Die schweizerische Landwirtschaft ist tatsächlich naturnah – aber nicht im Sinne der politischen Agrarpropaganda. Die Bauern sind der Natur so nahe auf den Leib gerückt, dass von der Natur fast nichts mehr übrig blieb, oder nur noch das, was kaum mehr zu kultivieren war. Zum Beispiel das sumpfige Neeracher Ried nördlich des Flughafens Zürich-Kloten. In der Bildmitte entdeckt der Betrachter diesen geschrumpften Rest von Natur. Der etwas dunklere grüne Flecken ist alles, was vor dem Angriff der hoch subventionierten Intensiv-Landwirtschaft gerettet werden konnte. Man kann sich auch gut vorstellen, wie unwirtschaftlich die Produktion auf einer derart zerstückelten Struktur der Landnutzung sein muss. Und kleinbetrieblich heisst noch lange nicht ökologisch, eher im Gegenteil. Ökonomisch schlecht und ökologisch fragwürdig – das ist die absurde Konsequenz der schweizerischen Agrarschutzpolitik.
Archiv für den Monat: November 2013
Unsere grünen Agrarmoralisten
Unsere Bundesverfassung ist vor keiner Partei oder Interessengruppe mehr sicher, die sich mithilfe einer Volksinitiative zu profilieren hofft. Bereits auf die nächsten Wahlen schielend, kündigte Regula Rytz, die Co-Präsidentin der Grünen (GPS), die Lancierung einer Volksinitiative „gegen ausländische Billig-Lebensmittel“ an. Die Initiative will Nahrungsmittelimporte verbieten, die nicht „nach hiesigen Vorschriften und Gebräuchen produziert wurden“. Ziel sei es, „lokale und saisonal produzierte Lebensmittel zu fördern, die auch preislich konkurrenzfähig sind“. Diese uneinlösbare Sowohl-als-auch-Forderung gehört zum Politmarketing. Hauptsache ist gemäss Rytz: Kein Hormonfleisch mehr aus den USA, keine Eier mehr aus Batteriehaltung und keine Bananen mehr, die unter miserablen Lohn- und Arbeitsbedingungen gepflückt wurden.
Solche moralisch aufgeladenen Botschaften kommen in der agrarpolitisch schlecht informierten Bevölkerung gut an und versprechen Aufwind für die Wahlen. Damit fischt man auch Stimmen in bäuerlichen Kreisen, deren mächtige Lobby bereits an verschiedenen Fronten damit beschäftigt ist, gegen die drohende Liberalisierung des Agrarhandels gesetzliche Pflöcke einzuschlagen. Mit den Grünen reitet auf der anderen Seite des politischen Spektrums auch die SVP auf der Anti-WTO-Welle. Sie plant eine Volksinitiative, die einen Mindest-Selbstversorgungsgrad von 60% und einen Abbruch der Agrar-Liberalisierung in die Verfassung schreiben will.
Dass die Grünen – politisch weiter links als die SP – die Gesellschaft mit Verboten nach ihren Wünschen umgestalten wollen, ist bekannt. Jetzt sollen also die schweizerische Agrar-Regulierung bzw. die hiesigen „Gebräuche“ zum Massstab für Nahrungsmitteleinfuhren erhoben werden! Man muss sich nur mal konkret vorstellen, mit welchem Aufwand ein solches Importregime praktisch verbunden wäre. Ganz abgesehen davon, dass sich die Grossverteiler selbst schon grösste Mühe geben, mit diversen Produktlinien das Marktsegment des „ethischen Konsums“ mit regionalen, Bio- und Fair-Trade-Produkten abzudecken und so auch massiv Imagepflege betreiben.
Problematischer ist die der Initiative zugrundeliegende Idealisierung der schweizerischen agrarischen Produktions- und Produktequalität. Es ist schlicht überheblich zu suggerieren, hiesige Produktionsweisen und Qualitäten seien besser oder ökologischer als ausländische. Wer an Wochenenden gelegentlich zu Fuss oder mit dem Velo unbefangen durch unsere Landschaften schweift, erhält durch Augen, Ohren und Nase einen realistischen Eindruck von der „naturnahen schweizerischen Landwirtschaft“. Mehrmals pro Jahr hat man den Gestank grossräumig begüllter Territorien zu erdulden. Man fragt sich: Weshalb setzt sich eine Partei mit dem ökologischen Anspruch der Grünen nicht für eine massive Reduktion der für die beschränkte Agrarfläche viel zu hohen Tierbestände ein? Damit liesse sich diese Güllerei mit all ihren Risiken für Wasser und Biodiversität auf ein erträgliches Mass senken. Gleichzeitig könnte man Futermittelimporte zurückfahren, die den Grünen ja auch ein Dorn im Auge sind.
Bei Ausflügen aufs Land ist auch die statistisch belegte Übermechanisierung der Bauernbetriebe nicht zu übersehen und zu überhören. Der Lärm ist das eine, die Energie- und CO2-Bilanz das andere, das gerade die Grünen interessieren müsste. Diesen Park von Traktoren, Mäh- und Erntemaschinen kann sich natürlich nur leisten, wer dank üppigen staatlichen Subventionen nicht so genau rechnen muss. Mit unseren Sinnesorganen sind allerdings nicht alle Umweltbelastungen der schweizerischen Intensivlandwirtschaft zu erfassen. Versteckt wirksam werden etwa Lasten aus der chemischen Bekämpfung von Schädlingen mit Pestiziden und Fungiziden. Wie viele Leute wissen schon, dass zum Beispiel Kartoffeln in unserem feuchten Klima bis zur Erntezeit rund zehn Mal gespritzt werden müssen!
Die schweizerische Bevölkerung reist viel in die weite Welt und verpflegt sich in fremden Ländern zwingend mit den dortigen Nahrungsmitteln. In Nordamerika essen Schweizer Touristen „Hormonfleisch“, ja sogar GVO-Nahrungsmittel, ohne dass sie sich gross darum kümmern. Krank geworden ist davon noch niemand. Auf Afrikareisen lässt sich schwer nachprüfen, ob die Arbeitsbedingungen im Nahrungsmittelsektor den Vorstellungen der Grünen Partei der Schweiz entsprechen. Sicher aber ist, dass dort viele Arbeitsstellen für die lokale Bevölkerung anfallen. Und auf Europareisen freut man sich als Schweizer immer wieder über die ausserordentliche Vielfalt und Qualität der angebotenen Produkte auf Wochenmärkten oder in Supermärkten, etwa in Frankreich oder Italien. Gut wäre es, wenn die Reisenden jeweils auch an die abwertende Propaganda denken würden, mit denen die Bauernlobby mit Hilfe grüner Agrarmoralisten die Importe ausländischer Lebensmittel stigmatisieren will.
(Dieser Text erschien, leicht redigiert, in der NZZ am Sonntag vom 10. November 2013 unter dem Titel „Der Irrtum grüner Agrarmoralisten und konservativer Bauern“)