Welcher Volkswille in Sachen „Brexit“?

Das Brexit-Referendum war wohl mit Abstand die grösste Fehlleistung des früheren Premiers David Cameron – auf jeden Fall eine dramatische Fehlkalkulation. Cameron rechnete fest mit einem Votum für den Verbleib Grossbritanniens in der EU. In erster Linie ging es ihm dabei um die Disziplinierung der ewigen Abweichler in seiner konservativen Partei, der ob der EU-Frage ständig die Spaltung drohte. Der Schuss ging bekanntlich nach hinten raus.

Das Hauptmotiv der Brexit-Anhänger war die Beendigung der Personenfreizügigkeit. Grossbritannien sollte wieder selbst über die Migration bestimmen können. Nun liest man in der seriösen Tagespresse, dieses Motiv habe sich inzwischen deutlich abgeschwächt. Kein Wunder, denn die Situation hat sich diesbezüglich spürbar entschärft. Nun haben meinungsmachende Verlierer der Brexit-Abstimmung schon kurz nach dem Referendum, und seither immer wieder, eine Wiederholung der Abstimmung gefordert. Man sollte dies nicht vorschnell als Zwängerei von Verlierern abtun. Denn offensichtlich haben sich durch die Erfahrung der unerwartet grossen Schwierigkeiten und der schwer verdaulichen Kompromisse die Präferenzen in der Bevölkerung verändert. Es ist doch sonnenklar, dass zum Zeitpunkt der Abstimmung niemand wusste, was man sich damit einhandeln würde. Eine Wiederholung eines so gearteten Referendums ist umso berechtigter, je knapper die Abstimmung ausging. Und das Brexit-Ja war sehr knapp

Noch knapper hatten wir Schweizer der Masseneinwanderungs-Initiative zugestimmt. Und auch hier gilt Ähnliches wie beim Brexit. Erstens zeigen die Zahlen, dass sich der Immigrationsdruck klar abgeschwächt hat. Zweitens wusste niemand, was für Probleme man sich mit der Umsetzung dieser Initiative einhandeln würde. Auch hier könnte eine Wiederholung der Abstimmung im Lichte der veränderten Lage und Präferenzen sehr wohl begründet werden.

Agrareformen: Lahme Ente Schneider-Ammann

Letzten Sommer wagte unser Bundesrat Johann Schneider-Ammann kurzzeitig den Hosenlupf mit der Agrar-Lobby. In den Entwurf für das nächste agrarpolitische 4-Jahresprogramm schrieb er einen überraschend mutigen Abbau des Agrarschutzes an der Grenze. Die wütende Reaktion des Bauernverbands kam postwendend, indem der SBV-Präsident Ritter das Gespräch mit dem Bundesrat verweigerte. Als dann Schneider-Ammanns Reformprojekt auch noch in der Vernehmlassung auflief, war das Schicksal des bundesrätlichen Mutanfalls besiegelt. Diese Woche stellte nun Schneider-Ammann den mickrigen Rest seines Programms der Öffentlichkeit vor. Allerdings hätte der Landwirtschaftsminister, der ja vor seinem Rücktritt steht, auch als bissiger Reformlöwe statt als „lame duck“ in den Ruhestand treten können. Aber so etwas verträgt unser politisches Konsenssystem offenbar nicht.

Man fühlt sich nach Schneider-Ammanns Rückzieher irgendwie an das Schicksal des mutigen MWST-Reformprojekts des früheren Finanzministers Hans-Rudolf Merz erinnert. Auch davon ist nach dem x Jahre währenden Durchlauf durch die Tinguely-artige eidgenössische Politmaschinerie nichts mehr übrig geblieben. Eines der typisch schweizerischen Probleme der ausufernden Partizipation ist die institutionalisierte Mitwirkung unzähliger Interessen, die sich – nicht nur in der Agrarpolitik – aus unterschiedlichen Motiven als Gegner von liberalisierenden Reform zu Mehrheiten kumulieren. Es ist denn auch bezeichnend, dass alle Volksinitiativen, welche die Landwirtschaft betreffen, links-grüne oder protektionistische Anliegen sind, die noch mehr Regulierung fordern. Eine Initiative für eine agrarpolitische Liberalisierung hat hierzulande noch niemand gewagt.

Wenn in unserem politischen System nur noch kleinste Reformschritte möglich sind, die dann oft auch noch durch kompensierende Konzessionen an (angebliche) Verlierergruppen abgefedert werden müssen, könnte die Zeit kommen, da uns eine auch in der Bevölkerung spürbare Rechnung für den Stillstand präsentiert wird.

Echte Steuergeschenke im alten Korea

Im Nationalmuseum von Korea stiess ich gestern auf eine erstaunliche Herrscherfigur im alten Korea. Unter König Sejong wurden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wichtige Erneuerungen angestossen und durchgeführt. Dieser „Ruler for the People“ wird an einer erläuternden Anschrift zu einem Bild wie folgt beschrieben (für besseres Bild dieses anclicken):

König Sejong „…performed a survey of public opinion to find ways to lessen taxes for the people.“ Man stelle sich mal so etwas in unserem modernen massiv umverteilenden Wohlfahrtsstaat vor. Steuersenkungen heissen bei uns „Steuergeschenke“ (für die Reichen), und mit dem Schreckwort „Steuerausfälle“ lässt sich meist jede noch so gut begründete Massnahme, welche die Staatseinnahmen schmälern könnte, verhindern.

Was ist der Unterschied zu früheren Zeiten? Der intransparente umverteilende Wohlfahrtsstaat mit progressiven Einkommenssteuern suggeriert einer Mehrheit, vom steuerfinanzierten staatlichen Segen mehr zu kriegen als man selber dafür bezahlt. Der vom System inzwischen umgepolte Mensch von heute hat Ansprüche an die Gesellschaft, und dass Andere dafür bezahlen sollen, hat sich in den Köpfen längst zur unangreifbaren Selbstverständlichkeit verfestigt. Ein solches System ist unreformierbar, weil die Blockademechanismen eingebaut sind. Ein Beispiel: Entlastungsmassnahmen unter einem progressiven Steuersystem begünstigen oft zwingend die oberen Schichten stärker als die grosse Mehrheit. Doch diese Mehrheit findet das unfair und stimmt dagegen, selbst wenn sie selbst auch profitieren würde.

Das Klima und die politische Kommunikation

Die Sakralisierung der direkten Demokratie bringt mit sich, dass in der Abstimmungspropaganda selbst offensichtliche Desinformation als zulässig gilt. Wenn Volksinitiativen, die mit wissenschaftlich unhaltbaren Behauptungen den Leuten illusionäre Wirkungen vorgaukeln, für ungültig erklärt werden könnten, wäre die jüngst angekündigte «Gletscher-Initiative» des Vereins Klimaschutz eine würdige Kandidatin….

Lesen Sie den ganzen Text in der Originalversion in der NZZ:

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