bildungsversagens auf dem Gebiet des ökonomischen Denkens und Wissens.