Zweite Säule: Die jungen Ewiggestrigen von links

„Der Landbote“ (und der Tages-Anzeiger) berichtete(n) über die konzertierte Aktion der bürgerlichen Jungparteien von EVP, GLP, BDP, CVP, FDP und SVP für eine mutige und nachhaltige Reform der Zweiten Säule der Altersvorsorge. Diese ist in Schieflage und verteilt system- und gesetzteswidrig auf Kosten des Sparkapitals der Jungen jährlich rund 7 Mrd. Franken von den Aktiven zu den Rentnern um.

Die Reform enthält gemäss „Der Landbote“ folgende Punkte:
Rentenalter. Die Jungparteien wollen kein fixes Rentenalter festlegen, sondern dieses an die Lebenserwartung koppeln. 
Eintrittsalter. Junge sollen bereits mit 18 Jahren für das Alter zu sparen beginnen, sofern sie mehr als 21330 Franken pro Jahr verdienen. 
Umwandlungssatz. Die Jungparteien wollen den Umwandlungssatz nicht nur senken, sondern auch entpolitisieren. 
Koordinationsabzug. Die Jungparteien wollen den sogenannten Koordinationsabzug ganz streichen, der Bundesrat will ihn lediglich halbieren. 
Altersgutschriften. Die Jungparteien wollen, dass alle Arbeitnehmer, unabhängig vom Alter, denselben Prozentsatz ihres Lohns für das Alter beiseitelegen – wie hoch dieser sein soll, lassen sie offen. 
Rentenzuschlag. Die Jungparteien wollen nicht, dass eine Übergangsgeneration über eine weitere Umverteilung in der zweiten Säule für einen tieferen Umwandlungssatz entschädigt wird. 

Dieses Reformpaket orientiert sich vorbildlich an einem nach ökonomischen und versicherungstechnisch optimal gestalteten kapitalgedeckten Rentensystem. So wie man es vernünftigerweise gestalten würde, wenn man es neu einrichten müsste.

Das grosse Reformproblem der Schweiz hat damit zu tun, dass sich über die Zeit seit der Einführung der Zweiten Säule im Jahr 1985 um das System herum Interessengruppen etabliert haben, die ihre je eigene Agenda verfolgen. Zudem hat man es mit einem Stimmvolk zu tun, das mehrheitlich die Funktionsweise der Altersvorsorge gar nicht richtig versteht. Dies nicht zuletzt, weil die Politik den Leuten immer vollkommene Sicherheit der Renten vorgegaukelt hat, ohne das Volk darüber aufzuklären, dass die Kapitalentwicklung und die Renten von nicht kontrollierbaren äusseren Faktoren abhängen (Lebenserwartung, Demografie, Renditen an den Finanzmärkten). So gibt es heute kaum eine politisch massgebende Kraft, die sich für eine echte Reform der Zweiten Säule aus dem Fenster zu lehnen wagt.

Dagegen haben es die Gegner einer nachhaltigen Reform im Sinne der Entstehungsgeschichte der beruflichen Vorsorge leicht, das Stimmvolk gegen Vorschläge zu mobilisieren, wie sie nun von den bürgerlichen Jungparteien lanciert worden sind. Die Jungparteien der Linken (SP und Grüne) haben sich bereits gemeldet und gemäss „Der Landbote“ Folgendes verlauten lassen:
„Die Juso würde am liebsten die zweite Säule abschaffen und stattdessen die AHV zu einer Volkspension ausbauen. «Wir verschliessen uns der Diskussion um die Zukunft der beruflichen Vorsorge aber nicht», sagt Juso-Präsidentin Ronja Jansen. Grundsätzlich unterstützten sie alles, was den Versicherten Vorteile brächte – ein tieferer Koordinationsabzug oder eine Kompensation für die Übergangsgeneration. Und sie bekämpften, was für sie von Nachteil sei, tiefere Renten etwa oder ein höheres Rentenalter. Dieses müsste aufgrund der höheren Produktivität im Gegenteil sinken, sicher auf 60 Jahre.“

Voller daneben ist kaum möglich. Unsere ewiggestrigen jungen Linken träumen weiterhin von einer Volkspension, die bereits 1972 vom Stimmvolk zugunsten des heutigen Dreisäulen-Systems abgelehnt wurde. Und wenn heute ausgerechnet junge Parteivertreter fordern, das Rentenalter müsste auf 60 Jahre sinken, muss man sich verwundert fragen, warum politische Kräfte, die solche Realitätsverweigerung betreiben, heutzutage in der veröffentlichten Meinung immer noch als progressiv gelten. Unsere meinungsmachenden Leute in Medien, Wissenschaft, Kultur, Politik und Verwaltung sollten sich einmal vertieft zu Peter Sloterdijks nur scheinbar paradoxer Aussage Gedanken machen, die er in einem Interview mit Radio SRF1 vor einigen Monaten formuliert hatte: “
„Ich würde mir am liebsten eine Zukunft vorstellen, in der konservative Positionen mehr und mehr in ihrer progressiven Wirkung wahrgenommen werden.“

Das Reformprojekt der bürgerlichen Jungparteien hat diese progressive Qualität.

Altersvorsorge: Plebiszitäre Blockade

Aus dem NZZ-Bericht über eine jüngst erstellte Umfrage der Beratungsfirma Deloitte geht hervor, dass ausgerechnet die älteren Generationen weiterhin in einer Haltung der Reformverweigerung verharren – und dies trotz längst bekannten ungelösten Finanzierungsproblemen in der Altersvorsorge. Eine Erhöhung des Rentenalters (für Frauen oder für beide Geschlechter) lehnen klare Mehrheiten der 50- bis 70-Jährigen ab. Die Ablehnung ist in der Romandie viel stärker als in der Deutschschweiz. Und bei den Frauen ist der Widerstand durchwegs stärker als bei den Männern.

Dass die Reformblockade auf Kosten der Jüngeren geschieht, stört die Reformgegner offenbar überhaupt nicht. Man ist möglicherweise moralisch dadurch entlastet, als man immer behaupten kann, man habe Anrecht auf mindestens die gleichen Leistungen, wie sie bisher schon galten. Zudem haben wir es in der Schweiz aus politischem Opportunismus fertig gebracht, Rentenansprüche weitestgehend in gesetzliche Anrechte zu giessen. Dies geschah ohne Rücksicht darauf, dass nicht nur die Finanzierbarkeit der BVG-Leistungen von unbeeiflussbaren Variablen abhängt, sondern auch diejenige in der umlagefinanzierten AHV.

Die notorischen Reformblockaden in Sachen AHV und BVG sind in der schweizerischen Referendumsdemokratie nur institutionell zu verstehen. Das Problem beginnt jeweils schon im Stadium der Einführung. Da das allgemeine Verständnis für die technische Funktionsweise von Rentensystemen dürftig ist, muss man Vorlagen „referendumssicher“ machen, indem man die Leute davon überzeugt, dass alles sicher und unter Kontrolle ist. Also gaukelt man dem Stimmvolk vor, es könnten sichere Renten quasi per Dekret garantiert werden. Zudem ist jeder Reformversuch wieder Referendumsrisiken ausgesetzt. Das Ergebnis lässt sich an der ernüchternden Reformbilanz seit mehr als 20 Jahren ablesen. In internationalen Rankings der Nachhaltigkeit von Rentensystemen ist die Schweiz denn auch nicht ohne Grund von früheren Spitzenplätzen bereits ins Mittelfeld zurückgefallen, da die meisten anderen Länder bereits Reformen eingeleitet oder zumindest angekündigt haben. Was die besten Rentensysteme auszeichnet, ist die starke Anlehnung an versicherungstechnische Regeln. Mit einer Regelbindung werden Renten der tages- bzw. wahlpolitischen Einflussnahme und politischem Opportunismus entzogen.

Die Spätfolgen des politischen Opportunismus in der Altersvorsorge lassen sich am ungebrochenen Widerstand gegen die Anpassung des Frauenrentenalters an dasjenige der Männer demonstrieren. Zu Beginn galt für beide Geschlechter das Rentenalter 65. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der Hochkonjunktur wurde das Rentenalter der Frauen 1957 auf 63 gesenkt, 1964 auf 62. Die spätere Erhöhung in zwei Schritten auf 64 Jahre musste jeweils angesichts der Referendumsrisiken durch Konzessionen mit Kostenfolgen erkauft werden. Das langwierige Gezerre um das Frauenrentenalter 65 wird absehbar damit enden, dass gegen drohende Referenden wiederum Kompensationen durchgesetzt werden, die den Reformeffekt in Bezug auf die langfristige finanzielle Nachhaltigkeit der Rentensysteme weitgehend zunichte machen.

Unsere Jugendlichen kümmern sich wenig darum, dass die Älteren mit den diskutierten „politisch machbaren“ Pseudoreformen auch künftig auf Kosten der eigenen Nachkommen ein angenehm gepolstertes Alter geniessen. Lieber gehen sie auf die Strasse, um den Planeten zu retten.