Das lange Gesicht des Stadtkämmerers von Essen

Die schweizerische Nationalbank hat mit ihrem Coup vom 15. Januar, 10.30h, auch viele ausländische Franken-Schuldner überrumpelt. Gemäss Schweizer Fernsehen betragen die betreffenden ausstehenden Forderungen schweizerischer Banken insgesamt rund 150 Mrd. CHF. So haben sich zum Beispiel viele polnische und österreichische Haus- oder Wohnungskäufer aus Zinsüberlegungen mit Schweizer Hypothekarkrediten finanziert. Wenn man die langfristige Entwicklung des CHF-Kurses vor Augen hat, erscheint dieses Vorgehen doch als ziemlich abenteuerlich. Und wenn eine Zentralbank die eigene Währung gegen eine Aufwertung verteidigen muss, spricht das doch eher für eine spätere Aufwertung. Diese Risiken zu ignorieren, kann man nur als fahrläsig bezeichnen.

Dass sich aber sogar auslländische Kommunen, zum Beispiel die Stadt Essen, in CHF verschuldeten (und jetzt ganz lange Gesichter machen), gehört für mich ins Kapitel „Die Torheit der Regierenden“ (Barbara Tuchman). Sich als öffentliche Verwaltung in einer starken ausländischen Währung zu verschulden, ist an sich schon fragwürdig. Immerhin liessen sich die Währungsrisiken aus solchen Verpflichtungen ja auch relativ einfach und günstig absichern. Das Schweizer Fernsehen zeigte das lange Gesicht des Essener Stadtkämmerers (Finanzvorstand), der das x-Millionen teure Schlamassel zu verantworten hat. Wie man mit einer solchen beruflichen „Kompetenz“ überhaupt in ein solches Amt gelangt, wird dort kaum jemand fragen. Lieber beschuldigt man die SNB, unverantwortlich gehandelt zu haben  –  was aus einer anderen Perspektive nicht ganz falsch ist.

 

SNB-Coup: Die überraschten Anlageexperten

Vor einer Woche schickte ich meinem professionellen Anlageberater folgendes Mail:

„Sehr geehrter Herr …..

Ich frage mich langsam, wie lange die SNB die Stützung des Euro noch durchhalten kann. Mittlerweile werden mit der Frankenschwächung nur noch wertschöpfungsschwächere Branchen wie Tourismus und gewisse Sektoren der Industrie geschützt. Natürlich ist es für die gesamte Exportwirtschaft angenehm, wenn der Franken schwach gehalten wird, auch im Verkehr mit der übrigen Welt, z.B. USA. Sollte man Euro-Anlagen langsam abbauen oder irgendwie absichern?“

Zwei Tage danach schob ich noch folgendes Mail nach:

„Betreffend Euro darf man nicht vergessen, dass die Aufhebung der Verteidigungslinie durch die SNB natürlich auch meine Dollar-Anlagen treffen würde. Dieser hat sich ja nur wegen der Euro-Anbindung des CHF aufgewertet. Ich bin also weit stärker exponiert als bloss mit den Euro-Anlagen.“

Drei Tage danach sandte ich folgende Einschätzung an meinen Anlageberater:

„Für mich ist klar, dass alle Anzeichen dafür sprechen, dass die Euro-Untergrenze eher früher als später aufgegeben wird oder werden muss. Die Meinung Ihres Beirats in Ehren, aber ich habe meine eigene. Es gibt absolut keine Hinweise darauf, dass der Euro gegenüber dem Dollar und dem Franken stärker werden könnte. Alles spricht für eine weitere Abschwächung, und das wird die Euro-Untergrenze noch mehr unter Druck setzen. Die SNB muss zudem aussteigen, solange dies noch mit akzeptablen Verlusten möglich ist. Je länger sie zuwartet, desto teurer droht der Ausstieg zu werden. Es geht jetzt für mich also nur noch darum, die beste Absicherung gegen Schritte der SNB zu finden, damit ich nicht auch noch Währungsverluste einfahre. Ich möchte möglichst umgehend handeln, um ruhig schlafen zu können.“

Heute, nachdem die SNB noch viel schneller genau das gemacht hat, was ich erwartet hatte, lese ich in den online-Medien all die unzähligen schweizerischen und internationalen Experten, die sich über den Schritt der SNB vollkommen überrascht zeigen. Keiner all dieser famosen Experten hatte damit gerechnet. Deshalb hat wohl auch kaum jemand die Anleger vor dieser Entwicklung gewarnt. Eigentlich hätte man ja als Profi auch auf die Idee kommen können, mit einem Termingeschäft auf die Aufhebung der Euro-Untergrenze zu wetten. Das Verlustrisiko durch eine Aufwertung des Euro wäre praktisch null gewesen, wenn man denkt, dass Draghi nächstens den Euro weiter schwächen will, indem die EZB Staatsanleihen von Problemländern aufkauft.

Was diese Entwicklung an Verlusten für Schweizer Anleger inklusive Pensionskassen mit Währungsdiversifikation bedeutet, ist leicht einzusehen. Ich hatte zum Glück vorgestern mithilfe von Euro-Verkäufen, Optionen und Mini-Futures gerade noch rechtzeitig wenigstens einen Teil meiner „SNB-Risiken“ eliminiert.

Monika Bütler (Uni St.Gallen) kontra Ueli Mäder (Uni Basel)

Die NZZ vom 6. Dezember 2014 meldete: An einer Tagung der Beratungsfirma PPCmetrics über die langfristige Finanzierung von Pensionskassen erinnerte die St.Galler Ökonomieprofessorin Monika Bütler daran, dass bei der Finanzierung des BVG-Systems auch das Verhalten der Versicherten zu berücksichtigen sei  –  eigentlich eine Trivialität, sollte man meinen. Doch in der Sozialpolitik, wo bestimmte Interessengruppen längst die Deutungshoheit über „das Soziale“ übernommen haben, dominieren fragwürdige Menschenbilder und Moraldiktate. Bütler verwies auf die Fehlanreize, die daraus entstünden, dass die garantierte Grundsicherung aus den Ergänzungsleistungen zur AHV und IV 40 Prozent über der AHV-Maximalrente liege. Also sei es vorteilhaft, wenn Leute ohne eigene Ersparnisse ihr BVG-Alterskapital bezögen und ausgäben und dann Ergänzungsleistungen beanspruchten.

Monika Bütler ist als Ökonomin mit naturwissenschaftlichem Bildungshintergrund bekannt für ihre faktenbasierten, unaufgeregten und möglichst ideologiefreien Verlautbarungen. Kritik an Bütler kam dann prompt von einem gar nicht ideologiefreien Kollegen Bütlers, nämlich vom Armutsforscher Ueli Mäder von der Universität Basel, nicht zufällig einem beliebten Armuts-Experten unserer „Staatsmedien“. Dieser Professor Mäder ist bekannt, ja sogar berüchtigt dafür, dass er sich mit seinem Forschungsgegenstand Armut derart identifiziert, dass er ständig dem Risiko unterliegt, moralische Urteile abzugeben, statt Wissenschaft zu betreiben. Konfrontiert mit Bütlers Aussagen, meinte Mäder gemäss Tagespresse, er wisse nicht, was Bütler mit dieser Polemik wolle. Allein schon Bütlers stocknüchterne Feststellung als Polemik zu bezeichnen, lässt am Urteilsvermögen des Armutsforschers zweifeln.

Frau Bütler warnte dann einige Tage später in ihrer gewohnt sachlichen Art auch noch vor einer „tickenden Anstandsbombe“ in der Sozialpolitik (Meldung in der NZZ vom 29.12.2014). Diese werde im Gegensatz zur „tickenden demografischen Bombe“ von Politik und Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert. Bütler wies darauf hin, dass die Kosten des grosszügigen schweizerischen Sozialsystems nur deshalb noch finanzierbar seien, weil viele Leute aus Anstand auf staatliche Leistungen verzichteten, auf die sie formell Anspruch hätten. Diese Zurückhaltung sei aber nachweislich am Bröckeln. Das bisherige Gleichgewicht aus Anstand der Leistungsberechtigten und Steuermoral sei gefährdet  –  und damit auch die Finanzierbarkeit des Sozialstaats. Armutsforscher Mäder würde vermutlich auch diese Aussagen als Polemik abqualifizieren.

„Progressive“ Städter wollen mehr Staat

Die Zürcher Tageszeitung „Tages-Anzeiger“ liess kürzlich vom Statistischen Amt des Kantons Zürich das Wahl-/Abstimmungsverhalten der Zürcher Gemeinden untersuchen. Dazu wurde in der Zeitung eine Darstellung mit zwei Kriterienachsen gezeigt, wie sie inzwischen für solche und ähnliche Auswertungen üblich geworden ist. Die vertikale Achse verortete die Gemeinden auf einer Skala „konservativ – progressiv“, die horizontale Achse stand für „mehr Markt – mehr Staat“. Die beiden grössten Städte Zürich und Winterthur haben gemäss dieser Analyse nicht nur die „progressivste“ wahlberechtigte Bevölkerung aller Gemeinden, sondern diese Bevölkerung ist auch ganz klar für „viel Staat“und „wenig Markt“.

Es ist für jeden, der sich ideengeschichtlich ein wenig auskennt, vollkommen schleierhaft, warum Leute wie die Stadtzürcher und die Winterthurer, die sich viel Staat und wenig Markt wünschen, besonders progressiv, also fortschrittlich, sein sollten. Was ist an staatlicher Einmischung, Regulierung, Umverteilung und fürsorglicher Bevormundung so fortschrittlich? Offenbar haben wir es hier mit einer Art tautologischer Begriffshandhabung zu tun: Progressiv ist, wer sich selbst so sieht und bezeichnet. Verallgemeinerbar und globalisierungsfähig ist eine solche Begrifflichkeit natürlich nicht, denn an anderen und dynamischeren Orten auf der Welt als im Kanton Zürich hat man zur Frage, was als gesellschaftlich progressiv gilt, bestimmt eine andere Meinung.

Das Problem solcher zweidimensionaler Darstellungen hat einen einfachen logischen Grund: Die beiden Kriterien werden fälschlicherweise als voneinander unabhängig definiert und dargestellt. Sind sie aber nicht. Denn für die „Progressiven“ ist es ja gerade auch ihre Marktskepsis und ihre Vorliebe für den Staat, der sie nach eigener Einschätzung zu „Progressiven“ macht.

SP-Nationalrätin Badrans ökonomische Verwirrung

Diesmal wird mein Blog-Beitrag etwas länger. Es geht um einen kritischen Kommentar zu Äusserungen einer politisch prominenten Person. In der NZZ am Sonntag vom 4. Januar 2015 lieferte die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran ein schönes Muster für die Verwirrung um die Rolle des Staates und der Politik in Bereichen der Wirtschaft.

badran

Frau Badran ist gemäss Kurz-Bio in der NZZ am Sonntag auch Ökonomin, und korrekt verweist sie auf die in der ökonomischen Wissenschaft übliche Differenzierung von wirtschaftlichen Gütern. Politisch befangen, zieht aber die SP-Nationalrätin aus einer richtigen Analyse die ökonomnisch falschen, markt- und wettbewerbsfeindlichen Schlüsse. Hier das zu kommentierende Badran-Zitat:

Wir müssen wieder vermehrt in Güterklassen denken und argumentieren lernen. Wasser zum Beispiel gehört nicht in dieselbe Güterklasse wie Pingpongbälle, und das Gut Wohnen ist nicht zu vermengen mit Konsumgütern wie Pommes-Chips, Kühlschränken oder Schuhen. Früher wusste man das. Deshalb werden Güter wie Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Strom, Wasser, Wohnen, Telekommunikation, Grundnahrungsmittel, Verkehr und sogar Finanzdienstleistungen anders behandelt (und in der Regel staatlich produziert). Sie unterliegen anderen ökonomischen Gesetzmässigkeiten. Heute reden wir völlig undifferenziert über Markt und Wettbewerb, auch wenn es sich um Güter handelt, die im klassischen Sinn gar nicht marktfähig sind.“

Nationalrätin Badran zettelt mit ihrer Forderung nach einer differenzierten Betrachtung von wirtschaftlichen Gütern eine ökonomische Debatte an, also darf man diese auch aus dem Blickwinkel des Ökonomen zu Ende führen. Da sich Frau Badran in öffentlichen Äusserungen an ein breites Publikum wendet, das während der gesamten Schulzeit nie mit ökonomischen Konzepten und Denkweisen in Berührung gekommen ist, kann sie davon ausgehen, dass ihre Aussagen den meisten Leuten ohne langes Nachdenken einleuchten. Doch schon die Behauptung, man rede heute völlig undifferenziert über Markt und Wettbewerb, ist schlicht falsch. Mit dieser Fehlinformation lenkt Badran davon ab, dass die ökonomisch korrekte Differenzierung von Gütern einen politisch unbefangenen Ökonomen zu ganz anderen Schlüssen führt als zu ihren marktkritischen und staatslastigen Vorstellungen. Gehen wir einfach mal die Badran’sche Zehner-Liste durch:

1. Sicherheit: Wenn es um die kollektive Sicherheit vor äusseren oder inneren Bedrohungen geht, handelt es sich ökonomisch um ein öffentliches Gut, also gibt es keinen Markt mit privaten Anbietern. Ein politisch ermitteltes staatliches Angebot (Armee, Polizei) ist notwendig. Sicherheit im kleineren Rahmen für begrenzte Bereiche und Zeiträume lässt sich aber auch privat und im Wettbewerb organisieren. Dafür gibt es diverse Sicherheitsfirmen wie Securitas und ähnliche.

2. Gesundheit: Alle massgebenden politisch unabhängigen Gesundheitsökonomen sind sich einig: Der Einfluss von Politik und Staat geht heute weit über jedes ökonomisch begründbare Mass hinaus. Gesundheitsgüter haben zwar latent sogenannt meritorischen Charakter, was bedeutet, dass die Leute ihre Vorsorge aus eigenem Antrieb vernachlässigen könnten. Aber es sind im Prinzip private Güter. In der Schweiz haben wir zum Beispiel Zahnarztleistungen ohne staatliches Versicherungs-Obligatorium privat organisiert, und dies dank richtigen Verhaltensanreizen mit hervorragenden Ergebnissen für die Zahngesundheit der Bevölkerung. Viele leichtere, nicht lebensbedrohende Krankheiten könnten im Prinzip ebenfalls privater Initiative überlassen werden. Stattdessen leisten wir uns mit vordergründig sozial klingenden Begründungen ein vielfach überreguliertes System mit einem überladenen Grundleistungskatalog. Dessen längst bekannte Fehlanreize führen zu einer unaufhaltsamen Mengenausweitung und Überbeanspruchung des Angebots – mit all den ebenfalls längst bekannten negativen Auswirkungen (Wettbewerbsverzerrungen, Kosten, Personalmangel, kantonaler Aufrüstungswettbewerb im Spitalbereich etc.).

3. Bildung: Bildung erfüllt keines der Kriterien eines öffentlichen Gutes (Nicht-Rivalität zwischen Nutzern, Nicht-Ausschliessbarkeit von Nutzern). Bildung gilt jedoch als meritorisches Gut, was aber ein privates wettbewerbliches Angebot von Bildungsleistungen nicht ausschliesst. Das bei uns dominierende staatliche Angebot für eine kostenlose obligatorische Schulbildung wird vor allem verteilungspolitisch begründet. Die staatliche Dominanz bei Angebot und Regulierung geht aber sehr weit und schliesst mögliche positive wettbewerbliche Elemente aus (Bildungsgutscheine, freie Schulwahl, Leistungsvergleiche zwischen Schulen etc.). Zudem kann auch das Argument des meritorischen Gutes zugunsten eines staatlichen Angebots überstrapaziert werden. Man denke nur an die enorme Nutzung des vielfältigen Angebots an selbst bezahlter privater beruflicher Weiterbildung. Noch eindrücklicher: In den Slums afrikanischer und indischer Megastädte organisierten sich schon vor Jahren ärmste Familien und gründeten private Grundschulen für ihre Kinder. Diese Schulen sind nicht kostenlos, doch gerade weil die Eltern sich das Schulgeld von ihrem kargen Einkommen abzweigen müssen (und die Kinder das auch wissen), schneiden diese privaten Schulen in allen Leistungsvergleichen klar besser ab als die kostenlosen staatlichen Schulen. Dies auch als Hinweis an unsere verwöhnte Studentenschaft, die jeweils sofort in militanter Stimmung auf die Barrikaden steigt, wenn eine Erhöhung der bescheidenen Studiengebühren zur Debatte steht.

4. Strom: Beim Strom kommt gegen eine Markt- bzw. Wettbewerbslösung das Argument des natürlichen Monopols ins Spiel. Dieses gilt aber nur für das Verteilungsnetz, nicht jedoch für die Produktion und die Vermarktung. Mehrere Verteilungsnetze aufzubauen und zu unterhalten, wäre volkswirtschaftlich nicht effizient. Genau deshalb wurden unter dem Binnenmarktprogramm der EU Netz und Produktion/Vermarktung getrennt (auch für andere Netzwerksektoren wie Bahn oder Telekommunikation). Die Schweiz hat sich dem angeschlossen. Weiterhin beherrschen jedoch staatliche Unternehmen (von Kantonen und Gemeinden) auch Produktion und Verteilung. Erste Ansätze für eine Marktöffnung wurden zwar für Grossabnehmer realisiert, aber unter dem Einfluss von Badran-Argumenten könnte es gut sein, dass ein Referendum gegen eine Liberalisierung für Kleinkunden (private Haushalte) dereinst Erfolg haben könnte. Ausgerechnet Badrans SP, welche die Schweiz in die EU führen möchte, kämpft gegen eine Liberalisierung, die zwingend zum EU-Binnenmarktprogramm gehört. Solche Widerstände behindern auch den Abschluss eines Stromabkommens mit der EU, das die optimale Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt sichern soll.

5. Wasser: Wo Wasser in der Schweiz knapp ist – etwa in agrarisch genutzten Regionen des Wallis – haben sich schon vor langer Zeit beispielhafte korporative Organisationsformen mit kollektiven, aber klaren Eigentumsrechten entwickelt, die für eine konfliktfreie Zuteilung des Wassers sorgen. In vielen Gegenden ist aber Wasser kein knappes Gut, sodass sich auch keine Märkte und Preise bilden können. Bei den Verteilungsnetzen lässt sich für eine staatliche Lösung das Argument des natürlichen Monopols anführen. Allerdings müssen dann Wassergebühren so angesetzt werden, dass sie die Kosten für den Unterhalt und die Erneuerung des Netzes decken. Wasser als „Menschenrecht“ im Sinne eines freien Gutes, das jedem kostenlos zusteht, schafft in der Debatte um knappes Wasser in der Dritten Welt gefährliche Illusionen. Wenn etwas knapp ist, aber keinen Preis hat, wird es übernutzt. Das ist genau die Situation, die man in vielen Entwicklungsländern antrifft. Es werden gewaltige Mengen an Wasser verschwendet. Stichwort dazu ist die „Tragik der Allmende“.

6. Wohnen: Wenn sich in Städten, wo „Wohnungsnot“ herrscht, auf ein Inserat für eine Mietwohnung jeweils 50 oder 60 oder gar 70 Leute zu einer Besichtigung einfinden und davon ein grosser Teil konkret am Objekt interessiert ist, schliesst jeder halbwegs ökonomisch denkende Mensch, dass wohl der Mietpreis etwas zu tief angesetzt ist. Ganz im Gegensatz zu dieser logischen Folgerung behaupten Frau Badran und ihre Genossen, Wohnungen seien „nicht mehr bezahlbar“. Deshalb müsse die Politik dafür sorgen, dass sich auch „gewöhnliche Leute“ noch Wohnungen in diesen Städten leisten können. Das gängige Schlagwort zugunsten der staatlichen Unterstützung in diversen Formen lautet „soziale Durchmischung“. Allerdings stellt sich die Frage, auf welchen räumlichen Bereich sich das beziehen soll: Zum Beispiel die Grossagglomeration Zürich mit Einschluss der angrenzenden Gemeinden? Oder etwas kleinräumiger nur auf das Stadtgebiet von Zürich? Oder noch enger auf einen bestimmten Stadtkreis (Seefeld, Kreis 5)? Die Wohnungsmarkt-Regulierer scheinen „soziale Durchmischung“ sogar noch enger zu sehen, nämlich auf Quartierebene oder sogar in einer einzelnen Wohnbau-Genossenschaft. Wenn sich die gegenwärtig vorherrschende, zu immer mehr staatlichen Eingriffen neigende Wohnungsmarkt-Politik weiterhin nach solchen dörflichen Stadtvorstellungen richten sollte, muss man sich nicht wundern, wenn Angebot und Nachfrage nach Wohnraum in den Städten mit „Wohnungsnot“ künftig noch weiter auseinanderklaffen werden. Immerhin lässt sich dann die „Wohnungsnot“ weiterhin politisch bewirtschaften.

7. Telekommunikation: Hier sind die ökonomischen Argumente für staatliches Engagement inzwischen ganz dünn geworden. Der technologische Fortschritt hat einerseits die Bedeutung des Netzwerkcharakters (natürliches Monopol) der traditionellen Festnetztelekommunikation stark reduziert. Anderseits haben sich in der immer wichtiger werdenden Mobiltelefonie sogar parallele Netze der Anbieter entwickelt. Zudem verlagert sich Kommunikation immer mehr ins Internet. Eine vom Bund beherrschte Swisscom, die dank politisch zugeschanzten Startvorteilen als übermächtiger Anbieter den Markt dominiert, ist deshalb nur politisch zu begründen. Die SP und die Grünen  –  gemäss Politologe Adrian Vatter die linkste Linke von Europa  –  sträuben sich fundamental gegen jede Liberalisierung von ehemaligen Staatsmonopolen. Man sieht das auch bei der Bahn und bei den Postdiensten, die in der Liste von Frau Badran fehlen, aber sicher nur aus Versehen. Nicht zu vergessen ist dabei der grosse Einfluss der staatsnahen Gewerkschaften gegen Liberalisierung und Entstaatlichung.

8. Grundnahrungsmittel: Welche Rolle Frau Badran hier für eine staatliche Zähmung von Markt und Wettbewerb oder gar eine staatliche Produktion (siehe Badrans Klammerbemerkung) vorgesehen hat, bleibt unklar. Will Badran etwa den volkswirtschaftlich schädlichen schweizerischen Agrarschutz legitimieren? Wenn es in der schweizerischen Volkswirtschaft einen Sektor gibt, wo es in der politischen Ausmarchung für ökonomische Rationalität kaum Platz hat, dann sicher in der Landwirtschaft. Auch Grundnahrungsmittel, was immer das heissen soll, sind keine öffentlichen Güter. Dass es für eine durch Subventionen getriebene, extrem intensive umweltbelastende Landwirtschaft wie die schweizerische staatliche Auflagen zum Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen braucht, ist ökonomisch mit den damit verbundenen negativen externen Effekten zu begründen. Ähnlich verhält es sich mit gesundheitspolitischen Auflagen. Diese sinnvollen staatlichen Regulierungen hat aber Frau Badran bestimmt nicht gemeint.

9. Verkehr: Hier spielt ökonomisch sowohl beim Strassen- wie auch beim Schienenverkehr wieder das Netzwerkargument die entscheidende Rolle. Die weiter oben erläuterten Überlegungen treffen auch hier zu: Das Strassen- oder Schienennetz, das in einer Form des gemeinschaftlichen Eigentums bleibt, wird sinnvollerweise vom privatwirtschaftlich-wettbewerblich organisierten Betrieb getrennt. Das EU-Binnenmarktprogramm ist hier konsequent, während die Schweiz mit der Entstaatlichung im Bahnverkehr offenbar Mühe hat. Im Güterverkehr, der für ein Transitland wie die Schweiz vorwiegend grenzüberschreitend stattfindet, hat eine gewisse Marktöffnung zwar notgedrungen stattgefunden. Im stark von inländischen Interessen geprägten Personenverkehr ist die staatliche Dominanz von SBB und Verkehrsunternehmen der öffentlichen Hand auf Kantons- und Gemeindeebene jedoch ungebrochen. Zudem wird kräftig staatlich subventioniert. Der Kostendeckungsgrad durch die Bahnkunden beträgt bloss etwa 40 Prozent. Mobilität ist generell zu billig. Im Strassenverkehr verweisen die immer länger werdenden täglichen Staumeldungen auf ein akutes Knappheitsproblem. Dennoch sind Knappheitspreise (Stichwort „mobility pricing“) nach erfolgreichen ausländischen Mustern praktisch tabu. Dasselbe gilt auch für differenzierte Preise im öffentlichen Verkehr, um die Stosszeiten zu entlasten. Differenzierung wird politisch, trotz dem dürftigen Kostendeckungsgrad von 40 Prozent, nur nach unten im Sinne von Rabatten unterstützt.

10. Finanzdienstleistungen: Hier spielt Frau Badran wohl auf die jüngste Finanzmarktkrise an, die nach ihrer Meinung sicher auf die zu weit gehende frühere Deregulierung des Sektors zurückzuführen ist. Man kann diese Meinung auch aus ökonomischer Sicht durchaus teilen, sollte aber die Verantwortlichkeiten der Politik für diese Fehlentwicklungen nicht ausblenden. Die Systemrisiken sind auch von der Politik stets unterschätzt worden, und dies angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen vom Finanzsektor mit grossem Wohlwollen. Hier hilft die Brille des Polit-Ökonomen. Dieser sieht Politiker nicht als dem Gemeinwohl verpflichtete Gutmenschen, sondern als interessengeleitete Akteure. Mit diesem Politikerbild als Analysemuster lassen sich gewisse Fehlentwicklungen gut nachvollziehen oder voraussagen. Politik und Verwaltung lassen sich von Wirtschaftsinteressen vereinnahmen bzw. Wirtschaftsinteressen betreiben „rent seeking“, um sich auf politischem Weg Wettbewerbsvorteile zu ergattern. Was zudem beim Finanzmarkt eine optimale staatliche Regulierung erschwert, ist die rasche technologische und, damit verbunden, finanzmarkttechnische Entwicklung, die eine gewisse Informations-Asymmetrie zwischen Regulierern und Regulierten vermuten lässt. In der noch nicht abgeschlossenen laufenden Regulierung der Finanzmärkte lassen sich all diese polit-ökonomisch relevanten Phänomene gut verfolgen. Heute besteht unter dem Einfluss der grossen Wirtschaftsakteure (vor allem der Grossbanken) wiederum die Gefahr, dass am falschen Ort zu viel reguliert wird, während die wahren Systemrisiken nicht wirklich beseitigt werden.

Als Fazit bleibt dies: Wenn man die von Frau Badran genannten Güter ökonomisch wirklich korrekt analysiert, kommt als Schlussfolgerung das Gegenteil von Badrans staats- und politiklastigen Ideen heraus. Angezeigt ist praktisch überall mehr Markt und mehr Wettbewerb und nicht noch mehr Staat, wo der Staat ohnehin schon allgegenwärtig ist. Natürlich kann man entgegnen: Das Stimmvolk will es so haben. Das ist aber politisch und nicht ökonomisch argumentiert und weicht einer sachlich fundierten Diskussion aus. Zudem würde das Stimmvolk wohl in vielen der zehn Güterkategorien der Badran-Liste anders denken und entscheiden, wenn in der obligatorischen Schulzeit anhand praktischer Problemstellungen ein paar der wichtigsten ökonomischen Denk- und Analysekonzepte vermittelt würden. Leider ist dies von unseren Staatsschulen nicht zu erwarten, und der Lehrplan21 wird daran auch nichts ändern.