Politische Schnellschüsse gegen steigende Mieten

Der unsinnige Referenzzinssatz ist nicht tot zu kriegen

Es herrscht aktuell hektische Aufregung um drohende Mietzinserhöhungen wegen der erstmaligen Erhöhung des sogenannten Referenzzinssatzes seit seiner Einführung im Jahr 2008.

Auf „statista“ wird der Referenzzinssatz so erklärt:
„Für Mietzinsanpassungen aufgrund von Änderungen des Hypothekarzinssatzes gilt seit dem 10. September 2008 für die ganze Schweiz ein einheitlicher Referenzzinssatz, der vierteljährlich veröffentlicht wird. Er stützt sich auf den hypothekarischen Durchschnittszinssatz der Banken und ersetzt den in den Kantonen früher maßgebenden Zinssatz für variable Hypotheken…. Der Referenzzinssatz betrug bei seiner Einführung im September 2008 3,5 Prozent und ist seitdem kontinuierlich gefallen, da auch die Zinsen gefallen sind. Seit März 2020 lag er auf seinem bisherigen Tiefststand von 1,25 Prozent. Die Steigerung auf 1,5 Prozent im Juni 2023 war die erste seit seiner Initiierung… Beim Fallen des Referenzzinssatzes können Mieter eine tiefere Miete verlangen, beim seinem Steigen können Vermieter die Miete anheben – sofern im Mietvertrag der jeweils aktuelle Zinssatz gilt. Das bedeutet: Bei Anpassungen des Referenzzinssatzes können die Mieten erhöht werden – aber nur, wenn auch frühere Senkungen weitergegeben wurden.“ 

So sieht die Entwicklung seit 2008 aus:

Quelle: Webseite Livit AG (https://www.livit.ch/de/referenzzinssatz)

Wie stets in solchen Fällen wird das Problem der finanziellen Tragbarkeit von Mietzinserhöhungen „pauschalisiert“, wie wenn diese Entwicklung alle betreffen würde. Schon gibt es politische Vorstösse zur generellen Deckelung von Mietzinserhöhungen nach dem „Prinzip Giesskanne“. Der Bundesrat hat bereits mögliche konkrete Massnahmen angekündigt. Vermieter sollen Kostensteigerungen und die Teuerung nur noch begrenzter als bisher auf die Mieter überwälzen dürfen. Sicher wird aus dem gegenwärtigen politischen Aktivismus schliesslich irgendeine Form der sozialen Abfederung resultieren. Man bewegt sich damit opportunistisch immer mehr in Richtung der politischen Forderungen, das Wohnungswesen“ dem Markt zu entziehen“.

Doch wie sieht die Situation aus ökonomischer Sicht aus? Dazu zuerst die „Mechanik“ gemäss Medienmitteilung des Bundesrates vom 1. September 2023: „Basiert der Mietzins auf einem Referenzzinssatz von 1,25 Prozent, ergibt sich grundsätzlich für die Vermietenden gemäss Mietrecht ein Erhöhungsanspruch des Mietzinses im Umfang von 3 Prozent.“

Seit dem Stand von 3,5 Prozent im Jahr 2008 hätten Mieter(innen) bei der stufenweisen Senkung um jeweils 0,25 Prozent eine Mietpreissenkung von 3 Prozent verlangen können. Sollte dieses Verhältnis grundsätzlich gelten, wäre bis zum Tiefststand von 1,25 Prozent maximal eine Mietzinsreduktion von 27 Prozent möglich gewesen. Sicher wurden diese Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft, doch ist davon auszugehen, dass vor allem institutionelle Vermieter (Versicherungen, Pensionskassen etc.) freiwillig Mietzinse nach unten anpassten. Der allgemeine Anstieg der Mieten wurde dadurch gedämpft.

Die 15 Jahre seit der Einführung des Referenzzinssatzes waren eine Periode des starken Bevölkerungswachstums durch Zuwanderung und, damit einhergehend, der Verknappung von Wohnraum. Das Angebot an Wohnungen konnte der Nachfrage nicht genügend folgen, um den Preisdruck zu dämpfen. Ausgerechnet in einer solchen Zeit der Verknappung mussten nun Mietzinsen gegen die Marktkräfte gesenkt werden. Dies trug unter anderem auch dazu bei, dass in den Städten die bereits grosse Preisdiskrepanz zwischen privilegierten Bestandes- oder Altmieten und Neuvermietungen noch weiter zunahm.

Nachdem die Mieterseite über 15 Jahre in einer Zeit der Angebotsverknappung dank der Anbindung an den sinkenden Referenzzinssatz von gedämpften Mietzinsen profitiert hat, kommt jetzt bei der ersten leichten Erhöhung von 1,25 auf 1,50 Prozent sofort die Forderung nach staatlichen Eingriffen. Das marktwidrige Instrument des Referenzzinssatzes wird also nur akzeptiert, wenn dieser nach unten geht. Sobald die Richtung kehrt, soll die Politik eingreifen.

Der aktuelle politische Aktivismus „gegen den Markt“ ist nicht zuletzt eine eindrückliche Demonstration, wie untauglich der Referenzzinssatz in der praktischen Anwendung ist.

Es geht nicht mehr primär um die Sache

Machtspiele mit den direkten Volksrechten

In der Schweiz fühlen sich die meisten als Demokratie-Weltmeister. Auch Angehörige der verschiedenen Eliten in Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft werden nicht müde, immer wieder die direkten Volksrechte und den Föderalismus als Hauptgrund für unseren hohen Wohlstand zu loben. Empirisch Gesinnte verweisen dann gerne noch auf statistische Vergleiche zwischen Teilstaaten mit mehr oder weniger direkter Demokratie aus den frühen 1990er-Jahren. Dort kam heraus, dass Gemeinwesen mit mehr direkten Volksrechten tiefere Steuern, eine niedrigere Staatsquote und mehr Wohlstand aufwiesen. Seither sind rund 30 Jahre vergangen, und neuere Vergleichsstudien sind mir nicht bekannt. Aber die Welt hat sich in dieser Zeit verändert, und die anstehenden Probleme auch.

Es gibt immerhin einen Grossvergleich, der keine aufwendigen Analysen benötigt und den Sonderfall Schweiz edelt. Ganz hinten im britischen „Economist“ sind jeweils die wichtigsten makroökonomischen Daten vieler Volkswirtschaften abgedruckt. Es ist leicht zu erkennen, dass die Schweiz dort seit Jahren einen Spitzenplatz einnimmt. Fragen stellen sich trotzdem: Mit wem will man sich vergleichen? Mit absteigenden europäischen Wohlfahrtsstaaten oder mit den besten der Welt? Oder ebenso wichtig: Können wir den Spitzenplatz auch in Zukunft halten oder schieben wir Grossprobleme mit hohen Kostenrisiken vor uns her, weil uns nachhaltige Reformen einfach nicht gelingen wollen?

Ernüchterndes aus den Niederungen der praktischen Politik
Begibt man sich von hoher Warte allgemeiner Lobpreisungen des Sonderfalls Schweiz in die Niederungen der praktischen Politik, muss man doch eines feststellen: Der Glanz der Sonderfall-Institutionen kriegt Kratzer. Es gibt kaum ein wichtiges Reformthema, bei dem die Schweiz nicht durch Widerstände gebremst oder blockiert ist, die mit drohenden Referenden oder Volksinitiativen oder föderalistischen Interessen zusammenhängen: Altersvorsorge, Gesundheitswesen, Europapolitik, Strommarkt-Liberalisierung. In der fundamental wichtigen Energiepolitik hat ein durch behördliche Manipulation und Desinformation zustande gekommenes Ja zum Energiegesetz ein unsinniges Neubauverbot für Kernkraftwerke demokratisch höchstlegitimiert – bei einer Stimmbeteiligung von nur 43 Prozent. Jetzt bastelt das Parlament aufgrund illusionärer Annahmen an einem „Mantelerlass“, der dieses Neubauverbot zu zementieren droht.

Seit Jahren wird auch gerne stereotyp und floskelhaft die Langsamkeit der politischen Prozesse als Vorteil herausgestrichen. Dies unter anderem, weil damit verhindert werde, dass falsche Politik bei uns später eingeführt werde als im Ausland – ein intellektuell bescheidenes Argument. Zudem sehen wir ja auch, dass es bei uns viel länger dauert, bis falsche Politik oder überholte Gesetze wieder korrigiert werden können, weil sich inzwischen Interessengruppen gebildet haben, welche eine „Rückkehr zur Vernunft“ bekämpfen. Ein schönes Beispiel dazu ist der vollkommen gescheiterte Versuch des früheren Finanzministers Hans-Rudolf Merz, die unter Referendumsdruck zustande gekommene komplizierte Mehrwertsteuer mit mehreren Sätzen und vielen Ausnahmen radikal zu vereinfachen. Noch ein Muster institutioneller Bedächtigkeit: Das revidierte Aktienrecht ist Anfang dieses Jahres in Kraft getreten. Der Anstoss dazu erfolgte im Jahr 2005!

Auch die verantwortungslose Vernachlässigung der militärischen Sicherheit hat mit Initiativrisiken zu tun. Schliesslich haben wir eine Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA, die als initiativfähige Macht die Rüstungspolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen vermochte. Auf der GSoA-Webseite liest man, sprachlich verbesserungsbedürftig wörtlich: „Die GSoA bedient verwendet direktdemokratischer Instrumente und hat seit ihrer Gründung 1982 sieben Volksinitiativen und zwei Referenden gesammelt. Bei weiteren fünf Initiativen hat die GSoA massgeblich zur Unterschriftensammlung beigetragen.“

Grosse Angst vor der institutionellen Frage
Wir hören und lesen aus sogenannt bürgerlich-liberalen Kreisen seit Jahren immer wieder dieselben kritischen Aufrufe, das erfolgreiche Modell Schweiz nicht verkommen zu lassen. Gefolgt von den immer gleichen Reformvorschlägen, die längst bekannt sind, jedoch in der Politik keine Mehrheiten finden. Niemand wagt, die institutionelle Frage zum Thema zu machen. Volksrechte und Föderalismus werden auch in ihrer real existierenden Form durch alle Böden verteidigt. Wer auch nur leise Skepsis anmeldet, wird gerne als Abschaffer unserer Institutionen diffamiert.

Dabei wird etwas Entscheidendes stets ausgeklammert. Der Gebrauch der direkten Volksrechte durch deren hauptsächliche Nutzer hat mit der Sache an sich oft wenig zu tun. Es geht um die Demonstration von genereller Referendumsmacht für alle Fälle, jedoch auch mit dem Ziel, schon im Vorfeld der Gesetzestätigkeiten präventiv Inhalte in Richtung der eigenen Interessen zu beeinflussen. Initiativ-mächtige Organisationen und Lobbies können mit Volksinitiativen auch Gegendruck zu laufenden Reformprojekten aufbauen. Damit werden die Grenzzäune für anstehende Reformprojekte angedeutet. So ist in Reformdebatten gegen den Vorwurf, es sei in Gesetzesreformen wenig erreicht worden, das stereotype Argument so populär, es sei halt unter Referendumsrisiken politisch nicht mehr möglich gewesen. Die endlosen Reformversuche für die erste und zweite Säule der Altersvorsorge und die resultierenden faulen Kompromisse, die nur dazu dienen, etwas Zeit bis zum nächsten Reformversuch zu gewinnen, sollten eigentlich deutlich genug zeigen, wie Referendums- und Initiativmacht als strategische Waffe zum Schaden des Gesamtinteresses eingesetzt wird.

Die Macht von Pharmasuisse…

…oder: Wie liberal ist die Schweiz in Wirklichkeit?

Immer wieder hört man, wir lebten in einem der liberalsten Länder der Welt. Nun gut, solche pauschalen Floskeln gehören zum beliebten „sich selbst auf die Schultern klopfen“. Dass echt wirtschaftsliberale Ideen und Reformen in der Schweiz wenig Begeisterung auslösen, habe ich in meinem Buch „Wie viel Markt verträgt die Schweiz?“ (NZZ Libro) umfassend und anhand zahlreicher Beispiele dargestellt.

Und die Dinge entwickeln sich nicht zum Besseren. Gerade spricht unser politisches Personal schwindelerregende Corona-Milliarden-Programme, aber auf die Idee, man könnte auch ein paar dieser Milliarden durch den Verkauf bzw. die Privatisierung von Teilen des gewaltigen Staatseigentums locker machen, ist noch niemand gekommen. Denn Privatisierung ist in weiten Teilen der Bevölkerung geradezu ein Schimpfwort. Es eignet sich deshalb gut für die Propaganda gegen unliebsame Liberalisierungsprojekte.

Und immer wieder stösst der unbefangene Beobachter, der für politische Alltagserfahrungen empfindlich ist, auf alte und neue Muster illiberaler korporatistischer Erfahrungen und Strukturen. Eigentlich sollte sich der politische Ökonom darüber nicht wundern, denn die Schweiz ist eine alte Demokratie. Und solche Staaten erstarren unter dem Einfluss etablierter organisierter Interessen gerne in regulatorischer Sklerose, wie es der US-amerikanische Ökonom Mancur Olson in seinem bahnbrechenden Werk „The Rise and Decline of Nations“ schon vor Jahren beschrieben hatte.

Die korporatistische Natur der schweizerischen Volkswirtschaft – speziell der Binnenwirtschaft – bezieht ihre ideologische Rechtfertigung nicht zuletzt aus dem in der Schweiz besonders populären genossenschaftlichen Gedanken. Genossenschaftliche Wirtschaftsstrukturen unterscheiden sich von Marktstrukturen durch die Aufhebung eines behaupteten Interessengegensatzes zwischen Marktteilnehmern (Anbieter gegen Nachfrager) – eine Sichtweise, die schon Adam Smith anschaulich widerlegt hat. Genossenschaftliche Ideen blühen deshalb besonders im linken politischen Spektrum bei Skeptikern und Gegnern von Markt und Privateigentum. Latent schwingt oft auch noch die von der Linken kultivierte und föderalistisch verbrämte „Service Public“-Ideologie mit, wenn es um die staatliche Regulierung bestimmter Branchen zugunsten einer exzessiv definierten Grundversorgung geht. Apotheken zählen auch zu diesen Branchen, und staatliche Strukturregulierungen sind nie gratis zu haben.

Vor einigen Tagen berichtet die NZZ über eine neue Runde in der gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der Versandapotheke Zur Rose und dem Schweizerischen Apothekerverband Pharmasuisse. Die Grundlage für die Strafanzeige bildet ein Urteil des Bundesgerichts von 2015. Das oberste Gericht verbot damals den Versandhandel mit rezeptfreien Medikamenten. Es erliess gemäss NZZ die Regel, dass auch für den Versand von Arzneimitteln, die in Apotheken ohne Rezept verkauft werden können, ein ärztliches Rezept nötig ist, das nur in einem persönlichen Kontakt mit einem Arzt erhältlich ist. Das ist eine reine bürokratische Schikane, denn es geht um so gefährliche Produkte wie „Kamillosan-Mundspray oder Neocitran“ (NZZ).

Selbstverständlich vertritt Pharmasuisse die Position, mit der Strafanzeige gegen den Zur Rose-CEO Walter Oberhänsli im Interesse der Kunden/Patienten zu handeln. Das ist schlicht grotesk, denn der Versandhandel von rezeptfreien Medikamenten würde für alle Beteiligten die Kosten senken. Pharamsuisse geht es aber im Kampf gegen den unliebsamen Konkurrenten Zur Rose einzig und allein um die Absicherung der eigenen finanziellen Interessen. Und unsere Institutionen sind dem Verband dabei behilflich.

Unabhängig von der Frage, ob das Bundesgericht mit seiner Regelauslegung selber Recht schaffte oder sich auf ein bestehendes Gesetz stützte, ist die beabsichtigte Wirkung einer derart absurden Regelung klar: Das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten soll den Apotheken vorbehalten bleiben. Apotheken wird eine „Service Public“-Grundversorgungs-Funktion zugeschrieben, die vor einem Versandhandel à la Zur Rose geschützt werden muss. Dazu passt auch die Weigerung von Politik und Bürokratie, den Verkauf bestimmter rezeptfreier Gesundheitsprodukte, die in der Schweiz zu stark überhöhten Preisen nur in Drogerien und Apotheken erhältlich sind, durch den Detailhandel zuzulassen. Migros stösst mit entsprechenden Vorstössen für den Verkauf absolut harmloser Produkte seit Jahren auf granitharten politischen Widerstand.

Bezeichnend für die korporatistischen Zustände in „einem der liberalsten Länder der Welt“ ist ein Hinweis im NZZ-Artikel: „Die Anklage zeigt auf, dass das Frauenfelder Unternehmen im Heimmarkt genau in den Gebieten mit Schwierigkeiten kämpft, die Zur Rose im europäischen Markt zum Marktführer gemacht haben.“ Allein dies illustriert die überrissene politische Macht des Apothekerverbands Pharmasuisse. Auf einem wichtigen Gebiet verteidigt Pharmasuisse korporatistische Strukturen und behindert damit zum Schaden der ganzen Gesellschaft die Realisierung von Wohlstandseffekten durch neue Geschäftsmodelle aufgrund des technologischen Fortschritts.

Da Pharmasuisse nur ein Beispiel von vielen aus der vor internationalem Wettbewerb geschützten schweizerischen Binnenwirtschaft darstellt, ist leicht erklärbar, weshalb die Arbeitsproduktivität in den binnenwirtschaftlichen Branchen der Schweiz im internationalen Vergleich nur mittelmässig ausfällt. Den Wohlstand der Schweiz könnte man zugespitzt auch so erklären: Wir arbeiten zwar viel, aber nicht sehr effizient…

Unsere teuren Gratis-Grosseltern

Die „Ökonomisierung der Gesellschaft“ – mal anders herum

Der Vorwurf der „Ökonomisierung“ von immer mehr Lebensbereichen kommt gewöhnlich von links. Gemeint ist er im Grunde als Generalkritik an einer angeblich neoliberalen Vereinnahmung von Politik und Gesellschaft. Auch der bekannteste Edel-Linke der Schweiz, der frühere SRG-Generaldirektor Roger de Weck, haut gelegentlich in diese Kerbe und benützt das diffuse Schlagwort „Ökonomisierung der Gesellschaft“ in Referaten. Die geneigte Zuhörerschaft kann dann selber assoziativ und weitgehend faktenfrei den Bezug zu den behaupteten neoliberalen Tendenzen machen.

Wie die „Ökonomisierung der Gesellschaft“ von links aussieht, können wir aktuell in den Medien erfahren. Einem Bericht im Zürcher Tages-Anzeiger vom 9. März entnehme ich Folgendes: In einer neuen Studie wurde errechnet, dass die Grosseltern in der Schweiz jährlich während 160 Millionen Stunden Enkel hüten – gratis natürlich. Offenbar verwendeten die Autoren oder Autorinnen der Untersuchung einen Stundenansatz von 50 Franken für den „Opportunitätsnutzen“, denn der volkswirtschaftliche Wert der grosselterlichen Hüterei wird mit 8 Milliarden Franken beziffert. So viel Wertschöpfung entstünde also dadurch, dass beide Eltern dank der Entlastung durch die Grosseltern arbeiten können.

Ob diese Schätzung Hand und Fuss hat, soll hier nicht untersucht werden. Interessanter ist die Frage, was für Motive die Auftraggeber zu der Studie bewegt hatten und was für politische Folgerungen daraus abgeleitet werden. Die Autorin der Studie, die emeritierte Psychologie-Professorin Pasqualino Perrig-Chiello folgert (immer gemäss Tages-Anzeiger), dass es in der Schweiz zu wenig staatliche Sozialleistungen für Familie und Kinder gebe. Die Schweiz sei auch hier im Rückstand. Und die unvermeidliche ehemalige CVP-Nationalrätin und Familienpolitikerin Lucrezia Meier-Schatz ortet noch eine ganz spezielle Ungerechtigkeit, mit der auch irgendeine neue Form der staatlichen Kompensation begründet werden könnte: Nicht alle Eltern mit Kindern haben Grosseltern zum Hüten. Dann halt vielleicht besoldete Staats-Grosseltern?

Meist werden für solche Studien, deren Resultat und politischer Zweck zum vorneherein festehen, die passenden Autoren oder Autorinnen gesucht. Mit einer Psychologie-Professorin ist man jedenfalls auf der sicheren Seite, denn unter Psychologinnen muss man mit dem Mikroskop nach einer Sympathisantin nicht-linker Parteien suchen. So ist es auch kein Wunder, dass die alte abgestandene linke Klage ertönt, die Schweiz sei sozialpolitisch im Rückstand, und es brauche auch hier mehr staatliche Sozialleistungen.

Unser Wohlfahrtsstaat ist jedoch gerade deshalb besser aufgestellt und leistungsfähiger als derjenige anderer Länder, weil das Subsidiaritätsprinzip noch einigermassen gilt: Was die Menschen aus eigenem Interesse im Privaten organisieren und schultern können und wollen, soll ihnen überlassen bleiben. Da hat der Staat nichts zu suchen. Doch befinden wir uns schon seit längerem auf abschüssigem Terrain, wie auch diese Studie zeigt. Auch bei uns findet der linke sozialpolitische Aktivismus immer neue Felder, wo Ungerechtigkeiten durch staatliche Massnahmen bekämpft werden sollen.

Und was ist, wenn es den Grosseltern sogar gefällt, die Kleinen zu hüten, weil sie sonst nichts Vergnüglicheres zu tun haben? Mit der Suche nach Antworten auf solche Fragen käme man vielleicht zum Schluss, dass das Hüten nicht nur für die Eltern, sondern auch für viele Grosseltern und vielleicht sogar für die Enkelkinder ein Gewinn ist. So könnte man dieses freiwillige private Drei-Generationen-Arrangement als eine echte win-win-win-Situation sehen.

Die linke „Ökonomisierung“ der Familienbeziehungen mit der Rechnerei um den Wert der grosselterlichen Hüterei beinhaltet immer schon latent den unvermeidlichen Ruf nach dem Staat. Ich plädiere für eine andere Art von „Ökonomisierung“, nämlich für den vermehrten Gebrauch ökonomischer Denkweisen und Vernunft in der politischen Debatte. So könnte man zum Beispiel berechnen, wie viel Steuern der unersättliche Steuerstaat aus den geschätzten acht Milliarden Franken zusätzlicher Wertschöpfung bei den betreffenden Unternehmen und Haushalten abkassiert. Bei verheirateten Doppelverdienern sind auf zusätzlichem Einkommen Grenzsteuersätze von weit über 50 Prozent keine Seltenheit.

Altersvorsorge: Plebiszitäre Blockade

Aus dem NZZ-Bericht über eine jüngst erstellte Umfrage der Beratungsfirma Deloitte geht hervor, dass ausgerechnet die älteren Generationen weiterhin in einer Haltung der Reformverweigerung verharren – und dies trotz längst bekannten ungelösten Finanzierungsproblemen in der Altersvorsorge. Eine Erhöhung des Rentenalters (für Frauen oder für beide Geschlechter) lehnen klare Mehrheiten der 50- bis 70-Jährigen ab. Die Ablehnung ist in der Romandie viel stärker als in der Deutschschweiz. Und bei den Frauen ist der Widerstand durchwegs stärker als bei den Männern.

Dass die Reformblockade auf Kosten der Jüngeren geschieht, stört die Reformgegner offenbar überhaupt nicht. Man ist möglicherweise moralisch dadurch entlastet, als man immer behaupten kann, man habe Anrecht auf mindestens die gleichen Leistungen, wie sie bisher schon galten. Zudem haben wir es in der Schweiz aus politischem Opportunismus fertig gebracht, Rentenansprüche weitestgehend in gesetzliche Anrechte zu giessen. Dies geschah ohne Rücksicht darauf, dass nicht nur die Finanzierbarkeit der BVG-Leistungen von unbeeiflussbaren Variablen abhängt, sondern auch diejenige in der umlagefinanzierten AHV.

Die notorischen Reformblockaden in Sachen AHV und BVG sind in der schweizerischen Referendumsdemokratie nur institutionell zu verstehen. Das Problem beginnt jeweils schon im Stadium der Einführung. Da das allgemeine Verständnis für die technische Funktionsweise von Rentensystemen dürftig ist, muss man Vorlagen „referendumssicher“ machen, indem man die Leute davon überzeugt, dass alles sicher und unter Kontrolle ist. Also gaukelt man dem Stimmvolk vor, es könnten sichere Renten quasi per Dekret garantiert werden. Zudem ist jeder Reformversuch wieder Referendumsrisiken ausgesetzt. Das Ergebnis lässt sich an der ernüchternden Reformbilanz seit mehr als 20 Jahren ablesen. In internationalen Rankings der Nachhaltigkeit von Rentensystemen ist die Schweiz denn auch nicht ohne Grund von früheren Spitzenplätzen bereits ins Mittelfeld zurückgefallen, da die meisten anderen Länder bereits Reformen eingeleitet oder zumindest angekündigt haben. Was die besten Rentensysteme auszeichnet, ist die starke Anlehnung an versicherungstechnische Regeln. Mit einer Regelbindung werden Renten der tages- bzw. wahlpolitischen Einflussnahme und politischem Opportunismus entzogen.

Die Spätfolgen des politischen Opportunismus in der Altersvorsorge lassen sich am ungebrochenen Widerstand gegen die Anpassung des Frauenrentenalters an dasjenige der Männer demonstrieren. Zu Beginn galt für beide Geschlechter das Rentenalter 65. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der Hochkonjunktur wurde das Rentenalter der Frauen 1957 auf 63 gesenkt, 1964 auf 62. Die spätere Erhöhung in zwei Schritten auf 64 Jahre musste jeweils angesichts der Referendumsrisiken durch Konzessionen mit Kostenfolgen erkauft werden. Das langwierige Gezerre um das Frauenrentenalter 65 wird absehbar damit enden, dass gegen drohende Referenden wiederum Kompensationen durchgesetzt werden, die den Reformeffekt in Bezug auf die langfristige finanzielle Nachhaltigkeit der Rentensysteme weitgehend zunichte machen.

Unsere Jugendlichen kümmern sich wenig darum, dass die Älteren mit den diskutierten „politisch machbaren“ Pseudoreformen auch künftig auf Kosten der eigenen Nachkommen ein angenehm gepolstertes Alter geniessen. Lieber gehen sie auf die Strasse, um den Planeten zu retten.

SRF 2 Kultur – auf der Suche nach Opfern

Unser Kulturradio SRF2 scheint permanent auf der Suche nach Opfern und sozialen Ungerechtigkeiten zu sein. Auch in Auslandbeiträgen geht es häufig um irgendwelche Verhältnisse, die angeprangert oder für die wir als reiche Privilegierte sensibilisiert werden müssen.

In der heutigen Kontext-Sendung „Arbeitslos mit über 50“ ging es um das nationale Problem der Beschäftigung von älteren „Arbeitnehmenden“ und die Massnahmen, mit denen die „Arbeitgebenden“ dazu gebracht werden könnten, ältere „Arbeitnehmende“ weiterhin zu beschäftigen, statt diese durch jüngere „Arbeitnehmende“ zu ersetzen. Die Moderatorin Sabine Bitter sprach mit dem Arbeitsrechtler Kurt Pärli von der Universität Basel.

Wer sich durch die bei unseren Staatsmedien missionarisch betriebene Sprachverhunzung, hier mit den „Arbeitnehmenden“ und „Arbeitgebenden“, nicht abschrecken liess und tapfer durchhielt, erhielt einmal mehr die Bestätigung, dass viele Kontext-Sendungen und Sendungen zu anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen mit befangener Moderation ablaufen. Beschäftigung ist bekanntlich primär ein ökonomisches Thema, aber man wählt für das Gespräch lieber einen wohl gesinnten Arbeitsrechtler, der sich erst noch als Anhänger von Lösungen outet, die vor allem im linken politischen Spektrum populär sind.

Ständig ist von der Diskriminierung der über 50-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt die Rede, aber sowohl der Moderatorin als auch dem Gast fehlt mit ihrer überzeugt richtigen Gesinnung jegliches Verständnis für die ökonomischen Fakten. So kommen sie auch nicht auf die Idee, dass Massnahmen, welche die Unternehmen zur (Weiter-)Beschäftigung älterer Personen bringen oder gar zwingen sollen, auch diskriminierend sein können, nämlich gegenüber Jüngeren, welche für die gleiche Leistung weniger kosten und für das Unternehmen längerfristig gesehen eine vorteilhafte Investition darstellen können.

Schliesslich wird von Ökonomen seit Jahren emnpfohlen, endlich die Kosten älterer Arbeitnehmer zu senken, um sie auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger zu machen. Einerseits sollen Löhne nach Alter 50 auch wieder sinken können. Und zweitens sollen in der 2. Säule der Altersvorsorge endlich die höheren Beiträge der Älteren reduziert werden. Würde dies angegangen, könnte man auf all die fragwürdigen politischen und gesetzlichen Eingriffe verzichten, die im Umlauf sind und auch in dieser Kontext-Sendung wohlwollend erwähnt wurden.

Zwei mal Anti-STAF

Zwei Referendumskomitees – eines von links, eines bürgerlich – erhielten im „Abstimmungsbüchlein“ des Bundesrats Raum für ihre Argumente. Und so sieht die Raumaufteilung aus:

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Das bürgerliche Referendumskomitee erhält bescheidene sechs Zeilen, das linke Komitee beansprucht rund sechs mal mehr Raum. Darf man fragen, weshalb die zuständigen Behörden so etwas in Ordnung finden?

Auch inhaltlich fallen die Unterschiede auf: Auf den sechs Zeilen des bürgerlichen Komitees findet man in nüchternem Ton zwei gewichtige Sachargumente. Dagegen strotzt das linke Argumentarium nur so vor Polemik. Mit der Dämonisierung von Multis und Konzernen hat man beim Stimmvolk schon oft gute Erfahrungen gemacht, also haut man weiter frisch drauf los! Und die Schlagworte Steuerbschiss, Milliardenverluste und Steuergeschenke haben schon früher gut funktioniert. Wer weiss schon, dass sich die Firmensteuererträge von Bund, Kantonen und Gemeinden in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt haben und unseren Luxus-Wohlfahrtsstaat kräftig mitfinanzieren? Wer will sich schon mit Fakten herumschlagen, wenn es in unserer geheiligten direkten Demokratie auch mit Polemik geht!

Was wollen die Chinesen hinter dem Mond?

Die sensationellen Bilder vom chinesischen Roboter auf der Rückseite des Mondes haben im Westen einen mittleren Schock ausgelöst. Ob er für die wohlfahrtsstaatlichen Demokratien heilsam sein wird, ist aus politisch-institutionellen Gründen zu bezweifeln.

Was China seit der von Deng vor 40 Jahren angestossenen Systemreform praktiziert, hat Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman (bevor er vom Ökonomen zum Journalisten mutierte) in einem Aufsatz über den wirtschaftlichen Aufstieg der ostasiatischen „Tigerstaaten“ in einer einfachen Formel ausgedrückt: „deferred gratification“, auf Deutsch „aufgeschobene Belohnung“. Auch China betreibt ganz ausgeprägt „deferred gratification“. Die chinesische Bevölkerung verzichtet, ob freiwillig oder erzwungen, auf einen Teil der erarbeiteten Früchte, sodass die Volkswirtschaft dauernd hohe Sparüberschüsse produziert. Diese ermöglichen es dem Reich der Mitte und seinen Unternehmen, gleichzeitig im Inland in atemberaubendem Tempo die Infrastruktur auszubauen, im Ausland Investitionen zu tätigen, massiv aufzurüsten und in der Raumfahrt die finanziell klammen Grossmächte USA und Russland in absehbarer Zeit zu überholen.

Natürlich wachsen auch in China die Bäume nicht in den Himmel. In einer staatlich gelenkten Volkswirtschaft kommt es zwingend zu Verzerrungen, Fehlanreizen, Verschwendungen und entsprechenden Verlusten. Diese Relativierung chinesischer Erfolge ändert allerdings nichts an der Feststellung, dass unsere wohlfahrtsstaatlichen Demokratien unter Fehlanreizen für Politiker leiden. Für diese lohnt es sich, der Bevölkerung immer mehr soziale Wohltaten zu versprechen, was in vielen Ländern in eine permanente Schuldenwirtschaft mündete. In den wenigen Staaten, wo noch Überschüsse anfallen, werden diese vornehmlich wieder zum Ausbau des Sozialstaats verwendet, siehe Deutschland. Mit einem Wahlprogramm unter dem Motto „deferred gratification“ wäre in westlichen Demokratien kein Blumentopf zu gewinnen.

 

 

Der föderalistische Spitalwahnsinn

An der Landsgemeinde von Appenzell-Innerrhoden bewilligte der „Souverän“ für einen Spital-Neubau mit 26 Betten für stationäre Behandlungen CHF 41 Mio. Auf der SRF-Website steht zu lesen: „Das Konzept AVZ+ beinhaltet einen Notfall- und Rettungsdienst, eine ambulante Versorgung und eine Bettenstation. Die Abstimmung über den Spitalneubau war der Schlusspunkt eines mittlerweile rund zehnjährigen Prozesses. Die Befürworter argumentierten, dass der Kanton die Gesundheitsversorgung in eigenen Händen behalten solle. Die Gegner monierten, das Projekt sei überdimensioniert und rechne sich auf Dauer nicht.“

Im Vorfeld der Abstimmung gab es auch Stimmen, die eine Schliessung des Spitals befürworteten und eine Zusammenarbeit mit St.Gallen und Herisau (Appenzell-Ausserrhoden) anregten. Allerdings war das Projekt eines Spitalverbunds zwischen den geografisch verschränkten Appenzell Innerrhoden (16’000 Einwohner) und Ausserrhoden (55’000 Einwohner) schon früher gescheitert. Dass der Kanton St.Gallen, der die beiden Appenzeller Halbkantone geografisch umschliesst, mit Zustimmung des Stimmvolks in den nächsten Jahren rund CHF 1 Mrd. ausgibt, um seine staatlichen Spitäler auszubauen, passt ins Bild.

Jeder Kanton kocht im Spitalwesen sein eigenes Süppchen. Dass diese Art von unkooperativem Föderalismus das Gesundheitswesen ohne Zusatznutzen wesentlich verteuert, dürfte spontan jedem einleuchten. Das Grundproblem liegt darin, dass das Spitalwesen durch die Mehrfachrolle der Kantone (Spitalplanung, Gesetzgeber, Regulierer, Spitaleigentümer und -betreiber, Aufsicht) massiv politisiert ist. Im Klartext heisst das, dass am Schluss immer das Stimm- oder Wahlvolk entscheidet. Wenn ein kantonaler Gesundheitsdirektor etwas forsch Spitäler zusammenlegen oder schliessen will, wird er bei der nächsten Gelegenheit abgewählt (Beispiel St.Gallen). Und wenn es um die Erhaltung „eigener“ Spitäler geht, lassen sich praktisch immer und überall Volksmehrheiten mobilisieren, die sich gegen kostensparende strukturelle Reformen einsetzen. Krasses Beispiel ist der Kanton Neuenburg mit seinen „konkurrierenden“ Standorten Neuenburg und La Chaux-de-Fonds, wo der Kampf um das „eigene“ Spital seit langem sogar innerkantonal tobt.

Frage: Wie soll unter solchen „zersplitterten“ institutionellen Bedingungen eine landesweite kohärente Gesundheits- und Spitalpolitik realisiert werden können? Ein Ding der Unmöglichkeit. Dezentralisierung ist gut, aber nicht in allen Fällen und in jedem Ausmass. Doch das Stimmvolk will offensichtlich keine Entpolitisierung des Spitalwesens. Aber bei der alljährlichen Klage über die unaufhaltsam steigenden Prämien der Krankenversicherung machen dann die meisten gerne wieder mit!

Höheres Rentenalter? „Blödsinn!“

Nachdem die Mitte-Populisten von CVP, BDP und GLP dem faulen Rentenkompromiss jüngst zu einer parlamentarischen Mehrheit verholfen hatten, keimt jetzt auch in ihren Kreisen, wenigstens von einzelnen Stimmen, die Idee einer behutsamen Erhöhung des Rentenalters, um die AHV nicht schon in einigen Jahren abstürzen zu lassen. SP-Ständerat und Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner, einer der Hauptstrippenzieher des faulen Kompromisses, meinte dazu lakonisch: „Das ist Blödsinn!“

Das Tragische daran ist, dass Rechsteiner mit solch schnoddrigen Sprüchen im Stimmvolk auf eine Mehrheit zählen kann. Wen interessiert schon die implizite Verschuldung der AHV von rund CHF 1’000 Milliarden! Da müsste man ja den Leuten noch erklären, was das ist! Wer daran zweifelt, sollte die Warnung von CVP-Nationalrat Peter Hegglin beachten: Er bremste den Reformeifer von Parteikollegen mit der Begründung, man müsse den Leuten jetzt im Hinblick auf das Referendum im Herbst zuerst die Inhalte der Rentenreform erklären. NR Hegglin hat also keine besonders hohe Meinung vom mündigen Stimmbürger. Denn seit Monaten berichteten die Medien immer wieder ausgiebig und detailliert über die Verhandlungen in den Eidgenössischen Räten  –  mit einer Zuspitzung im Vorfeld der Schlussabstimmung wegen knapper Mehrheitsverhältnisse (hoher Unterhaltungswert!). Und seit Jahren werden die künftigen Belastungen der Altersvorsorge durch die Demografie und die Nullzinspolitik der Notenbanken debattiert. Zudem gab es schon mehrere Volksabstimmungen über Rentenreformen.

Und trotzdem muss man den Leuten gemäss Nationalrat Hegglin nochmals alles schön vorkauen. Und hoffen muss man zudem, dass sie auch zuhören und Sachargumente von Schlagworten zu unterscheiden vermögen  –  gerade beim Thema Altersvorsorge ein schwieriges Unterfangen. An dieser Ausgangslage wird sich auch künftig nichts ändern, denn unsere Bildungsreformer (Lehrplan 21) finden es bekanntlich wichtiger, dass unser Nachwuchs in der Schule lernt, wie man nachhaltig konsumiert (was immer das heissen soll) und nicht, wie nachhaltige Systeme der Altersvorsorge funktionieren (was sich eindeutig bestimmen lässt). So etwas gilt im staatlichen Bildungswesen der Referendumsdemokratie Schweiz als politische Propaganda. Dabei sind es gerade die Jungen, die darüber aufgeklärt werden müssten, dass das jahrelange unergiebige politische Hick-Hack mit faulen Reformkompromissen auf ihrem Buckel ausgetragen wird.