Die Agrarpropaganda wirkt Wunder

Wenn man dem heutigen Bericht in der NZZ glauben darf, was anzunehmen ist, sind 86 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz mit den Leistungen der Landwirtschaft zufrieden oder sehr zufrieden. 79 Prozent sind auch zufrieden mit der vorherrschenden Produktionsweise. Die Zeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe über eine repräsentative Befragung, die diesen Sommer im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft durchgeführt wurde. Die Studie trägt den Titel «Gesellschaftliche Wünsche hinsichtlich landwirtschaftlicher Wirtschaftsweisen und Strukturen».

Diese Befragung zeigt vor allem eines: Die Agrarpropaganda wirkt Wunder. An der Gehirnwäsche, der die Bevölkerung permanent ausgesetzt ist, sind aber nicht nur der Schweizer Bauernverband SBV und die unmittelbar mit dem Agrarsektor verbundenen produktionsnahen Interessenorganisationen beteiligt. Eine zwiespältige Rolle spielen insbesondere auch die den Lebensmittelmarkt dominierenden Detailhandelsriesen Migros und Coop mit ihren Marketing-Strategien, die das hohe Lied der heilen schweizerischen Bauernwelt singen. Dem gleichen Zwang zum Mitschwimmen auf der agrarischen „Swissnesswelle“ unterliegen die beiden deutschen Detaillisten Aldi und Lidl. Einerseits sind auch sie wegen dem absurden Agrarschutzregime auf die inländische Beschaffung angewiesen. Anderseits richten sie sich verständlicherweise nach dem Agrar-Chauvinismus und den verzerrten Meinungen der Konsumenten über die einheimische Landwirtschaft.

Genau diese verzerrten Ansichten widerspiegeln sich in der erwähnten Befragung. Die Mehrheit der Befragten sieht die Bauern als die Garanten für eine schöne Landschaft. Die Bauern können aber nichts dafür, dass von vielen Orten im Mittelland, wo die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wohnt oder ihre Freizeit verbringt, hinter den biologisch verarmten Fettwiesen die Schneeberge winken oder ein See glitzert. Des weiteren betrachtet eine Mehrheit der Befragten die schweizerische Landwirtschaft als nahezu vorbildlich bezüglich der Qualität der Produkte sowie beim Tier- und Umweltschutz. Auch darin spiegelt sich die wirksame Agrarpropaganda. Um den Leuten die hohe Qualität einheimischer Agrarprodukte in die Köpfe zu hämmern, bemühen unsere Agrarlobbyisten als Vergleichsmassstab oft und gerne Schreckgespenster wie andalusische Monokulturen. Dass jedoch die schweizerische Intensivlandwirtschaft prinzipiell bessere Qualität hervorbringen soll als Bauern an vielen anderen Orten auf der Welt, ist für jeden informierten Menschen schlicht ein Märchen.

Dasselbe gilt für das Tierwohl und den Umweltschutz. Dazu schreibt die agrarpolitik-kritische Organisation „Vision Landwirtschaft“ auf ihrer Website:

  • „Das zu viele staatliche Geld verleitet die Bauernbetriebe zu einer zu teuren, zu intensiven, umweltschädlichen, wenig marktgerechten und immer mehr vom Staat abhängigen landwirtschaftlichen Produktion.“
  • „Der Energiebedarf der Schweizer Landwirtschaft ist massiv höher als im Ausland – für die Produktion von einer Nahrungsmittelkalorie benötigen wir 2,5 zum grössten Teil importierte, nicht erneuerbare Erdöl- und Stromkalorien. Die Traktorendichte ist ein vielfaches höher als unter vergleichbaren Bedingungen in den Nachbarländern.“
  • „Bei den Ammoniakemissionen liegt die Schweiz als Folge der viel zu hohen, staatlich geförderten Tierbestände weltweit an der Spitze – fast flächendeckend werden in den Landwirtschaftsgebieten die gesetzlich zulässigen Werte überschritten.“

Auch in Sachen Tierwohl sei die Schweiz keineswegs vorbildlich, schreibt „Vision Landwirtschaft“. Das ist auch nicht verwunderlich, da bei uns im Prinzip mit ähnlich intensiver Produktionsweise wie in den umliegenden Ländern produziert wird.

Von der Agrarpropaganda geprägt ist schliesslich folgendes Ergebnis der Befragung (im Wortlaut der NZZ): „Die Bevölkerung wünscht sich mehr selbst hergestellte Futtermittel sowie mehr Bioprodukte und äussert eine Präferenz für kleinflächige, vielfältige Kulturlandschaften; Hors-sol-Produkte werden weitgehend abgelehnt.“ Was sich die Bevölkerung wünscht, hat mit der Realität bzw. mit vertieftem Wissen über die Fakten und Zusammenhänge der Agrarproduktion wenig zu tun:

  • „Mehr selbst hergestellte Futtermittel“  –  das soll wohl ökologischer sein als importierte Futtermittel. Dass es dann aber für die Konsumenten teurer würde, daran denken die wenigsten. Zudem wäre die wirklich ökologische (und ökonomische) Lösung eine massive Reduktion der viel zu hohen Tierbestände. Die Schweiz könnte Fleisch hormonfrei und ohne Einsatz von Antibiotika (im Gegensatz zur Schweiz) zu einem Bruchteil der Kosten direkt aus den am besten geeigneten Ländern importieren. Und zwar genau diejenigen Teile der Tiere, die hierzulande auch nachgefragt werden.
  • In der Präferenz für kleinflächige Kulturlandschaften drückt sich der typisch schweizerische Reflex für das Kleine aus. Es schwingt der Mythos vom schützenswerten „kleinen Familienbetrieb“ mit, den die Agrarpropaganda seit Jahrzehnten sorgfältig kultiviert.
  • Wenn Hors-sol-Produkte weitgehend abgelehnt werden, hätten sie eigentlich aus den Regalen des Detailhandels auch weitgehend verschwinden müssen. Sie sind aber immer noch da, und zwar sogar mit Deklaration. Gekauft werden sie auch, ganz entgegen den Wünschen der Bevölkerung gemäss Umfrage.

Solange die Bevölkerung unter dem Einfluss der Agrarpropaganda solche Vorstellungen über die schweizerische Bauernwelt pflegt, wird sich am ökonomisch und ökologisch kontraproduktiven Agrarschutzregime nichts ändern. Man kann nur hoffen, dass der Druck der international ausgerichteten Wirtschaft zugunsten von volkswirtschaftlich interessanten Freihandelsabkommen so stark werden wird, dass der damit zwingend verbundene Abbau des Agrarschutzes auch politisch Mehrheiten findet.

Tränendrüsen-Journalismus auf dem Ringier-Boulevard

„Kündigung vor Weihnachten“ lautete der fett gedruckte Titel der Meldung im „Blick am Abend“ vom 6. Dezember. Rund 40 Mieter hätten im Zürcher Seefeld, einem der beliebtesten und teuersten Wohngebiete der Stadt, die Kündigung erhalten. Die Wohnungen würden komplett saniert. Bei den alten Bewohnern mache sich Verzweiflung breit.

Was im Blick-Bericht natürlich fehlt, ist der Blick auf das Grundsätzliche. Das würde nämlich die vorweihnächtliche Gefühlsduselei in ein anderes Licht rücken. Natürlich ist eine Kündigung für Mieter, die seit über 30 Jahren in einem lieb gewonnenen Quartier mitten in der Stadt wohnen, eine grosse Enttäuschung. Es gilt aber auch Folgendes zu bedenken:

  1. Der Blick-Bericht sagt nichts aus darüber, wie lange zum voraus die Mieterschaft von der Eigentümerin, der Pensionskasse der Zürcher Kantonalbank ZKB, über den Umbau und die damit verbundenen Kündigungen informiert wurde. Bei einer solchen Eigentümerschaft ist es ziemlich wahrscheinlich, dass nicht bloss die vertraglichen Minimalfristen eingehalten worden sind, sondern dass die Sanierung den Mietern schon länger bekannt war.
  2. Das Mietzinsniveau wird nach der Sanierung dem quartierüblichen Niveau angepasst. Die im Blick-Bericht befragten älteren Mieter können sich dies nicht mehr leisten. Richtig ist aber auch: Sie haben über Jahrzehnte in einem der begehrtesten Wohnviertel der Stadt von Mietzinsen profitiert, die sich dank Mieterschutz (Kostenmiete) über die Zeit immer weiter vom markt- bzw. quartierüblichen Niveau entfernt haben. Einer der Mieter nannte für seine 5-Zimmer-Wohnung einen Monatszins von 1’950 Franken. Man kann leicht abschätzen, auf was für eine erkleckliche Summe man kommt, wenn man diese Art der „privaten Subventionierung“ privilegierter Mieter mal kurz überschlägt.
  3. Für den jahrelangen Verzicht auf quartierübliche Mieten dankt der Eigentümerin niemand. Im Blick-Bericht erscheint die ZKB-Pensionskasse eher als herzlose Vermieterin, die auf mehr Profit aus ist. Dass eine Pensionskasse ihren Versicherten und Rentnern verpflichtet ist, davon liest man kein Wort. Im heutigen Zinsumfeld der Nullzinsen sind Immobilienanlagen eine der wenigen Möglichkeiten, die notwendigen Minimalrenditen zu erwirtschaften, um bestehende und künftige Renten finanzieren zu können und um den gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsgrad zu erreichen.
  4. Die Sanierung von alten Wohnliegenschaften ist eine unvermeidbare Pflicht der Eigentümer, nicht zuletzt, um den heutigen Vorschriften und Standards (Energieverbrauch, Hygiene, Komfort etc.) zu genügen. Es liegt auch im Interesse der Stadt und der Quartierumgebung, dass Liegenschaften in gutem Zustand erhalten werden.

Der Tränendrüsen-Journalismus des Ringier-Boulevards gibt einer verfehlten linken marktfeindlichen Mieterschutzpolitik Auftrieb und ist damit in der längeren Frist für die Mieter insgesamt kontraproduktiv.

 

Mehr Markt? Nein danke!

Liberalisierungswiderstand im EWR-Nein vom 6. Dezember 1992

„Ich kenne nur zehn Personen in der Schweiz, welche die 784 Seiten des Vertrages über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gelesen und im Detail begriffen haben; dennoch wurde über ihn abgestimmt. Dies öffnet dem Populismus Tür und Tor.“

Franz Blankart (Chefunterhändler EWR)

Am 6. Dezember 1992 lehnte das Stimmvolk mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR ab. Das Ständemehr war zwar mit 16 ablehnenden Kantonen klarer, doch fehlt diesem eine zwingende Legitimation, weil ein obligatorisches Doppelmehr-Referendum gemäss Verfassung nicht notwendig gewesen wäre. Der EWR-Vertrag verlangte keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation, der gemäss Verfassung dem obligatorischen Referendum untersteht. Dennoch entschloss sich der Bundesrat, den Vertrag dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. So war zur Annahme der Vorlage auch eine Mehrheit zustimmender Kantone nötig – ein absehbar unüberwindliches Hindernis.

Ein Rückblick auf diese schicksalhafte, politische Weichen stellende Abstimmung lohnt sich auch als Lehrstück über die Funktionsweise der schweizerischen Institutionen. Nicht nur für die typischen überschiessenden direktdemokratischen und föderalistischen Kompromisse bietet die EWR-Abstimmung Anschauungsmaterial, sondern auch für mangelnde strategische Kompetenz einer übergrossen Koalitionsregierung – heute nicht weniger aktuell als damals.

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