Die US-amerikanische online-Plattform RealClearEnergy, berichtete kürzlich, Indien habe die Wiedereröffnung von über hundert stillgelegten Kohleminen angeordnet, um den explodierenden inländischen Strombedarf zu decken. Die Begründung lautete, die Energieversorgung komme für Indien an erster Stelle, vor dem Klimaschutz. Auf derselben Plattform las man in einem Editorial, das vorherrschende energiepolitische Narrativ der Administration Biden schweige darüber, wie man den sechs Milliarden Menschen, die mehr Energie brauchen, um ihr Los zu verbessern, zuverlässige und erschwingliche Energie liefern könne. Dasselbe trifft auf die offizielle schweizerische Klimapolitik zu.
Sommarugas Anmassung
Die Medien berichteten im letzten November von der Glasgower Klimakonferenz COP26, dass Umweltministerin Sommaruga gegen Schluss noch intervenierte, um für die Kohle einen konsequenten Ausstieg zu fordern. Ein allmählicher Ausstieg, der auf die wirtschaftliche Tragbarkeit Rücksicht nehme, genüge nicht. Eine solche Intervention eines Regierungsmitglieds eines Landes, das mit seiner Energieversorgung nur dank importiertem Kohlestrom über die Runden kommt, ist an sich schon fragwürdig. Wenn aber Bundesrätin Sommaruga von 1,4 Milliarden Indern den Kohleausstieg ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Tragbarkeit fordert, finde ich das anmassend. Man könnte den Spiess ja mal umkehren. Was für Forderungen könnte Indien an die Schweiz in Sachen Klima und Energie stellen?
Auch Forscher argumentieren auf der Linie von Sommaruga. Kürzlich referierte der ETH-Klimaphysiker Reto Knutti an einem Anlass einer Bank. Sein Referat gründete auf dem Narrativ unserer offiziellen Klimapolitik. Als Einstieg kamen für das richtige „Framing“ Bilder von ausländischen Waldbränden und Überschwemmungen, danach mit der Simulation des Rückzugs des Aletschgletschers bis ins Jahr 2100 auch noch etwas Einheimisches. Schliesslich unterstützt Klimaforscher Knutti die „Gletscher-Initiative“, die den Leuten suggeriert, es liege an uns, mit einer ambitionierten Klimapolitik die Alpengletscher zu retten.
Die Geschichte, die man uns immer wieder erzählt, lautet so: Um das Klimaziel der Konferenz von Paris im Jahr 2015 zu erreichen, nämlich den Anstieg der Temperatur seit Beginn des Industriezeitalters möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir jetzt sofort handeln. Wir müssen die erneuerbaren Energien aus Wind, Wasserkraft und Photovoltaik massiv ausbauen und die Mobilität und die Gebäude elektrifizieren. Und wir sollten weniger fliegen. Und wir sollten weniger Fleisch essen. Wir sollten einfach weniger fossile Energien Kohle, Öl und Gas verbrauchen und durch CO2-arme Energieträger ersetzen. Dass dabei die Kernenergie auch im Vergleich mit Solar- und Windstrom am besten abschneidet, bleibt ausgeblendet.
Das diffuse „wir“
Die Konfusion, die unsere Klimadebatte belastet, dreht sich um das Wörtchen „wir“. Wen meinen die warnenden Stimmen mit „wir“? Sind es wir Schweizer, dann sind all die Bilder von Waldbränden, Überschwemmungen und schmelzenden Gletschern bloss Stimmungsmache, denn darauf haben wir nicht den geringsten Einfluss. Meinen die Warner(innen) aber das „wir“ global, dann sind wir politisch nicht zuständig, siehe das Beispiel Indien. Auch andernorts auf der Welt kommt das Fressen vor der Moral, gerade in den westlichen Demokratien, wo der Krieg in der Ukraine gerade die hehren Netto-null-Versprechungen entzaubert. Überall herrscht unter unsicheren Regierungs- und Parlamentsmehrheiten ein opportunistisches Gerangel um Wählerstimmen. Energiepreise, besonders der politisch brisante Benzinpreis, sollen jetzt mit allen Mitteln gedeckelt werden – inklusive Bücklinge aller Art vor den Potentaten von Autokratien wie Saudi Arabien oder Venezuela.
An der jüngsten Klimakonferenz in Bonn offenbarten sich die politischen Realitäten. Ernüchtert stellte man fest, dass nur wenige Länder die auf dem COP26-Gipfel versprochenen Pläne für strengere Emissionssenkungen vorgelegt hatten. Zudem fehlt es immer noch an der vollmundig in Aussicht gestellten Finanzierung für arme Länder, damit diese sich besser an den Klimawandel anpassen können. Europäische Staaten sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, die fossilen Energiereserven der Entwicklungsländer zu beanspruchen, ohne ihnen bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen. Ausgerechnet das Energiewende-Land Deutschland plant, die Importe fossiler Brennstoffe zu erhöhen, um die riesigen Gasmengen zu ersetzen, die es bis vor kurzem von Russland kaufte.
Die wachsende Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und politischem Handeln untergräbt die Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratien nicht nur zuhause, sondern auch im Rest der Welt.
Politiker wollen wieder gewählt werden. Unis und Hochschulen wollen Subventionen absahnen. Das gelingt am besten mit der Publikation von schockierenden Katastrophenszenarien. Offensichtlich haut auch der Bundesrat (BR) in dieselbe Kerbe: Länder wie Indien müssen sich verletzt vorkommen. Der BR verkennt dabei, dass die Nachhaltigkeitsagenda 2030 der UNO mit der Bekämpfung von Armut und Hunger beginnt. Arme, hungernde Völker sorgen sich jetzt um ihr Überleben. Für sie ist Nebensache, ob im Jahre 2035 ein paar ppm mehr CO2 in der Luft sind. Leider erkennt der BR in seiner ideologischen Verblendung nicht, dass die Wiederzulassung der Kernenergie mindestens für die Schweiz (übrigens: auch für Deutschland) die Lösung des Energie-Versorgungs- und Klimaproblems wäre. Man vergleiche: KKW emittieren ca. 12g CO2 pro Kilowattstunde, Gaskraftwerke deren 300 g.