Nicht immer geht es in volldaneben.ch direkt um ökonomisch Fragwürdiges bis Unsinniges. Heute gibt es eine verkehrspolitische Seldwylerei zu kommentieren, die allerdings auch einen volkswirtschaftlichen Aspekt hat, nämlich die enormen Staukosten am Gotthard (NZZ am Sonntag vom 27. Juli 2014: „Am Gotthard staut es nun schon täglich“).
Der Alpenschutz-Artikel, der 1994 aufgrund der Alpen-Initiative in die Bundesverfassung gelangt ist, verbietet einen Ausbau der Strassenkapazität am Gotthard. Das Nadelöhr der einen Tunnelröhre mit Gegenverkehr ist diesem Volksentscheid zu verdanken. Man hoffte, mithilfe der Schwerverkehrsabgabe den Schwerverkehr mehrheitlich auf die Schiene verlagern zu können, was sich inzwischen als grosse Illusion entpuppt hat.
Nun ist genau das passiert, was in einem Tunnel mit Gegenverkehr zu erwarten ist. Zahlreiche Unfälle mit mittlerweile Dutzenden von Toten haben die Warnung von Experten bestätigt: „Eine Katastrophe im Gotthard-Strassentunnel ist programmiert“. Wikipedia ist zu entnehmen: „Zwischen 1980 und Ende 2004 ereigneten sich insgesamt 875 Unfälle mit insgesamt 30 Toten, der schwerste davon am 24. Oktober 2001, als es durch den Zusammenstoss zweier Lastwagen zu einer Brandkatastrophe im Tunnel kam. Elf Menschen starben bei dem Unglück. Der Tunnel war danach zwei Monate lang wegen Sanierungsarbeiten geschlossen…“
Seitdem wird aus Sicherheitsgründen für Lastwagen und ab einer bestimmten Dichte des Verkehrs auch für Personenwagen ein Tropfenzähler-System benützt, das mit Verkehrsampeln vor den Tunnelportalen Nord und Süd den Verkehrsfluss steuert. Aufgrund einer eigenen Berechnung schätze ich, dass damit die Tunnelkapazität im Vergleich zum Zustand ohne Unterbrechung des Verkehrsflusses um zwei Drittel bis drei Viertel herabgesetzt wird.
Ein solcher Zustand war natürlich mit der Begrenzung der Tunnelkapazität gemäss Alpenschutz-Artikel nicht vorgesehen. Nicht nur in Bezug auf das Verlagerungsziel beim Schwerverkehr befindet man sich heute also im Bereich der Illusionen, sondern auch die Kapazitätsausnützung des Tunnels hat mit der ursprünglichen Idee der Kapazitätsbegrenzung nichts mehr zu tun. Nicht der Tunnel begrenzt die Kapazität, sondern der Zwang zu Sicherheitsmassnahmen in einem Tunnel mit Gegenverkehr nach den voraussehbaren schweren Unfällen.
Paradox an der Situation ist, dass man ausgerechnet dann, wenn der Verkehr dichter wird und möglichst die volle Tunnelkapazität gebraucht würde, den Tropfenzähler einschalten muss. Mit einer einzelnen Tunnelröhre bleibt man ewig in dieser „catch-22“-Falle gefangen. Dabei wäre auch mal die Frage zu stellen, wie die Ökobilanz der heutigen Zustände mit den bald endemischen Staus aussieht.
Fazit: Wie man unter solchen Umständen noch gegen den Bau einer zweiten Tunnelröhre – mit je einer Fahrspur pro Tunnel – argumentieren kann, lässt sich nur ideologisch begründen.