EGMR: Ein Urteil pro Kernenergie

Unsere Klimaseniorinnen ebnen den Weg für die Rückkehr zu einer vernünftigen Klima- und Energiepolitik

Man kann über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) jubeln wie die siegreichen Klimaseniorinnen selbst oder all die Unterstützer aus linken Parteien und Verbänden. Oder man kann das Urteil als juristisch verfehlt und politisch anmassend kritisieren, wie es zum Beispiel die NZZ in aller Deutlichkeit getan hat. Es müsste den Bürgern des Landes, das sich gerne als Demokratieweltmeister feiert, zu denken geben, dass die hoch partizipativen politischen und rechtsstaatlichen schweizerischen Institutionen nach Meinung der Klimaseniorinnen nicht genügen, um den Umständen entsprechend fair mit ihren Anliegen umzugehen. Den hinter dem ganzen Prozess stehenden Greenpeace-Unterstützern ist das natürlich egal, denn diese spielen auch hier wieder primär das Spiel der Macht.

Was die jubelnde Seite nach dem Urteil als selbstverständlich voraussetzt, nämlich dass nun eine links-grüne Klima- und Energiepolitik neuen Schub erhält, ist überhaupt nicht gegeben. Denn das hohe Gericht hat es wohlweislich unterlassen, der Schweiz konkrete Auflagen betreffend Klimaschutz für ältere Damen zu machen, die als Massnahmen in Gesetze und Verordnungen überzuführen wären.

Mit anderen Worten: Das EGMR-Urteil lässt offen, wie die Schweiz darauf reagieren soll, sofern überhaupt. Man könnte das Urteil auch so verstehen, dass die schweizerische Klima- und Energiepolitik nach links-grüner Ideologie nicht das gebracht hat, was man den Leuten seit Jahren suggeriert. Eigentlich erfordert der Erfolg der Klimaseniorinnen in Strassburg geradezu zwingend eine grundlegende Debatte über eine langfristig wirksame Klimapolitik. Die grünen Rezepte sind weitgehend unwirksam und trotzdem teuer. Damit gelangen wir wieder zur altbekannten links-grünen Schizophrenie in der Einstellung zur praktisch CO2-freien Kernenergie. Solange die fundamentalistische Ablehnung der Kernenergie bzw. neuer Kernkraftwerke durch Links-grün in unserer Politik die Oberhand behält, wird die Realisierung einer nachhaltig wirksamen und umweltschonenden Klimapolitik zu tragbaren Kosten verhindert.

Alles, was seit der Zustimmung zum Energiegesetz im Referendum vom Mai 2017 gesetzlich passiert ist, steht unter der Fuchtel des ominösen Leitspruchs „Versorgungssicherheit nur mit erneuerbaren Energien“. Dies schliesst den Ausbau der Kernenergie, ganz nach den Wünschen der fundamentalistischen Kernenergiegegner, implizit aus. Und all die politisch-gesetzlichen Aktivitäten um Wind- und Solarexpress sowie Mantelerlass zielen darauf ab, in der Bevölkerung die Illusion aufrecht zu erhalten, wir könnten unsere Ziele im Klima- und Energiebereich allein mit Sonne, Wind, Wasser und Biomasse erreichen. Der ganze links-grüne Druck für eine solche beschleunigte „Leuthard-Sommaruga-Politik“ hat den Hauptzweck, eine Renaissance der Kernenergie zu verhindern.

Regelmässig erhalten diese Kreise Unterstützung durch Studien staatlicher Hochschulen. Wie gerade jetzt wieder im Fall einer neuen Studie von ETHZ, EPFL und Universität Genf gelangen diese jeweils unter abenteuerlichen Annahmen über den erforderlichen massiven Ausbau all der Infrastrukturen sowie über Stromimporte im Winter (Achtung fossiler Strom aus Deutschland und Atomstrom aus Frankreich!) zum Schluss, dass eine solche Netto-null-Energiewende mit Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit technisch und wirtschaftlich machbar sei. Es ist bezeichnend, dass das Energy Science Center (ESC) der ETHZ erst dann ein Szenario mit Kernenergie gerechnet hat, als Economiesuisse dazu den Auftrag gab. Und als dieses Szenario günstig ausfiel, behauptete Christian Schaffner, Direktor des ESC, im Tages-Anzeiger, die Kernenergie-Variante sei die teuerste.

Kernenergie in den USA: im Aufwind, aber gegen Widerstand

Eine Gallup-Umfrage vom letzten Jahr unter dem Titel „Unterstützung der Amerikaner für die Kernenergie“ zeigte auch bei diesem Thema das übliche Bild einer gespaltenen Gesellschaft. 51 Prozent der befragten Erwachsenen gaben an, sie seien sehr oder eher für Strom aus Kernkraft. Beinahe die Hälfte ist demnach grundsätzlich gegen die Kernenergie.

Aufschlussreich sind die Ergebnisse nach Kategorien. Eine sehr grosse Diskrepanz gibt es zwischen den Geschlechtern. 63 Prozent der befragten Männer sind pro Kernenergie, während es bei den Frauen bloss 39 Prozent sind. Ähnliche Geschlechterdifferenzen kennen wir bei ideologisch aufgeladenen Themen auch in der Schweiz. Zwischen den Alterskategorien gibt es ebenfalls Unterschiede. Die über 55-Jährigen zeigen die höchste Zustimmung (57 Prozent pro Kernenergie).

Die Ergebnisse nach Bildungsgrad interessieren besonders, weil wir aus der VOTO-Studie zum Referendum über das Energiegesetz vom Mai 2017 vergleichbare schweizerische Daten haben. Diese Abstimmung war bekanntlich auch eine „Atomausstiegs-Abstimmung“, weil das Gesetz im Anhang ein Neubauverbot für Kernkraftwerke enthält. In den USA sind Hochschulabgänger gemäss Gallup-Umfrage kernenergiefreundlicher als Leute ohne Hochschulbildung (57 Prozent zu 45 Prozent pro Kernenergie). Dagegen erhielt das Energiegesetz mit „Atomausstieg“ von den Stimmenden mit Hochschulabschluss bei weitem die höchste Unterstützung, nämlich 74 Prozent gegenüber nur 45 Prozent Zustimmung von der untersten Bildungskategorie. Über die Gründe dieses Kontrasts zwischen den USA und der Schweiz liesse sich bloss spekulieren. Ein Unterschied besteht darin, dass die Gallup-Umfrage die ganze erwachsene Bevölkerung abbildet, während die VOTO-Umfrage nur die Leute erfasst, die abgestimmt haben, also nur rund 42 Prozent der Stimmberechtigten.

Das pikanteste Resultat der Gallup-Umfrage ist aus schweizerischer Sicht nicht überraschend. Denn auch bei uns kennt man die eklatanten Widersprüche grüner Politik, wenn es um die Kernenergie als praktisch CO2-freie Stromproduktion geht. In den USA lehnen ausgerechnet die Leute, die sich am meisten Sorgen um die Folgen des Klimawandels machen, die Kernenergie mit der grössten Mehrheit ab. Nur 34 Prozent der Befragten waren pro Kernenergie. Anderseits waren 70 Prozent derjenigen, die sich kaum oder gar keine Sorgen um den Klimawandel machen, für die Kernenergie.

Also genau wie bei uns. Wer die Ablehnung der Kernenergie zum mobilisierenden Markenzeichen gemacht hat, wie links-grüne Parteien und NGO, hat grösste Mühe, sich von überholten Vorurteilen zu verabschieden, selbst wenn sich grundlegende Fakten geändert haben. Kernenergie hat in Zeiten der CO2-Reduktion einen besonders hohen Stellenwert, was weltweit – mit Ausnahme Deutschlands und der Schweiz – zu einer Neubeurteilung der Kernenergie geführt hat. In der Schweiz sind politische Kurswechsel allerdings besonders schwierig, weil Bundesrat und Parlament stets den Risiken von Volksinitiativen oder Referenden ausgesetzt sind, was den Reformeifer in wichtigen Dossiers beträchtlich bremst.

Abstimmungssieg der ETH

Eine staatliche Hochschule im Kampagnenmodus

Der folgende Text erschien am 26. Juni 2023 in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter (Zugang nur mit Zahlschranke).

Vermutlich knallten am Abstimmungssonntag vom 18. Juni nicht nur bei den Siegerparteien die Korken, sondern auch am Energy Science Center der ETH Zürich. Das sogenannte Klimaschutzgesetz war vom Stimmvolk mit einer Ja-Mehrheit von rund 59 Prozent angenommen worden. Damit wurde der unerwartete Lapsus des erfolgreichen Referendums gegen das CO2-Gesetz vom Juni 2021 mehr als korrigiert. Unter dem Druck der „Gletscherinitiative“ haben wir nun als CO2-Reduktionsziel „netto null 2050“ gesetzlich festgeschrieben. In Bezug auf die absehbaren praktischen Auswirkungen bedeutet dies eine Radikalisierung der Klima- und Energiepolitik. Obwohl Politik und Medien dem Stimmvolk mit Verweis auf diverse Studien suggerierten, „netto null 2050“ sei technisch und wirtschaftlich machbar, weiss heute niemand, wie das gehen könnte. Deshalb soll jetzt die ETH in einem teils privat finanzierten 100-Millionen-Projekt nützliche Erkenntnisse liefern.

Verdient hat die ETH diese Forschungsmittel voll und ganz. Unsere Renommierhochschule hatte sich kampagnenmässig im Abstimmungskampf für das Klimaschutzgesetz engagiert. Auf erste Anzeichen eines politischen Engagements stiess ich, als ich mich nach der Lancierung der Gletscherinitiative im Jahr 2018 für einen Zeitungsartikel über die Initianten informierte. Dort stiess ich im wissenschaftlichen Beirat auf den ETH-Professor und Klimamodellforscher Reto Knutti, mittlerweile dank seinem gut sichtbaren Engagement wohl der bekannteste Kopf der hiesigen Klimaforschung.

Im April dieses Jahres mobilisierte Professor Knutti über 200 Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten für einen öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des Klimaschutzgesetzes. Genau zum Zeitpunkt, als das Abstimmungsbüchlein zur Abstimmung in den Briefkästen der Stimmberechtigten landete, las man in den Medien von einem eben erschienenen «White Paper» des Energy Science Center. In diesem erklären die beteiligten ETH-Autoren „netto null 2050“ aus wissenschaftlicher Sicht für technisch machbar und wirtschaftlich tragbar.

Wenige Tage später interviewte die NZZ die beiden ETH-Präsidenten Joël Mesot und Martin Vetterli unter dem Titel «So schaffen wir die Klimawende». Ihre Antworten klangen teilweise wie die offizielle Propaganda im Abstimmungsbüchlein. Für einen informierten Zeitgenossen schwer zu ertragen waren die Aussagen zur Kernenergie. Die ETH mit ihrem Energy Science Center fühlt sich offenbar immer noch einer kernenergiefreien Schweiz verpflichtet. Man kann sich gut vorstellen, dass das Verfolgen eines möglichst schwierig bis utopisch zu erreichenden Ziels – «netto null 2050» plus energetische Versorgungssicherheit nur mit Erneuerbaren – besonders hohe Forschungsbudgets erfordert. Sollte das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufgehoben werden, könnten die Forschungsmittel schrumpfen.

Zur Knutti-Initiative meinte ETHZ-Präsident Mesot, sie widerspreche den ETH-Governance-Regeln nicht. Ihre Forschenden hätten ebenso ein Recht auf freie Meinungsäusserung wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Und weiter: «Zudem kann ich nachvollziehen, dass bei ihnen die Dringlichkeit zum Handeln grösser ist als in anderen Kreisen. Sie forschen zum Teil seit Jahrzehnten zum Thema Klimawandel und zu erneuerbaren Energien. Aber politisch geht es ihnen viel zu langsam vorwärts.»

So wurde die Govenance-Problematik nochchalant zur Seite gewischt. Es fehlte jegliche Sensibilität für den grundlegenden Unterschied zwischen einer individuellen Meinungsäusserung eines Forschers als Bürger und der organisierten Kollektivaktion von Reto Knutti im Namen der ETH. Es scheint, als habe die Sakralisierung der direkten Volksrechte das Sensorium für Grundsätze demokratiepolitischen Verhaltens nachhaltig beschädigt. Die entlarvenden Pointen des Interviews kamen auf die Schlussfrage «Was empfehlen Sie zum Klimaschutzgesetz?»: Mesots Antwort lautete: «Ich kann nur den Bundesrat unterstützen.» Und Vetterli: «Das sind schliesslich unsere Chefs, und wir opponieren als gute Angestellte natürlich nicht (lacht).»

Zum Lachen gibt es für mein Empfinden wenig. Es scheint mir äusserst fragwürdig, wenn sich staatliche Hochschulen als Steigbügelhalter der offiziellen Politik gebärden. Gerade von einer ETH kann die steuerzahlende Bevölkerung erwarten, dass sie ihre Forschung unabhängig von politischen Vorgaben betreibt. Eine Abstimmungskampagne gehört bestimmt nicht in den Aufgabenbereich einer staatlichen Hochschule. Wenn unsere Hochschulen nicht selbst in der Lage sind, sich Governance-Regeln zur Einhaltung politischer Neutralität und Unabhängigkeit zu geben, ist die Politik gefordert. Auch die Hochschulforschung muss sich ihre Unabhängigkeit durch die Einhaltung strikter Governance-Prinzipien verdienen.

Klimaaktivist Knutti

„Die Wissenschaft“ engagiert sich im Abstimmungskampf

Vor wenigen Wochen berichteten die Medien über eine Aktion des ETH-Klimaforschers Reto Knutti. Er hatte über 200 Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten für die Unterstützung des Klimaschutz-Gesetzes mobilisiert. Seine Begründung für die professorale Einmischung in die Volksabstimmung vom 18. Juni lautet so: „Gerade bei komplexen Themen wie dem Klimawandel sollten sich auch Wissenschaftler:innen mit ihrer Expertise einbringen und zur Meinungsbildung beitragen.“

Diese Aktion, die beansprucht, „die Wissenschaft“ zu vertreten, wurde in den Medien, kaum überraschend, fast nur wohlwollend kommentiert. Dabei kam das Grundsätzliche nicht zur Sprache: Diese Einmischung in einen Abstimmungskampf missachtet eigentlich selbstverständliche Governance-Prinzipien von staatlichen Hochschulen. Natürlich können alle, die die Aktion unterzeichnet haben, ihre persönliche politische Meinung haben und diese in Wahlen und Abstimmungen ausdrücken.

Es ist aber etwas völlig anderes, mithilfe der geliehenen Reputation seiner staatlich finanzierten Hochschule die Abstimmung über eine konkrete Gesetzesvorlage beeinflussen zu wollen – zudem noch eine ideologisch derart aufgeladene Vorlage, welche die Gesellschaft spaltet. Wenn man auf die Neinstimmen gegen das Energiegesetz mit dem „Atomausstieg“ und gegen die CO2-Vorlage abstellt, ist auch beim Klimaschutz-Gesetz mit rund 40 Prozent ablehnenden Stimmen zu rechnen. Die politische Aktion „der Wissenschaft“ richtet sich somit gegen eine grosse Minderheit, die – genau wie alle – Steuern für die staatliche Forschung zahlt.

Die Wissenschaft hat nie die Wahrheit, sondern sucht sie

Die Governance-Forderung gilt unabhänigig von der Frage, ob „die Wissenschaft“, welche diese politische Einmischung zu vertreten vorgibt, überhaupt die eine und einzige Wahrheit über den Klimawandel besitzt. Was man sicher sagen kann: Die Wahrheit über die richtige Klimapolitik kennt diese „Wissenschaft“ bestimmt nicht. Reto Knutti schreibt, die Aussage, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen rasch reduzieren müsse, sei eine logische Schlussfolgerung aus der Physik. Ist eine derart verkürzte Argumentation der „déformation professionnelle“ eines Klimamodell-Experten zuzuschreiben?

Auf SRF info3 sagte Reto Knutti, die Leute sollen auf der Grundlage von Fakten entscheiden können. Natürlich meint er die Fakten, so wie er sie interpretiert. Seine Sicht der Energie- und Klimapolitik ist nicht zuletzt durch seine persönliche Ablehnung der Kernenergie verzerrt. Deshalb unterstützt er Gesetze, die das Neubauverbot für KKW zementieren wollen. Nicht zufällig fehlt auf der Unterstützerliste die Unterschrift seiner ETH-Kollegin Annalisa Manera, Nuklearforscherin am PSI – Leuchtturm in einem Meer von Opportunismus.

Wenn die Fakten so aussehen, wie sie Reto Knuttis ETH-Kollege Anthony Patt in seinem Beitrag in der NZZ vom 21.April dargelegt hatte, müsste man der NZZ-Leserschaft dringend empfehlen, sich auch noch aus anderen Quellen über die Kosten einer rabiaten Dekarbonisierungspolitik zu informieren. Patt schrieb, dass die Solar- und Windenergie sowie Batterien für Elektrofahrzeuge so billig und zuverlässig geworden seien, dass die Gesellschaft im Vergleich zur Nutzung fossiler Brennstoffe damit Geld sparen werde. Das ist in ihrer Pauschalität eine faktenfreie Behauptung ohne datenbasierte Substanz, genau wie die folgende Aussage: „Die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 °C erfordert eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 und ihre vollständige Beseitigung bis 2050. Das ist technisch möglich und bezahlbar, wenn alle Länder und auch die Schweiz ihren Beitrag leisten.“ Man meint, man lese aus dem Parteiprogramm der Grünen Partei.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Klimaforschung politisiert ist, dann liefert sie die Aktion von Reto Knutti. Seine selbsternannte Wahrheits-Wissenschaft solidarisiert sich mit einer bestimmten politischen Agenda. Wie die oben genannten Volksabstimmungen zeigten, gibt es in der Klima- und Enegiepolitik eine tiefe Spaltung, da sie durch das Thema Kernenergie moralisch-ideologisch aufgeladen ist. Die Aktion „der Wissenschaft“ fördert diese Spaltung, indem sie sich einseitig positioniert.

Das eiserne Gesetz der Klimapolitik

Der britische Klimatologe Mike Hulme spricht von einem neuen Klimareduktionismus, der von einer Hegemonie prognostizierender Naturwissenschaften angetrieben sei, einer Hegemonie, die modellbasierten Beschreibungen vermeintlicher zukünftiger Klimata eine unverhältnismässige Macht im politischen und gesellschaftlichen Diskurs verleihe. Dieser Klimareduktionismus verdrängt die historische Erfahrung, dass „energy transitions“, also jetzt die Dekarbonisierung, Jahrhundertprojekte sind.

Dessen ungeachtet engt die Politik unter dem Einfluss alarmistischer Töne aus der Klimaforschung den Zeitrahmen für Emissionsreduktionen immer enger ein. Doch es ist eine Sache, „netto Null bis 2050“ in ein Gesetz zu schreiben, jedoch eine ganz andere Sache, später die realen Konsequenzen zu tragen. Demokratien sind für radikale Wenden nicht geeignet. Es gilt „the iron law of climate change“ (Roger Pielke jr.), das besagt, dass die Opferbereitschaft der Menschen in Wohlstandsgesellschaften begrenzt ist.

Die absehbare Entwicklung wird sein, dass Strategien der Anpassung an den Klimawandel gegenüber der radikalen Emissionsreduktion zunehmend an Gewicht gewinnen. Mit Anpassung waren die Menschen schon bisher erfolgreich. Der beste Beweis dafür sind die weltweit drastisch gesunkenen Opferzahlen aus extremen Naturereignissen. Davon hört man allerdings von „der Wissenschaft“ von Reto Knutti nichts.

Dieser Beitrag erschien in der WELTWOCHE Nr. 19/23 vom 11. Mai in leicht gekürzter Form. (Link-Zugang zum Artikel vermutlich nur für Abonnenten)


Der „Mantelerlass“ – ein nächster Schritt auf dem Holzweg

Der „Mantelerlass“, also die abgestimmte Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz, ist ein nächster Schritt zur Zementierung des Neubauverbots für Kernkraftwerke. Da sind die Grünen ehrlich, wie man auf ihren Verlautbarungen zum „Mantelerlass“ nachlesen kann. Und offiziell läuft das Revisionsvorhaben bekanntlich unter dem Titel „Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien“ – ein Oxymoron zwar, aber wer möchte nicht „den Fünfer und das Weggli“!

Doch der Bevölkerung wird einmal mehr suggeriert, eine sichere Stromversorgung allein mit erneuerbaren Energien sei auch ohne Kernenergie möglich. Die unterstützenden Gefälligkeitsstudien liefert unsere Spitzen-Hochschule ETHZ. Mit ihrem „Energy Science Center“ profiliert sie sich als getreue Erfüllungsgehilfin der offiziellen Energie- und Klimapolitik. Die Kernenergie ist dort tabu.

Zu den Beschlüssen des Ständerats zum Energiegesetz vom September 2022 gab es eine extrem knappe SDA-Meldung: Für die Modernisierung bestehender Kernkraftwerke wird kein Investitionsbeitrag geleistet. Im Nationalrat äusserte sich Roger Nordmann, SP-Nationalrat und Präsident von Swisssolar, im Namen der Kommission zur Vorlage wie folgt (original in Französisch): „Ich komme zur Frage des Kernenergiegesetzes, wo es mehrere Vorschläge der SVP-Fraktion, einen der Grünen und einen Einzelvorschlag gibt……. Nach Ansicht der Kommission hat es keinen Sinn, eine neue Debatte über die Kernenergie anzustossen…… Im Grunde ist die Atomfrage in der Schweiz erledigt. Es gab eine Volksabstimmung mit einem Kompromiss: Wir bauen keine neuen Atomkraftwerke, aber wir können bestehende betreiben, solange sie sicher sind. Es gibt keinen Grund, von diesem Kompromiss abzuweichen, der vom Volk mit 58 Prozent Ja angenommen wurde.“

Ist die Atomfrage in der Schweiz tatsächlich als erledigt zu betrachten, nur weil im Energiegesetz, dem das Stimmvolk im Mai 2017 zugestimmt hatte, ein Neubauverbot für Kernkraftwerke steht?

Wenn die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung.“

Dieses berühmte Zitat des berühmten John Maynard Keynes scheint das Verhalten in den Führungszirkeln unserer politischen Elite nicht zu beeinflussen. Dort hält man an Positionen fest, auch wenn sich die Umstände deutlich verändert haben, was seit dem Referendum vom Mai 2017 sicher der Fall ist. Man unterschätzt dort auch, wie sich die Meinungen in der Bevölkerung ändern können, und zwar ganz im Sinne des Bonmots von Keynes. Umfragen zum Neubauverbot weisen genau in diese Richtung. Gemäss einer jüngsten repräsentativen Umfrage ist heute erstmals eine Mehrheit der Stimmberechtigten für eine Aufhebung des Neubauverbots für KKW. Und so käme mit grösster Wahrscheinlichkeit heute bei einer Neuvorlage des Energiegesetzes vom Mai 2017 ein anderes Resultat heraus.

Für diese Annahme sprechen noch andere Punkte. Das Energiegesetz wurde dem Stimmvolk nach einer beispiellosen Propagandakampagne der Behörden vorgelegt. Vollmundige Behauptungen haben sich mittlerweile als nachweislich falsche Versprechungen entpuppt, so etwa zum Ausbau der Erneuerbaren, zur Reduktion der Importabhängigkeit, zum Speicherbedarf oder zur Kostenbelastung der Haushalte. Zudem lockte das Referendum, obwohl inhaltlich mit dem „Atomausstieg“ eine äusserst wichtige energiepolitische Weichenstellung, nur 43 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen. Ausgerechnet die SVP, also die Partei, die das Referendum als einzige Partei unterstützte, vermochte ihre Anhängerschaft nicht zu mobilisieren. Unter den SVP-nahen Stimmenden betrug die Stimmbeteiligung bloss 38 Prozent, der geringste Wert aller Parteien.

Der Volkswille und das Neubauverbot

Was dem Energiegesetz in einer anderen Abstimmungskonstellation hätte passieren können, zeigte gut vier Jahre später das erfolgreiche Referendum gegen das revidierte CO2-Gesetz. Dort mobilisierte ein ganzes Fünfer-Abstimmungspaket mit agrarpolitisch „heissen“ Volksinitiativen die Stimmbevölkerung sehr viel stärker, was erstens zu einer weit über dem Durchschnitt liegenden Stimmbeteiligung von rund 60 Prozent führte. Zweitens beteiligte sich dieses Mal insbesondere die sogenannte Landbevölkerung. Genau dies schlug sich auch in der Stimmbeteiligung nach Parteisympathie nieder. Im Kontrast zum Energiegesetz erreichten dieses Mal die SVP-Sympathisanten mit 73 Prozent die höchste Stimmbeteiligung. Vermutlich entsprach die parteipolitische Zusammensetzung der aktiv Stimmenden beim CO2-Referendum dem Gesamtbild aller Stimmberechtigten besser als beim Energiegesetz. Dieses mobilisierte Sympathisanten der politischen Linken überdurchschnittlich.

Der von Nationalrat Nordmann sakral überhöhte Volkswille bezüglich „Atomausstieg“ stimmt heute kaum mehr mit den Verhältnissen vom Mai 2017 überein. Wenn Demokratie bedeutet, dass die Regierenden das tun, was die Mehrheit des Stimmvolkes wünscht, dann müsste es möglich sein, über die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz ein neues Plebiszit abzuhalten. Gegenwärtig läuft die Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative, die Technologieoffenheit fordert, die Kernenergie aber nicht explizit erwähnt. Weil der „Mantelerlass“ das Neubauverbot zu zementieren droht, könnte man das kommende Referendum über den „Mantelerlass“ bereits als Plebiszit über die Kernenergie betrachten. Denn mit dem Ziel einer gesicherten Energieversorgung ohne Kernenergie befinden wir uns auf dem Holzweg.

Klimastress auf allen SRF-Kanälen 

Wie sich Medien zu Gehilfen einer politisierten Wissenschaft machen

Die klimapolitische Berichterstattung auf unseren SRF-Kanälen setzt den informierten Zuhörer oder Zuschauer regelmässig unter Stress. Beim neusten Synthesebericht des Weltklimarats IPCC war es nicht anders.

Keine kritische Stimme auf den SRF-Kanälen

In den Radionachrichten vom 20. März erfuhr man, dass der Ausstoss an Treibhausgasen bis 2030 halbiert werden müsste, um das 1,5 Grad-Ziel der Klimakonferenz „Paris 2015“ zu schaffen. Obwohl wir bei weitem nicht auf dem erforderlichen Absenkungspfad seien, gebe es Hoffnung, denn wir hätten die Möglichkeiten, das 1.5 Grad-Ziel zu erreichen. Wissenschaftsredaktor Klaus Ammann meinte zum Nutzen solcher Berichte, sie würden Impulse vermitteln. So sei etwa das Instrument der Restbudgets für Emissionen inzwischen anerkannt. Zudem zeigten die IPCC-Berichte den wissenschaftlich fundierten Konsens über den menschengemachten Klimawandel.

Auch das SRF-Fernsehen berichtete über den Synthesebericht. Der ETHZ-Klimaforscher Andreas Fischlin – Mitglied im IPCC Steering Committee – warnte, die Gefahren des Klimawandels seien noch grösser als bisher angenommen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einer Klima-Zeitbombe. Dann durfte noch eine sehr jugendliche Klimaaktivistin mit obligater Pause für den Genderstern zum Synthesebericht etwas sagen. Sie finde es schon speziell, dass Politiker*innen darüber abstimmen, was nachher Grundlage für das Handeln sei.

Warnende Stimmen vor der Klima-Zeitbombe stammten auf den SRF-Medien von drei Greenpeace-würdig alarmierten ETH-Professoren, einem WWF-Vertreter, kirchlichen Hilfswerken, dem UN-Generalsekretär und einer Klimaaktivistin. Fehlte da nicht eine Stimme, die eine kritische Meinung zum Synthesebericht äussert? Oder zum ganzen Hype um netto null/1,5 Grad? Denn es gäbe Wichtiges zu ergänzen, damit die Öffentlichkeit nicht noch weiter der Meinungsmacht aus Hochschulen, Medien und Politik ausgeliefert bleibt.

Ergänzungen zum Synthesebericht

Erstens ist der Synthesebericht, trotz seinem wissenschaftlich-technischen Auftritt, kein rein wissenschaftliches Dokument. Er wird von den 195 Teilnehmerstaaten in Verhandlungen redigiert. Ein alarmistischer Grundton wird von Grafiken zur massiven Lücke zwischen dem geschätzten CO2-Absenkungspfad für das 1,5 Grad-Ziel und zugesagten nationalen CO2-Reduktionszielen der Teilnehmerstaaten begleitet und soll die Weltgemeinschaft zum Handeln aufrütteln. Die drastischen Formulierungen, die am Ende der Übertragungskette in den Medien landen, finden in den Grundlagenberichten kaum je Rückhalt.

Zweitens gilt der immer wieder genannte wissenschaftliche Konsens nur für die allgemeine Aussage, dass menschliche Aktivitäten zur Klimaerwärmung beitragen. In welchem Ausmass und vor allem mit welchen Auswirkungen, darüber gibt es unterschiedliche Forschungsergebnisse.

Drittens ist es eine Verdrängung der globalen Realitäten, am 1,5 Grad-Ziel und den angeblich notwendigen, aber völlig utopischen CO2-Reduktionspfaden festzuhalten. Selbst viele Klimaforscher wussten schon nach „Paris 2015“, dass das 1,5 Grad- Ziel nicht einzuhalten war. Trotzdem erklärt der Weltklimarat maximal 1,5 Grad Erwärmung weiterhin zu einem sinnvollen politischen Ziel, und die Klimaforschung passt sich opportunistisch an.

Viertens wird die Rechnerei um CO2-Restbudgets durch die grosse Unsicherheit über die Klimasensitivität – d.h. den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperatur – erschwert. Quasi tonnengenaue Restbudgets und Gnadenfristen, wie sie in der politischen Kampfarena aufgefahren werden, sind unseriös.

Lokale Ideologie – globale Realität

Unter dem Titel „Die Klimadebatte – lokale Ideologie – globale Realität“ findet man auf YouTube ein Referat des Physik-Professors Gerd Ganteför (Universität Konstanz), das ideologisch geprägte (deutsche) Klimapolitik kritisch an den globalen Realitäten misst (https://www.youtube.com/watch?v=OaWM2Pd0sHY). Die Kernbotschaft lautet, auf dem falschen Weg mehr zu tun, ist eine kostspielige politische Fehlleistung. Das gilt auch für die Schweiz. Doch bei uns wirkt die Forschung der staatlichen Hochschulen in Symbiose mit den staatsnahen SRF-Medien als Erfüllungsgehilfen der offiziellen Klima- und Energiepolitik – ob aus ideologischer Überzeugung oder in Erwartung handfesterer Vorteile sei offengelassen.

Was in diesem Meinungsklima für politische Programme entstehen, dafür lieferte Radio SRF in den Nachrichten vom 25. März ein Muster. Die Grünliberalen hatten an ihrer Delegiertenversammlung den Wahlkampf für die Wahlen im Herbst mit dem Slogan „Mut zur Lösung“ lanciert. Das heisst nach Auskunft des Parteipräsidenten Jürg Grossen, man wolle mit mutigen Entscheiden der nächsten Generation einen funktionierenden Planeten hinterlassen. Ginge es nicht auch etwas bescheidener, Herr Grossen? Mit welchen mutigen Entscheiden möchten Sie denn die Chinesen, die Inder und viele andere auf die Parteilinie der GLP bringen? Mutig wäre es, im schweizerischen Landesinteresse die ideologische Ablehnung der Kernenergie aufzugeben, statt den Planeten retten zu wollen. Jürg Grossen und viele andere Politiker täten gut daran, ihre lokalen Lösungen für einen funktionierenden Planeten an den faktenreichen Ausführungen von Professor Ganteför zu messen.

Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 24. April 2023 im Feuilleton der NZZ (mit Zahlschranke).

HEKS gegen Holcim

Zur Klimaklage von indonesischen Inselbewohnern am Kantonsgericht Zug

Wie verschiedene Schweizer Medien jüngst berichteten, haben vier Bewohner der indonesischen Zwerg-Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim Zivilklage beim Kantonsgericht Zug eingereicht.  Die Zementindustrie ist eine sehr CO2-intensive Branche. Die Kläger fordern eine Entschädigung für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch das Ansteigen des Meeresspiegels und häufigere Sturmfluten. Sie verlangen vom weltgrössten Zementkonzern zudem eine starke Reduktion seines  CO2-Ausstosses. Das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS ist in Hilfestellung für die Kläger zuvorderst mit dabei.

Die Forderungen des HEKS im Namen der Kläger

Die Webseite des HEKS gibt Aufschluss über dessen Forderungen:

„Wie der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht ausführt, muss auf weltweiter Ebene dringend eine Verringerung der CO2-Emissionen erfolgen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Angesichts der Schwere und Unumkehrbarkeit der negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung sowie der historischen Verantwortung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Holcim, fordert HEKS das Unternehmen auf, mindestens die folgenden Emissionsreduktionsziele festzulegen, um seinen Teil zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 °C beizutragen: bis 2030 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 43 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019 und bis 2040 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 69 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019.“

Der britische Historiker Edward Gibbon (1737-1794), berühmt für sein Hauptwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“, glänzte schon vor mehr als 200 Jahren mit einem luziden Bonmot: „Man traue keinem erhabenen Motiv für eine Handlung, wenn sich auch ein niedriges finden lässt.“ Geleitet von Gibbons Erkenntnis, eröffnen sich zwei Möglichkeiten, die Absichten des HEKS an der Klimaklage zu erörtern.

Erhabene Motive – dürftige Sachargumente

Das HEKS unterstreicht den moralischen Anspruch der Klage mit der Forderung nach „Klimagerechtigkeit“. Dieser Kampfbegriff des Klimaaktivismus verweist auf eine angebliche historische Schuld der reichen industrialisierten Länder. Als Hauptverursacher des Klimawandels seien diese zu besonderen Anstrengungen verpflichtet. Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist in einer ganzheitlichen Sicht nicht einmal die halbe Wahrheit. Diese reichen Länder des „Westens“ sind mit ihren wissenschaftlich-technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen auch für die enormen weltweiten Fortschritte an Wohlstand und Lebensqualität verantwortlich. Zudem wäre die Bewältigung der negativen Folgen des Klimawandels ohne die Leistungsfähigkeit westlich geprägter Kulturen undenkbar.

Wichtiger ist aber, dass die ganze Argumentation des HEKS, untermalt mit ausführlichen Studien mit  wissenschaftlichem Anspruch, auf einem Grundirrtum beruht. Dieser Irrtum trägt den Namen „1,5 Grad“. Das 1,5 Grad-Ziel hat nicht nur keine wissenschaftliche Basis, sondern es war ursprünglich auch nie als verpflichtendes Ziel gemeint, sondern als gemeinsames Bemühen („aspiration“) der Weltgemeinschaft. Die 1,5 Grad sind das Ergebnis eines langen politischen Gerangels nach der gescheiterten Kopenhagener Klimakonferenz von 2008. Da man an der Klimakonferenz von Paris im Jahr 2015 unbedingt ein weiteres Scheitern vermeiden wollte, wurden insbesondere die kleinen Inselstaaten der „Alliance of Small Island States“ (AOSIS) mit der Zustimmung zum 1,5 Grad-Ziel für ein globales Klimaabkommen ins Boot geholt. Diese Ländergruppe ist sich ihrer grossen Verhandlungsmacht in einem Gremium, das nach Einstimmigkeit strebt, natürlich bewusst.

Nicht nur die Ableitung von einem illusionären 1,5 Grad-Ziel macht das Vorhaben unsinnig, von einem einzelnen Konzern prozentgenaue CO2-Reduktionsverpflichtungen einzuklagen. Auch die grosse Unsicherheit über die Klimasensitivität – d.h. den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperatur – verbietet eine solche Rechnung. Wegen dieser Unsicherheit ist ein Temperatur-Ziel für die politische Aktion prinzipiell ungeeignet. Und die ganze Rechnerei um „tonnengenaue“ CO2-Restbudgets hat aus demselben Grund keine wissenschaftliche Grundlage.

Die meisten Klimawissenschafter wussten schon zur Zeit von „Paris 2015“, dass das 1,5 Grad-Ziel bereits überholt war. Doch der Weltklimarat IPCC spielte das Spiel mit und erklärte „1,5 Grad“ zu einem sinnvollen politischen Ziel. Nun beschwören also unsere Politiker weiterhin das 1,5 Grad-Ziel, und die Klimaforschung passt sich opportunistisch an. Die Klimamodelle lassen sich ja „kalibrieren“. Man kann zum Beispiel mehr negative Emissionen einbauen, um doch noch erreichbar scheinende CO2-Absenkungspfade zu erhalten.

Niedrige Motive – strategisches Kalkül

Die am Kantonsgericht Zug eingeklagte Schadenssumme beträgt bloss rund CHF 14’000. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass es in der Klage um etwas Grösseres geht. Damit gelangen wir zu den niedrigen Motiven. Das strategische Kalkül solcher Klagen ist offensichtlich. Das HEKS will mithelfen, mit der Klage gegen Holcim weltweit medial Aufmerksamkeit zu erregen und Gerichtsurteile zu provozieren, die als Präzedenzfälle Schule machen. Das HEKS verfolge mit der Klage eine öffentlichkeitswirksame Strategie, indem es sich für die kleinsten Opfer des Klimawandels einsetze und auf eine breite Medienunterstützung hoffe, schrieb die NZZ. Da der Fall wie ein Kampf von David gegen Goliath erscheine, werde die Debatte emotionalisiert und weltweite Sympathie gewonnen.

Das Engagement des HEKS in dieser Sache, typisch für heutige kirchliche Politik, kommt auf dem moralischen Hochsitz daher, ist aber bei genauer Betrachtung das Gegenteil. Dazu gehört der Versuch, demokratische Entscheidungsprozesse durch den Weg über Gerichte zu umgehen. Das Bonmot von Edward Gibbon kann uns nicht nur in diesem Fall davor bewahren, in der politischen Debatte auf moralisch aufgeplusterte Argumente hereinzufallen.

Dieser Text erschien am 13. Februar 2023 in der Online-Publikation „Nebelspalter“.

Symbolische Signale grüner Politik

In Deutschland protestieren grüne Politiker gerade gegen den Ausbau von Autobahnen im Rahmen der geplanten umfassenden Erneuerung der Infrastruktur. Autobahnen sind in der politischen Theologie der Grünen Symbole der Klimaschädigung. Und sie sollen es wohl auch bleiben, obwohl ganz zuvorderst die Grünen der e-Mobilität das Wort reden.

Mit einer landesweiten Aufrüstung mit e-Autos wäre eigentlich der Ruf der Autobahnen als „Klimakiller“ immer weniger berechtigt. Trotzdem halten die deutschen Grünen an der Ablehnung des Autobahnausbaus fest – aus zwei Gründen. Erstens wissen auch sie, dass der deutsche oder auch der europäische Strommix noch auf Jahre hinaus fossile Produktionsanteile enthält. Man ist noch weit entfernt von einer klimaneutralen bzw. CO2-freien Stromversorgung. Und dann ist da auch noch der französische „Atomstrom“, der den deutschen Strommix für die fundamentalen grünen Kernenergiegegner gelegentlich verunreinigt.

Der zweite Grund hat mit den Eigenheiten der politischen Kommunikation zu tun. Die meisten Menschen haben andere Interessen als sich eingehend und sachgerecht über die Fakten und Zusammenhänge zu informieren, die klima- und energiepolitisch wichtig sind. Darauf bauen die Grünen sehr geschickt, denn sie wissen: zur Mobilisierung von Menschen braucht es eingespielte Signale, die bei den Empfängern kein langes Nachdenken erfordern, jedoch Plausibilität vorgaukeln und an das gute Gewissen appellieren.

Genau diesen Rückgriff auf symbolische Signale sieht man auch bei den militanten Klimaaktivisten, die es bei Protestaktionen in Städten auf SUVs abgesehen haben. Völlig unabhängig von tatsächlichen Verbrauchs- und Emissionsvergleichen sowie von denkbaren ökologischen Vorteilen solcher Autos im praktischen Einsatz, gilt in der grünen Welt der SUV als Symbol der Klimazerstörung.

Erbauliches zur „Klimakrise“ in der Wahlpropaganda

Im Kanton Zürich wird nächstens für den Kantonsrat und den Regierungsrat gewählt. Vor einigen Tagen flatterte die Wahlwerbung sämtlicher Parteien ins Haus. Wie üblich wird darin allerhand gewünscht und versprochen, für dessen Durchsetzung die betreffende Partei die politische Macht gar nicht hat – kein Unglück, muss man in vielen Fällen sagen.

Die Wahlwerbungen liefern mit ihren Darstellungen von Problemen und Lösungen auch einen Eindruck, wie man in den zuständigen Parteigremien den Informationsstand und das Urteilsvermögen der Leute einschätzt, die man für die eigene Partei gewinnen will.

Weil aus den Floskeln der Wahlpropaganda viel warme bis heisse Luft aufsteigt, ist die Qual der Wahl gross. Bei mir kommt ganz bestimmt eine Partei zuletzt auf den Wahlzettel, wenn sie mein Urteilsvermögen mit einem solchen klimapolitischen Argument beleidigt:

„Wir setzen uns dafür ein, dass sozialgerechte Massnahmen gegen die Klimakrise ergriffen werden, damit der Bezirk Uster auch für die zukünftigen Generationen lebenswert bleibt.“

Irgendwie bedaure ich all die SP-Sympathisanten, die tapfer über solchen Schwachsinn hinwegsehen müssen, wenn sie aus ideologischen Gründen trotzdem der SP ihre Stimme geben wollen. Sie müssen darauf hoffen, dass die Wahlwerbung der Liste 2 der kantonalen SP in Beijing, Washington, Neu-Dehli, Moskau, Saudi Arabien, aber auch in Afrika und Lateinamerika gebührend zur Kenntnis genommen wird, damit die kommenden Generationen den Bezirk Uster nicht klimabedingt verlassen müssen.