Irène Kälin lüftet das Geheimnis des grünen Krebsgangs

Im Interview mit der Weltwoche ((Nr. 37.24, Seite 90) lautet eine Frage an die grüne Nationalrätin Irène Kälin: „Was ist das Schönste an der Schweiz?“. Kälin: „Mit Ausnahme der Autobahnen und AKW ist die Schweiz eine Schönheit…“

So viel ideologische Verblendung sei jedem und jeder gegönnt. Nur wird es problematisch, wenn die betreffende Person im Nationalrat sitzt und Politik macht, wie das bei Frau Kälin der Fall ist. Eine solche Aussage zeugt von einem erschreckenden Ausmass an historischer und ökonomischer Inkompetenz. Frau Kälin könnte sich zum Beispiel fragen, ob die Tatsache, dass wir Autobahnen und AKW haben, vielleicht etwas damit zu tun haben könnte, das die grüne Nationalrätin an anderer Stelle des Interviews erwähnt: „Es ist der Luxus….., sagen zu können, dass ich keine materiellen Wünsche habe. Denn ich habe alles.“

Kälin bestätigt sich in diesem Interview als Anhängerin einer „De-growth“-Ideologie. Wie ungern Leute dabei mitmachen, sehen wir aktuell am Krebsgang grüner Parteien.

Moving Peak Oil

Wenn physische Knappheit droht, greifen ökonomische Gesetze

Vor einigen Jahren publizierte die NZZ meinen Kommentar zum Thema ‚Peak Oil‘. Damit ist die absehbare Verknappung und Erschöpfung endlicher Ressourcen wie Erdöl oder Erdgas gemeint. Hier folgt ein Ausschnitt aus meinem damaligen NZZ-Beitrag:

Schon im Gefolge der düsteren Prognosen des Club of Rome in “Grenzen des Wachstums” (1972) und unter dem Eindruck der Ölkrisen der 1970er Jahre hatten Warnungen vor der Erschöpfung fossiler Energievorräte Hochkonjunktur. Doch musste der prognostizierte Zeitpunkt der Erschöpfung bzw. des Fördermaximums immer wieder hinausgeschoben werden. Der “peak oil” ist vom Ölpreis abhängig: Bei hohem Ölpreis lohnt es sich, Lagerstätten selbst zu höheren Kosten weiter abzubauen und in Technologie zu investieren. Mit steigendem Ölpreis und technologischem Fortschritt in Exploration und Produktion verschiebt sich der “peak oil” in die Zukunft.

Zwischen 1980 und 2020 haben sich die nachgewiesenen Erdölreserven fast verdreifacht (zum Vergrössern Grafik anklicken):

Die Abbildung zeigt die Mengen an Erdöl, von dem wir mit hinreichender Sicherheit wissen, dass es in Zukunft unter den bestehenden wirtschaftlichen und betrieblichen Bedingungen gefördert werden kann. Die nachgewiesenen Reserven verringern sich, wenn wir Öl fördern, und erhöhen sich, wenn neue Ressourcen entdeckt werden oder die Förderung wirtschaftlich rentabel wird (mit Google übersetzter Text unter dem Titel der Abbildung).

Bis heute stiegen die zusätzlich nachgewiesenen Reserven stets stärker als die Produktion. Das Verhältnis zwischen Zunahme der Reserven und Produktion – ein Mass für relative Knappheit – verbesserte sich. So haben im Zeitraum von 2013 bis 2022 die nachgewiesenen Reserven gemäss OPEC-Angaben netto um über 84 Mrd. Barrel zugenommen, trotz steigender Produktion. Das wird auch so bleiben, weil sich die ökonomischen Gesetzmässigkeiten nicht ändern.

Ökonomisch gesehen gibt es keine endlichen, sondern nur mehr oder weniger knappe Ressourcen. Dies gilt auch für Wind- oder Sonnenenergie, nur sind dort die Ressourcen für die Umsetzung in konsumierbare Energie knapp. Knappheit ist kein physisches Phänomen eines nur in geringer Menge verfügbaren Gutes, sondern eine relative Grösse, nämlich das Verhältnis zwischen Angebots- und Nachfragemengen. Knappheit hat ihr (relatives) Mass auf freien Märkten im Preis, der sich aus diesem Verhältnis bildet.

Fazit: Es ist als wahrscheinlich anzunehmen, dass das Phänomen ‚Peak Oil‘ auf der Nachfrageseite eintreten wird – und nicht durch sich erschöpfende Vorräte wie von den Peak-Oil-Warnern behauptet. Die Vorräte werden gar nie vollständig aufgebraucht werden, weil die Wirkungen der weltweiten Dekarbonisierungspolitik die Nachfrage nach fossilen Energieträgern über die Veränderung relativer Preise werden sinken lassen. Wann genau dies eintreten wird, lässt sich nicht voraussagen.

Express geht hier gar nichts – ausser in Notfällen

Der Solar-Express stockt. Der Wind-Express sowieso. Und die wichtigen Wasserkraftprojekte stecken im umweltpolitischen Beschwerdedickicht. Das alles ist ja auch kein Wunder. Das Wort „express“ passt nicht in die schweizerische politische Realität. Wer etwas anderes glaubte, war schlicht naiv, denn „express“ geht es höchstens, wenn eine selbst verschuldete Notlage eintritt und das eidgenössische Kompetenzen-Wirrwarr zu einem alternativlosen Schnellschuss zwingt. Ein nicht lange zurückliegendes eindrückliches Beispiel ist der nicht verhinderte Untergang der ikonischen schweizerischen Grossbank Credit Suisse. Ein anderes das Not-Gaskraftwerk Birr, gebaut nicht lange nachdem man unter links-grünem Beifall das AKW Mühlerberg abgeschaltet hatte.

Für die besonders engagierten „express“-Anhänger geht es ohnehin vor allem darum, den Leuten den Wunsch nach Kernenergie auszutreiben, indem man ihnen vorgaukelt, die Schweiz sei allein mit sogenannt erneuerbaren Energien in der Lage, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Wenn dann die Realität zuschlägt, bleiben nur noch teure und klimaschädigende Gaskraftwerke als alternativlose Notlösung – alternativlos, weil man sich seit Leuthards Fukushima-Energiewende selbst in eine Sackgasse manövriert hat.

EGMR: Ein Urteil pro Kernenergie

Unsere Klimaseniorinnen ebnen den Weg für die Rückkehr zu einer vernünftigen Klima- und Energiepolitik

Man kann über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) jubeln wie die siegreichen Klimaseniorinnen selbst oder all die Unterstützer aus linken Parteien und Verbänden. Oder man kann das Urteil als juristisch verfehlt und politisch anmassend kritisieren, wie es zum Beispiel die NZZ in aller Deutlichkeit getan hat. Es müsste den Bürgern des Landes, das sich gerne als Demokratieweltmeister feiert, zu denken geben, dass die hoch partizipativen politischen und rechtsstaatlichen schweizerischen Institutionen nach Meinung der Klimaseniorinnen nicht genügen, um den Umständen entsprechend fair mit ihren Anliegen umzugehen. Den hinter dem ganzen Prozess stehenden Greenpeace-Unterstützern ist das natürlich egal, denn diese spielen auch hier wieder primär das Spiel der Macht.

Was die jubelnde Seite nach dem Urteil als selbstverständlich voraussetzt, nämlich dass nun eine links-grüne Klima- und Energiepolitik neuen Schub erhält, ist überhaupt nicht gegeben. Denn das hohe Gericht hat es wohlweislich unterlassen, der Schweiz konkrete Auflagen betreffend Klimaschutz für ältere Damen zu machen, die als Massnahmen in Gesetze und Verordnungen überzuführen wären.

Mit anderen Worten: Das EGMR-Urteil lässt offen, wie die Schweiz darauf reagieren soll, sofern überhaupt. Man könnte das Urteil auch so verstehen, dass die schweizerische Klima- und Energiepolitik nach links-grüner Ideologie nicht das gebracht hat, was man den Leuten seit Jahren suggeriert. Eigentlich erfordert der Erfolg der Klimaseniorinnen in Strassburg geradezu zwingend eine grundlegende Debatte über eine langfristig wirksame Klimapolitik. Die grünen Rezepte sind weitgehend unwirksam und trotzdem teuer. Damit gelangen wir wieder zur altbekannten links-grünen Schizophrenie in der Einstellung zur praktisch CO2-freien Kernenergie. Solange die fundamentalistische Ablehnung der Kernenergie bzw. neuer Kernkraftwerke durch Links-grün in unserer Politik die Oberhand behält, wird die Realisierung einer nachhaltig wirksamen und umweltschonenden Klimapolitik zu tragbaren Kosten verhindert.

Alles, was seit der Zustimmung zum Energiegesetz im Referendum vom Mai 2017 gesetzlich passiert ist, steht unter der Fuchtel des ominösen Leitspruchs „Versorgungssicherheit nur mit erneuerbaren Energien“. Dies schliesst den Ausbau der Kernenergie, ganz nach den Wünschen der fundamentalistischen Kernenergiegegner, implizit aus. Und all die politisch-gesetzlichen Aktivitäten um Wind- und Solarexpress sowie Mantelerlass zielen darauf ab, in der Bevölkerung die Illusion aufrecht zu erhalten, wir könnten unsere Ziele im Klima- und Energiebereich allein mit Sonne, Wind, Wasser und Biomasse erreichen. Der ganze links-grüne Druck für eine solche beschleunigte „Leuthard-Sommaruga-Politik“ hat den Hauptzweck, eine Renaissance der Kernenergie zu verhindern.

Regelmässig erhalten diese Kreise Unterstützung durch Studien staatlicher Hochschulen. Wie gerade jetzt wieder im Fall einer neuen Studie von ETHZ, EPFL und Universität Genf gelangen diese jeweils unter abenteuerlichen Annahmen über den erforderlichen massiven Ausbau all der Infrastrukturen sowie über Stromimporte im Winter (Achtung fossiler Strom aus Deutschland und Atomstrom aus Frankreich!) zum Schluss, dass eine solche Netto-null-Energiewende mit Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit technisch und wirtschaftlich machbar sei. Es ist bezeichnend, dass das Energy Science Center (ESC) der ETHZ erst dann ein Szenario mit Kernenergie gerechnet hat, als Economiesuisse dazu den Auftrag gab. Und als dieses Szenario günstig ausfiel, behauptete Christian Schaffner, Direktor des ESC, im Tages-Anzeiger, die Kernenergie-Variante sei die teuerste.

Klimapropaganda im Lichte der harten Realitäten

Die links-grüne Klimapropaganda will den Leuten weis machen, dass die „Energiewende“ mit dem inzwischen gesetzlichen Ziel „netto null 2050“ nur wenig kostet. Und nicht nur das. Es werden Innovationen angestossen, die Wirtschaft wird angekurbelt, und es werden Arbeitsplätze geschaffen. Und am Ende, im ominösen Jahr 2050, ist die Schweiz auf ihrem „leuchtend grünen Pfad“ am Ziel – mit erneuerbarer Energie sicher versorgt, und das erst noch günstiger als heute.

Dass auch die offizielle Politik, von grüner Ideologie durchtränkt, dem Volk diese schöne Geschichte erzählt, ist verständlich, denn fast alle Schulabgänger verlassen die obligatorische Schulzeit, ohne je etwas von Opportunitätskosten gehört zu haben. Auch des Konzept der Mitnahmeeffekte kommt im Lehrplan nicht vor, so dass die Leute nie auf den Gedanken kommen, dass unsere Fördermittel für den Umbau in der Lieferkette rückwärtslaufend auch bei chinesischen Lieferanten landen könnten, weil sie ihre Preise dank unseren Subventionen nach oben anpassen.

Wenn Solarpanels dank dem vorwiegend chinesischen Technologiefortschritt immer noch billiger werden, fällt das nur bescheiden ins Gewicht, macht aber als oberflächliches Argument Eindruck. Eine Energieversorgung mit fast nur noch Erneuerbaren (Solar, Wind, Wasser) ist aber etwas völlig anderes als der Energiemix, den wir heute haben.

Die Transformation, so sie überhaupt in der geplanten Frist gelingen kann, würde enorme Tranformationskosten verursachen, weil das ganze System (Infrastrukturen, Netze, Speicher, Back-up-Kapazitäten) in knapp einem Vierteljahrhundert umgebaut werden müsste. Das ist nicht nur extrem kostspielig, weil durch den Verzicht auf ein funktionierendes System hohe Opportunitätskosten anfallen. Es verlangt auch für längere Zeit einen starken Rückgriff auf fossil gewonnene Energie.

Das sieht man allein schon daran, dass im Weltmassstab trotz dem hohen Zubau an Erneuerbaren, der Verbrauch von nicht Erneuerbaren (fossilen) seit „Paris 2015“ praktisch im gleich Ausmass gestiegen ist, wie einer Grafik aus einem kürzlichen Referat des US-amerikanischen Politikwissenschafters Roger Pielke jr. zu entnehmen ist:

Seit dem Klimaabkommen von Paris im Jahr 2015 bis Ende 2022 verzeichnete die Welt 30,5 EJ fossilen Mehrverbrauch. Der Konsum von CO2-freier Energie hat in dieser Zeit um fast den gleichen Betrag, nämlich 30,7 EJ, zugenommen. Der Zubau von Erneuerbaren und der Abbau von fossilen Energien findet nicht gleichzeitig durch sofortigen Ersatz statt. Es braucht zuerst mehr fossile Energie, um den Umbau zu Erneuerbaren zu ermöglichen. Für ärmere Länder ist fossile Energie immer noch der günstigste Weg zu Wachstum und Entwicklung, speziell, wenn sie eigene Vorkommen abbauen können. Aber auch die Produktion der riesigen Mengen an Hardware für die Erneuerbaren, die überwiegend aus China kommt, braucht vom Abbau von Rohstoffen in Minen bis zur Inbetriebnahme in den Abnehmerländern grosse Mengen fossiler Energie, und das dürfte noch lange Zeit so bleiben.

Die Grafik zeigt noch zwei weitere interessante Punkte: Erstens wurde der Corona-Einbruch bei den Fossilen im Jahr 2020 im Jahr darauf wieder mit einem hohen Anstieg voll kompensiert. Die Welt war zurück auf dem alten Aufwärtstrend. Und zweitens sieht man ganz rechts, wie viel Wunschdenken in der „netto null 2050“-Politik steckt. Die grüne und die schwarze Säule zeigen, welcher enorme jährliche Zuwachs an Erneuerbaren (grün) bzw. welcher unrealistische Abbau an fossiler Energie (schwarz) jährlich nötig wäre, um 2050 netto null CO2 zu erreichen. Und zwar ab sofort. Warum das nicht gehen kann? Siehe Erläuterungen weiter oben.

Dieser Text erschien am 11. Oktober leicht redigiert in der gedruckten Ausgabe von „Finanz und Wirtschaft“.

Die grossen grünen Illusionen

Die schweizerische Klima- und Energiepolitik ist unter dem Einfluss grüner Ideologie mithilfe einer akademisch gebildeten meinungsmachenden Elite in Medien, Wissenschaft und Kultur auf einen Pfad der Illusionen eingeschwenkt.

Im Wahlprogramm «Agenda 2023–2027» der Grünen Partei der Schweiz (GPS) thront über allem als oberstes Mobilisierungsthema die «Klimakrise». Das grüne Herz schlägt für die Zukunft des Planeten, nicht für die akuten Herausforderungen der Schweiz. Die Politik auf unrealistische Ziele wie «1,5 Grad» und «netto null 2050» auszurichten, ist eine Garantie für Misserfolg. Den Grünen geht es dennoch zu wenig schnell. Das Utopische wird vollends klar, wenn man die Perspektive auf die Welt ausdehnt. Trotzdem meinen viele Leute, weil die Grünen am lautesten vor der «Klimakrise» warnten, hätten sie auch die richtigen Rezepte. Das ist die grosse grüne Lüge.

Illusionäre Erwartungen

Auf den Wahlplakaten der Grünen steht: «Für Klimaschutz und Versorgungssicherheit». Die grüne «Agenda 2023–2027» ist aber ein Programm, wie man zu höchsten Kosten «für das Klima» nichts erreicht, aber die Versorgungssicherheit aufs Spiel setzt.

Vom Energy Science Center (ESC) der ETHZ erhalten die Grünen Schützenhilfe. Das ESC stützt seit je mit seinen der offiziellen Politik verpflichteten Studien den Glauben an eine sichere kernenergiefreie klimaneutrale Energieversorgung mit erneuerbaren Energien.

Die postulierte technische und wirtschaftliche Machbarkeit hängt aber von so vielen Bedingungen ab, dass zwingend ein Plan B nötig wäre. Wenn die Grünen auf dem eingeschlagenen Irrweg noch rabiater vorangehen wollen als die offizielle Politik, ist die Versorgungssicherheit umso akuter gefährdet.

Da die Grünen die Kernenergie fundamentalistisch ablehnen, fordern sie einen umso massiveren Ausbau der Erneuerbaren Solar, Wind und Wasser. Deren Produktion verläuft aber saisonal gegenläufig zur Stromnachfrage, und dies erst noch im gleichen Takt wie in Nachbarländern. Die Speicherung von sommerlichen Stromüberschüssen zur Beseitigung der massiven Winterstromlücke würde Speicherkapazitäten benötigen, die jegliche Vorstellung sprengen.

Grünes Wunschdenken sind auch die Hoffnungen auf hohe Stromimporte oder auf den raschen Ausbau der Übertragungsnetze. Der Heiligenschein der Erneuerbaren würde an Strahlkraft verlieren, wenn das ungelöste Problem der Entsorgung enormer Mengen an toxischem Müll aus Solar- und Windinfrastrukturen sowie Batterien die gleiche Aufmerksamkeit erhielte wie der Atommüll.

Zudem ist die Abhängigkeit von China – das bei Technologien, Rohstoffen und Produkten eine dominante Stellung hat – viel einseitiger als die Abhängigkeit von Produzentenländern fossiler Energieträger oder von Uran für die Kernenergie.

Schlagworte

Die Grünen sind auch die lautesten Propagandisten, wenn es um die Austrocknung der Finanzmittel für Exploration und Produktion fossiler Energieträger geht. Man bietet den Leuten plausibel erscheinende Argumente: Wir erschweren die Kreditvergabe für die Kohle-, Öl- und Gasindustrie, und dann gehen die CO2-Emissionen zurück. Die volkswirtschaftlichen Wirkungsketten auf internationalen Finanz- und Energiemärkten sind jedoch so komplex, dass solche Massnahmen auch das Gegenteil des Erhofften bewirken könnten.

Ambitionierte grüne Klimapolitik hat nicht nur deshalb nichts mit Klimaschutz zu tun, weil unser Land so klein ist, sondern weil sie technische, wirtschaftliche und politische Gesetzmässigkeiten missachtet und stattdessen mit Schlagworten an das Gewissen der Leute appelliert. Auch hier machen sich die Grünen Illusionen. Wenn die Landschaft mit Windrädern und Solarpanels verunstaltet werden soll und wenn die Kosten grüner Politik spürbar auf Haushalte und Firmen durchschlagen, machen die Leute einfach nicht mehr mit.

Dieser Text erschien am 29.September auf nzz.ch. In der gedruckten NZZ-Ausgabe wurde der Beitrag in der Rubrik „Tribüne“ publiziert.

Kernenergie in den USA: im Aufwind, aber gegen Widerstand

Eine Gallup-Umfrage vom letzten Jahr unter dem Titel „Unterstützung der Amerikaner für die Kernenergie“ zeigte auch bei diesem Thema das übliche Bild einer gespaltenen Gesellschaft. 51 Prozent der befragten Erwachsenen gaben an, sie seien sehr oder eher für Strom aus Kernkraft. Beinahe die Hälfte ist demnach grundsätzlich gegen die Kernenergie.

Aufschlussreich sind die Ergebnisse nach Kategorien. Eine sehr grosse Diskrepanz gibt es zwischen den Geschlechtern. 63 Prozent der befragten Männer sind pro Kernenergie, während es bei den Frauen bloss 39 Prozent sind. Ähnliche Geschlechterdifferenzen kennen wir bei ideologisch aufgeladenen Themen auch in der Schweiz. Zwischen den Alterskategorien gibt es ebenfalls Unterschiede. Die über 55-Jährigen zeigen die höchste Zustimmung (57 Prozent pro Kernenergie).

Die Ergebnisse nach Bildungsgrad interessieren besonders, weil wir aus der VOTO-Studie zum Referendum über das Energiegesetz vom Mai 2017 vergleichbare schweizerische Daten haben. Diese Abstimmung war bekanntlich auch eine „Atomausstiegs-Abstimmung“, weil das Gesetz im Anhang ein Neubauverbot für Kernkraftwerke enthält. In den USA sind Hochschulabgänger gemäss Gallup-Umfrage kernenergiefreundlicher als Leute ohne Hochschulbildung (57 Prozent zu 45 Prozent pro Kernenergie). Dagegen erhielt das Energiegesetz mit „Atomausstieg“ von den Stimmenden mit Hochschulabschluss bei weitem die höchste Unterstützung, nämlich 74 Prozent gegenüber nur 45 Prozent Zustimmung von der untersten Bildungskategorie. Über die Gründe dieses Kontrasts zwischen den USA und der Schweiz liesse sich bloss spekulieren. Ein Unterschied besteht darin, dass die Gallup-Umfrage die ganze erwachsene Bevölkerung abbildet, während die VOTO-Umfrage nur die Leute erfasst, die abgestimmt haben, also nur rund 42 Prozent der Stimmberechtigten.

Das pikanteste Resultat der Gallup-Umfrage ist aus schweizerischer Sicht nicht überraschend. Denn auch bei uns kennt man die eklatanten Widersprüche grüner Politik, wenn es um die Kernenergie als praktisch CO2-freie Stromproduktion geht. In den USA lehnen ausgerechnet die Leute, die sich am meisten Sorgen um die Folgen des Klimawandels machen, die Kernenergie mit der grössten Mehrheit ab. Nur 34 Prozent der Befragten waren pro Kernenergie. Anderseits waren 70 Prozent derjenigen, die sich kaum oder gar keine Sorgen um den Klimawandel machen, für die Kernenergie.

Also genau wie bei uns. Wer die Ablehnung der Kernenergie zum mobilisierenden Markenzeichen gemacht hat, wie links-grüne Parteien und NGO, hat grösste Mühe, sich von überholten Vorurteilen zu verabschieden, selbst wenn sich grundlegende Fakten geändert haben. Kernenergie hat in Zeiten der CO2-Reduktion einen besonders hohen Stellenwert, was weltweit – mit Ausnahme Deutschlands und der Schweiz – zu einer Neubeurteilung der Kernenergie geführt hat. In der Schweiz sind politische Kurswechsel allerdings besonders schwierig, weil Bundesrat und Parlament stets den Risiken von Volksinitiativen oder Referenden ausgesetzt sind, was den Reformeifer in wichtigen Dossiers beträchtlich bremst.

Mehr Richterstaat, weniger Demokratie

Das Klimaschutz-Gesetz fördert die Spaltung der Gesellschaft

Dieser Text erschien am 5. Juni 2023 in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter“ (mit Zahlschranke).

Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats steht unter „Ausganslage“ zum Klimaschutz-Gesetz: „Die Schweiz hat sich 2017 im Übereinkommen von Paris gemeinsam mit 192 weiteren Staaten und der EU verpflichtet, den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren.“ Die Genehmigung und Ratifizierung des Pariser Übereinkommens erfolgte im Juni 2017 per Bundesbeschluss. Das Referendum wurde nicht ergriffen, was verständlich wird, wenn man den offenen Absatz 3 in Artikel 1 des Bundesbeschlusses liest: „Das übermittelte nationale Reduktionsziel unterliegt keinen Einschränkungen bei der Umsetzung; der Inland- und der Auslandanteil am Reduktionsziel werden im Rahmen des nationalen Rechts festgelegt.“

Bis dahin also keine Rede von „netto null 2050“. Die Idee von Bundesrat und Parlament, „netto null 2050“ als Ziel in ein Gesetz zu schreiben, entstand unter dem Druck der „Gletscher-Initiative“. In Kombination mit dem Atomausstieg und einem möglichst hohen Inlandanteil bei der CO2-Reduktion haben wir nun eine Konstellation, die weitestgehend mit links-grünen Parteiprogrammen übereinstimmt. Das Motto lautet: Alles, was wir wollen, ist auch machbar.

Anreize für Klagen steigen

Die Abstimmung vom 18. Juni bietet den Leuten die Möglichkeit, mit einem Ja zum Gesetz klimapolitische Korrektheit zu signalisieren und sich dabei gut zu fühlen. Was die möglichen Folgen betrifft, wirkt das Sedativ der behördlichen Propaganda. Doch wenn die Schweiz mit der Annahme des Klimaschutz-Gesetzes das Ziel „netto null bis 2050“ ins Gesetz geschrieben haben wird, sind zwei Folgen zu beachten, die in der öffentlichen Debatte bisher kaum Gewicht hatten.

Während man früher noch versuchte, die Kosten der CO2-Reduktion pro Tonne für die verschiedenen Massnahmen bei Gebäuden oder im Verkehr und in der Industrie zu schätzen, spielt das mit der Verpflichtung „netto null“ keine Rolle mehr. Man muss auf null kommen, koste es, was es wolle, auch wenn die Reduktion pro Tonne zehn mal teurer ist als der CO2-Preis im Emissionshandel, der angibt, wie viel die Reduktion einer Tonne im Raum des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) kostet. Zudem gilt „netto null“ auch unabhängig davon, ob die Schweiz in 27 Jahren 20, 30, 40 oder 50 Prozent mehr Einwohner hat als heute.

Der zweite Effekt besteht darin, dass die Formulierung von konkreten Ziel- und Richtwerten im Gesetz die Möglichkeiten und Anreize für Klagen an Gerichten steigert, wenn Zwischenziele der CO2-Reduktion verfehlt werden. Der Klageweg ist im Klimaaktivismus nicht neu, aber steigerungsfähig. Im Gesetz sind auch für die einzelnen Sektoren (Gebäude, Verkehr, Industrie) Richtwerte als Mindest-Reduktionswerte vorgegeben, was die Klageopportunitäten wesentlich erhöht. Wie wohlwollend gewisse Richter gegenüber militanten Klimaaktivisten und -aktivistinnen urteilen, haben wir an einigen Fällen bereits sehen können. Und für juristische Gratisverteidigung steht heutzutage das ideologisch richtig gepolte Anwaltspersonal willig bereit. Im Notfall kann man auch auf höchster Ebene jenseits der Landesgrenzen klagen. Das Urteil des EGMR in Strassburg, an das sich unsere KlimaSeniorinnen über alle beträchtlich partizipativ ausgestalteten eidgenössischen Institutionen hinweg gewendet haben, steht noch aus. Für unentgeltliche professionelle Beratung im Hinblick auf maximales Medienecho steht etwa der globalisierte Umwelt-Multi Greenpeace stets zu Diensten.

Unrealistische Richtwerte sorgen für einklagbare Ziellücken

„Netto null 2050“ erfordert zwingend die kaum realistischen Richtwerte im Gesetz als Zwischenziele. Die absehbaren Ziellücken werden einschneidende Massnahmen verlangen. Diese Warnung steht ja schon im Gesetz. Doch Widerstände gegen hohe Kosten, massive Eingriffe in den Lebensalltag und gegen die Verschandelung der Umwelt durch Anlagen der sogenannt Erneuerbaren werden sich auch in regelmässigen Referenden gegen neue gesetzliche Verschärfungen ausdrücken. Gleichzeitig werden die aktivistischen Klimaretter vermehrt an Gerichte gelangen, um die Politik zur Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen zu zwingen.

Es bleibt die ungute Aussicht, dass die ideologisch aufgeladene Klima- und Energiepolitik die Spaltung der Gesellschaft in mehrfacher Weise fördert. Nicht zuletzt wächst auch die Kluft zwischen den gut gebetteten akademisch gebildeten Eliten in den meinungsmächtigen Institutionen, die die offizielle Politik prägen, und den gewöhnlichen Menschen. Diese haben ihren Alltag zu bewältigen, ohne auf dem moralischen Hochsitz stets auch noch die „Rettung des Planeten“ im Auge zu haben.

Klimaaktivist Knutti

„Die Wissenschaft“ engagiert sich im Abstimmungskampf

Vor wenigen Wochen berichteten die Medien über eine Aktion des ETH-Klimaforschers Reto Knutti. Er hatte über 200 Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten für die Unterstützung des Klimaschutz-Gesetzes mobilisiert. Seine Begründung für die professorale Einmischung in die Volksabstimmung vom 18. Juni lautet so: „Gerade bei komplexen Themen wie dem Klimawandel sollten sich auch Wissenschaftler:innen mit ihrer Expertise einbringen und zur Meinungsbildung beitragen.“

Diese Aktion, die beansprucht, „die Wissenschaft“ zu vertreten, wurde in den Medien, kaum überraschend, fast nur wohlwollend kommentiert. Dabei kam das Grundsätzliche nicht zur Sprache: Diese Einmischung in einen Abstimmungskampf missachtet eigentlich selbstverständliche Governance-Prinzipien von staatlichen Hochschulen. Natürlich können alle, die die Aktion unterzeichnet haben, ihre persönliche politische Meinung haben und diese in Wahlen und Abstimmungen ausdrücken.

Es ist aber etwas völlig anderes, mithilfe der geliehenen Reputation seiner staatlich finanzierten Hochschule die Abstimmung über eine konkrete Gesetzesvorlage beeinflussen zu wollen – zudem noch eine ideologisch derart aufgeladene Vorlage, welche die Gesellschaft spaltet. Wenn man auf die Neinstimmen gegen das Energiegesetz mit dem „Atomausstieg“ und gegen die CO2-Vorlage abstellt, ist auch beim Klimaschutz-Gesetz mit rund 40 Prozent ablehnenden Stimmen zu rechnen. Die politische Aktion „der Wissenschaft“ richtet sich somit gegen eine grosse Minderheit, die – genau wie alle – Steuern für die staatliche Forschung zahlt.

Die Wissenschaft hat nie die Wahrheit, sondern sucht sie

Die Governance-Forderung gilt unabhänigig von der Frage, ob „die Wissenschaft“, welche diese politische Einmischung zu vertreten vorgibt, überhaupt die eine und einzige Wahrheit über den Klimawandel besitzt. Was man sicher sagen kann: Die Wahrheit über die richtige Klimapolitik kennt diese „Wissenschaft“ bestimmt nicht. Reto Knutti schreibt, die Aussage, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen rasch reduzieren müsse, sei eine logische Schlussfolgerung aus der Physik. Ist eine derart verkürzte Argumentation der „déformation professionnelle“ eines Klimamodell-Experten zuzuschreiben?

Auf SRF info3 sagte Reto Knutti, die Leute sollen auf der Grundlage von Fakten entscheiden können. Natürlich meint er die Fakten, so wie er sie interpretiert. Seine Sicht der Energie- und Klimapolitik ist nicht zuletzt durch seine persönliche Ablehnung der Kernenergie verzerrt. Deshalb unterstützt er Gesetze, die das Neubauverbot für KKW zementieren wollen. Nicht zufällig fehlt auf der Unterstützerliste die Unterschrift seiner ETH-Kollegin Annalisa Manera, Nuklearforscherin am PSI – Leuchtturm in einem Meer von Opportunismus.

Wenn die Fakten so aussehen, wie sie Reto Knuttis ETH-Kollege Anthony Patt in seinem Beitrag in der NZZ vom 21.April dargelegt hatte, müsste man der NZZ-Leserschaft dringend empfehlen, sich auch noch aus anderen Quellen über die Kosten einer rabiaten Dekarbonisierungspolitik zu informieren. Patt schrieb, dass die Solar- und Windenergie sowie Batterien für Elektrofahrzeuge so billig und zuverlässig geworden seien, dass die Gesellschaft im Vergleich zur Nutzung fossiler Brennstoffe damit Geld sparen werde. Das ist in ihrer Pauschalität eine faktenfreie Behauptung ohne datenbasierte Substanz, genau wie die folgende Aussage: „Die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 °C erfordert eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 und ihre vollständige Beseitigung bis 2050. Das ist technisch möglich und bezahlbar, wenn alle Länder und auch die Schweiz ihren Beitrag leisten.“ Man meint, man lese aus dem Parteiprogramm der Grünen Partei.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Klimaforschung politisiert ist, dann liefert sie die Aktion von Reto Knutti. Seine selbsternannte Wahrheits-Wissenschaft solidarisiert sich mit einer bestimmten politischen Agenda. Wie die oben genannten Volksabstimmungen zeigten, gibt es in der Klima- und Enegiepolitik eine tiefe Spaltung, da sie durch das Thema Kernenergie moralisch-ideologisch aufgeladen ist. Die Aktion „der Wissenschaft“ fördert diese Spaltung, indem sie sich einseitig positioniert.

Das eiserne Gesetz der Klimapolitik

Der britische Klimatologe Mike Hulme spricht von einem neuen Klimareduktionismus, der von einer Hegemonie prognostizierender Naturwissenschaften angetrieben sei, einer Hegemonie, die modellbasierten Beschreibungen vermeintlicher zukünftiger Klimata eine unverhältnismässige Macht im politischen und gesellschaftlichen Diskurs verleihe. Dieser Klimareduktionismus verdrängt die historische Erfahrung, dass „energy transitions“, also jetzt die Dekarbonisierung, Jahrhundertprojekte sind.

Dessen ungeachtet engt die Politik unter dem Einfluss alarmistischer Töne aus der Klimaforschung den Zeitrahmen für Emissionsreduktionen immer enger ein. Doch es ist eine Sache, „netto Null bis 2050“ in ein Gesetz zu schreiben, jedoch eine ganz andere Sache, später die realen Konsequenzen zu tragen. Demokratien sind für radikale Wenden nicht geeignet. Es gilt „the iron law of climate change“ (Roger Pielke jr.), das besagt, dass die Opferbereitschaft der Menschen in Wohlstandsgesellschaften begrenzt ist.

Die absehbare Entwicklung wird sein, dass Strategien der Anpassung an den Klimawandel gegenüber der radikalen Emissionsreduktion zunehmend an Gewicht gewinnen. Mit Anpassung waren die Menschen schon bisher erfolgreich. Der beste Beweis dafür sind die weltweit drastisch gesunkenen Opferzahlen aus extremen Naturereignissen. Davon hört man allerdings von „der Wissenschaft“ von Reto Knutti nichts.

Dieser Beitrag erschien in der WELTWOCHE Nr. 19/23 vom 11. Mai in leicht gekürzter Form. (Link-Zugang zum Artikel vermutlich nur für Abonnenten)


Der „Mantelerlass“ – ein nächster Schritt auf dem Holzweg

Der „Mantelerlass“, also die abgestimmte Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz, ist ein nächster Schritt zur Zementierung des Neubauverbots für Kernkraftwerke. Da sind die Grünen ehrlich, wie man auf ihren Verlautbarungen zum „Mantelerlass“ nachlesen kann. Und offiziell läuft das Revisionsvorhaben bekanntlich unter dem Titel „Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien“ – ein Oxymoron zwar, aber wer möchte nicht „den Fünfer und das Weggli“!

Doch der Bevölkerung wird einmal mehr suggeriert, eine sichere Stromversorgung allein mit erneuerbaren Energien sei auch ohne Kernenergie möglich. Die unterstützenden Gefälligkeitsstudien liefert unsere Spitzen-Hochschule ETHZ. Mit ihrem „Energy Science Center“ profiliert sie sich als getreue Erfüllungsgehilfin der offiziellen Energie- und Klimapolitik. Die Kernenergie ist dort tabu.

Zu den Beschlüssen des Ständerats zum Energiegesetz vom September 2022 gab es eine extrem knappe SDA-Meldung: Für die Modernisierung bestehender Kernkraftwerke wird kein Investitionsbeitrag geleistet. Im Nationalrat äusserte sich Roger Nordmann, SP-Nationalrat und Präsident von Swisssolar, im Namen der Kommission zur Vorlage wie folgt (original in Französisch): „Ich komme zur Frage des Kernenergiegesetzes, wo es mehrere Vorschläge der SVP-Fraktion, einen der Grünen und einen Einzelvorschlag gibt……. Nach Ansicht der Kommission hat es keinen Sinn, eine neue Debatte über die Kernenergie anzustossen…… Im Grunde ist die Atomfrage in der Schweiz erledigt. Es gab eine Volksabstimmung mit einem Kompromiss: Wir bauen keine neuen Atomkraftwerke, aber wir können bestehende betreiben, solange sie sicher sind. Es gibt keinen Grund, von diesem Kompromiss abzuweichen, der vom Volk mit 58 Prozent Ja angenommen wurde.“

Ist die Atomfrage in der Schweiz tatsächlich als erledigt zu betrachten, nur weil im Energiegesetz, dem das Stimmvolk im Mai 2017 zugestimmt hatte, ein Neubauverbot für Kernkraftwerke steht?

Wenn die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung.“

Dieses berühmte Zitat des berühmten John Maynard Keynes scheint das Verhalten in den Führungszirkeln unserer politischen Elite nicht zu beeinflussen. Dort hält man an Positionen fest, auch wenn sich die Umstände deutlich verändert haben, was seit dem Referendum vom Mai 2017 sicher der Fall ist. Man unterschätzt dort auch, wie sich die Meinungen in der Bevölkerung ändern können, und zwar ganz im Sinne des Bonmots von Keynes. Umfragen zum Neubauverbot weisen genau in diese Richtung. Gemäss einer jüngsten repräsentativen Umfrage ist heute erstmals eine Mehrheit der Stimmberechtigten für eine Aufhebung des Neubauverbots für KKW. Und so käme mit grösster Wahrscheinlichkeit heute bei einer Neuvorlage des Energiegesetzes vom Mai 2017 ein anderes Resultat heraus.

Für diese Annahme sprechen noch andere Punkte. Das Energiegesetz wurde dem Stimmvolk nach einer beispiellosen Propagandakampagne der Behörden vorgelegt. Vollmundige Behauptungen haben sich mittlerweile als nachweislich falsche Versprechungen entpuppt, so etwa zum Ausbau der Erneuerbaren, zur Reduktion der Importabhängigkeit, zum Speicherbedarf oder zur Kostenbelastung der Haushalte. Zudem lockte das Referendum, obwohl inhaltlich mit dem „Atomausstieg“ eine äusserst wichtige energiepolitische Weichenstellung, nur 43 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen. Ausgerechnet die SVP, also die Partei, die das Referendum als einzige Partei unterstützte, vermochte ihre Anhängerschaft nicht zu mobilisieren. Unter den SVP-nahen Stimmenden betrug die Stimmbeteiligung bloss 38 Prozent, der geringste Wert aller Parteien.

Der Volkswille und das Neubauverbot

Was dem Energiegesetz in einer anderen Abstimmungskonstellation hätte passieren können, zeigte gut vier Jahre später das erfolgreiche Referendum gegen das revidierte CO2-Gesetz. Dort mobilisierte ein ganzes Fünfer-Abstimmungspaket mit agrarpolitisch „heissen“ Volksinitiativen die Stimmbevölkerung sehr viel stärker, was erstens zu einer weit über dem Durchschnitt liegenden Stimmbeteiligung von rund 60 Prozent führte. Zweitens beteiligte sich dieses Mal insbesondere die sogenannte Landbevölkerung. Genau dies schlug sich auch in der Stimmbeteiligung nach Parteisympathie nieder. Im Kontrast zum Energiegesetz erreichten dieses Mal die SVP-Sympathisanten mit 73 Prozent die höchste Stimmbeteiligung. Vermutlich entsprach die parteipolitische Zusammensetzung der aktiv Stimmenden beim CO2-Referendum dem Gesamtbild aller Stimmberechtigten besser als beim Energiegesetz. Dieses mobilisierte Sympathisanten der politischen Linken überdurchschnittlich.

Der von Nationalrat Nordmann sakral überhöhte Volkswille bezüglich „Atomausstieg“ stimmt heute kaum mehr mit den Verhältnissen vom Mai 2017 überein. Wenn Demokratie bedeutet, dass die Regierenden das tun, was die Mehrheit des Stimmvolkes wünscht, dann müsste es möglich sein, über die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz ein neues Plebiszit abzuhalten. Gegenwärtig läuft die Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative, die Technologieoffenheit fordert, die Kernenergie aber nicht explizit erwähnt. Weil der „Mantelerlass“ das Neubauverbot zu zementieren droht, könnte man das kommende Referendum über den „Mantelerlass“ bereits als Plebiszit über die Kernenergie betrachten. Denn mit dem Ziel einer gesicherten Energieversorgung ohne Kernenergie befinden wir uns auf dem Holzweg.