Die grossen grünen Illusionen

Die schweizerische Klima- und Energiepolitik ist unter dem Einfluss grüner Ideologie mithilfe einer akademisch gebildeten meinungsmachenden Elite in Medien, Wissenschaft und Kultur auf einen Pfad der Illusionen eingeschwenkt.

Im Wahlprogramm «Agenda 2023–2027» der Grünen Partei der Schweiz (GPS) thront über allem als oberstes Mobilisierungsthema die «Klimakrise». Das grüne Herz schlägt für die Zukunft des Planeten, nicht für die akuten Herausforderungen der Schweiz. Die Politik auf unrealistische Ziele wie «1,5 Grad» und «netto null 2050» auszurichten, ist eine Garantie für Misserfolg. Den Grünen geht es dennoch zu wenig schnell. Das Utopische wird vollends klar, wenn man die Perspektive auf die Welt ausdehnt. Trotzdem meinen viele Leute, weil die Grünen am lautesten vor der «Klimakrise» warnten, hätten sie auch die richtigen Rezepte. Das ist die grosse grüne Lüge.

Illusionäre Erwartungen

Auf den Wahlplakaten der Grünen steht: «Für Klimaschutz und Versorgungssicherheit». Die grüne «Agenda 2023–2027» ist aber ein Programm, wie man zu höchsten Kosten «für das Klima» nichts erreicht, aber die Versorgungssicherheit aufs Spiel setzt.

Vom Energy Science Center (ESC) der ETHZ erhalten die Grünen Schützenhilfe. Das ESC stützt seit je mit seinen der offiziellen Politik verpflichteten Studien den Glauben an eine sichere kernenergiefreie klimaneutrale Energieversorgung mit erneuerbaren Energien.

Die postulierte technische und wirtschaftliche Machbarkeit hängt aber von so vielen Bedingungen ab, dass zwingend ein Plan B nötig wäre. Wenn die Grünen auf dem eingeschlagenen Irrweg noch rabiater vorangehen wollen als die offizielle Politik, ist die Versorgungssicherheit umso akuter gefährdet.

Da die Grünen die Kernenergie fundamentalistisch ablehnen, fordern sie einen umso massiveren Ausbau der Erneuerbaren Solar, Wind und Wasser. Deren Produktion verläuft aber saisonal gegenläufig zur Stromnachfrage, und dies erst noch im gleichen Takt wie in Nachbarländern. Die Speicherung von sommerlichen Stromüberschüssen zur Beseitigung der massiven Winterstromlücke würde Speicherkapazitäten benötigen, die jegliche Vorstellung sprengen.

Grünes Wunschdenken sind auch die Hoffnungen auf hohe Stromimporte oder auf den raschen Ausbau der Übertragungsnetze. Der Heiligenschein der Erneuerbaren würde an Strahlkraft verlieren, wenn das ungelöste Problem der Entsorgung enormer Mengen an toxischem Müll aus Solar- und Windinfrastrukturen sowie Batterien die gleiche Aufmerksamkeit erhielte wie der Atommüll.

Zudem ist die Abhängigkeit von China – das bei Technologien, Rohstoffen und Produkten eine dominante Stellung hat – viel einseitiger als die Abhängigkeit von Produzentenländern fossiler Energieträger oder von Uran für die Kernenergie.

Schlagworte

Die Grünen sind auch die lautesten Propagandisten, wenn es um die Austrocknung der Finanzmittel für Exploration und Produktion fossiler Energieträger geht. Man bietet den Leuten plausibel erscheinende Argumente: Wir erschweren die Kreditvergabe für die Kohle-, Öl- und Gasindustrie, und dann gehen die CO2-Emissionen zurück. Die volkswirtschaftlichen Wirkungsketten auf internationalen Finanz- und Energiemärkten sind jedoch so komplex, dass solche Massnahmen auch das Gegenteil des Erhofften bewirken könnten.

Ambitionierte grüne Klimapolitik hat nicht nur deshalb nichts mit Klimaschutz zu tun, weil unser Land so klein ist, sondern weil sie technische, wirtschaftliche und politische Gesetzmässigkeiten missachtet und stattdessen mit Schlagworten an das Gewissen der Leute appelliert. Auch hier machen sich die Grünen Illusionen. Wenn die Landschaft mit Windrädern und Solarpanels verunstaltet werden soll und wenn die Kosten grüner Politik spürbar auf Haushalte und Firmen durchschlagen, machen die Leute einfach nicht mehr mit.

Dieser Text erschien am 29.September auf nzz.ch. In der gedruckten NZZ-Ausgabe wurde der Beitrag in der Rubrik „Tribüne“ publiziert; der Lead wurde dort weggelassen.

Abstimmungssieg der ETH

Eine staatliche Hochschule im Kampagnenmodus

Der folgende Text erschien am 26. Juni 2023 in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter (Zugang nur mit Zahlschranke).

Vermutlich knallten am Abstimmungssonntag vom 18. Juni nicht nur bei den Siegerparteien die Korken, sondern auch am Energy Science Center der ETH Zürich. Das sogenannte Klimaschutzgesetz war vom Stimmvolk mit einer Ja-Mehrheit von rund 59 Prozent angenommen worden. Damit wurde der unerwartete Lapsus des erfolgreichen Referendums gegen das CO2-Gesetz vom Juni 2021 mehr als korrigiert. Unter dem Druck der „Gletscherinitiative“ haben wir nun als CO2-Reduktionsziel „netto null 2050“ gesetzlich festgeschrieben. In Bezug auf die absehbaren praktischen Auswirkungen bedeutet dies eine Radikalisierung der Klima- und Energiepolitik. Obwohl Politik und Medien dem Stimmvolk mit Verweis auf diverse Studien suggerierten, „netto null 2050“ sei technisch und wirtschaftlich machbar, weiss heute niemand, wie das gehen könnte. Deshalb soll jetzt die ETH in einem teils privat finanzierten 100-Millionen-Projekt nützliche Erkenntnisse liefern.

Verdient hat die ETH diese Forschungsmittel voll und ganz. Unsere Renommierhochschule hatte sich kampagnenmässig im Abstimmungskampf für das Klimaschutzgesetz engagiert. Auf erste Anzeichen eines politischen Engagements stiess ich, als ich mich nach der Lancierung der Gletscherinitiative im Jahr 2018 für einen Zeitungsartikel über die Initianten informierte. Dort stiess ich im wissenschaftlichen Beirat auf den ETH-Professor und Klimamodellforscher Reto Knutti, mittlerweile dank seinem gut sichtbaren Engagement wohl der bekannteste Kopf der hiesigen Klimaforschung.

Im April dieses Jahres mobilisierte Professor Knutti über 200 Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten für einen öffentlichen Aufruf zur Unterstützung des Klimaschutzgesetzes. Genau zum Zeitpunkt, als das Abstimmungsbüchlein zur Abstimmung in den Briefkästen der Stimmberechtigten landete, las man in den Medien von einem eben erschienenen «White Paper» des Energy Science Center. In diesem erklären die beteiligten ETH-Autoren „netto null 2050“ aus wissenschaftlicher Sicht für technisch machbar und wirtschaftlich tragbar.

Wenige Tage später interviewte die NZZ die beiden ETH-Präsidenten Joël Mesot und Martin Vetterli unter dem Titel «So schaffen wir die Klimawende». Ihre Antworten klangen teilweise wie die offizielle Propaganda im Abstimmungsbüchlein. Für einen informierten Zeitgenossen schwer zu ertragen waren die Aussagen zur Kernenergie. Die ETH mit ihrem Energy Science Center fühlt sich offenbar immer noch einer kernenergiefreien Schweiz verpflichtet. Man kann sich gut vorstellen, dass das Verfolgen eines möglichst schwierig bis utopisch zu erreichenden Ziels – «netto null 2050» plus energetische Versorgungssicherheit nur mit Erneuerbaren – besonders hohe Forschungsbudgets erfordert. Sollte das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufgehoben werden, könnten die Forschungsmittel schrumpfen.

Zur Knutti-Initiative meinte ETHZ-Präsident Mesot, sie widerspreche den ETH-Governance-Regeln nicht. Ihre Forschenden hätten ebenso ein Recht auf freie Meinungsäusserung wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Und weiter: «Zudem kann ich nachvollziehen, dass bei ihnen die Dringlichkeit zum Handeln grösser ist als in anderen Kreisen. Sie forschen zum Teil seit Jahrzehnten zum Thema Klimawandel und zu erneuerbaren Energien. Aber politisch geht es ihnen viel zu langsam vorwärts.»

So wurde die Govenance-Problematik nochchalant zur Seite gewischt. Es fehlte jegliche Sensibilität für den grundlegenden Unterschied zwischen einer individuellen Meinungsäusserung eines Forschers als Bürger und der organisierten Kollektivaktion von Reto Knutti im Namen der ETH. Es scheint, als habe die Sakralisierung der direkten Volksrechte das Sensorium für Grundsätze demokratiepolitischen Verhaltens nachhaltig beschädigt. Die entlarvenden Pointen des Interviews kamen auf die Schlussfrage «Was empfehlen Sie zum Klimaschutzgesetz?»: Mesots Antwort lautete: «Ich kann nur den Bundesrat unterstützen.» Und Vetterli: «Das sind schliesslich unsere Chefs, und wir opponieren als gute Angestellte natürlich nicht (lacht).»

Zum Lachen gibt es für mein Empfinden wenig. Es scheint mir äusserst fragwürdig, wenn sich staatliche Hochschulen als Steigbügelhalter der offiziellen Politik gebärden. Gerade von einer ETH kann die steuerzahlende Bevölkerung erwarten, dass sie ihre Forschung unabhängig von politischen Vorgaben betreibt. Eine Abstimmungskampagne gehört bestimmt nicht in den Aufgabenbereich einer staatlichen Hochschule. Wenn unsere Hochschulen nicht selbst in der Lage sind, sich Governance-Regeln zur Einhaltung politischer Neutralität und Unabhängigkeit zu geben, ist die Politik gefordert. Auch die Hochschulforschung muss sich ihre Unabhängigkeit durch die Einhaltung strikter Governance-Prinzipien verdienen.

Mehr Richterstaat, weniger Demokratie

Das Klimaschutz-Gesetz fördert die Spaltung der Gesellschaft

Dieser Text erschien am 5. Juni 2023 in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter“ (mit Zahlschranke).

Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats steht unter „Ausganslage“ zum Klimaschutz-Gesetz: „Die Schweiz hat sich 2017 im Übereinkommen von Paris gemeinsam mit 192 weiteren Staaten und der EU verpflichtet, den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren.“ Die Genehmigung und Ratifizierung des Pariser Übereinkommens erfolgte im Juni 2017 per Bundesbeschluss. Das Referendum wurde nicht ergriffen, was verständlich wird, wenn man den offenen Absatz 3 in Artikel 1 des Bundesbeschlusses liest: „Das übermittelte nationale Reduktionsziel unterliegt keinen Einschränkungen bei der Umsetzung; der Inland- und der Auslandanteil am Reduktionsziel werden im Rahmen des nationalen Rechts festgelegt.“

Bis dahin also keine Rede von „netto null 2050“. Die Idee von Bundesrat und Parlament, „netto null 2050“ als Ziel in ein Gesetz zu schreiben, entstand unter dem Druck der „Gletscher-Initiative“. In Kombination mit dem Atomausstieg und einem möglichst hohen Inlandanteil bei der CO2-Reduktion haben wir nun eine Konstellation, die weitestgehend mit links-grünen Parteiprogrammen übereinstimmt. Das Motto lautet: Alles, was wir wollen, ist auch machbar.

Anreize für Klagen steigen

Die Abstimmung vom 18. Juni bietet den Leuten die Möglichkeit, mit einem Ja zum Gesetz klimapolitische Korrektheit zu signalisieren und sich dabei gut zu fühlen. Was die möglichen Folgen betrifft, wirkt das Sedativ der behördlichen Propaganda. Doch wenn die Schweiz mit der Annahme des Klimaschutz-Gesetzes das Ziel „netto null bis 2050“ ins Gesetz geschrieben haben wird, sind zwei Folgen zu beachten, die in der öffentlichen Debatte bisher kaum Gewicht hatten.

Während man früher noch versuchte, die Kosten der CO2-Reduktion pro Tonne für die verschiedenen Massnahmen bei Gebäuden oder im Verkehr und in der Industrie zu schätzen, spielt das mit der Verpflichtung „netto null“ keine Rolle mehr. Man muss auf null kommen, koste es, was es wolle, auch wenn die Reduktion pro Tonne zehn mal teurer ist als der CO2-Preis im Emissionshandel, der angibt, wie viel die Reduktion einer Tonne im Raum des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) kostet. Zudem gilt „netto null“ auch unabhängig davon, ob die Schweiz in 27 Jahren 20, 30, 40 oder 50 Prozent mehr Einwohner hat als heute.

Der zweite Effekt besteht darin, dass die Formulierung von konkreten Ziel- und Richtwerten im Gesetz die Möglichkeiten und Anreize für Klagen an Gerichten steigert, wenn Zwischenziele der CO2-Reduktion verfehlt werden. Der Klageweg ist im Klimaaktivismus nicht neu, aber steigerungsfähig. Im Gesetz sind auch für die einzelnen Sektoren (Gebäude, Verkehr, Industrie) Richtwerte als Mindest-Reduktionswerte vorgegeben, was die Klageopportunitäten wesentlich erhöht. Wie wohlwollend gewisse Richter gegenüber militanten Klimaaktivisten und -aktivistinnen urteilen, haben wir an einigen Fällen bereits sehen können. Und für juristische Gratisverteidigung steht heutzutage das ideologisch richtig gepolte Anwaltspersonal willig bereit. Im Notfall kann man auch auf höchster Ebene jenseits der Landesgrenzen klagen. Das Urteil des EGMR in Strassburg, an das sich unsere KlimaSeniorinnen über alle beträchtlich partizipativ ausgestalteten eidgenössischen Institutionen hinweg gewendet haben, steht noch aus. Für unentgeltliche professionelle Beratung im Hinblick auf maximales Medienecho steht etwa der globalisierte Umwelt-Multi Greenpeace stets zu Diensten.

Unrealistische Richtwerte sorgen für einklagbare Ziellücken

„Netto null 2050“ erfordert zwingend die kaum realistischen Richtwerte im Gesetz als Zwischenziele. Die absehbaren Ziellücken werden einschneidende Massnahmen verlangen. Diese Warnung steht ja schon im Gesetz. Doch Widerstände gegen hohe Kosten, massive Eingriffe in den Lebensalltag und gegen die Verschandelung der Umwelt durch Anlagen der sogenannt Erneuerbaren werden sich auch in regelmässigen Referenden gegen neue gesetzliche Verschärfungen ausdrücken. Gleichzeitig werden die aktivistischen Klimaretter vermehrt an Gerichte gelangen, um die Politik zur Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen zu zwingen.

Es bleibt die ungute Aussicht, dass die ideologisch aufgeladene Klima- und Energiepolitik die Spaltung der Gesellschaft in mehrfacher Weise fördert. Nicht zuletzt wächst auch die Kluft zwischen den gut gebetteten akademisch gebildeten Eliten in den meinungsmächtigen Institutionen, die die offizielle Politik prägen, und den gewöhnlichen Menschen. Diese haben ihren Alltag zu bewältigen, ohne auf dem moralischen Hochsitz stets auch noch die „Rettung des Planeten“ im Auge zu haben.

Klimaaktivist Knutti

„Die Wissenschaft“ engagiert sich im Abstimmungskampf

Vor wenigen Wochen berichteten die Medien über eine Aktion des ETH-Klimaforschers Reto Knutti. Er hatte über 200 Wissenschafterinnen und Wissenschafter von Schweizer Universitäten und Forschungsanstalten für die Unterstützung des Klimaschutz-Gesetzes mobilisiert. Seine Begründung für die professorale Einmischung in die Volksabstimmung vom 18. Juni lautet so: „Gerade bei komplexen Themen wie dem Klimawandel sollten sich auch Wissenschaftler:innen mit ihrer Expertise einbringen und zur Meinungsbildung beitragen.“

Diese Aktion, die beansprucht, „die Wissenschaft“ zu vertreten, wurde in den Medien, kaum überraschend, fast nur wohlwollend kommentiert. Dabei kam das Grundsätzliche nicht zur Sprache: Diese Einmischung in einen Abstimmungskampf missachtet eigentlich selbstverständliche Governance-Prinzipien von staatlichen Hochschulen. Natürlich können alle, die die Aktion unterzeichnet haben, ihre persönliche politische Meinung haben und diese in Wahlen und Abstimmungen ausdrücken.

Es ist aber etwas völlig anderes, mithilfe der geliehenen Reputation seiner staatlich finanzierten Hochschule die Abstimmung über eine konkrete Gesetzesvorlage beeinflussen zu wollen – zudem noch eine ideologisch derart aufgeladene Vorlage, welche die Gesellschaft spaltet. Wenn man auf die Neinstimmen gegen das Energiegesetz mit dem „Atomausstieg“ und gegen die CO2-Vorlage abstellt, ist auch beim Klimaschutz-Gesetz mit rund 40 Prozent ablehnenden Stimmen zu rechnen. Die politische Aktion „der Wissenschaft“ richtet sich somit gegen eine grosse Minderheit, die – genau wie alle – Steuern für die staatliche Forschung zahlt.

Die Wissenschaft hat nie die Wahrheit, sondern sucht sie

Die Governance-Forderung gilt unabhänigig von der Frage, ob „die Wissenschaft“, welche diese politische Einmischung zu vertreten vorgibt, überhaupt die eine und einzige Wahrheit über den Klimawandel besitzt. Was man sicher sagen kann: Die Wahrheit über die richtige Klimapolitik kennt diese „Wissenschaft“ bestimmt nicht. Reto Knutti schreibt, die Aussage, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen rasch reduzieren müsse, sei eine logische Schlussfolgerung aus der Physik. Ist eine derart verkürzte Argumentation der „déformation professionnelle“ eines Klimamodell-Experten zuzuschreiben?

Auf SRF info3 sagte Reto Knutti, die Leute sollen auf der Grundlage von Fakten entscheiden können. Natürlich meint er die Fakten, so wie er sie interpretiert. Seine Sicht der Energie- und Klimapolitik ist nicht zuletzt durch seine persönliche Ablehnung der Kernenergie verzerrt. Deshalb unterstützt er Gesetze, die das Neubauverbot für KKW zementieren wollen. Nicht zufällig fehlt auf der Unterstützerliste die Unterschrift seiner ETH-Kollegin Annalisa Manera, Nuklearforscherin am PSI – Leuchtturm in einem Meer von Opportunismus.

Wenn die Fakten so aussehen, wie sie Reto Knuttis ETH-Kollege Anthony Patt in seinem Beitrag in der NZZ vom 21.April dargelegt hatte, müsste man der NZZ-Leserschaft dringend empfehlen, sich auch noch aus anderen Quellen über die Kosten einer rabiaten Dekarbonisierungspolitik zu informieren. Patt schrieb, dass die Solar- und Windenergie sowie Batterien für Elektrofahrzeuge so billig und zuverlässig geworden seien, dass die Gesellschaft im Vergleich zur Nutzung fossiler Brennstoffe damit Geld sparen werde. Das ist in ihrer Pauschalität eine faktenfreie Behauptung ohne datenbasierte Substanz, genau wie die folgende Aussage: „Die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 °C erfordert eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 und ihre vollständige Beseitigung bis 2050. Das ist technisch möglich und bezahlbar, wenn alle Länder und auch die Schweiz ihren Beitrag leisten.“ Man meint, man lese aus dem Parteiprogramm der Grünen Partei.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Klimaforschung politisiert ist, dann liefert sie die Aktion von Reto Knutti. Seine selbsternannte Wahrheits-Wissenschaft solidarisiert sich mit einer bestimmten politischen Agenda. Wie die oben genannten Volksabstimmungen zeigten, gibt es in der Klima- und Enegiepolitik eine tiefe Spaltung, da sie durch das Thema Kernenergie moralisch-ideologisch aufgeladen ist. Die Aktion „der Wissenschaft“ fördert diese Spaltung, indem sie sich einseitig positioniert.

Das eiserne Gesetz der Klimapolitik

Der britische Klimatologe Mike Hulme spricht von einem neuen Klimareduktionismus, der von einer Hegemonie prognostizierender Naturwissenschaften angetrieben sei, einer Hegemonie, die modellbasierten Beschreibungen vermeintlicher zukünftiger Klimata eine unverhältnismässige Macht im politischen und gesellschaftlichen Diskurs verleihe. Dieser Klimareduktionismus verdrängt die historische Erfahrung, dass „energy transitions“, also jetzt die Dekarbonisierung, Jahrhundertprojekte sind.

Dessen ungeachtet engt die Politik unter dem Einfluss alarmistischer Töne aus der Klimaforschung den Zeitrahmen für Emissionsreduktionen immer enger ein. Doch es ist eine Sache, „netto Null bis 2050“ in ein Gesetz zu schreiben, jedoch eine ganz andere Sache, später die realen Konsequenzen zu tragen. Demokratien sind für radikale Wenden nicht geeignet. Es gilt „the iron law of climate change“ (Roger Pielke jr.), das besagt, dass die Opferbereitschaft der Menschen in Wohlstandsgesellschaften begrenzt ist.

Die absehbare Entwicklung wird sein, dass Strategien der Anpassung an den Klimawandel gegenüber der radikalen Emissionsreduktion zunehmend an Gewicht gewinnen. Mit Anpassung waren die Menschen schon bisher erfolgreich. Der beste Beweis dafür sind die weltweit drastisch gesunkenen Opferzahlen aus extremen Naturereignissen. Davon hört man allerdings von „der Wissenschaft“ von Reto Knutti nichts.

Dieser Beitrag erschien in der WELTWOCHE Nr. 19/23 vom 11. Mai in leicht gekürzter Form. (Link-Zugang zum Artikel vermutlich nur für Abonnenten)


Der „Mantelerlass“ – ein nächster Schritt auf dem Holzweg

Der „Mantelerlass“, also die abgestimmte Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz, ist ein nächster Schritt zur Zementierung des Neubauverbots für Kernkraftwerke. Da sind die Grünen ehrlich, wie man auf ihren Verlautbarungen zum „Mantelerlass“ nachlesen kann. Und offiziell läuft das Revisionsvorhaben bekanntlich unter dem Titel „Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien“ – ein Oxymoron zwar, aber wer möchte nicht „den Fünfer und das Weggli“!

Doch der Bevölkerung wird einmal mehr suggeriert, eine sichere Stromversorgung allein mit erneuerbaren Energien sei auch ohne Kernenergie möglich. Die unterstützenden Gefälligkeitsstudien liefert unsere Spitzen-Hochschule ETHZ. Mit ihrem „Energy Science Center“ profiliert sie sich als getreue Erfüllungsgehilfin der offiziellen Energie- und Klimapolitik. Die Kernenergie ist dort tabu.

Zu den Beschlüssen des Ständerats zum Energiegesetz vom September 2022 gab es eine extrem knappe SDA-Meldung: Für die Modernisierung bestehender Kernkraftwerke wird kein Investitionsbeitrag geleistet. Im Nationalrat äusserte sich Roger Nordmann, SP-Nationalrat und Präsident von Swisssolar, im Namen der Kommission zur Vorlage wie folgt (original in Französisch): „Ich komme zur Frage des Kernenergiegesetzes, wo es mehrere Vorschläge der SVP-Fraktion, einen der Grünen und einen Einzelvorschlag gibt……. Nach Ansicht der Kommission hat es keinen Sinn, eine neue Debatte über die Kernenergie anzustossen…… Im Grunde ist die Atomfrage in der Schweiz erledigt. Es gab eine Volksabstimmung mit einem Kompromiss: Wir bauen keine neuen Atomkraftwerke, aber wir können bestehende betreiben, solange sie sicher sind. Es gibt keinen Grund, von diesem Kompromiss abzuweichen, der vom Volk mit 58 Prozent Ja angenommen wurde.“

Ist die Atomfrage in der Schweiz tatsächlich als erledigt zu betrachten, nur weil im Energiegesetz, dem das Stimmvolk im Mai 2017 zugestimmt hatte, ein Neubauverbot für Kernkraftwerke steht?

Wenn die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung.“

Dieses berühmte Zitat des berühmten John Maynard Keynes scheint das Verhalten in den Führungszirkeln unserer politischen Elite nicht zu beeinflussen. Dort hält man an Positionen fest, auch wenn sich die Umstände deutlich verändert haben, was seit dem Referendum vom Mai 2017 sicher der Fall ist. Man unterschätzt dort auch, wie sich die Meinungen in der Bevölkerung ändern können, und zwar ganz im Sinne des Bonmots von Keynes. Umfragen zum Neubauverbot weisen genau in diese Richtung. Gemäss einer jüngsten repräsentativen Umfrage ist heute erstmals eine Mehrheit der Stimmberechtigten für eine Aufhebung des Neubauverbots für KKW. Und so käme mit grösster Wahrscheinlichkeit heute bei einer Neuvorlage des Energiegesetzes vom Mai 2017 ein anderes Resultat heraus.

Für diese Annahme sprechen noch andere Punkte. Das Energiegesetz wurde dem Stimmvolk nach einer beispiellosen Propagandakampagne der Behörden vorgelegt. Vollmundige Behauptungen haben sich mittlerweile als nachweislich falsche Versprechungen entpuppt, so etwa zum Ausbau der Erneuerbaren, zur Reduktion der Importabhängigkeit, zum Speicherbedarf oder zur Kostenbelastung der Haushalte. Zudem lockte das Referendum, obwohl inhaltlich mit dem „Atomausstieg“ eine äusserst wichtige energiepolitische Weichenstellung, nur 43 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen. Ausgerechnet die SVP, also die Partei, die das Referendum als einzige Partei unterstützte, vermochte ihre Anhängerschaft nicht zu mobilisieren. Unter den SVP-nahen Stimmenden betrug die Stimmbeteiligung bloss 38 Prozent, der geringste Wert aller Parteien.

Der Volkswille und das Neubauverbot

Was dem Energiegesetz in einer anderen Abstimmungskonstellation hätte passieren können, zeigte gut vier Jahre später das erfolgreiche Referendum gegen das revidierte CO2-Gesetz. Dort mobilisierte ein ganzes Fünfer-Abstimmungspaket mit agrarpolitisch „heissen“ Volksinitiativen die Stimmbevölkerung sehr viel stärker, was erstens zu einer weit über dem Durchschnitt liegenden Stimmbeteiligung von rund 60 Prozent führte. Zweitens beteiligte sich dieses Mal insbesondere die sogenannte Landbevölkerung. Genau dies schlug sich auch in der Stimmbeteiligung nach Parteisympathie nieder. Im Kontrast zum Energiegesetz erreichten dieses Mal die SVP-Sympathisanten mit 73 Prozent die höchste Stimmbeteiligung. Vermutlich entsprach die parteipolitische Zusammensetzung der aktiv Stimmenden beim CO2-Referendum dem Gesamtbild aller Stimmberechtigten besser als beim Energiegesetz. Dieses mobilisierte Sympathisanten der politischen Linken überdurchschnittlich.

Der von Nationalrat Nordmann sakral überhöhte Volkswille bezüglich „Atomausstieg“ stimmt heute kaum mehr mit den Verhältnissen vom Mai 2017 überein. Wenn Demokratie bedeutet, dass die Regierenden das tun, was die Mehrheit des Stimmvolkes wünscht, dann müsste es möglich sein, über die Zukunft der Kernenergie in der Schweiz ein neues Plebiszit abzuhalten. Gegenwärtig läuft die Unterschriftensammlung für eine Volksinitiative, die Technologieoffenheit fordert, die Kernenergie aber nicht explizit erwähnt. Weil der „Mantelerlass“ das Neubauverbot zu zementieren droht, könnte man das kommende Referendum über den „Mantelerlass“ bereits als Plebiszit über die Kernenergie betrachten. Denn mit dem Ziel einer gesicherten Energieversorgung ohne Kernenergie befinden wir uns auf dem Holzweg.

Klimastress auf allen SRF-Kanälen 

Wie sich Medien zu Gehilfen einer politisierten Wissenschaft machen

Die klimapolitische Berichterstattung auf unseren SRF-Kanälen setzt den informierten Zuhörer oder Zuschauer regelmässig unter Stress. Beim neusten Synthesebericht des Weltklimarats IPCC war es nicht anders.

Keine kritische Stimme auf den SRF-Kanälen

In den Radionachrichten vom 20. März erfuhr man, dass der Ausstoss an Treibhausgasen bis 2030 halbiert werden müsste, um das 1,5 Grad-Ziel der Klimakonferenz „Paris 2015“ zu schaffen. Obwohl wir bei weitem nicht auf dem erforderlichen Absenkungspfad seien, gebe es Hoffnung, denn wir hätten die Möglichkeiten, das 1.5 Grad-Ziel zu erreichen. Wissenschaftsredaktor Klaus Ammann meinte zum Nutzen solcher Berichte, sie würden Impulse vermitteln. So sei etwa das Instrument der Restbudgets für Emissionen inzwischen anerkannt. Zudem zeigten die IPCC-Berichte den wissenschaftlich fundierten Konsens über den menschengemachten Klimawandel.

Auch das SRF-Fernsehen berichtete über den Synthesebericht. Der ETHZ-Klimaforscher Andreas Fischlin – Mitglied im IPCC Steering Committee – warnte, die Gefahren des Klimawandels seien noch grösser als bisher angenommen. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einer Klima-Zeitbombe. Dann durfte noch eine sehr jugendliche Klimaaktivistin mit obligater Pause für den Genderstern zum Synthesebericht etwas sagen. Sie finde es schon speziell, dass Politiker*innen darüber abstimmen, was nachher Grundlage für das Handeln sei.

Warnende Stimmen vor der Klima-Zeitbombe stammten auf den SRF-Medien von drei Greenpeace-würdig alarmierten ETH-Professoren, einem WWF-Vertreter, kirchlichen Hilfswerken, dem UN-Generalsekretär und einer Klimaaktivistin. Fehlte da nicht eine Stimme, die eine kritische Meinung zum Synthesebericht äussert? Oder zum ganzen Hype um netto null/1,5 Grad? Denn es gäbe Wichtiges zu ergänzen, damit die Öffentlichkeit nicht noch weiter der Meinungsmacht aus Hochschulen, Medien und Politik ausgeliefert bleibt.

Ergänzungen zum Synthesebericht

Erstens ist der Synthesebericht, trotz seinem wissenschaftlich-technischen Auftritt, kein rein wissenschaftliches Dokument. Er wird von den 195 Teilnehmerstaaten in Verhandlungen redigiert. Ein alarmistischer Grundton wird von Grafiken zur massiven Lücke zwischen dem geschätzten CO2-Absenkungspfad für das 1,5 Grad-Ziel und zugesagten nationalen CO2-Reduktionszielen der Teilnehmerstaaten begleitet und soll die Weltgemeinschaft zum Handeln aufrütteln. Die drastischen Formulierungen, die am Ende der Übertragungskette in den Medien landen, finden in den Grundlagenberichten kaum je Rückhalt.

Zweitens gilt der immer wieder genannte wissenschaftliche Konsens nur für die allgemeine Aussage, dass menschliche Aktivitäten zur Klimaerwärmung beitragen. In welchem Ausmass und vor allem mit welchen Auswirkungen, darüber gibt es unterschiedliche Forschungsergebnisse.

Drittens ist es eine Verdrängung der globalen Realitäten, am 1,5 Grad-Ziel und den angeblich notwendigen, aber völlig utopischen CO2-Reduktionspfaden festzuhalten. Selbst viele Klimaforscher wussten schon nach „Paris 2015“, dass das 1,5 Grad- Ziel nicht einzuhalten war. Trotzdem erklärt der Weltklimarat maximal 1,5 Grad Erwärmung weiterhin zu einem sinnvollen politischen Ziel, und die Klimaforschung passt sich opportunistisch an.

Viertens wird die Rechnerei um CO2-Restbudgets durch die grosse Unsicherheit über die Klimasensitivität – d.h. den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperatur – erschwert. Quasi tonnengenaue Restbudgets und Gnadenfristen, wie sie in der politischen Kampfarena aufgefahren werden, sind unseriös.

Lokale Ideologie – globale Realität

Unter dem Titel „Die Klimadebatte – lokale Ideologie – globale Realität“ findet man auf YouTube ein Referat des Physik-Professors Gerd Ganteför (Universität Konstanz), das ideologisch geprägte (deutsche) Klimapolitik kritisch an den globalen Realitäten misst (https://www.youtube.com/watch?v=OaWM2Pd0sHY). Die Kernbotschaft lautet, auf dem falschen Weg mehr zu tun, ist eine kostspielige politische Fehlleistung. Das gilt auch für die Schweiz. Doch bei uns wirkt die Forschung der staatlichen Hochschulen in Symbiose mit den staatsnahen SRF-Medien als Erfüllungsgehilfen der offiziellen Klima- und Energiepolitik – ob aus ideologischer Überzeugung oder in Erwartung handfesterer Vorteile sei offengelassen.

Was in diesem Meinungsklima für politische Programme entstehen, dafür lieferte Radio SRF in den Nachrichten vom 25. März ein Muster. Die Grünliberalen hatten an ihrer Delegiertenversammlung den Wahlkampf für die Wahlen im Herbst mit dem Slogan „Mut zur Lösung“ lanciert. Das heisst nach Auskunft des Parteipräsidenten Jürg Grossen, man wolle mit mutigen Entscheiden der nächsten Generation einen funktionierenden Planeten hinterlassen. Ginge es nicht auch etwas bescheidener, Herr Grossen? Mit welchen mutigen Entscheiden möchten Sie denn die Chinesen, die Inder und viele andere auf die Parteilinie der GLP bringen? Mutig wäre es, im schweizerischen Landesinteresse die ideologische Ablehnung der Kernenergie aufzugeben, statt den Planeten retten zu wollen. Jürg Grossen und viele andere Politiker täten gut daran, ihre lokalen Lösungen für einen funktionierenden Planeten an den faktenreichen Ausführungen von Professor Ganteför zu messen.

Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 24. April 2023 im Feuilleton der NZZ (mit Zahlschranke).

HEKS gegen Holcim

Zur Klimaklage von indonesischen Inselbewohnern am Kantonsgericht Zug

Wie verschiedene Schweizer Medien jüngst berichteten, haben vier Bewohner der indonesischen Zwerg-Insel Pari gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim Zivilklage beim Kantonsgericht Zug eingereicht.  Die Zementindustrie ist eine sehr CO2-intensive Branche. Die Kläger fordern eine Entschädigung für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch das Ansteigen des Meeresspiegels und häufigere Sturmfluten. Sie verlangen vom weltgrössten Zementkonzern zudem eine starke Reduktion seines  CO2-Ausstosses. Das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS ist in Hilfestellung für die Kläger zuvorderst mit dabei.

Die Forderungen des HEKS im Namen der Kläger

Die Webseite des HEKS gibt Aufschluss über dessen Forderungen:

„Wie der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Sachstandsbericht ausführt, muss auf weltweiter Ebene dringend eine Verringerung der CO2-Emissionen erfolgen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Angesichts der Schwere und Unumkehrbarkeit der negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung sowie der historischen Verantwortung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Holcim, fordert HEKS das Unternehmen auf, mindestens die folgenden Emissionsreduktionsziele festzulegen, um seinen Teil zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 °C beizutragen: bis 2030 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 43 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019 und bis 2040 eine Reduktion der absoluten und relativen Emissionen um mindestens 69 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2019.“

Der britische Historiker Edward Gibbon (1737-1794), berühmt für sein Hauptwerk „Verfall und Untergang des römischen Imperiums“, glänzte schon vor mehr als 200 Jahren mit einem luziden Bonmot: „Man traue keinem erhabenen Motiv für eine Handlung, wenn sich auch ein niedriges finden lässt.“ Geleitet von Gibbons Erkenntnis, eröffnen sich zwei Möglichkeiten, die Absichten des HEKS an der Klimaklage zu erörtern.

Erhabene Motive – dürftige Sachargumente

Das HEKS unterstreicht den moralischen Anspruch der Klage mit der Forderung nach „Klimagerechtigkeit“. Dieser Kampfbegriff des Klimaaktivismus verweist auf eine angebliche historische Schuld der reichen industrialisierten Länder. Als Hauptverursacher des Klimawandels seien diese zu besonderen Anstrengungen verpflichtet. Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, ist in einer ganzheitlichen Sicht nicht einmal die halbe Wahrheit. Diese reichen Länder des „Westens“ sind mit ihren wissenschaftlich-technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen auch für die enormen weltweiten Fortschritte an Wohlstand und Lebensqualität verantwortlich. Zudem wäre die Bewältigung der negativen Folgen des Klimawandels ohne die Leistungsfähigkeit westlich geprägter Kulturen undenkbar.

Wichtiger ist aber, dass die ganze Argumentation des HEKS, untermalt mit ausführlichen Studien mit  wissenschaftlichem Anspruch, auf einem Grundirrtum beruht. Dieser Irrtum trägt den Namen „1,5 Grad“. Das 1,5 Grad-Ziel hat nicht nur keine wissenschaftliche Basis, sondern es war ursprünglich auch nie als verpflichtendes Ziel gemeint, sondern als gemeinsames Bemühen („aspiration“) der Weltgemeinschaft. Die 1,5 Grad sind das Ergebnis eines langen politischen Gerangels nach der gescheiterten Kopenhagener Klimakonferenz von 2008. Da man an der Klimakonferenz von Paris im Jahr 2015 unbedingt ein weiteres Scheitern vermeiden wollte, wurden insbesondere die kleinen Inselstaaten der „Alliance of Small Island States“ (AOSIS) mit der Zustimmung zum 1,5 Grad-Ziel für ein globales Klimaabkommen ins Boot geholt. Diese Ländergruppe ist sich ihrer grossen Verhandlungsmacht in einem Gremium, das nach Einstimmigkeit strebt, natürlich bewusst.

Nicht nur die Ableitung von einem illusionären 1,5 Grad-Ziel macht das Vorhaben unsinnig, von einem einzelnen Konzern prozentgenaue CO2-Reduktionsverpflichtungen einzuklagen. Auch die grosse Unsicherheit über die Klimasensitivität – d.h. den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperatur – verbietet eine solche Rechnung. Wegen dieser Unsicherheit ist ein Temperatur-Ziel für die politische Aktion prinzipiell ungeeignet. Und die ganze Rechnerei um „tonnengenaue“ CO2-Restbudgets hat aus demselben Grund keine wissenschaftliche Grundlage.

Die meisten Klimawissenschafter wussten schon zur Zeit von „Paris 2015“, dass das 1,5 Grad-Ziel bereits überholt war. Doch der Weltklimarat IPCC spielte das Spiel mit und erklärte „1,5 Grad“ zu einem sinnvollen politischen Ziel. Nun beschwören also unsere Politiker weiterhin das 1,5 Grad-Ziel, und die Klimaforschung passt sich opportunistisch an. Die Klimamodelle lassen sich ja „kalibrieren“. Man kann zum Beispiel mehr negative Emissionen einbauen, um doch noch erreichbar scheinende CO2-Absenkungspfade zu erhalten.

Niedrige Motive – strategisches Kalkül

Die am Kantonsgericht Zug eingeklagte Schadenssumme beträgt bloss rund CHF 14’000. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass es in der Klage um etwas Grösseres geht. Damit gelangen wir zu den niedrigen Motiven. Das strategische Kalkül solcher Klagen ist offensichtlich. Das HEKS will mithelfen, mit der Klage gegen Holcim weltweit medial Aufmerksamkeit zu erregen und Gerichtsurteile zu provozieren, die als Präzedenzfälle Schule machen. Das HEKS verfolge mit der Klage eine öffentlichkeitswirksame Strategie, indem es sich für die kleinsten Opfer des Klimawandels einsetze und auf eine breite Medienunterstützung hoffe, schrieb die NZZ. Da der Fall wie ein Kampf von David gegen Goliath erscheine, werde die Debatte emotionalisiert und weltweite Sympathie gewonnen.

Das Engagement des HEKS in dieser Sache, typisch für heutige kirchliche Politik, kommt auf dem moralischen Hochsitz daher, ist aber bei genauer Betrachtung das Gegenteil. Dazu gehört der Versuch, demokratische Entscheidungsprozesse durch den Weg über Gerichte zu umgehen. Das Bonmot von Edward Gibbon kann uns nicht nur in diesem Fall davor bewahren, in der politischen Debatte auf moralisch aufgeplusterte Argumente hereinzufallen.

Dieser Text erschien am 13. Februar 2023 in der Online-Publikation „Nebelspalter“.

Klimapolitik und der «neue Moraladel»

Klimaleugner kann man heutzutage ebenso rasch und unverhofft werden wie «Rassist». Es genügt, das 1,5-Grad- oder das Netto-null-Ziel kritisch zu hinterfragen. Roger Pielke Jr. etwa, ein Politikwissenschafter an der University of Colorado in Boulder, wurde als «Klimaleugner» diffamiert, bloss weil er in akribischen Datenanalysen zu Dürren, Überschwemmungen, Buschbrände oder Orkanen – entgegen dem verbreiteten Alarmismus – keine klaren Trends zu extremeren globalen Wetterereignissen feststellen konnte.

Wohlhabende Wachstumskritiker

Pielke äusserte zudem, wenn man sich in der Klimadebatte bewege, werde man oft von Leuten angegriffen, die sagen, zur Senkung von CO2-Emissionen müsse das Wirtschaftswachstum gestoppt werden. Er höre diese Argumentation meistens von wohlhabenden Akademikern in noblen Universitätsstädten in den reichen Teilen der Welt. Das ist auch in der Schweiz nicht anders. Umfrageergebnisse zu den Referenden gegen das Energiegesetz vom Mai 2017 (gescheitert) oder gegen das CO-Gesetz vom Juni 2021 (erfolgreich) bestätigen Pielkes Aussage über die klimabesorgten wohlhabenden Wachstumskritiker.

Beide Gesetzesvorlagen appellierten an wachstumskritische Kreise, was man aus dem Zustimmungsgefälle von links (hoch) nach rechts (niedrig) ablesen kann. Interessanter ist jedoch das Gefälle nach Bildungsgrad. Akademisch Gebildete (Fachhochschule/ Uni/ETH) machten in beiden Abstimmungen mit grossem Vorsprung die höchsten Anteile an Ja-Stimmen aus. Während Stimmende mit beruflicher Grundbildung/ Berufslehre das Energiegesetz mit nur 45 Prozent Ja-Stimmen ablehnten, stimmten 74 Prozent der akademisch Gebildeten dem Gesetz zu. Beim CO-Gesetz waren die Hochgebildeten mit einem Ja-Anteil von 64 Prozent die einzige zustimmende Kategorie. Gleichzeitig glänzten die akademisch Gebildeten wie immer mit der klar höchsten Stimmbeteiligung.

Dieses Abstimmungsverhalten der Hochschul-Gebildeten hat wenig mit fundierterem Wissen zum konkreten Thema, jedoch viel mit Werten und Moral zu tun. Hält man sich an die Kategorien des US-amerikanischen Politikwissenschafters Jason Brennan, passen die Hochgebildeten gut in seine Gruppe der politischen «Hooligans». Diese halten sich für politisch gut informiert, pflegen aber ein festgefügtes Weltbild. «Having opinions» gehört für sie zur persönlichen Ausstattung. Diese Meinungen gelten auch als Ausdruck moralisch höherer Werte und werden gegen Sachargumente und neue Information mit aller Kraft verteidigt.

Werte versus Wirkungen

Jenseits der Interpretationen der VOX- und VOTO-Umfrageforscher zu den beiden Referenden fördert eine vertiefte Analyse einen grundsätzlichen Unterschied in den wichtigsten Abstimmungsmotiven von Befürwortern und Gegnern zutage. Etwas plakativ ausgedrückt: Befürworter wünschen sich eine Welt nach ihren eigenen Idealvorstellungen. Dazu passt, dass auch die erwarteten Folgen gerne idealisiert werden, vorzugsweise ganz unbescheiden als Einsatz für eine bessere Welt, zur Rettung des Planeten oder für künftige Generationen. Gegner dagegen fragen sich: Wenn wir das tun, welche Folgen wird das haben? Den ersten geht es um Werte, den zweiten um Wirkungen.

Das Leben nach bestimmten Werten dient oft auch der Selbstinszenierung. Ein Leben in höheren Sphären der Moral ist jedoch oft mit Kosten verbunden. Man denke nur an die üblichen Preise für Angebote ethischen Konsums aller Art. Doch Werte müsse man sich leisten können, schrieb der Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich vor einigen Jahren in einem Beitrag in der NZZ. Werte zur Geltung zu bringen, sei an Ressourcen und Aufwand gebunden. Deshalb sei die Lebensorientierung an Werten «die Seligkeit nur von Eliten». Der «neue Moraladel» könne es sich dank seiner privilegierten sozialen Stellung leisten, einen wertebewussten Lebensstil zu verwirklichen und sich damit auch über andere Menschen zu erheben.

Im Lichte dieser Erkenntnisse kann es nicht verwundern, dass eine Orientierung an Werten in der meist auch materiell gut versorgten Bildungselite besonders verbreitet ist. Deren hohe Zustimmung zum Energiegesetz mit seinem hohen moralischen Anspruch als Einstieg in die «Energiewende» – gepaart mit der Forderung nach einem Ausstieg aus der bösen Kernenergie, bestätigt dies.

Doch der akademisch gebildete «Moraladel» ist nicht nur in Bezug auf die Klima- und Energiepolitik in den meinungsmachenden Institutionen (Politik, staatliche Verwaltung, Medien, Wissenschaft und Kultur) stark übervertreten. Der übergrosse Einfluss dieser Meinungsmacht auf die öffentliche Meinungsbildung gilt für alle ideologisch aufgeladenen gesellschaftlichen Fragen. Oder besser gesagt: Der neue «Moraladel» ist bestrebt, möglichst jedes gesellschaftliche Thema zu einer Frage der richtigen Gesinnung zu machen.

Dieser Text erschien leicht gekürzt am 29. Dezember 2022 auf nzz.ch

Energie- und klimapolitische Verwirrungen

„Auch in der Arktis stehen sich die Großmächte  neuerdings feindselig gegenüber…., denn in der Arktis schlummern im Permafrost Öl und Gas in rauen Mengen.“

Das steht heute im „Pioneer Briefing“ von Gabor Steingart. Die Grossmächte und ein paar weniger gewichtige Anrainerstaaten versuchen, ihre Ansprüche und ihre Präsenz in der Arktis auszuweiten. Der Prozess entwickelt eine Eigendynamik, indem jedes Signal der Ausdehnung der Interessensphäre eines Akteurs die anderen Akteure zu Gegenforderungen provoziert.

Im Lichte der hehren Klimaziele von „Paris 2015“ und angesichts der inflationär wiederholten Selbstverpflichtungen zu netto null CO2 erscheint das geopolitische Gerangel um die fossilen Bodenschätze der Arktis wie aus einer anderen Welt oder Zeit. Man ist versucht, unsere moralisch aufgeladene grün gefärbte Klima- und Energiepolitik als Ausfluss einer infantilisierten Wohlstandsgesellschaft zu sehen. In den komplexen globalen Zusammenhängen ist sie im besten Fall wirkungslos, im schlimmeren, aber auch wahrscheinlicheren Fall sogar kontraproduktiv. Für diesen Fall prägte der prominente deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn den Ausdruck „Das grüne Paradoxon“ – und schrieb ein ganzes Buch mit diesem Titel.

Unsere konfuse Energie- und Klimapolitik

Die US-amerikanische online-Plattform RealClearEnergy, berichtete kürzlich, Indien habe die Wiedereröffnung von über hundert stillgelegten Kohleminen angeordnet, um den explodierenden inländischen Strombedarf zu decken. Die Begründung lautete, die Energieversorgung komme für Indien an erster Stelle, vor dem Klimaschutz. Auf derselben Plattform las man in einem Editorial, das vorherrschende energiepolitische Narrativ der Administration Biden schweige darüber, wie man den sechs Milliarden Menschen, die mehr Energie brauchen, um ihr Los zu verbessern, zuverlässige und erschwingliche Energie liefern könne. Dasselbe trifft auf die offizielle schweizerische Klimapolitik zu.

Sommarugas Anmassung

Die Medien berichteten im letzten November von der Glasgower Klimakonferenz COP26, dass Umweltministerin Sommaruga gegen Schluss noch intervenierte, um für die Kohle einen konsequenten Ausstieg zu fordern. Ein allmählicher Ausstieg, der auf die wirtschaftliche Tragbarkeit Rücksicht nehme, genüge nicht. Eine solche Intervention eines Regierungsmitglieds eines Landes, das mit seiner Energieversorgung nur dank importiertem Kohlestrom über die Runden kommt, ist an sich schon fragwürdig. Wenn aber Bundesrätin Sommaruga von 1,4 Milliarden Indern den Kohleausstieg ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Tragbarkeit fordert, finde ich das anmassend. Man könnte den Spiess ja mal umkehren. Was für Forderungen könnte Indien an die Schweiz in Sachen Klima und Energie stellen?

Auch Forscher argumentieren auf der Linie von Sommaruga. Kürzlich referierte der ETH-Klimaphysiker Reto Knutti an einem Anlass einer Bank. Sein Referat gründete auf dem Narrativ unserer offiziellen Klimapolitik. Als Einstieg kamen für das richtige „Framing“ Bilder von ausländischen Waldbränden und Überschwemmungen, danach mit der Simulation des Rückzugs des Aletschgletschers bis ins Jahr 2100 auch noch etwas Einheimisches. Schliesslich unterstützt Klimaforscher Knutti die „Gletscher-Initiative“, die den Leuten suggeriert, es liege an uns, mit einer ambitionierten Klimapolitik die Alpengletscher zu retten.

Die Geschichte, die man uns immer wieder erzählt, lautet so: Um das Klimaziel der Konferenz von Paris im Jahr 2015 zu erreichen, nämlich den Anstieg der Temperatur seit Beginn des Industriezeitalters möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir jetzt sofort handeln. Wir müssen die erneuerbaren Energien aus Wind, Wasserkraft und Photovoltaik massiv ausbauen und die Mobilität und die Gebäude elektrifizieren. Und wir sollten weniger fliegen. Und wir sollten weniger Fleisch essen. Wir sollten einfach weniger fossile Energien Kohle, Öl und Gas verbrauchen und durch CO2-arme Energieträger ersetzen. Dass dabei die Kernenergie auch im Vergleich mit Solar- und Windstrom am besten abschneidet, bleibt ausgeblendet.

Das diffuse „wir“

Die Konfusion, die unsere Klimadebatte belastet, dreht sich um das Wörtchen „wir“. Wen meinen die warnenden Stimmen mit „wir“? Sind es wir Schweizer, dann sind all die Bilder von Waldbränden, Überschwemmungen und schmelzenden Gletschern bloss Stimmungsmache, denn darauf haben wir nicht den geringsten Einfluss. Meinen die Warner(innen) aber das „wir“ global, dann sind wir politisch nicht zuständig, siehe das Beispiel Indien. Auch andernorts auf der Welt kommt das Fressen vor der Moral, gerade in den westlichen Demokratien, wo der Krieg in der Ukraine gerade die hehren Netto-null-Versprechungen entzaubert. Überall herrscht unter unsicheren Regierungs- und Parlamentsmehrheiten ein opportunistisches Gerangel um Wählerstimmen. Energiepreise, besonders der politisch brisante Benzinpreis, sollen jetzt mit allen Mitteln gedeckelt werden – inklusive Bücklinge aller Art vor den Potentaten von Autokratien wie Saudi Arabien oder Venezuela.

An der jüngsten Klimakonferenz in Bonn offenbarten sich die politischen Realitäten. Ernüchtert stellte man fest, dass nur wenige Länder die auf dem COP26-Gipfel versprochenen Pläne für strengere Emissionssenkungen vorgelegt hatten. Zudem fehlt es immer noch an der vollmundig in Aussicht gestellten Finanzierung für arme Länder, damit diese sich besser an den Klimawandel anpassen können. Europäische Staaten sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, die fossilen Energiereserven der Entwicklungsländer zu beanspruchen, ohne ihnen bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen. Ausgerechnet das Energiewende-Land Deutschland plant, die Importe fossiler Brennstoffe zu erhöhen, um die riesigen Gasmengen zu ersetzen, die es bis vor kurzem von Russland kaufte.

Die wachsende Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und politischem Handeln untergräbt die Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratien nicht nur zuhause, sondern auch im Rest der Welt.