Energie- und klimapolitische Verwirrungen

„Auch in der Arktis stehen sich die Großmächte  neuerdings feindselig gegenüber…., denn in der Arktis schlummern im Permafrost Öl und Gas in rauen Mengen.“

Das steht heute im „Pioneer Briefing“ von Gabor Steingart. Die Grossmächte und ein paar weniger gewichtige Anrainerstaaten versuchen, ihre Ansprüche und ihre Präsenz in der Arktis auszuweiten. Der Prozess entwickelt eine Eigendynamik, indem jedes Signal der Ausdehnung der Interessensphäre eines Akteurs die anderen Akteure zu Gegenforderungen provoziert.

Im Lichte der hehren Klimaziele von „Paris 2015“ und angesichts der inflationär wiederholten Selbstverpflichtungen zu netto null CO2 erscheint das geopolitische Gerangel um die fossilen Bodenschätze der Arktis wie aus einer anderen Welt oder Zeit. Man ist versucht, unsere moralisch aufgeladene grün gefärbte Klima- und Energiepolitik als Ausfluss einer infantilisierten Wohlstandsgesellschaft zu sehen. In den komplexen globalen Zusammenhängen ist sie im besten Fall wirkungslos, im schlimmeren, aber auch wahrscheinlicheren Fall sogar kontraproduktiv. Für diesen Fall prägte der prominente deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn den Ausdruck „Das grüne Paradoxon“ – und schrieb ein ganzes Buch mit diesem Titel.

Unsere konfuse Energie- und Klimapolitik

Die US-amerikanische online-Plattform RealClearEnergy, berichtete kürzlich, Indien habe die Wiedereröffnung von über hundert stillgelegten Kohleminen angeordnet, um den explodierenden inländischen Strombedarf zu decken. Die Begründung lautete, die Energieversorgung komme für Indien an erster Stelle, vor dem Klimaschutz. Auf derselben Plattform las man in einem Editorial, das vorherrschende energiepolitische Narrativ der Administration Biden schweige darüber, wie man den sechs Milliarden Menschen, die mehr Energie brauchen, um ihr Los zu verbessern, zuverlässige und erschwingliche Energie liefern könne. Dasselbe trifft auf die offizielle schweizerische Klimapolitik zu.

Sommarugas Anmassung

Die Medien berichteten im letzten November von der Glasgower Klimakonferenz COP26, dass Umweltministerin Sommaruga gegen Schluss noch intervenierte, um für die Kohle einen konsequenten Ausstieg zu fordern. Ein allmählicher Ausstieg, der auf die wirtschaftliche Tragbarkeit Rücksicht nehme, genüge nicht. Eine solche Intervention eines Regierungsmitglieds eines Landes, das mit seiner Energieversorgung nur dank importiertem Kohlestrom über die Runden kommt, ist an sich schon fragwürdig. Wenn aber Bundesrätin Sommaruga von 1,4 Milliarden Indern den Kohleausstieg ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Tragbarkeit fordert, finde ich das anmassend. Man könnte den Spiess ja mal umkehren. Was für Forderungen könnte Indien an die Schweiz in Sachen Klima und Energie stellen?

Auch Forscher argumentieren auf der Linie von Sommaruga. Kürzlich referierte der ETH-Klimaphysiker Reto Knutti an einem Anlass einer Bank. Sein Referat gründete auf dem Narrativ unserer offiziellen Klimapolitik. Als Einstieg kamen für das richtige „Framing“ Bilder von ausländischen Waldbränden und Überschwemmungen, danach mit der Simulation des Rückzugs des Aletschgletschers bis ins Jahr 2100 auch noch etwas Einheimisches. Schliesslich unterstützt Klimaforscher Knutti die „Gletscher-Initiative“, die den Leuten suggeriert, es liege an uns, mit einer ambitionierten Klimapolitik die Alpengletscher zu retten.

Die Geschichte, die man uns immer wieder erzählt, lautet so: Um das Klimaziel der Konferenz von Paris im Jahr 2015 zu erreichen, nämlich den Anstieg der Temperatur seit Beginn des Industriezeitalters möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir jetzt sofort handeln. Wir müssen die erneuerbaren Energien aus Wind, Wasserkraft und Photovoltaik massiv ausbauen und die Mobilität und die Gebäude elektrifizieren. Und wir sollten weniger fliegen. Und wir sollten weniger Fleisch essen. Wir sollten einfach weniger fossile Energien Kohle, Öl und Gas verbrauchen und durch CO2-arme Energieträger ersetzen. Dass dabei die Kernenergie auch im Vergleich mit Solar- und Windstrom am besten abschneidet, bleibt ausgeblendet.

Das diffuse „wir“

Die Konfusion, die unsere Klimadebatte belastet, dreht sich um das Wörtchen „wir“. Wen meinen die warnenden Stimmen mit „wir“? Sind es wir Schweizer, dann sind all die Bilder von Waldbränden, Überschwemmungen und schmelzenden Gletschern bloss Stimmungsmache, denn darauf haben wir nicht den geringsten Einfluss. Meinen die Warner(innen) aber das „wir“ global, dann sind wir politisch nicht zuständig, siehe das Beispiel Indien. Auch andernorts auf der Welt kommt das Fressen vor der Moral, gerade in den westlichen Demokratien, wo der Krieg in der Ukraine gerade die hehren Netto-null-Versprechungen entzaubert. Überall herrscht unter unsicheren Regierungs- und Parlamentsmehrheiten ein opportunistisches Gerangel um Wählerstimmen. Energiepreise, besonders der politisch brisante Benzinpreis, sollen jetzt mit allen Mitteln gedeckelt werden – inklusive Bücklinge aller Art vor den Potentaten von Autokratien wie Saudi Arabien oder Venezuela.

An der jüngsten Klimakonferenz in Bonn offenbarten sich die politischen Realitäten. Ernüchtert stellte man fest, dass nur wenige Länder die auf dem COP26-Gipfel versprochenen Pläne für strengere Emissionssenkungen vorgelegt hatten. Zudem fehlt es immer noch an der vollmundig in Aussicht gestellten Finanzierung für arme Länder, damit diese sich besser an den Klimawandel anpassen können. Europäische Staaten sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, die fossilen Energiereserven der Entwicklungsländer zu beanspruchen, ohne ihnen bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen. Ausgerechnet das Energiewende-Land Deutschland plant, die Importe fossiler Brennstoffe zu erhöhen, um die riesigen Gasmengen zu ersetzen, die es bis vor kurzem von Russland kaufte.

Die wachsende Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und politischem Handeln untergräbt die Glaubwürdigkeit der westlichen Demokratien nicht nur zuhause, sondern auch im Rest der Welt.

COP26: Die Rettung der Welt muss warten

Auch die Klimakonferenz von Glasgow scheitert am unüberwindbaren Problem des Trittbrettfahrens

„Blablabla“ sagte angeblich die 18-jährige Untergangswarnerin Greta Thunberg schon vor dem Abschluss der Klimakonferenz in Glasgow. Damit hatte sie angesichts der dürftigen Ergebnisse des Monsteranlasses recht. Aber sie und ihre jugendlichen Klimastreikenden sowie all die sonstigen Klimaaktivisten sind frustriert, weil sie an solche Konferenzen völlig unrealistische Erwartungen stellen. Dabei sollte man nach all den Klimakonferenzen inzwischen gemerkt haben, warum es mit CO2-Reduktion und „Klimaschutz“ kaum vorwärts geht.

Unter anderem darüber unterhalten sich Martin Schlumpf und Hans Rentsch im neuen schlumpf&rentsch-Podcast. Kommentiert werden einige wichtige Ergebnisse der Konferenz im Lichte der Grundprobleme der gängigen Klimapolitik. Wegleitend ist hier weiterhin, trotz massiver Lücken bei der Erreichung von Zwischenzielen, das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015 („Paris 2015“), deklamatorisch begleitet von all den hehren Netto-Null-Absichtserklärungen mit unterschiedlichen Zeithorizonten.

Erstmals wurde in Glasgow versucht, spezifisch für fossile Energieträger einen verbindlichen Pfad für den Ausstieg zu vereinbaren. Ernüchtert musste man zur Kenntnis nehmen, dass Kohle besonders für die grossen Kohleverbraucher China und Indien noch auf Jahre hinaus eine wichtige Energiequelle bleiben wird. In Bezug auf die Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Anpassung ihrer Entwicklung an klimapolitische Erfordernisse gab es erneut eine Zusage der Industrieländer zur Verdoppelung der finanziellen Mittel. Im Lichte der bisherigen grossen Lücke zwischen Absichtserklärungen und tatsächlichen Geldflüssen mag daran glauben, wer will. Die Schweiz engagierte sich speziell für mehr Transparenz bei CO2-Reduktionen im Ausland. Um Doppelzählungen zu vermeiden, muss Vergleichbarkeit gewährleistet sein. Auch ein möglichst umfassender Emissionshandel war ein Anliegen der Schweiz. Offenbar hat man unter selbst verursachtem Handlungszwang (Stichwort: Energiewende mit „Atomausstieg“) auch in Bundesbern gemerkt, dass erstens Reduktionen im Inland sehr viel kosten und Widerstand hervorrufen, und zweitens, dass die schweizerischen CO2-Reduktionsziele ohne hohe Auslandsreduktionen nicht zu erreichen sind.

Auch wenn in Berichten der Medien kleine Fortschritte in Richtung Paris 2015-Ziele erwähnt wurden, blieb auch COP26 trotz riesigem Tagungsaufwand weitgehend eine Veranstaltung der Ankündigungen. Mit dem Festhalten am illusionären 1,5-Grad-Ziel ist garantiert, dass die Klimapolitik weiterhin eine Quelle der Frustration über verfehlte Zwischenziele bleiben wird.

„Glasgow“ naht – und niemand interessiert sich für die Diskontrate!

Die Pariser Klimaziele wären nur unter horrenden Kosten zu erreichen. Dennoch hält die Politik daran fest.

(Dieser Text erschien am 28. Oktober 2021 in leicht gekürzter Fassung in der Weltwoche Nr. 43.21 unter dem Titel „Unbezahlbarer Preis“ – Zugang mit Bezahlschranke)

An der 26. UN-Klimakonferenz (COP 26), die Ende Oktober in Glasgow beginnt, wird wieder viel Deklamatorisches zu hören sein. Da kann es nicht schaden, sich ein paar jüngste Vorkommnisse in Erinnerung zu rufen.

Am 21. Oktober las man in den Medien die Meldung, Frankreich verteile aus Angst vor neuen Gelbwestenprotesten eine „Inflationsentschädigung“. Etwa 38 Millionen Franzosen mit einem Nettogehalt unter 2000 Euro pro Monat sollen 100 Euro erhalten. Man erinnert sich: Im November 2018 hatten in Frankreich Demonstrationen einer spontanen Bürgerbewegung begonnen. Protestiert wurde gegen eine von Präsident Macron zur Durchsetzung der Energiewende geplante höhere Besteuerung von Diesel und Benzin. Die Protestierenden trugen als Erkennungszeichen die gelben Warnwesten, die im Auto mitzuführen sind. Die Inflationsentschädigung ist eine Reaktion auf die gestiegenen Öl- und Gaspreise, die unmittelbar auf die Diesel- und Benzinpreise und die allgemeine Teuerungsrate durchschlagen.

Nach den jüngsten Preisschüben an den fossilen Energiemärkten baten einige westliche Regierungen die wichtigsten Produzenten (OPEC-Staaten und Russland), die Förderung zu erhöhen. Das Motiv war dasselbe wie bei der französischen Inflationsentschädigung: Angst vor dem Unwillen des Volkes über eine steigende Teuerung.

In der Schweiz erlitt im Referendum vom 13. Juni das revidierte CO2-Gesetz vor dem Volk Schiffbruch. Die Hauptmotive der Referendumssieger erinnern stark an die französischen Gelbwesten: Kostensteigerungen, insbesondere für Autofahren und Reisen generell. Auch die degressiv wirkende Verteuerung fossiler Energie zulasten unterer Einkommensschichten spielte im Argumentarium gegen das Gesetz eine wirksame Rolle.

Wie sind die Gemeinsamkeiten dieser drei Vorkommnisse im Hinblick auf das bevorstehende klimapolitische Grossereignis „Glasgow“ zu deuten? Machen wir einen Sprung zurück in das Jahr 2006, als der Stern-Report („Stern Review on the Economics of Climate Change“) erschien. Dieser Bericht von Sir Nicholas Stern, dem ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, wurde im Auftrag der britischen Regierung erstellt. Er untersuchte erstmals umfassend die wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung. Die Schlussfolgerung lautete: Es ist dringend und lohnt sich, umgehend drastische Massnahmen gegen die Klimaerwärmung zu ergreifen, weil die Kosten raschen Handelns geringer sind als die Klimaschäden in der Zukunft.

Der Klimaökonom und spätere Nobelpreisträger William Nordhaus äusserte zum Stern-Report kritisch, die radikale Revision der vorgeschlagenen Ökonomie des Klimawandels
ergebe sich nicht aus einer neuen Wissenschaft oder Modellierung. Sie hänge vielmehr
entscheidend ab von der Annahme eines sozialen Diskontsatzes nahe null. Die Schlussfolgerungen zur Notwendigkeit extremer Sofortmassnahmen würden hinfällig mit Diskontierungsannahmen, die mit dem Marktgeschehen konsistent sind. So blieben, so Nordhaus, die zentralen Fragen zur Politik gegen die globale Erwärmung – wie viel, wie schnell und wie teuer – offen.

Eine Diskontsatz nahe null heisst: Stern gewichtete Zustände, die weit in der Zukunft liegen, viel höher, als es üblich ist, wenn die Menschen in der Politik Entscheide treffen. Wenn zur zur Abzinsung von künftigen Kosten eine Rate nahe null verwendet wird, erhalten Kosten in ferner Zukunft fast das gleiche Gewicht wie heutige Kosten. Dasselbe gilt für den Nutzen. Dies entspricht aber überhaupt nicht der beobachteten Realität. Menschen bewerten tausend heutige Franken höher als tausend Franken, die sie in zwanzig oder fünfzig Jahren erhalten oder bezahlen müssen. Und sie handeln auch so.

Die eingangs erwähnten Vorkommnisse sind eine starke Stütze für die Kritik von Nordhaus am Stern-Report. Nordhaus hält eine Politik, die das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015 anstrebt, unter Verwendung einer realistischen Diskontrate für unbezahlbar. Selbst im optimalen, aber utopischen Fall einer globalen CO2-Steuer müsste diese derart hoch sein, dass kaum eine Regierung auf der Welt eine solche Steuer durchsetzen könnte. Nach den Modellsimulationen von Nordhaus ergibt eine Politik, die sich an einer 3,5-Grad-Erwärmung orientiert, das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Dessen ungeachtet wird das 1,5-Grad Ziel in Glasgow weiterhin inbrünstig beschworen werden. So lange jedoch die Klimapolitik die hohe Gegenwartspräferenz der Menschen verdrängt und dem illusionären Bild eines Übermenschen anhängt, dem die Rettung der Welt ein persönliches prioritäres Anliegen ist, so lange wird sie in Frustration über verfehlte Ziele stecken bleiben. Das mag resigniert klingen, führt aber zu einem hoffnungsvoll stimmenden Schluss: Wie die Geschichte gezeigt hat, sind Menschen und ihre Gesellschaften anpassungsfähig – auch wenn das enge Regulierungskorsett westlicher Wohlfahrtsstaaten diese Anpassungsfähigkeit mittlerweile stark behindert. Eine rationale Klimapolitik sollte, statt auf CO2-Vermeidung, viel stärker auf Anpassung setzen. Das hätte den grossen Vorteil, dass man zeitlich und räumlich situativ auf die tatsächlichen Entwicklungen reagieren könnte, statt sich auf auf Prognosen von Klimamodellen verlassen zu müssen, die ihre Tauglichkeit noch keineswegs, etwa durch die korrekte Nachbildung vergangener Klimatrends, bewiesen haben.

Der Wille des Volkes geschehe! Welcher Wille? Welchen Volkes?

Abschied von klimapolitischen Illusionen nach dem Volksnein zum CO2-Gesetz

(Wer den „Nebelspalter“ abonniert hat, kann diesen Beitrag auch hier lesen. Eine englische Version des Essays wurde inzwischen auch auf der US-amerikanischen News-Plattform RealClear Energy publiziert.)

Am 13. Juni scheiterte das revidierte CO2-Gesetz an der Urne. Dass der Schock in den politisch zuständigen Kreisen eine heilsame Wirkung zugunsten von mehr Realismus entfaltet hätte, kann man angesichts der verwirrten Debatte, was jetzt zu tun sei, nicht behaupten. Viele Kommentatoren zeigten sich über den Bremser des Stimmvolks in der Energie- und Klimapolitik überrascht und schienen von der Deutung des Volkswillens überfordert. Im Mai 2017 hatte es ein deutliches Ja zum revidierten Energiegesetz gegeben, trotzdem folgte vier Jahre später ein knappes Nein zum revidierten CO2-Gesetz.

Keine Inkonsistenz im Abstimmungsverhalten

Beide Gesetzesrevisionen sind als miteinander verbundene Teilschritte im Grossprojekt der Leuthard’schen Energiewende zu betrachten. Zuerst ja, dann nein – das sieht aus wie hüst und hott. Die VOTO- bzw. VOX-Analysen aus den Nachbefragungen erlauben einen Vergleich der beiden Abstimmungen. Der entscheidende Punkt klingt beinahe banal: Das Stimmvolk, das im Mai 2017 dem Energiegesetz zugestimmt hatte, war nicht dasselbe Stimmvolk, das vier Jahre später gegen das CO2-Gesetz votierte – ganz abgesehen von den demografischen Verschiebungen. Der Hauptunterschied liegt in der viel höheren Stimmbeteiligung beim CO2-Gesetz – fast 60 Prozent gegen bloss 43 Prozent beim Energiegesetz.

Die weit über dem Durchschnitt von 46 Prozent liegende Mobilisierung war den vier anderen gleichentags zur Abstimmung gelangenden Vorlagen zu verdanken, vor allem den beiden agrarpolitischen Volksinitiativen. Diese hatten wegen radikaler Auflagen betreffend Trinkwasserschutz und Pestizideinsatz für die Landwirtschaft sowie vor- und nachgelagerte Branchen einschneidende Folgen erwarten lassen. In einer aufwendigen Kampagne bekämpften die Verbände des Agrarsektors die Initiativen und lockten in ländlichen Regionen viele Leute an die Urnen. Gemäss einer Analyse des Umfrage-Instituts gfs.bern ist ein doppeltes Nein zu den Agrar-Initiativen der stärkste Erklärungsfaktor für ein Nein zum CO2-Gesetz. Es brauchte nicht viel Energie, um auch beim CO2-Gesetz ein Nein auf den Abstimmungszettel zu schreiben.

In diesen Zusammenhang passt auch eine Tatsache, die bisher kaum beachtet wurde. Obwohl die SVP beim Energiegesetz als einzige der grösseren Parteien das Referendum unterstützte, vermochte sie ihre Anhänger nicht zu mobilisieren. Nur 38 Prozent nahmen an der Abstimmung teil, der tiefste Wert aller Parteien. Dagegen mobilisierte die SVP ihre Anhängerschaft beim Urnengang über das CO2-Gesetz am stärksten: 73 Prozent der SVP-Sympathisanten beteiligten sich an der Abstimmung – wegen den beiden Agrarinitiativen. Das CO2-Gesetz bekam, quasi im Seitenwagen, die Folgen zu spüren.

Gräben, wohin man schaut

Vor einem Stadt-Land-Graben wurde in den Abstimmungskommentaren schon lange nicht mehr so laut gewarnt. Wie wenn dies etwas Neues wäre! Dasselbe wäre schon bei anderen Urnengängen sichtbar gewesen, hätte man genauer hingeschaut. Der Stadt-Land-Graben bildet nur die unterschiedlichen politisch-ideologischen Positionen ab: Die urbane Schweiz tickt links, die ländliche nicht-links. Statt oberflächlich eine Stadt-Land-Spaltung zu beklagen, lohnt es sich, den Blick auf andere Gräben zu richten. Selbstredend sind die Differenzen zwischen Links und Rechts besonders gross bei Themen, die ideologisch-moralisch so aufgeladen sind wie die Energie- und Klimapolitik. Anhänger der Grünen stimmten dem Energiegesetz mit einem Ja-Anteil von 94 Prozent zu, während nur 16 Prozent der SVP-Parteisympathisanten ein Ja einlegten. Praktisch gleich sah es beim CO2-Gesetz aus: 93 Prozent gegen 17 Prozent.

Erstaunlich sind die innerparteilichen Gräben. Die Parteiparole der nationalen FDP lautete bei beiden Abstimmungen Ja, doch die FDP-Parteianhänger folgten dieser Vorgabe mehrheitlich nicht. Beim Energiegesetz stimmten 53 Prozent gegen die Vorlage, beim CO2-Gesetz sogar 63 Prozent. Dabei hatte die Parteiführung vor den Wahlen im Herbst 2019 in einer Basisbefragung unter dem Einfluss der medial aufgebauschten Streiks der Klimajugend eine mehrheitliche Unterstützung für einen grün gefärbten „last-minute“-Schwenker gewinnen können. Doch Befragungen produzieren viel Deklamatorisches zum Preis null, während es bei Gesetzesvorlagen um konkrete Massnahmen und spürbare Wirkungen geht.

Einen ganz speziellen Konflikt gab es im Einflussbereich der SVP, die bei beiden Referenden die einzige namhafte Partei war, die gegen die Vorlagen eintrat. Doch der Schweizer Bauernverband hatte, gegen die traditionelle Bauernpartei SVP, die Ja-Parole ausgegeben und lag damit extrem weit neben seiner politischen Basis. Die Vermutung liegt nahe, dass der Bauernverband ein Tauschgeschäft mit Wirtschaftsinteressen eingegangen war, die für das Gesetz kämpften und im Gegenzug landwirtschaftliche Schutzinteressen, speziell bei neuen Freihandelsabkommen, zu respektieren versprachen.

Da die VOX- und VOTO-Institute in ihren Abstimmungsanalysen Daten nach Geschlecht, etwas altmodisch, immer noch binär-biologisch erheben, wird ein Graben zwischen Mann und Frau sichtbar. Dem Energiegesetz hatten Frauen mit einem Ja-Anteil von 64 Prozent zugestimmt, Männer nur mit 53 Prozent. Beim Urnengang zum CO2-Gesetz gab es bei den Frauen eine Ja-Mehrheit von 52 Prozent, während die Männer die Vorlage mit nur 45 Prozent Ja-Stimmen ablehnten. Die Differenz war zwar etwas kleiner als beim Energiegesetz. Aber der Geschlechter-Graben war von ernsthafterer Qualität, weil die Männer die Frauen majorisierten, indem sie das Gesetz, dem eine Mehrheit der Frauen zustimmte, zum Absturz brachten.

Die Bildungselite als Speerspitze der Energiewende

Ein breiter Graben zeigt sich auch im Abstimmungsverhalten nach Bildungsgrad. Hochgebildete zeigen sich als überzeugteste „Energiewender“. Das Energiegesetz lehnte die Gruppe mit beruflicher Grundbildung/Berufslehre mit rund 55 Prozent Nein-Stimmen ab. Dagegen votierten die Leute mit tertiärem Bildungsabschluss mit einer Dreiviertel-Mehrheit für das Gesetz. Beim CO2-Gesetz waren die Unterschiede zwar kleiner, aber die Kategorie der Hochgebildeten lag mit rund 70 Prozent Ja immer noch deutlich über den Zustimmungsquoten der Gruppen mit tieferem Bildungsgrad. Dies sind gewöhnlich Menschen, die ihren Alltag zu bewältigen und meist andere Sorgen haben, als knappe materielle Ressourcen dazu zu verwenden, irgendwelche ideellen Werte auszudrücken.

Gut versorgt, ist es einfach, alles Mögliche zu fordern, ohne die Auswirkungen im eigenen Alltag mittragen zu müssen. Eine Orientierung an Werten ist in der materiell privilegierten Bildungselite verbreitet. Dies dient auch der Selbstinszenierung, ist jedoch mit Kosten verbunden. Man denke etwa an die hohen Preise für „ethischen Konsum“. Die Lebensorientierung an Werten sei die Seligkeit nur von Eliten schrieb der Kulturwissenschafter Wolfgang Ullrich in einem Beitrag in der NZZ. Der „neue Moraladel“ könne es sich dank seiner privilegierten sozialen Stellung leisten, einen wertebewussten Lebensstil zu verwirklichen und sich damit auch über andere Menschen zu erheben. Dass die Zustimmung zum Energiegesetz und zum CO2-Gesetz gerade im staatsnahen Hochschul- und Kulturmilieu so klar war, ist primär mit dieser Werteorientierung zu erklären, und nicht mit einem besonders guten technisch-ökonomischen Verständnis der Vorlagen. Der prominente amerikanische Moralpsychologe Jonathan Haidt meinte in einem Referat nur leicht überspitzt, Hochgebildete seien nicht, wie sie selber meinen würden, besser informiert als andere, sie seien nur geschickter in der Begründung ihrer Vorurteile.

Die grobe Kategorisierung „hochgebildet“ überdeckt zudem eine wichtige Tatsache. Zahlenmässig dominierend sind dort weiche, meist von Frauen bevorzugte Fachrichtungen wie Sprachen, Psychologie, Publizistik/Medien, Recht, Politikwissenschaften, Soziologie, Geschichte, Geografie, Ethnologie und medizinisch-soziale Fachrichtungen. Dort überwiegen links-grüne ideologische Positionen bei weitem. Im Kontrast zum politisch-ideologischen Spektrum des gesamten Stimmvolks zeigt sich unter den Absolventen von Hochschulen ein ausgeprägter links-grüner „Werte-bias“. Zudem widerspiegelt sich in dieser Orientierung an selbst definierten Werten eine Neigung zu illusionären gesellschaftlichen Zielen und eine massive Überschätzung des politischen Wollens und Könnens im Sinne von: Was wir wollen, ist auch machbar; wir müssen nur können wollen.

Abschied von Illusionen: Unerreichbares 1,5-Grad-Ziel

Das Volks-Nein zum CO2-Gesetz passt natürlich nicht in den behördlich vorgespurten Pfad hin zur Energiewende und zu den Zwischenzielen der CO2-Reduktion. Doch wie ist aus den beiden energie- und klimapolitischen Referenden der Volkswille zu deuten, wenn sich einerseits das teilnehmende Stimmvolk in den zwei Abstimmungen in vielerlei Hinsicht stark unterscheidet, und anderseits Abstimmungsergebnisse offenkundig davon abhängen, ob ein Gesetz dem Stimmvolk allein oder in einem Paket mit anderen Vorlagen vorgelegt wird?

Nichts wäre in Zeiten anschwellender alarmistischer Stimmen und Aufrufe nützlicher, als unbefangen eine nüchterne Lageanalyse vorzunehmen und sich von all den Illusionen loszusagen, die die gängige Klimapolitik prägen. Dies gilt besonders auch für die Fukushima-befeuerte schweizerische Energiewende.

Das 1,5-Grad-Ziel aus „Paris 2015“ ist die grosse Illusion, von der sich die Klimapolitik verabschieden müsste. Weshalb sollte ausgerechnet der Weltzustand von 1850 am Ende der kleinen Eiszeit mit einer CO2-Konzentration von 280 ppm ein für die Umwelt, Gesundheit und Ernährung natürliches Klimaoptimum darstellen? Da zudem die durchschnittliche globale Temperatur seit damals bereits um 1,1 Grad zugenommen hat und die Temperatur auf die heutige CO2-Konzentration von 415 ppm verzögert reagiert, würden die 1,5 Grad wahrscheinlich auch erreicht oder überschritten werden, wenn die menschliche Welt morgen stillstehen würde.

Trotzdem verkünden unsere zuständigen Behörden weiterhin unbeirrt, das 1,5-Grad-Ziel des Klimaabkommens von Paris 2015 sei erreichbar, wenn wir nur wollten. Das Problem liegt in der unklaren Bedeutung von „wir“. Wir in der Schweiz haben mit dem Erreichen des 1,5-Grad-Ziels nichts zu tun. Wir sind nur solidarisch Verpflichtungen zur Treibhausgas-Reduktion eingegangen, in der Hoffnung, die anderen Staaten dieser Welt täten dasselbe und hielten sich daran. Diese Hoffnung ist im Lichte der Trittbrettfahrer-Problematik auf Sand gebaut. Wenn das „wir“ dagegen global gemeint ist, liegt es ausserhalb unserer politischen Zuständigkeiten und Kompetenzen.

Der enorme technologische und wirtschaftliche Fortschritt und der hohe Wohlstand in den Gesellschaften des Massenkonsums in den westlichen Wohlfahrtsstaaten und in erfolgreichen asiatischen Ländern sowie auch die Entwicklung in ärmeren Ländern sind ohne die Verfügbarkeit fossiler Energie völlig undenkbar. Deshalb ist im Umkehrschluss schon rein logisch zu folgern, dass eine rabiate Dekarbonisierung der Volkswirtschaften ein äusserst kostspieliges Vorhaben wäre, solange man – ökonomisch korrekt – mit Opportunitäts- oder Verzichtskosten rechnet. (Hinweis: Werden knappe Ressourcen einer neuen Verwendung zugeführt, fehlen diese andernorts. Die wegfallende Wertschöpfung aus dem nächstbesten oder gar besseren Einsatz dieser Ressourcen sind volkswirtschaftliche Kosten). Politisch kaum lösbar wären auch die zu erwartenden Verteilungskonflikte, sowohl landesinterne wie auch zwischenstaatliche. Wer das Schlagwort „Klimagerechtigkeit“ in die Debatte wirft, um die reichen Länder an ihre Verantwortung zu erinnern, pflegt eine verengte Sicht. Denn es sind die technologisch-ökonomischen Errungenschaften der von westlichen Werten geprägten Länder, welche weltweit die extreme Armut und die Kindersterblichkeit massiv reduziert und die durchschnittliche Lebenserwartung seit 1900 global mehr als verdoppelt haben – mit den grössten Fortschritten in den (ehemals) armen Ländern Asiens und Afrikas.

Die öffentliche Debatte um Kosten und Nutzen einer „ambitionierten Klimapolitik“ ist von diffusen Warnungen und Illusionen geprägt. Die fundiertesten Kostenschätzungen über die langfristigen Schäden des Klimawandels und die Kosten der Klimapolitik stammen vom amerikanischen Yale-Ökonomen William Nordhaus. Dieser hatte 2018 für seine Beiträge zu dieser Thematik den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten. Dessen ungeachtet, haben seine Erkenntnisse für die auf hochtrabende Deklamationen setzende offizielle Klimapolitik keine Bedeutung. Und unter Klimaaktivisten aller Art, die in der Illusionswelt von „Paris 2015“ leben, hat Nordhaus ohnehin keine Anhänger. Denn nach seinen Schätzungen ist eine Klimapolitik, die das 1,5-Grad-Ziel von „Paris 2015 zu erreichen trachtet, praktisch unbezahlbar. Im Trade-off zwischen den Kosten der Klimapolitik und den verhinderten Schäden des Klimawandels schneidet ein Erwärmungs-Szenario von gegen 3,5 Grad am besten ab. Auch wenn viele an diesen Modell-Simulationen zweifeln mögen oder sie gar als zynisch abtun, sind solche Kosten-Nutzen-Vergleiche unverzichtbar, nicht zuletzt, weil sich in den Modellannahmen die Denk- und Handlungsweise der Menschen realistisch widerspiegelt.

Ohne „Atomstrom“ weiter wie bisher?

Die in der Schweiz selbst kultivierten Illusionen inklusive „fake facts“, die auch von offiziellen Stellen verbreitet wurden, betreffen behauptete Einsparungen beim Stromverbrauch trotz der geplanten Elektrifizierung von Mobilität und Gebäuden, den weit überschätzten künftigen Ausbau der erneuerbaren Energien Wind, Solar und Wasserkraft, die Verfügbarkeit von Stromimporten zur Deckung der massiv wachsenden Winterstrom-Lücke sowie die vagen Hoffnungen auf technologische Durchbrüche bei der Stromspeicherung und bei der Abscheidung oder Lagerung von CO2 im Untergrund (carbon capture and storage). Darüber ist andernorts bereits ausführlich berichtet worden, ohne dass die Politik darauf bereits sichtbar reagiert hätte. Die politische Schweiz ist ein schwerer Dampfer mit vielen Akteuren im Maschinenraum und an den Steuerrudern.

Das Ja zum Energiegesetz war primär ein Votum für den Ausstieg aus der Kernenergie. In der VOTO-Nachbefragung gaben vier von fünf Befragten an, dass sie sich eine Schweiz ohne Atomenergie wünschen. Die Bilder von der Reaktor-Explosion in Fukushima hatten sich in den Köpfen fest eingeprägt. Doch „hard cases make bad law“, lautet eine alte politische Weisheit, die hier treffend passt. Aus dem Fall Fukushima hätte man viel lernen können, wenn man die Folgen gelassener analysiert hätte, statt zwei Monate nach dem Unglück eine Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kernenergie zu verkünden. Winston Churchill wird die Aussage zugeschrieben, Sicherheit liege in der Vielzahl der Variablen, die einem als Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Wer sich jedoch nach dem Prinzip Hoffnung selbst seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt, muss damit rechnen, dass sich die Realität anders verhält als erhofft.

Immerhin vernimmt man jetzt allmählich Stimmen, die eine Neubeurteilung der Kernenergie in Zeiten der rabiaten, aber brüchigen Zielvorstellungen betreffend „netto null 2050“ fordern. Wegen der demokratischen Höchstlegitimation durch einen Volksbeschluss scheint ein Ausstieg aus dem „Atomausstieg“ gegenwärtig praktisch unmöglich. Zudem ist die Ablehnung der Kernenergie für politisch massgebende Personen, Parteien und NGO ein zentrales Element ihrer Mission und ihres Selbstbildes. Eine nüchterne Neubeurteilung wäre ein Verrat an der Sache, der man sich mit Haut und Haar verschrieben hat. Und wenn rund vier Fünftel der Stimmberechtigten den Ausstieg aus der Kernenergie befürworten, braucht es Zivilcourage, um dem restlichen Fünftel eine Stimme zu geben.

Eine energiepolitisch wirksame Gegenerfahrung zu Fukushima, die die Volksseele ähnlich aufwühlen könnte, wäre ein Strom-Blackout mit einem Versagen wichtiger Systeme. Unrealistisch ist dies unter der Fuchtel der verkündeten Energiewende nicht. Die entsprechenden Warnungen finden sich auch in Risikoszenarien für die Schweiz. Mit ihrer zunehmenden Marginalisierung im europäischen Stromverbund nehmen diese Risiken noch zu. Aber solange die Erfahrungen mit und die mediale Vermittlung von Unfällen im Energiebereich – nicht zuletzt dank den Scheckgespenstern „Fukushima“ und „Tschernobyl“ – derart zulasten der Kernenergie verzerrt sind, darf man die gerade herrschenden Meinungen in der Bevölkerung nicht überbewerten. Vielleicht erleben wir in einigen Jahren eine streikende Klimajugend, die – nicht wie die heutige, ideologisch verblendete – zum Nutzen der Klimaziele den Ausstieg aus dem „Atomausstieg“ fordert.

Dieser Text wurde am 10. September in der online-Zeitschrift „Nebelspalter“ publiziert.

Der 13. Juni rückt näher

Grundsätzlicheres als Rappenspalten zum Referendum über das neue CO2-Gesetz

Im neuen schlumpf&rentsch-Podcast führe ich mit Martin Schlumpf ein zweites Gespräch über das neue CO2-Gesetz, über das am 13. Juni abgestimmt wird. Es werden zusätzliche Aspekte diskutiert, die im ersten Video zum Thema fehlten oder nur kurz gestreift wurden. Die Streitereien in Franken und Rappen um die Belastungen von Hauhalten, Firmen oder um die Erhöhung der Ausgaben fürs Autofahren oder für Mieten überlassen wir jedoch den direkt beteiligten Akteuren und Interessen.

Kritisch wie üblich, jedoch nicht als „Klimaleugner“, erörtern wir zuerst, wie das Gesetz grundsätzlich aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu beurteilen ist. Im zweiten Teil geht es vertieft nochmals um die Frage, ob das CO2-Gesetz geeignet sei, das 50%-Senkungsziel aus „Paris 2015“ bis 2030 möglichst effizient zu erreichen.

Bitte ehrliche Propaganda für das neue CO2-Gesetz!

Wie UVEK-Vorsteherin Sommaruga ehrlicherweise argumentieren müsste

„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! 

Am 13. Juni stimmen wir über das revidierte CO2-Gesetz ab, weil die SVP und einige Verbände das Referendum ergriffen haben. Bundesrat und Parlament plädieren für ein Ja zum Gesetz. Das neue CO2-Gesetz trägt dazu bei, dass die Schweiz ihre Selbstverpflichtung zur Reduktion des CO2-Ausstosses von 1990 bis 2030 um 50 Prozent einhalten kann. Diese Selbstverpflichtung ist die Schweiz, wie andere Länder, im Rahmen des Klimaabkommens von Paris von 2015 eingegangen. Die Schweiz handelt somit unter „Paris 2015“ solidarisch mit anderen Staaten. Selbstverständlich hat die Schweizer Klimapolitik keinen Einfluss auf das Weltklima. Aber wenn wir unsere „Paris 2015“-Ziele nicht einhalten, wie wollen wir dann von den anderen Ländern, vor allem den grossen CO2-Emittenten oder ärmeren Ländern erwarten, dass diese in Zukunft auch wirksame Anstrengungen unternehmen? 

Ich möchte an dieser Stelle auch meine früheren Aussagen zu klimabedingten Naturereignissen in der Schweiz korrigieren: In der Schweiz waren in den vergangenen Jahrzehnten die Häufigkeit und die Schäden von Naturereignissen, entgegen meinen früheren Warnungen und Berichten in den Medien, rückläufig. Jedoch können wir daraus nicht ableiten, was die Zukunft bringen wird. Zudem deuten jüngste weltweite Beobachtungen, zum Beispiel über ein beschleunigtes Abschmelzen der Eismassen, doch auf Risiken hin, die mit der vom Menschen verursachten Erderwärmung in Verbindung zu bringen sind. Darüber gibt es aber in der Wissenschaft keine eindeutigen Erkenntnisse, sondern die Kausalitäten, die möglichen Schadenskosten und die Kosten von Anpassungsmassnahmen werden kontrovers diskutiert. Die warnenden Stimmen des Weltklimarats IPCC und der mit diesem verbundenen Forschergemeinde haben in der öffentlichen Wahrnehmung kommunikative Vorteile.

Das CO2-Gesetz entspricht sicher nicht dem Ideal ökonomischer Effizienz. Das Gesetz ist das Ergebnis der politischen Gewinnung von Mehrheiten unter den institutionellen Bedingungen der Schweiz. Der ganze Instrumentenkasten kam unter dem Motto zustande, dass alle etwas beitragen sollen. Am Ende zählt dann primär, ob das Gesetz in einem Referendum bestehen kann. Was jetzt vorliegt, ist als das zu betrachten, was unter den heutigen Bedingungen als politisch machbar erscheint. Ein Nein zum Gesetz würde die Schweiz in ihren Anstrengungen, die selbst gesteckten CO2-Reduktionsziele zu erreichen, stark zurückwerfen. Ich danke Ihnen für Ihre Zustimmung zum Gesetz.“

Alternativlose Politik auch bei uns?

Gedanken zur Abstimmung vom 13. Juni über das revidierte CO2-Gesetz

Unsere UVEK-Bundesrätin Simonetta Sommaruga wird nicht müde, vor einem Nein zum neuen CO2-Gesetz zu warnen und den Teufel an die Wand zu malen. Sie spricht von einem grossen Rückschlag im Kampf gegen den Klimawandel und warnt, die Schweiz könnte dann ihre CO2-Reduktionsziele aus dem Klimaabkommen von Paris („Paris 2015“) nicht mehr einhalten. Zunehmend scheinen wir aufgrund solcher Aussagen vor alternativlosen Situationen zu stehen. Meisterin der alternativlosen Politik ist bekanntlich Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für sie ist der Euro alternativlos, die Energiewende und der Atomausstieg sind es auch, und irgendwann entstand der Eindruck, sie selbst sei es auch.

Für BR Sommaruga droht mit einem Scheitern des CO2-Gesetzes an der Urne der grosse Scherbenhaufen. Doch in der Politik ist nie etwas alternativlos, selbst nach so überstürzten Fehlentscheiden wie der deutschen und der schweizerischen Energiewende. Man kann durch Einsicht und praktische Erfahrung immer noch schlauer werden und frühere Entscheidungen korrigieren. Oder man könnte auch vorausschauend über Plan B und C nachdenken. Von Churchill stammt der Ausspruch, Sicherheit liege in der Vielzahl der Variablen, die einem als Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.

In ihrem Gespräch über das neue CO2-Gesetz steigen Martin Schlumpf und Hans Rentsch in ihrem neuen schlumpf&rentsch-Podcast quasi hinunter in die Niederungen der Tagespolitik. Allerdings dreht sich das Gespräch nicht um die Pro- und Kontra-Aussagen im bereits tobenden Zahlenkrieg um die Belastung der Haushalte durch die Verteuerung fossiler Energie. Vielmehr versuchen s&r, ihr eigenes Dilemma zu klären: Kann man diesem Gesetz positive Seiten abgewinnen – weil es über den CO2-Preis durchaus eine CO2-senkende Wirkung verspricht, – wenn man im Grunde die schweizerische Energiewende als illusionäres Projekt betrachtet?

Zuerst zeigen s&r die marginalen Proportionen schweizerischer Klimapolitik im internationalen Kontext. Zum Gesetz positiv vermerkt wird die Tatsache, dass die nachteiligen Folgen des weltrekordverdächtigen CO2-Preises gemäss Gesetz durch die mehrheitliche Zurückerstattung an die Haushalte wenigstens teilweise abgedämpft werden. Dass im Rahmen der schweizerischen Institutionen ein Gesetz nicht ökonomischer, sondern politischer Rationalität genügen muss, also ein Referendum überstehen sollte, zeigt sich auch beim CO2-Gesetz mit seinem breit angelegten Instrumentenkasten inklusive Klimafonds mit Fördermitteln zugunsten zahlreicher hoffender Nutzniesser in bester Tradition.

Alle Podcasts von Hans Rentsch und Martin Schlumpf sind auf ihrem YouTube-Kanal schlumpf&rentsch zu sehen. Kommentare sind willkommen.

Der Geist von „Paris 2015“

Im Klima-Übereinkommen von Paris illustriert die lange Präambel, gehalten in einem Jargon westlicher Entwicklungs-NGO, den kulturellen Relativismus, der für UNO-Projekte und -Verlautbarungen notorisch ist. Auffallend und bezeichnend ist auch, dass es in dieser UNO-NGO-Welt immer nur um Kollektive geht. Nie ist vom einzelnen Menschen als Person mit individuellen, zu schützenden Rechten die Rede. Nachstehend ein paar Auszüge aus der Präambel. Es beginnt mit:

Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens –

………….in Anerkennung dessen, dass die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Beendigung des Hungers grundsätzlich Vorrang haben und dass die Systeme der Nahrungsmittelerzeugung gegenüber den nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderungen besonders anfällig sind

Mein Kommentar: Die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Beendigung des Hungers stehen als vorrangige Ziele in direktem Widerspruch zum Verzicht auf fossile Energien. Zudem ist die Welt dank dem menschlichen CO2 in den vergangenen Jahrzehnten um ca. 20 Prozent „grüner“ geworden – auch zugunsten der Agrarproduktion.

...in der Erkenntnis, dass die Klimaänderungen die ganze Menschheit mit Sorge erfüllen, sollen die Vertragsparteien beim Vorgehen gegen Klimaänderungen ihre jeweiligen Verpflichtungen im Hinblick auf die Menschenrechte, das Recht auf Gesundheit, die Rechte von indigenen Völkern, lokalen Gemeinschaften, Migranten, Kindern, Menschen mit Behinderungen und besonders schutzbedürftigen Menschen und das Recht auf Entwicklung sowie die Gleichstellung der Geschlechter, die Stärkung der Rolle der Frau und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen achten, fördern und berücksichtigen…

Mein Kommentar: Dieses Zeitgeist-Geplapper ist Ausdruck des westlichen „Werte-Adels“ und stammt bestimmt nicht von Vertretern armer Länder. Die haben andere Sorgen.

…in Anbetracht dessen, wie wichtig es ist, die Integrität aller Ökosysteme einschliesslich der Meere und den Schutz der biologischen Vielfalt, in manchen Kulturen als Mutter Erde gewürdigt, zu gewährleisten, und in Anbetracht der grossen Bedeutung, die der Begriff „Klimagerechtigkeit“ für manche im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen Klimaänderungen hat…

Mein Kommentar: Nun gut, die „Mutter-Erde“-Völker und -Kulturen haben kaum je etwas an Innovationen und Produkten hervorgebracht, das zu jener Auffassung von Wohlstand und Lebensqualität gehört, die fast alle Menschen teilen – insbesondere jene in armen Ländern. Für die Werte-Elite der reichen westlichen Welt dient die Idealisierung der „Mutter-Erde-“ Kulturen der Selbstwahrnehmung als Angehörige dieser Elite.

Nachbemerkung: Dass „Paris 2015“ auf der Grundlage nationaler Klimapolitiken nicht funktionieren wird, ist ein anderes Thema.