HEKS gegen Holcim

Zur Klimaklage von indonesischen Inselbewohnern am Kantonsgericht Zug

Wie verschiedene Schweizer Medien jüngst berichteten, haben vier Bewohner der indonesischen Zwerg-Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim Zivilklage beim Kantonsgericht Zug eingereicht.  Die Zementindustrie ist eine sehr CO2-intensive Branche. Die Kläger fordern eine Entschädigung für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch das Ansteigen des Meeresspiegels und häufigere Sturmfluten. Sie verlangen vom weltgrössten Zementkonzern zudem eine starke Reduktion seines  CO2-Ausstosses. Das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS ist in Hilfestellung für die Kläger zuvorderst mit dabei.

Die Forderungen des HEKS im Namen der Kläger

Die Webseite des HEKS gibt Aufschluss über dessen Forderungen:

„Wie der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht ausführt, muss auf weltweiter Ebene dringend eine Verringerung der CO2-Emissionen erfolgen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Angesichts der Schwere und Unumkehrbarkeit der negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung sowie der historischen Verantwortung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Holcim, fordert HEKS das Unternehmen auf, mindestens die folgenden Emissionsreduktionsziele festzulegen, um seinen Teil zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 °C beizutragen: bis 2030 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 43 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019 und bis 2040 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 69 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019.“

Der britische Historiker Edward Gibbon (1737-1794), berühmt für sein Hauptwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“, glänzte schon vor mehr als 200 Jahren mit einem luziden Bonmot: „Man traue keinem erhabenen Motiv für eine Handlung, wenn sich auch ein niedriges finden lässt.“ Geleitet von Gibbons Erkenntnis, eröffnen sich zwei Möglichkeiten, die Absichten des HEKS an der Klimaklage zu erörtern.

Erhabene Motive – dürftige Sachargumente

Das HEKS unterstreicht den moralischen Anspruch der Klage mit der Forderung nach „Klimagerechtigkeit“. Dieser Kampfbegriff des Klimaaktivismus verweist auf eine angebliche historische Schuld der reichen industrialisierten Länder. Als Hauptverursacher des Klimawandels seien diese zu besonderen Anstrengungen verpflichtet. Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist in einer ganzheitlichen Sicht nicht einmal die halbe Wahrheit. Diese reichen Länder des „Westens“ sind mit ihren wissenschaftlich-technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen auch für die enormen weltweiten Fortschritte an Wohlstand und Lebensqualität verantwortlich. Zudem wäre die Bewältigung der negativen Folgen des Klimawandels ohne die Leistungsfähigkeit westlich geprägter Kulturen undenkbar.

Wichtiger ist aber, dass die ganze Argumentation des HEKS, untermalt mit ausführlichen Studien mit  wissenschaftlichem Anspruch, auf einem Grundirrtum beruht. Dieser Irrtum trägt den Namen „1,5 Grad“. Das 1,5 Grad-Ziel hat nicht nur keine wissenschaftliche Basis, sondern es war ursprünglich auch nie als verpflichtendes Ziel gemeint, sondern als gemeinsames Bemühen („aspiration“) der Weltgemeinschaft. Die 1,5 Grad sind das Ergebnis eines langen politischen Gerangels nach der gescheiterten Kopenhagener Klimakonferenz von 2008. Da man an der Klimakonferenz von Paris im Jahr 2015 unbedingt ein weiteres Scheitern vermeiden wollte, wurden insbesondere die kleinen Inselstaaten der „Alliance of Small Island States“ (AOSIS) mit der Zustimmung zum 1,5 Grad-Ziel für ein globales Klimaabkommen ins Boot geholt. Diese Ländergruppe ist sich ihrer grossen Verhandlungsmacht in einem Gremium, das nach Einstimmigkeit strebt, natürlich bewusst.

Nicht nur die Ableitung von einem illusionären 1,5 Grad-Ziel macht das Vorhaben unsinnig, von einem einzelnen Konzern prozentgenaue CO2-Reduktionsverpflichtungen einzuklagen. Auch die grosse Unsicherheit über die Klimasensitivität – d.h. den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperatur – verbietet eine solche Rechnung. Wegen dieser Unsicherheit ist ein Temperatur-Ziel für die politische Aktion prinzipiell ungeeignet. Und die ganze Rechnerei um „tonnengenaue“ CO2-Restbudgets hat aus demselben Grund keine wissenschaftliche Grundlage.

Die meisten Klimawissenschafter wussten schon zur Zeit von „Paris 2015“, dass das 1,5 Grad-Ziel bereits überholt war. Doch der Weltklimarat IPCC spielte das Spiel mit und erklärte „1,5 Grad“ zu einem sinnvollen politischen Ziel. Nun beschwören also unsere Politiker weiterhin das 1,5 Grad-Ziel, und die Klimaforschung passt sich opportunistisch an. Die Klimamodelle lassen sich ja „kalibrieren“. Man kann zum Beispiel mehr negative Emissionen einbauen, um doch noch erreichbar scheinende CO2-Absenkungspfade zu erhalten.

Niedrige Motive – strategisches Kalkül

Die am Kantonsgericht Zug eingeklagte Schadenssumme beträgt bloss rund CHF 14’000. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass es in der Klage um etwas Grösseres geht. Damit gelangen wir zu den niedrigen Motiven. Das strategische Kalkül solcher Klagen ist offensichtlich. Das HEKS will mithelfen, mit der Klage gegen Holcim weltweit medial Aufmerksamkeit zu erregen und Gerichtsurteile zu provozieren, die als Präzedenzfälle Schule machen. Das HEKS verfolge mit der Klage eine öffentlichkeitswirksame Strategie, indem es sich für die kleinsten Opfer des Klimawandels einsetze und auf eine breite Medienunterstützung hoffe, schrieb die NZZ. Da der Fall wie ein Kampf von David gegen Goliath erscheine, werde die Debatte emotionalisiert und weltweite Sympathie gewonnen.

Das Engagement des HEKS in dieser Sache, typisch für heutige kirchliche Politik, kommt auf dem moralischen Hochsitz daher, ist aber bei genauer Betrachtung das Gegenteil. Dazu gehört der Versuch, demokratische Entscheidungsprozesse durch den Weg über Gerichte zu umgehen. Das Bonmot von Edward Gibbon kann uns nicht nur in diesem Fall davor bewahren, in der politischen Debatte auf moralisch aufgeplusterte Argumente hereinzufallen.

Dieser Text erschien am 13. Februar 2023 in der Online-Publikation „Nebelspalter“.

Symbolische Signale grüner Politik

In Deutschland protestieren grüne Politiker gerade gegen den Ausbau von Autobahnen im Rahmen der geplanten umfassenden Erneuerung der Infrastruktur. Autobahnen sind in der politischen Theologie der Grünen Symbole der Klimaschädigung. Und sie sollen es wohl auch bleiben, obwohl ganz zuvorderst die Grünen der e-Mobilität das Wort reden.

Mit einer landesweiten Aufrüstung mit e-Autos wäre eigentlich der Ruf der Autobahnen als „Klimakiller“ immer weniger berechtigt. Trotzdem halten die deutschen Grünen an der Ablehnung des Autobahnausbaus fest – aus zwei Gründen. Erstens wissen auch sie, dass der deutsche oder auch der europäische Strommix noch auf Jahre hinaus fossile Produktionsanteile enthält. Man ist noch weit entfernt von einer klimaneutralen bzw. CO2-freien Stromversorgung. Und dann ist da auch noch der französische „Atomstrom“, der den deutschen Strommix für die fundamentalen grünen Kernenergiegegner gelegentlich verunreinigt.

Der zweite Grund hat mit den Eigenheiten der politischen Kommunikation zu tun. Die meisten Menschen haben andere Interessen als sich eingehend und sachgerecht über die Fakten und Zusammenhänge zu informieren, die klima- und energiepolitisch wichtig sind. Darauf bauen die Grünen sehr geschickt, denn sie wissen: zur Mobilisierung von Menschen braucht es eingespielte Signale, die bei den Empfängern kein langes Nachdenken erfordern, jedoch Plausibilität vorgaukeln und an das gute Gewissen appellieren.

Genau diesen Rückgriff auf symbolische Signale sieht man auch bei den militanten Klimaaktivisten, die es bei Protestaktionen in Städten auf SUVs abgesehen haben. Völlig unabhängig von tatsächlichen Verbrauchs- und Emissionsvergleichen sowie von denkbaren ökologischen Vorteilen solcher Autos im praktischen Einsatz, gilt in der grünen Welt der SUV als Symbol der Klimazerstörung.

Erbauliches zur „Klimakrise“ in der Wahlpropaganda

Im Kanton Zürich wird nächstens für den Kantonsrat und den Regierungsrat gewählt. Vor einigen Tagen flatterte die Wahlwerbung sämtlicher Parteien ins Haus. Wie üblich wird darin allerhand gewünscht und versprochen, für dessen Durchsetzung die betreffende Partei die politische Macht gar nicht hat – kein Unglück, muss man in vielen Fällen sagen.

Die Wahlwerbungen liefern mit ihren Darstellungen von Problemen und Lösungen auch einen Eindruck, wie man in den zuständigen Parteigremien den Informationsstand und das Urteilsvermögen der Leute einschätzt, die man für die eigene Partei gewinnen will.

Weil aus den Floskeln der Wahlpropaganda viel warme bis heisse Luft aufsteigt, ist die Qual der Wahl gross. Bei mir kommt ganz bestimmt eine Partei zuletzt auf den Wahlzettel, wenn sie mein Urteilsvermögen mit einem solchen klimapolitischen Argument beleidigt:

„Wir setzen uns dafür ein, dass sozialgerechte Massnahmen gegen die Klimakrise ergriffen werden, damit der Bezirk Uster auch für die zukünftigen Generationen lebenswert bleibt.“

Irgendwie bedaure ich all die SP-Sympathisanten, die tapfer über solchen Schwachsinn hinwegsehen müssen, wenn sie aus ideologischen Gründen trotzdem der SP ihre Stimme geben wollen. Sie müssen darauf hoffen, dass die Wahlwerbung der Liste 2 der kantonalen SP in Beijing, Washington, Neu-Dehli, Moskau, Saudi Arabien, aber auch in Afrika und Lateinamerika gebührend zur Kenntnis genommen wird, damit die kommenden Generationen den Bezirk Uster nicht klimabedingt verlassen müssen.

Klimapolitik und der «neue Moraladel»

Klimaleugner kann man heutzutage ebenso rasch und unverhofft werden wie «Rassist». Es genügt, das 1,5-Grad- oder das Netto-null-Ziel kritisch zu hinterfragen. Roger Pielke Jr. etwa, ein Politikwissenschafter an der University of Colorado in Boulder, wurde als «Klimaleugner» diffamiert, bloss weil er in akribischen Datenanalysen zu Dürren, Überschwemmungen, Buschbrände oder Orkanen – entgegen dem verbreiteten Alarmismus – keine klaren Trends zu extremeren globalen Wetterereignissen feststellen konnte.

Wohlhabende Wachstumskritiker

Pielke äusserte zudem, wenn man sich in der Klimadebatte bewege, werde man oft von Leuten angegriffen, die sagen, zur Senkung von CO2-Emissionen müsse das Wirtschaftswachstum gestoppt werden. Er höre diese Argumentation meistens von wohlhabenden Akademikern in noblen Universitätsstädten in den reichen Teilen der Welt. Das ist auch in der Schweiz nicht anders. Umfrageergebnisse zu den Referenden gegen das Energiegesetz vom Mai 2017 (gescheitert) oder gegen das CO-Gesetz vom Juni 2021 (erfolgreich) bestätigen Pielkes Aussage über die klimabesorgten wohlhabenden Wachstumskritiker.

Beide Gesetzesvorlagen appellierten an wachstumskritische Kreise, was man aus dem Zustimmungsgefälle von links (hoch) nach rechts (niedrig) ablesen kann. Interessanter ist jedoch das Gefälle nach Bildungsgrad. Akademisch Gebildete (Fachhochschule/ Uni/ETH) machten in beiden Abstimmungen mit grossem Vorsprung die höchsten Anteile an Ja-Stimmen aus. Während Stimmende mit beruflicher Grundbildung/ Berufslehre das Energiegesetz mit nur 45 Prozent Ja-Stimmen ablehnten, stimmten 74 Prozent der akademisch Gebildeten dem Gesetz zu. Beim CO-Gesetz waren die Hochgebildeten mit einem Ja-Anteil von 64 Prozent die einzige zustimmende Kategorie. Gleichzeitig glänzten die akademisch Gebildeten wie immer mit der klar höchsten Stimmbeteiligung.

Dieses Abstimmungsverhalten der Hochschul-Gebildeten hat wenig mit fundierterem Wissen zum konkreten Thema, jedoch viel mit Werten und Moral zu tun. Hält man sich an die Kategorien des US-amerikanischen Politikwissenschafters Jason Brennan, passen die Hochgebildeten gut in seine Gruppe der politischen «Hooligans». Diese halten sich für politisch gut informiert, pflegen aber ein festgefügtes Weltbild. «Having opinions» gehört für sie zur persönlichen Ausstattung. Diese Meinungen gelten auch als Ausdruck moralisch höherer Werte und werden gegen Sachargumente und neue Information mit aller Kraft verteidigt.

Werte versus Wirkungen

Jenseits der Interpretationen der VOX- und VOTO-Umfrageforscher zu den beiden Referenden fördert eine vertiefte Analyse einen grundsätzlichen Unterschied in den wichtigsten Abstimmungsmotiven von Befürwortern und Gegnern zutage. Etwas plakativ ausgedrückt: Befürworter wünschen sich eine Welt nach ihren eigenen Idealvorstellungen. Dazu passt, dass auch die erwarteten Folgen gerne idealisiert werden, vorzugsweise ganz unbescheiden als Einsatz für eine bessere Welt, zur Rettung des Planeten oder für künftige Generationen. Gegner dagegen fragen sich: Wenn wir das tun, welche Folgen wird das haben? Den ersten geht es um Werte, den zweiten um Wirkungen.

Das Leben nach bestimmten Werten dient oft auch der Selbstinszenierung. Ein Leben in höheren Sphären der Moral ist jedoch oft mit Kosten verbunden. Man denke nur an die üblichen Preise für Angebote ethischen Konsums aller Art. Doch Werte müsse man sich leisten können, schrieb der Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich vor einigen Jahren in einem Beitrag in der NZZ. Werte zur Geltung zu bringen, sei an Ressourcen und Aufwand gebunden. Deshalb sei die Lebensorientierung an Werten «die Seligkeit nur von Eliten». Der «neue Moraladel» könne es sich dank seiner privilegierten sozialen Stellung leisten, einen wertebewussten Lebensstil zu verwirklichen und sich damit auch über andere Menschen zu erheben.

Im Lichte dieser Erkenntnisse kann es nicht verwundern, dass eine Orientierung an Werten in der meist auch materiell gut versorgten Bildungselite besonders verbreitet ist. Deren hohe Zustimmung zum Energiegesetz mit seinem hohen moralischen Anspruch als Einstieg in die «Energiewende» – gepaart mit der Forderung nach einem Ausstieg aus der bösen Kernenergie, bestätigt dies.

Doch der akademisch gebildete «Moraladel» ist nicht nur in Bezug auf die Klima- und Energiepolitik in den meinungsmachenden Institutionen (Politik, staatliche Verwaltung, Medien, Wissenschaft und Kultur) stark übervertreten. Der übergrosse Einfluss dieser Meinungsmacht auf die öffentliche Meinungsbildung gilt für alle ideologisch aufgeladenen gesellschaftlichen Fragen. Oder besser gesagt: Der neue «Moraladel» ist bestrebt, möglichst jedes gesellschaftliche Thema zu einer Frage der richtigen Gesinnung zu machen.

Dieser Text erschien leicht gekürzt am 29. Dezember 2022 auf nzz.ch

Energie- und klimapolitische Verwirrungen

„Auch in der Arktis stehen sich die Großmächte  neuerdings feindselig gegenüber…., denn in der Arktis schlummern im Permafrost Öl und Gas in rauen Mengen.“

Das steht heute im „Pioneer Briefing“ von Gabor Steingart. Die Grossmächte und ein paar weniger gewichtige Anrainerstaaten versuchen, ihre Ansprüche und ihre Präsenz in der Arktis auszuweiten. Der Prozess entwickelt eine Eigendynamik, indem jedes Signal der Ausdehnung der Interessensphäre eines Akteurs die anderen Akteure zu Gegenforderungen provoziert.

Im Lichte der hehren Klimaziele von „Paris 2015“ und angesichts der inflationär wiederholten Selbstverpflichtungen zu netto null CO2 erscheint das geopolitische Gerangel um die fossilen Bodenschätze der Arktis wie aus einer anderen Welt oder Zeit. Man ist versucht, unsere moralisch aufgeladene grün gefärbte Klima- und Energiepolitik als Ausfluss einer infantilisierten Wohlstandsgesellschaft zu sehen. In den komplexen globalen Zusammenhängen ist sie im besten Fall wirkungslos, im schlimmeren, aber auch wahrscheinlicheren Fall sogar kontraproduktiv. Für diesen Fall prägte der prominente deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn den Ausdruck „Das grüne Paradoxon“ – und schrieb ein ganzes Buch mit diesem Titel.

Unsere konfuse Energie- und Klimapolitik

Die US-amerikanische online-Plattform RealClearEnergy, berichtete kürzlich, Indien habe die Wiedereröffnung von über hundert stillgelegten Kohleminen angeordnet, um den explodierenden inländischen Strombedarf zu decken. Die Begründung lautete, die Energieversorgung komme für Indien an erster Stelle, vor dem Klimaschutz. Auf derselben Plattform las man in einem Editorial, das vorherrschende energiepolitische Narrativ der Administration Biden schweige darüber, wie man den sechs Milliarden Menschen, die mehr Energie brauchen, um ihr Los zu verbessern, zuverlässige und erschwingliche Energie liefern könne. Dasselbe trifft auf die offizielle schweizerische Klimapolitik zu.

Sommarugas Anmassung

Die Medien berichteten im letzten November von der Glasgower Klimakonferenz COP26, dass Umweltministerin Sommaruga gegen Schluss noch intervenierte, um für die Kohle einen konsequenten Ausstieg zu fordern. Ein allmählicher Ausstieg, der auf die wirtschaftliche Tragbarkeit Rücksicht nehme, genüge nicht. Eine solche Intervention eines Regierungsmitglieds eines Landes, das mit seiner Energieversorgung nur dank importiertem Kohlestrom über die Runden kommt, ist an sich schon fragwürdig. Wenn aber Bundesrätin Sommaruga von 1,4 Milliarden Indern den Kohleausstieg ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Tragbarkeit fordert, finde ich das anmassend. Man könnte den Spiess ja mal umkehren. Was für Forderungen könnte Indien an die Schweiz in Sachen Klima und Energie stellen?

Auch Forscher argumentieren auf der Linie von Sommaruga. Kürzlich referierte der ETH-Klimaphysiker Reto Knutti an einem Anlass einer Bank. Sein Referat gründete auf dem Narrativ unserer offiziellen Klimapolitik. Als Einstieg kamen für das richtige „Framing“ Bilder von ausländischen Waldbränden und Überschwemmungen, danach mit der Simulation des Rückzugs des Aletschgletschers bis ins Jahr 2100 auch noch etwas Einheimisches. Schliesslich unterstützt Klimaforscher Knutti die „Gletscher-Initiative“, die den Leuten suggeriert, es liege an uns, mit einer ambitionierten Klimapolitik die Alpengletscher zu retten.

Die Geschichte, die man uns immer wieder erzählt, lautet so: Um das Klimaziel der Konferenz von Paris im Jahr 2015 zu erreichen, nämlich den Anstieg der Temperatur seit Beginn des Industriezeitalters möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir jetzt sofort handeln. Wir müssen die erneuerbaren Energien aus Wind, Wasserkraft und Photovoltaik massiv ausbauen und die Mobilität und die Gebäude elektrifizieren. Und wir sollten weniger fliegen. Und wir sollten weniger Fleisch essen. Wir sollten einfach weniger fossile Energien Kohle, Öl und Gas verbrauchen und durch CO2-arme Energieträger ersetzen. Dass dabei die Kernenergie auch im Vergleich mit Solar- und Windstrom am besten abschneidet, bleibt ausgeblendet.

Das diffuse „wir“

Die Konfusion, die unsere Klimadebatte belastet, dreht sich um das Wörtchen „wir“. Wen meinen die warnenden Stimmen mit „wir“? Sind es wir Schweizer, dann sind all die Bilder von Waldbränden, Überschwemmungen und schmelzenden Gletschern bloss Stimmungsmache, denn darauf haben wir nicht den geringsten Einfluss. Meinen die Warner(innen) aber das „wir“ global, dann sind wir politisch nicht zuständig, siehe das Beispiel Indien. Auch andernorts auf der Welt kommt das Fressen vor der Moral, gerade in den westlichen Demokratien, wo der Krieg in der Ukraine gerade die hehren Netto-null-Versprechungen entzaubert. Überall herrscht unter unsicheren Regierungs- und Parlamentsmehrheiten ein opportunistisches Gerangel um Wählerstimmen. Energiepreise, besonders der politisch brisante Benzinpreis, sollen jetzt mit allen Mitteln gedeckelt werden – inklusive Bücklinge aller Art vor den Potentaten von Autokratien wie Saudi Arabien oder Venezuela.

An der jüngsten Klimakonferenz in Bonn offenbarten sich die politischen Realitäten. Ernüchtert stellte man fest, dass nur wenige Länder die auf dem COP26-Gipfel versprochenen Pläne für strengere Emissionssenkungen vorgelegt hatten. Zudem fehlt es immer noch an der vollmundig in Aussicht gestellten Finanzierung für arme Länder, damit diese sich besser an den Klimawandel anpassen können. Europäische Staaten sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, die fossilen Energiereserven der Entwicklungsländer zu beanspruchen, ohne ihnen bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen. Ausgerechnet das Energiewende-Land Deutschland plant, die Importe fossiler Brennstoffe zu erhöhen, um die riesigen Gasmengen zu ersetzen, die es bis vor kurzem von Russland kaufte.

Die wachsende Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und politischem Handeln untergräbt die Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratien nicht nur zuhause, sondern auch im Rest der Welt.

„Geld bleibt hier“

Das schwächste Argument in der Energie- und Klimadebatte

Energieministerin Sommaruga erzählt dem Volk in ritueller Wiederholung, dass Jahr für Jahr viele Milliarden Franken für Importe fossiler Energieträger ins Ausland abfliessen würden. Ohne sich in mühsamen Details zu verlieren, impliziert diese bundesrätliche Botschaft, mit der sogenannten Energiewende und dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien würden diese Mittel im Land verbleiben.

„Geld bleibt hier“ war erstaunlicherweise im Vorfeld des Referendums vom Mai 2017 über das Energiegesetz auch der auffallendste Slogan auf der Abstimmungs-Werbung der FDP zugunsten der Ja-Parole. Dabei steht ja hinter dem Kürzel FDP noch ein – wie man meinen könnte – programmatisch verpflichtendes „Die Liberalen“. Einziger Trost: Die Parteibasis, im Jargon der VOTO-Nachabstimmungsanalysen FDP-Parteisympathisanten, folgten der Partei-Elite nicht und stimmten mit einem Nein-Anteil von 53 Prozent gegen das Energiegesetz.

Der Slogan „Geld bleibt hier“ verdient den Superlativ „das schwächste Argument“. Schwach ist das Argument ganz generell. Würden alle Staaten dieser Welt nach dem Muster „Geld bleibt hier“ handeln und versuchen, Importe durch eigene Produktion zu substituieren, würden wir in einer armen Welt leben. Was der englische Ökonom David Ricardo (1772-1823) mit seiner Theorie der komparativen Kosten für die Vorteile der Spezialisierung und des internationalen Handels gezeigt hat, ist durch die enormen Wohlstandsgewinne einer globalisierten Welt längst auch empirisch bewiesen.

Noch schwächer wird das Argument, wenn man es konkret auf die Schweiz anwendet. Nicht nur profitieren die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft geradezu weltrekordverdächtig von der Offenheit für den internationalen Handelsaustausch. Die Schweiz verzeichnet auch seit Jahren massive Aussenhandelsüberschüsse, was allerdings oft falsch verstanden wird. Ein Exportüberschuss ist nicht per se etwas Positives, sondern ökonomisch einfach ein Sparüberschuss einer Volkswirtschaft. Anders gesagt: Wir leben seit Jahren unter unseren Konsummöglichkeiten. Die für den Import fossiler Energieträger abfliessenden Milliarden, die Bundesrätin Sommaruga und die FDP.Die Liberalen im Land behalten und investieren möchten, konnten wir uns immer locker leisten.

Zum schwächsten Argument wird „Geld bleibt hier“ aber in der konkreten Anwendung auf die Energiewende. Die im Argument unausgesprochene Folgerung, das Geld würde hier bleiben, wenn wir nur mit der Energiewende und den erneuerbaren Energien vorwärts machen, ist bei genauerer Betrachtung unhaltbar. Woher kommen denn die meisten Rohstoffe, Technologien und Produkte? Fast nichts aus der Schweiz. PV aufs Dach montieren, ist keine innovative Leistung. Bei uns wird einfach zu hohen Kosten installiert, was uns die Chinesen und andere liefern. Zudem haben die Anlagen für Solar- und Windenergie eine eher begrenzte Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren und müssen dann ersetzt werden. Die Abhängigkeit von Importen wird kaum kleiner, nur verschieben sich die geopolitischen Gewichte der Lieferländer. Diese erscheinen aus Sicht demokratischer Gesellschaften kaum weniger problematisch als viele der grossen Produzentenländer für Öl und Gas.

Abstimmungspropaganda zeigt immer auch, wie die Absender die Kompetenz der Adressaten, also des Stimmvolks, einschätzen. Vielleicht wissen auch Energieministerin Sommaruga und die FDP-Elite, dass mit dem Argument „Geld bleibt hier“ etwas nicht stimmt. Aber sie könnten ja richtigerweise auch davon ausgehen, dass die meisten Leute hierzulande die obligatorische Schulzeit als ökonomische Analphabeten verlassen – ein Bildungsversagen im schweizerischen Schulsystem. „Geld bleibt hier“ wäre so gesehen als Argument wenigstens politisch rational.

Dieser Text wurde in der „Weltwoche“ Nr. 25 vom 23. Juni 2022 unter dem Titel „Sommarugas Energiewende macht China reich“ publiziert.

Doris Leuthard canceln?

Zurück zu energie- und klimapolitischer Vernunft

Am 21. Mai 2017 nahm das Stimmvolk das unter der damaligen Energieministerin Doris Leuthard gezimmerte Energiegesetz mit 58.2 Prozent der Stimmen an. Im Anhang zum Gesetz findet sich das Verbot zum Bau von neuen Kernkraftwerken. Da die SVP als einzige Partei das Referendum gegen das Gesetz unterstützt hatte, kam es zum Showdown „alle gegen die SVP“ – eine Konstellation, die nicht wenige Leute gerne dazu benützen, der Blocher-Partei eins auszuwischen, ohne sich jeweils gross um die konkreten Sachverhalte zu kümmern.

Kurzer Weg in die energie- und klimapolitische Sackgasse
Das Energiegesetz trat am 1. Januar 2018 in Kraft. Es enthält das erste Massnahmenpaket der „Energiestrategie 2050“ (ES2050). Betroffen ist mit der Elektrifizierung der Mobilität und der energetischen Gebäudeversorgung vor allem der Stromsektor. Der in Aussicht gestellte Erfolg der ES2050 gründete auf vier Annahmen: Erstens auf einem massiven Ausbau von Solar- und Windstromanlagen sowie von Wasserkraft; zweitens auf Energieeinsparungen durch Effizienzsteigerungen; drittens auf Stromimporten aufgrund eines Stromabkommens mit der EU und viertens auf technologischen Quantensprüngen, insbesondere in der Speichertechnologie, um wegfallende Bandenergie aus KKW durch volatilen Strom aus Solar- und Windanlagen zu ersetzen.

Für das Gelingen der Energiewende müssten alle vier der oben aufgeführten wackeligen Annahmen erfüllt werden. Es sind kumulative Bedingungen, was die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns massiv erhöht. In allen vier Bereichen gibt es enorme Ziellücken. Und so stehen wir heute mit abgesägten Hosen da. Bezeichnend dafür: unter dem Druck der selbstverursachten Umstände mit möglichen Stromunterbrüchen in wenigen Jahren ist plötzlich von unpopulären Gaskraftwerken die Rede. Trotzdem rückte alt Bundesrätin Leuthard in ihren jüngsten Medienauftritten keinen Millimeter von ihren früheren Positionen ab, etwa mit der Behauptung, Kernenergie sei eine Technologie von gestern. Leute, die derart apodiktisch daherreden, werden langsam einsam in einer Zeit, in der die Kernenergie weltweit eine Renaissance erlebt.

Die grüne Lebenslüge – Leitmotiv der Schweizer Energeiepolitik
Schon Jahre vor dem Referendum über das Energiegesetz hatte der Wissenschaftsjournalist Andreas Hirstein in der NZZ am Sonntag vom 14. Dezember 2014 von der grossen Lebenslüge der grünen Bewegung geschrieben, die zum Leitmotiv der offiziellen Schweizer Energiepolitik geworden sei. Alles, was wir politisch wollten, sei auch machbar: Atomausstieg plus Reduktion der CO2-Emissionen plus neue Arbeitsplätze. „In der Energiepolitik genügt es nicht, nur zu wollen. Es gibt technische und wirtschaftliche Grenzen, die kein noch so guter Wille aus dem Weg räumt. Sie zu ignorieren, wird auch in der Schweiz noch teuer werden.“

Nun sind wir so weit, doch fehlt bei den Verantwortlichen der Mut zum Eingeständnis, dass die Realität luftigen Erwartungen nicht gefolgt ist. Es gibt neben der Schweiz nur wenige Länder, in denen die moralisch aufgeladene Verpflichtung zur CO2-Reduktion im Ziel-Trilemma der Energie- und Klimapolitik oberste Priorität hat. In fast allen wichtigen Staaten hat Versorgungssicherheit Vorrang. Bei uns braucht es zuerst eine drohende Notlage, bis die Prioritäten zwangsweise neu geordnet werden.

Neuordnung der Prioritäten im Ziel-Trilemma
Am Paul-Scherrer-Institut (PSI) wurde unter der Leitung von Dr. Stefan Hirschberg eine Methode zur Nachhaltigkeitsbewertung der verschiedenen Technologien der Stromproduktion entwickelt. Die Multi-Kriterien-Analyse genannte Methode hat zum Ziel, die objektiv messbaren wirtschaftlichen und umweltrelevanten Indikatoren mit subjektiven gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu kombinieren und im Ziel-Trilemma Wirtschaft – Umwelt – Gesellschaft mehr Transparenz zu schaffen. Die Nachhaltigkeit der einzelnen Technologien hängt davon ab, welches Gewicht den Indikatoren gegeben wird.

Allerdings sind die drei Hauptkriterien nicht unabhängig voneinander. In den weichen Gesellschaftsindikatoren widerspiegelt sich eine verzerrte öffentliche Wahrnehmung von mess- und bewertbaren Indikatoren über Wirtschaftlichkeit und Umweltfaktoren. Setzt man auf eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz, erhalten Kernenergie und andere thermische Grosskraftwerke wenig Pluspunkte. Dagegen sind Wind- und Solarstrom in der Bevölkerung populär und kommen in der gesellschaftlichen Bewertung viel besser weg, als sie es aufgrund der tatsächlichen Kosten und Umweltlasten verdienen würden. Wenn die Leute über die wahren Kosten und Umweltbelastungen besser informiert wären, käme bei der gesellschaftlichen Akzeptanz eine andere Bewertung der verschiedenen Technologien der Stromproduktion heraus.

Frau Leuthards jüngste Auftritte trugen zur Aufklärung der Bevölkerung nichts bei. Der Titel „Doris Leuthard canceln!“ ist nicht ganz ernst gemeint, aber weitere Auftritte einer Uneinsichtigen könnte man uns ersparen.

Frau Zünd kommuniziert, solange es ihr passt

Marianne Zünd ist Leiterin Abteilung Medien und Politik und Mitglied der Geschäftsleitung im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, Bundesamt für Energie BFE.

Mit Frau Zünd zettelte ich jüngst einen persönlichen kleinen Mailaustausch an, der so ablief:

Sehr geehrte Frau Zünd

Könnten Sie die folgende Fragen an jemanden weiterleiten, der sie beantworten würde? Besten Dank.

Ich habe für mein Reihenhaus die Wirtschaftlichkeit einer PV-Anlage mit Batterie angeschaut. Rein wirtschaftlich rechnet sich die Investition aufgrund heutiger Strompreise und meines Verbrauchs nicht. Das ist einigermassen erstaunlich.  Wieso sollte ich diese Investition tätigen, wenn sie sich nicht bezahlt macht? Ich vermute, die Preise für die Installation einer solchen Anlage seien in der Schweiz – wie halt so üblich – exorbitant hoch, mit typischen Schweizer Margen.

Und jetzt meine zentrale Frage: Ist es nicht so, dass die staatlichen Fördermittel, die private PV-Investoren erhalten, ökonomisch gesehen, gar nicht beim Käufer verbleiben, sondern angesichts der spezifischen Preiselastizitäten überwiegend bei den Anbietern landen, weil diese dann einfach ihre Preise entsprechend erhöhen können?

Freundliche Grüsse
Hans Rentsch

Frau Zünd (lic.phil.nat.) antwortete freundlicherweise umgehend am Tag danach gleich selbst, und zwar wie folgt:

Sehr geehrter Herr Rentsch

Bei kleinen Anlagen gibt es tatsächlich Mitnahmeeffekte. Demnächst werden wir dazu übrigens eine Evaluation publizieren. Den Mitnahmeeffekten wirkt der Bund aber entgegen, indem die Vergütungssätze regelmässig abgesenkt werden und dadurch auch die Preise sinken sollten. In den letzten Jahren ist das recht gut gelungen. Siehe Seite 27 in diesem Bericht Photovoltaikmarkt: Preisbeobachtungsstudie 2020.

Dass sich die Anlagen lohnen und das aktuelle Förderinstrumentarium funktioniert, zeigt der boomende Markt und die Tatsache, dass Ende 2021 in nur 3 Ländern Europas (Deutschland, Niederlande, Belgien) pro Kopf mehr PV installiert wurde als in der Schweiz.

Freundliche Grüsse
Marianne Zünd

Dies bewog mich zu folgender Reaktion:

Sehr geehrte Frau Zünd

Es geht mir nicht um Mitnahmeeffekte, sondern um die Frage, bei wem Fördermittel für eine PV-Investition letztlich landen – bei den Käufern oder letztlich bei den Anbietern, da diese gerade in einem Nachfrageboom ihre Preise locker erhöhen können.  Was nach Anreiz für Käufer angepriesen wird, wäre dann eine unbeabsichtigte „Förderung“ der Installateure.

Es geht mir nicht um Mitnahmeeffekte, sondern um die Frage, bei wem Fördermittel für eine PV-Investition letztlich landen – bei den Käufern oder letztlich bei den Anbietern, da diese gerade in einem Nachfrageboom ihre Preise locker erhöhen können.  Was nach Anreiz für Käufer angepriesen wird, wäre dann eine unbeabsichtigte „Förderung“ der Installateure.

Freundliche Grüsse
Hans Rentsch

Seitdem herrscht Funkstille.

Billige Kostenargumente gegen die Kernenergie

Zwei Lager, drei Argumente
Die AKW-Gegnerschaft besteht zu einem beträchtlichen Teil aus zwei unterscheidbaren Gruppen. Auf der einen Seite gibt es die vielen oberflächlich Informierten, die sich ihre Meinungen mithilfe von Schlagworten in den Medien oder Parolen „ihrer“ Partei bilden, ohne sich mit dem notwendigen Opfer an knapper Zeit genau über die Fakten und Zusammenhänge zu informieren. Die andere Gruppe besteht aus Leuten, die mit ihrer Opposition gegen die Kernenergie ihr Selbstbild als Progressive im Kampf gegen die Ewiggestrigen pflegen. Die zweite Gruppe bewirtschaftet die diffuse Abneigung der ersten gegen „Atomstrom“ und liefert dieser mit Unterstützung geneigter Medien in ritueller Wiederholung die drei eingängigsten Schlagworte: Erstens: AKW sind gefährlich, siehe Tschernobyl und Fukushima. Zweitens: Das Entsorungsproblem für den „Atommüll“ ist nicht gelöst. Drittens: AKW sind viel zu teuer, kein Investor wird deshalb heute ein AKW bauen.

Mit den drei Argumenten hat sich Martin Schlumpf jüngst in seinen Nebelspalter-Beiträgen eingehend beschäftigt und diese weitestgehend widerlegt, stets mit Daten aus offiziellen Quellen. Schlumpf hat unter Verwendung von Analysen des BFE gezeigt, dass bei Einbezug aller Kosten zur Herstellung einer vergleichbaren Versorgungssicherheit Strom aus erneuerbaren Energien deutlich teurer ist als „Atomstrom“. Ergänzend dazu ist zu begründen, weshalb kein privatwirtschaftlich rechnender Investor bereit ist, in ein neues AKW zu investieren. Von den Gegnern der Kernenergie werden auch die grossen schweizerischen Stromproduzenten als mögliche privatwirtschaftlich operierende Investoren betrachtet, obwohl diese weitgehend in staatlichem Besitz sind.

Die „Energiewende“ macht Versorgungssicherheit zu einem öffentlichen Gut
Aus ökonomischer Sicht ist die ungenügende Wirtschaftlichkeit eines neuen AKW-Projekts leicht zu erklären. Die diversen europäischen Energiewenden und der damit verbundene hoch subventionierte Ausbau von volatiler Wind- und Solarenergie mit Priorität der Einspeisung ins Netz verzerren den Strommarkt zulasten der zuverlässigen Stromproduktion aus Wasserkraft und AKW. Die Strompreise werden primär von den niedrigen Grenzkosten von unregelmässig produzierenden PV- und Windkraftanlagen bestimmt. Eine langfristige Investitionsrechnung ist auf einer solchen Grundlage nicht mehr möglich.

Zudem wird mit dem geplanten massiven Ausbau von Wind- und Solarenergie und deren Bevorzugung im System der Stromversorgung wegen unzuverlässig anfallender Produktion die Versorgungssicherheit immer deutlicher zu einem öffentlichen Gut. Einerseits dient Versorgungssicherheit als Garantie für die jederzeitige Verfügbarkeit von Strom zur gewünschten Zeit allen Nutzern einer Infrastruktur, ohne dass jemand davon ausgeschlossen werden kann. Anderseits gilt auch das zweite Merkmal öffentlicher Güter: Es besteht keine Rivalität der Nutzung. Wenn mein Nachbar von der Versorgungssicherheit einer zuverlässigen Strominfrastruktur profitiert, schmälert dies meinen Nutzen am System nicht.

Die besondere Natur öffentlicher Güter führt zu einer Unterversorgung durch den Markt, weil privatwirtschaftliche Investoren für ihren Beitrag an die Versorgungssicherheit nicht entschädigt werden. Wenn sich der Bau von AKW privatwirtschaftlich nicht rechnet, weil der Beitrag zur Versorgungssicherheit am Markt nicht entschädigt wird, ist es Aufgabe des Staates, Ressourcen zu mobilisieren, um die Versorgungssicherheit ohne Ausschluss einer bestimmten Technologie zu gewährleisten. Wenn nun Verfahren zur Realisierung von Solar- und Windanlagen beschleunigt werden sollen, müsste dies analog für den Bau neuer AKW gelten.

Dieser Beitrag erschien am 23. Februar 2022 im Nebelspalter online.