Gandhi – der Ein-Hemd-Asket

Auch grösste Figuren liegen manchmal voll daneben

Für Mahatma Gandhis kompromisslosen Moralismus steht folgende Aussage beispielhaft: „If I need only one shirt to cover myself with but use two, I am guilty of stealing one from another…“

Mit anderen Worten: Wenn ich ein (zweites) Hemd kaufe, muss ein anderer ohne Hemd herumlaufen, weil ich es ihm gestohlen habe. Gandhi zelebriert die statische Ein-Hemd-Gesellschaft mit fixem Güterangebot: Für jeden Inder ein Hemd.

Nun kann man natürlich darüber spekulieren, ob Gandhi wirklich ein derart dürftiges ökonomisches Verständnis hatte, wie es sich in diesem Satz ausdrückt. Mindestens so plausibel ist die Vermutung, dass der berühmte Agitator gegen die britische Kolonialmacht auf Wirkung in der Öffentlichkeit zielte. Damit verriet er aber auch, was er vom durchschnittlichen ökonomischen Verständnis seiner massenhaften Zuhörerschaft hielt: wenig bis nichts. Denn auf Wirkung konnte er mit seiner Aussage nur hoffen, wenn die Leute sie spontan plausibel fanden.

Gandhis Weisheit hat bei uns etwas weniger prominente Nachahmer gefunden – ohne dass sich diese dessen bewusst sind. Vor einigen Jahren sagte Hansjörg Walter, der damalige Nationalrat, Fast-Bundesrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands, in einer agrarpolitischen Debatte den bemerkenswerten Satz: „Alles, was wir an Nahrungsmitteln importieren, fehlt an einem anderen Ort.“ Auch Walter hielt offenbar nicht viel vom ökonomischen Bildungsgrad der Schweizer Bevölkerung.

Aufklärung ade!

Der Westen im Dekadenz-Modus – auch in der Wissenschaft

Wir leben in westlichen Gesellschaften nicht mehr in aufgeklärten Zeiten. Man denke nur an die Exzesse der „woke“-Welle, die aus den USA zu uns hinüber schwappt. Oder hier ein paar Ausschnitte aus dem letzten Migros-Infomail zur schweizerischen Regulierung von „genome editing“/CRISPR nach Einknicken des Bundesrats:

„Noch bis zum 25. Februar läuft die Vernehmlassung zum Moratorium für das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen. In seinen Erläuterungen thematisiert der Bundesrat allerdings auch die neuen biomolekularen Methoden, die sich unter dem Begriff genome editing zusammenfassen lassen. Der Bundesrat will diese Methoden genau gleich behandeln wie die bisherige Gentechnik und entsprechend auch dem Gesetz unterstellen.

2018 kündigte der Bundesrat an, das geltenden Recht risikobasiert den neuen Entwicklungen anpassen zu wollen. Er beabsichtigte damals, die rechtlichen Grundlagen durch unterschiedliche Anforderungskriterien für verschiedene Methoden aus dem Bereich genome editing zu erweitern… Die Migros bedauert sehr, dass der Bundesrat von seinem damaligen Plan abgerückt ist und ersucht ihn ausdrücklich, sich an seiner damaligen Absicht zu orientieren und die einzelnen Methoden einzelfallbasiert zu beurteilen.

Der Bundesrat geht mit Verweis auf zwei ältere Umfragen davon aus, dass die Schweizer Bevölkerung der Gentechnik kritisch gegenübersteht.“

Mit anderen Worten: Der Bundesrat hält es nicht für seine Pflicht, die Bevölkerung über die Fortschritte der grünen Gentechnik zu informieren, sondern beugt sich den Forderungen der fundamentalistischen Gegner der grünen Gentechnik wie Greenpeace. Dabei gibt es das 13 Millionen Franken teure NFP59 zur grünen Gentechnik, dessen Hauptaussage war: Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) für Umwelt oder Gesundheit schädlich sind.

„Genome editing“ ist ein weiterer technologischer Sprung. Im Migros-Infomail steht dazu:

„Mit den bekannten Analysemethoden ist es aktuell im Übrigen unmöglich, unbekannte Genome editing-Anwendungen zu tragbaren Kosten aufzudecken. Denn im Gegensatz zur bisherigen Gentechnik gelingt es mit gewissen Genome editing-Methoden, Pflanzen so zu verändern, wie dies auch auf natürlichem Weg geschehen könnte – also beispielsweise ohne Einschleusen artfremder Erbsubstanz. Die vom Bundesrat gewünschte Wahlfreiheit ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewährleistet.“

Die westlichen Demokratien fahren auch wissenschaftlich im Dekadenz-Modus. Ein Muster ist die durch kein fundiertes Sachwissen gestützte GVO-feindliche Stimmung in Europa. Die wissenschaftlich-technische Aufklärung hat sich nach Osten verschoben. Symptomatisch: Der ehemals schweizerische agrartechnologische Weltkonzern Syngenta ist heute in chinesischen Händen.

In 20 Jahren können wir dann die neusten Technologien den Chinesen und Koreanern abkaufen, sofern die Mittel noch da sind.

Noch einmal zu „netto null CO2“

Grüne Wahlerfolge und die Illusion einer aufgeklärten Gesellschaft

Unter dem Titel „Bevorstehende Wahlen zeigen, wie sich die Grünen von der SP emanzipieren“ erschien in der NZZ online vom 6. Februar ein langer Artikel zu den jüngsten Wahlerfolgen der Grünen auf Bundesebene und in verschiedenen Kantonen. „Es war ein Erfolg, den sie in diesem Ausmass selbst nicht hatten erwarten können: Bei den eidgenössischen Wahlen 2019 verdoppelten die Grünen ihren Wähleranteil fast und wurden mit 13,2 Prozent auf einen Schlag zur viertstärksten Kraft im Land.“ stand dort zu lesen. 

Ich schrieb dazu folgenden Kommentar: „Es ist schon erstaunlich, dass eine Partei, die das „Klimaziel“ netto null CO2 bis 2030 vertritt, solche Wahlerfolge feiert. In einer aufgeklärten Gesellschaft müsste eine Partei, die solche Verrücktheiten propagiert, massiv abgestraft werden. Gut, aufgeklärt waren wir früher mal, aber jetzt regrediert der Zeitgeist.“

Die grünen Wahlerfolge sind nur zu verstehen, wenn man das Idealbild des informierten, rational entscheidenden Wählers über Bord wirft. Gefragt ist Einsicht in eine plausible Wahl- und Abstimmungspsychologie. Sehr viele Leute wählen oder stimmen in einem abgekürzten Meinungsbildungsprozess aufgrund von Vorurteilen nach Bauchgefühl und auch nicht unbedingt direkt zur Sache, sondern symbolisch, um daraus emotionalen Nutzen zu ziehen. Grün wählen vermittelt das angenehme Gefühl, man tue etwas „für das Klima“, weil die Grünen die rabiatesten Forderungen zur Reduktion der CO2-Emissionen vertreten. So offerieren die Grünen den Leuten Entlastung von persönlichen Opfern für den „Klimaschutz“. Es handelt sich somit um eine Art Ablasshandel. Das passt auch gut zur grünen Ideologie mit ihrer religiösen Aura. Wer uns wählt, steht auf der Seite des Guten.

In der „Weltwoche“ 05/21 warnte ich in einem Beitrag vor grünen klimapolitischen Rezepten: